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Der Welt-Detektiv Band 6

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Deutsche Märchen und Sagen 90

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

112. Das verzehrte Getreide

In Schwaben lebte einst ein reicher und mächtiger Edler, namens Rickberger, dessen jährliche Einkünfte sich gut auf mehr denn dreißigtausend Goldstücke beliefen. Der war dabei aber so geizig, dass es nicht zu sagen ist, und seine einzige Sorge, immer mehr und mehr Reichtümer aufzuhäufen, gleichviel, ob mit Recht oder mit Unrecht. Eines Jahres waren die Feldfrüchte über Maßen gut geraten und er hatte all seine Speicher so gefüllt, dass sie drohten, zusammenzustürzen. Dennoch verkaufte er das Getreide nur zu unmäßig hohen Preisen und steigerte diese zuletzt so sehr, dass die armen Leute entweder vor Hunger sterben oder ihr Hab und Gut verkaufen mussten, um sich das nötige tägliche Brot zu verschaffen. Zu dieser Zeit kam einmal ein armer Mann, der noch dazu viele Kinder hatte, und bot seine letzten sechs Taler dem Rickberger für ein gewisses Maß Korn, versprach auch dabei, dass er, was etwa an dem Geld noch mangelte, in kürzester Zeit nachzahlen werde. Rickberger erzürnte ob der Bitte, fluchte, schimpfte und schwor, er werde das Getreide nicht eher geben, bis die Summe vollständig sei. So musste der Arme das Haus verlassen, aber das tat er nicht, ohne Gottes Rache noch über den Geizhals herabzurufen. Einige Tage danach sandte dieser einen seiner Diener auf den Speicher, um nach dem Getreide zu schauen, aber einen Augenblick darauf stürzte der Mensch in Angst und Schrecken in Rickbergers Kammer und verkündete ihm, dass drei schwarze Ochsen auf dem Speicher umgingen und das Getreide auffräßen. Da schickte der Geizhals einen anderen hinauf, aber der meldete bald, dass er außer den Ochsen auch noch Pferde gesehen habe. Nun wollte er der Sache gewiss sein und sich selbst überzeugen. Als er jedoch durch eine Türspalte auf den Söller schaute, sah er diesen ganz bedeckt mit Vieh aller Art, welches lustig in dem Getreide herumwühlte und dasselbe aufzehrte. Darüber entsetzte er sich dermaßen, dass er zur Stunde den Verstand verlor und nicht lange darauf elendiglich starb.