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Die Büffeljäger am Lagerfeuer – Kapitel 19

Thomas Mayne Reid
Die Büffeljäger am Lagerfeuer
Reisebilder und Naturschilderungen aus dem Westen
Verlag Schmidt & Spring. Stuttgart.1858

Neunzehntes Kapitel

Ein aufgebäumter Bär

Der Doktor war der Einzige, der keinen Teil am Gespräch nahm, weil er eine Strecke vorausgeritten war, um vielleicht einen Bach aufzusuchen und mit dem Wasser desselben den Inhalt seiner Jagdflasche zu mischen. Aber plötzlich sahen wir ihn auf seinem mageren Pferd zu uns zurückeilen und bemerkten in seinem Gesicht sehr deutliche Zeichen von Bestürzung und Unruhe.

»Was gibt es, Doktor?«, fragte einer.

»Er hat Indianer gesehen«, bemerkte ein anderer.

»Ein Bär, ein Bär!«, rief der Doktor keuchend, »ein grauer Bär! Ich versichere Sie, ein fürchterlich aussehendes Tier!«

»Ein Bär, sagen Sie?,« fragte Ike und schoss auf seiner alten Stute vorwärts.

»Ein Bär!«, rief Redwood und brach zur Verfolgung durch die Büsche.

»Ein Bär!«, riefen die Übrigen, indem alle ihren Pferden die Sporen gaben und miteinander vorwärtsgaloppierten.

»Wo, Doktor? Wo?«, riefen mehrere.

»Dort!«, antwortete der Doktor, »gerade neben dem großen Baum da. Ich habe ihn dort hineinbrechen sehen, und bin fest überzeugt, dass es ein grauer gewesen ist.«

»Unsinn, Doktor«, sagte der Naturforscher, »wir sind noch weit entfernt vom Gebiet des grauen Bären. Es ist ein schwarzer Bär gewesen, was Sie gesehen haben.«

»So wahr ich lebe!«, antwortete der Doktor, »es war kein schwarzer, gewiss nicht! Ich werde doch einen schwarzen Bären erkennen. Er hatte eine hellbraune, fast gelbliche Farbe.«

»Ah, das ist noch kein Beweis. Man findet den schwarzen Bären von vielfach verschiedener Farbe. Ich habe ihn von der Farbe gesehen, die Sie beschreiben, und ein solcher muss der Ihre sein, da der graue sich nicht so weit im Osten findet, obwohl es möglich ist, dass wir ihn bald erblicken, wenn auch nicht in solchen Wäldern wie diese hier.«

Wir hatten nun die Stelle erreicht, wo der Bär gesehen worden war. Obwohl ein ungeübtes Auge kein Zeichen der Gegenwart des Tieres entdeckt haben würde, so konnten doch der alte Ike, Redwood und der Naturforscher die Spur desselben auf dem herabgefallenen Laub verfolgen. Die Führer waren beide abgestiegen und folgten gebückt der schwachen Fährte, ihre Rosse hinter sich herführend. Nach Ikes Aussehen zu urteilen, hätte man glauben sollen, er werde eher durch den Geruch, als durch das Gesicht geleitet. Die Fährte führte uns bald von unserem Weg ab, und wir folgten ihr einige hundert Schritte tief in den Wald hinein. Die meisten von uns, auch ich, waren der Meinung, dass das Tier, nachdem es den Doktor gesehen hatte, nicht stehen geblieben, sondern eine hübsche Strecke weit fortgelaufen sei, und wenn wir uns selbst überlassen gewesen wären, so würden wir die Jagd aufgegeben haben. Die Trapper wussten jedoch recht gut, was sie taten. Sie behaupteten, dass der Bär langsam fortgegangen wäre, dass er oft Halt gemacht habe, dass sie Zeichen sähen, welche ihnen die Überzeugung von der Nähe seiner Behausung verliehen. Sein Lager müsse ganz in der Nähe sein.

Dies ermutigte uns, weiter vorzudringen. Wir ritten sämtlich hinter den Trappern her. Jake und Lanty waren bei den Wagen gelassen worden und hatten den Befehl erhalten, langsam den Marsch fortzusetzen. Nach einiger Zeit hörten wir den Wagen sich gerade vor uns hinbewegen. Die Straße hatte ebenso wie die Bärenspur eine Biegung gemacht, und beide trafen wieder zusammen. Gerade in diesem Augenblick erschallte ein lauter Ruf von der Richtung des Wagens her. Wir erkannten die Stimme Lantys im Verein mit der Jakes.

»Oh, bei der heiligen Mutter, sehen Sie dorthin! Ach, bei der Mutter des heiligen Moses. Jake, welch ein Vieh!«

»Bei Golly, Massa, es ist ein Bär!«

Wir alle hörten dies zu gleicher Zeit. Natürlicherweise dachten wir nicht länger an die Fährte, sondern stürmten vorwärts, ohne der Zweige zu achten, die uns in den Weg kamen.

