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Deutsche Märchen und Sagen 72

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

78. Kind im Wasser

Zu Boyghem in Ostflandern ging einmal eine Frau zum Bach, um Wasser zu schöpfen, und fand im Bach ein allerliebstes Kind liegen. Mitleidig nahm sie das Kind heraus, drückte es in die Arme und trug es mit sich nach Hause, wo sie es sorgfältig wickelte, wärmte und es auf ein Kissen schlafen legte. Dann lief sie schnell zu einer Nachbarsfrau, um von der eine Wiege zu leihen, bekam die auch und machte ein Bettchen darein. Als das Kind erwacht war, gab sie ihm zuerst Milchbrei, dann legte sie es in die Wiege. Doch kaum begann sie zu wiegen, als das Kind, pff pff, durch den Kamin fuhr und verschwand. Da sah sie, dass der Nix sie geneckt hatte.

79. Die Neckerstraße zu Ypern

In dieser Straße wohnte ehedem eine Wahrsagerin, die im Ruf stand, mit dem Necker umzugehen. Den schwangeren Frauen sagte sie voraus, ob sie eines Knäbleins oder eines Mägdeleins genesen, nannte ihnen auch den Ort, wo sie gebären würden. Wenn ein junges Paar heiratete, sagte sie ihnen für Geld, ob die Braut Kinder bekäme oder nicht und wie viel sie bekommen solle. Wenn die Frauen sie oft fragten, wo ihre Trunkenbolde von Männern saßen, nannte sie ihnen die Schenke, wo dieselben eben tranken. Ehe sie eine Wahrsagung aussprach, beschwor sie den Necker stets mit diesen Worten:

Kom Nenker,
myn becker,
myn wecker,
myn lotetrecker,
myn g’heim ontdecker,
en toon van baeg,
wat dat ik n Necker vraeg.1

Dann drehte sie sich dreimal rund um und sie wusste alles zu sagen, was man sie fragte. Über ihrer Tür hatte sie ein Schild, worauf stand:

Der Necker allhier sagen kann,
was man fragt, sei’s Frau ob Mann.

Darum nannte man zuletzt die Straße Neckerstraße.

Show 1 footnote

  1. Komm Nix, mein Decker, mein Wecker, mein Loszieher, mein Geheimnisentdecker und offenbare mir heute, was ich dich, Nix, frage.