»Wo ist der Bär?«, rief Redwood, der zuerst beim Wagen ankam. »Wo habt ihr ihn gesehen?«

»Dort läuft er!«, sagte Lanty, indem er auf eine Strecke der Waldung zeigte, welche mit dichtem Röhricht bedeckt war.

Wir kamen zu spät, um den Bären noch zu sehen, aber vielleicht hatte er im Gebüsch Halt gemacht. In diesem Fall hatten wir Aussicht, ihm beizukommen.

»Schließt ihn ein, Jungens, schließt ihn ein!«, rief der Kentuckyer, der sich auf die Bärenjagd ebenso gut wie irgendein anderer aus der Gesellschaft verstand. »Schnell vor und schneidet ihm den Rückweg ab!« Zu gleicher Zeit spornte er sein großes Pferd und flog im Galopp voran. Mehrere andere ritten in der entgegengesetzten Richtung fort. Nach wenigen Sekunden hatten wir das Rohrdickicht umringt.

»Ist er drin?«, rief einer.

»Spürst du ihn dort, Mark?«, rief Ike seinem Kameraden von der entgegengesetzten Seite zu.

»Nein, hier ist er nicht herausgegangen«, war die Antwort.

»Hier auch nicht«, erwiderte Ike.

»Hier auch nicht«, sagte der Kentuckyer.

»Hier ebenso wenig«, setzte der Naturforscher hinzu.

»Dann ist er wahrscheinlich im Holz«, sagte Redwood.

»Jetzt sperrt eure Augen auf und zieht die Augendeckel in die

Höhe, ich werde ihn dort heraustreiben.«

»Halt an, Mark, Junge!«, rief Ike, »halt an! Hol der Schwarze das Vieh! Hier ist seine Fährte, zusammengetrampelt wie eine Schafherde! Oho, hier ist sein Lager, ich werde ihn heraustreiben!«

»Nun, ganz gut«, antwortete jener, »geh voran, alter Bursche, ich werde auf meine Seite achten, bei mir soll kein Bär vorbeikommen, ohne dass er eine Pille in den Leib kriegt. Nur erst heraus mit ihm!«

Wir saßen alle still und aufmerksam im Sattel. Ike war in das Röhricht gedrungen, ohne einen Laut hören zu lassen. Eine Schlange hätte nicht mit weniger Geräusch wie der alte Trapper durch das Gebüsch gleiten können. Es dauerte volle zehn Minuten, ehe uns der leiseste Ton verkündete, was er tat. Dann drang seine Stimme zu uns.

»Hierher Alle miteinander!«, rief er. »Der Bär ist aufgebäumt!«

Diese Nachricht erfüllte uns alle mit angenehmen Erwartungen, denn das Vergnügen, einen Bären zu erlegen, kommt nicht alle Tage vor, und nun, wo das Tier aufgebäumt war, hatten wir ihn sicher genug. Einige von uns stiegen ab und banden ihre Pferde an die Bäume, andere galoppierten keck in das Röhricht hinein und eilten in der Hoffnung, den ersten Schuss zu tun, zu der angedeuteten Stelle hin.

Aber warum ließ sich Ikes Büchse nicht hören, wenn der Bär doch aufgebäumt war?, sagten einige von uns verwundert.

Das Rätsel sollte uns erklärt werden, als wir herankamen. Ikes Worte waren nicht ganz genau zu nehmen. Der Bär hatte seine Zuflucht nicht auf einem Baum, sondern in einem hohlen Baum gesucht, sodass ihn Ike natürlicherweise noch nicht hatte sehen können. Aber hier lag der Stamm vor uns, ein ungeheuer großer, zehn oder mehr Fuß dicker Stamm, und dort war die Öffnung, in welche die scharf ausgetretene Fährte führte. Dies musste des Bären Lager sein, und er befand sich ganz ohne Zweifel darin. Nur wie sollten wir ihn heraus bekommen? Das war die Frage.

Einige von uns stellten sich mit der Flinte in der Hand so an, dass sie die Öffnung der Höhlung bestreichen konnten. Einer ging auf dem Stamm entlang und klopfte mit dem Flintenkolben tüchtig darauf. Doch dies half uns nichts. Petz war nicht so dumm, herauszukommen, um von unseren Kugeln begrüßt zu werden.

Nun wurde zunächst eine lange Stange in die Höhlung geschoben, aber ebenfalls ohne Erfolg. Das Lager befand sich außer dem Bereich derselben.

Hierauf wurde es mit Rauch versucht, aber ebenfalls vergeblich, denn der Bär gab kein Zeichen, ob ihn der Qualm belästigte. Nun wurden die Äxte vom Wagen herbeigeholt, um den Stamm umzuhauen, jedenfalls ein hartes Stück Arbeit, da das Holz desselben noch ziemlich fest und gesund schien. Es konnte jedoch alles nichts helfen, und so machten sich denn Jake und Lanty an die Arbeit. Redwood und der Kentuckyer, die beide mit der Axt gut umzugehen wussten, unterstützten sie. Es zeigte sich bald ein tiefes Loch auf jeder Seite des Stammes. Wir Übrigen hielten Wache am Eingang, da wir immer noch hofften, dass das Klopfen der Äxte das Wild heraustreiben würde. Aber auch diese Hoffnung wurde getäuscht, und das Holzhacken dauerte zwei Stunden hintereinander fort, bis die Geduld und die Arme unserer Baumfäller so ziemlich erschöpft waren. Nach kurzer Erholung ging es jedoch wieder ans Werk. Endlich drangen die Äxte durch das Holz, sodass der dunkle Baum im Inneren offen vor uns lag. Die rechte Stelle war glücklich getroffen, denn das Lager des Bären fand sich gerade unter der Öffnung, aber der Bär selber war verschwunden. Wir untersuchten mit Stangen beide Öffnungen, aber nirgends konnten wir einen Bären fühlen. Die Höhlung ging nicht weiter, und so mussten wir uns denn überzeugen, dass alle schwere Arbeit uns doch kein Wild verschafft hatte.

Nun gab es ringsum einige verdrießliche Gesichter und es ließen sich einige ziemlich derbe Verwünschungen vernehmen. Ike vollends fluchte und wetterte nicht wenig, denn der alte Trapper schien sich zu schämen, so angeführt zu sein, nachdem er etwas triumphierend verkündigt hatte, dass er den Bären gefunden habe.

»Er muss entwischt sein, ehe wir die Stelle eingeschlossen haben«, sagte einer.

»Wisst ihr denn schon gewiss, dass er in den Wald gelaufen ist?«, fragte ein Zweiter. »Lanty, der Dummkopf, war so erschrocken, dass er kaum sagen konnte, wohin das Tier gelaufen wäre.«

»Bei meiner Seele, Gentleman«, schrie Lanty, »ich habe ihn mit meinen eigenen Augen laufen sehen. Ich kann es beschwören!«

»Verwünscht merkwürdig!«, bemerkte Redwood ärgerlich.

»Hol der Schwarze den Bären!«, rief Ike. »Wo kann das Vieh hin sein?«

Wo befand sich mittlerweile Audubon? Aller Augen suchten den Naturforscher, als ob er das Geheimnis aufklären könne; aber nirgends war er zu erblicken, und schon seit einiger Zeit hatte ihn niemand gesehen.

In diesem Augenblick drang der helle, scharfe Knall einer Büchse zu unseren Ohren. Es folgte ein augenblickliches Schweigen, und im nächsten Moment wurde ein lautes Plumpen vernommen, als ob ein schwerer Körper von einer beträchtlichen Höhe zur Erde gefallen sei. Das Geräusch schreckte selbst unsere ermüdeten Pferde auf. Einige derselben rissen sich los und trabten davon.

»Hierher, meine Herren!«, sagte nun eine ruhige Stimme, »hier ist der Bär!«

Wir erkannten die Stimme Audubons und eilten sämtlich, ohne an die Pferde zu denken, der Richtung zu, wo er stehen musste. Da fanden wir, was wir so eifrig gesucht hatten: Das ungeheure Tier lag am Boden und der rote Strom seines Blutes sickerte aus einer Wunde zwischen seinen Rippen.

Audubon zeigte auf einen Baum, eine hohe Eiche, deren Wipfel über unseren Köpfen sich ausbreitete.

»Dort war er, auf jenem Zweig«, sagte er. »Wir hätten uns viele Arbeit sparen können, wenn wir ein wenig nachgedacht hätten. Als der Bär durch den Rauch nicht in Bewegung gebracht wurde, vermutete ich sofort, dass er nicht in dem Stamm sein könne. Das Tier war zu klug, um sich dort zu verstecken. Es ist nicht das erste Mal, dass ich ihn den Jäger durch einen solchen Streich habe anführen sehen.«

Redwoods Augen waren voll Bewunderung auf den Sprecher gerichtet, und selbst der alte Ire konnte nicht umhin, dessen höhere Jagdgeschicklichkeit anzuerkennen.

»Herr«, murmelte er, »ich bin der Ansicht, Sie würden einen verwünscht guten Gebirgsmann abgeben. »Wenn Sie durch das Visier sehen, ist der Indianer geliefert!«

Wir betrachteten alle den ungeheuren Körper des Bären, der zu den Größten seiner Art gehörte.

»Sind Sie überzeugt, dass es kein grauer ist?«, fragte der Doktor den Naturforscher.

»Nein, Doktor«, lautete die Antwort, »denn der graue klettert niemals auf Bäume.«