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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 11

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Elftes Kapitel
John Wolfe

Als Jocelyn Mounchensey seine Rechnung verlangte, führte Madame Bonaventure ihn auf die Seite und zeigte durch ihre Blicke, dass sie ihm etwas Wichtiges mitzuteilen habe. Sie begann damit, ihm zu sagen, er sei herzlich willkommen an ihrer Tafel gewesen, und fügte hinzu, sie betrachte sich als seine große Schuldnerin wegen der Tapferkeit und des Eifers, wo mit er ihr beigestanden hatte.

»Nicht als wäre ich in wirklicher Gefahr gewesen, mein schöner junger Herr«, fuhr sie fort, »obwohl ich mich so stellte, denn ich habe mächtige Beschützer, wie Ihr bemerkt habt. In der Tat war dies alles ein verabredeter Plan zwischen Mylord Roos und seinen edlen Freunden, an den beiden Erpressern eine Wiedervergeltung zu üben, Aber das vermindert meine Dankbarkeit gegen Euch nicht. Ich werde versuchen, es zu beweisen. Ihr seid in größerer Gefahr, wie Ihr vielleicht selber wisst, und ich bin völlig gewiss, dass Sir Giles seine Drohung in Ausführung zu bringen und Euch zu verhaften beabsichtigt.«

Als sie ihn verächtlich lächeln sah, als hege er keine Furcht, fügte sie ein wenig rasch hinzu: »Was wird Eure Tapferkeit gegen so viele nützen, mein schöner Herr? Mein Gott! Nichts. Nein, nein! Ich muss Euch Beistand verschaffen. Glücklicherweise habe ich Freunde zur Hand, die Lehrlinge, große und starke Burschen mit Knitteln. Cyprien hat mir gesagt, dass sie da sind. Ohne Zweifel werden sie Eure Partei nehmen und da wird Sir Giles Euch am Ende doch nicht verhaften.«

Jocelyns Lippen verzogen sich wieder mit demselben verächtlichen Lächeln, wie vorher.

»Ah! Ihr seid zu verwegen!«, rief Madame Bonaventure, seinen Arm berührend. »Setzt Euch hier eine Weile nieder. Ich will Euch das Signal geben, wann Ihr Euch mit Sicherheit entfernen könnt. Bewegt Euch nicht von der Stelle bis dahin. Ihr versteht mich?«

Jocelyn verstand sie nicht deutlich, aber ohne Widerspruch nahm er den ihm angedeuteten Platz ein. Die Stellung war gut gewählt, denn sie setzte ihn in den Stand, die Bewegungen des Feindes zu beobachten und gewährte ihm einen Rückzug durch eine Seitentür, obwohl er natürlich nicht wusste, wohin der Ausgang führen mochte.

Während dies geschah, erteilte Sir Giles Befehle in Betreff seines Gefährten, dessen trunkener Zustand ihn sehr empörte. Infolge seiner Befehle wurde Sir Francis zu dem Landungsplatz geführt, wo ihm das bereits erzählte Missgeschick begegnete. Keinen Augenblick ließ Sir Giles Jocelyn aus den Augen und war bereit, gleich einem Tiger auf ihn loszustürzen, wenn der junge Mann eine Bewegung machen sollte, um sich zu entfernen. Er wartete nur, bis das Gasthaus von der Gesellschaft frei sein werde, um seine Verhaftung zu bewerkstelligen.

Inzwischen näherte sich dem jungen Mann eine andere Person. Dies war der freundliche Fremde in dem Pelzrock und der flachen Mütze, der beim Mittagessen neben ihm saß und der ihn in seiner Verlegenheit nicht verlassen zu wollen schien. Ihn mit großer Freundlichkeit anredend, benachrichtigte ihn dieser würdige Mann, dass er ein Buchhändler namens John Wolfe sei und sein Geschäft am St. Paulskirchhof in dem Zeichen der Bibel und Krone betreibe, wo er froh sein werde, den jungen Mann zu sehen, wenn es ihm möglich sei, ihn zu besuchen.

»Aber ich kann Euch nicht verbergen, Herr Jocelyn Mounchensey, denn Euer Streit mit Sir Francis Mitchell hat mich mit Eurem Mann bekannt gemacht, dass Eure Unbesonnenheit Euch in drohende Gefahr gebracht hat«, sagte John Wolfe, »sodass für jetzt nur wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, dass ich imstande sein werde, Euch die Gastfreundschaft zu erweisen, wie ich es wünsche. Sir Giles beobachtet Euch wie ein raubgieriger Geier. Der Himmel schütze Euch vor seinen Krallen! Und nun, mein guter junger Herr, nehmt eine Warnung von mir an, die ich Euch vermöge meiner Jahre und meiner freundlichen Gefühle wohl erteilen darf. Wenn Ihr dieser Gefahr entgeht, wie ich hoffe, so lasst es eine Lehre für Euch sein, Eurer Zunge Gewalt anzutun und sie nicht Eurem Urteil voraneilen zu lassen. Ihr seid viel zu rasch und ungestüm, und vermöge Eurer Torheit – nehmt es mir nicht übel, mein junger Freund, ich kann Eurem Benehmen keine mildere Benennung beilegen – habt Ihr Euch in die Macht Eurer Feinde begeben. Ihr habt nicht nur Sir Francis Mitchell gereizt, dessen Groll leichter aufgeregt als besänftigt wird, sondern Ihr habt auch Sir Giles Mompesson Trotz geboten, der gleich unversöhnlich in seinen Feindschaften ist. Als ob zwei solche Feinde nicht genug wären, müsst Ihr Euch notwendig noch einen dritten machen, der noch gefährlicher ist als beide.«

»Wieso, mein guter Herr Wolfe?«, rief Jocelyn.

»Wen meint Ihr?«

»Wen sollte ich meinen, Herr Jocelyn,« erwiderte Wolfe, »als Lord Buckingham, den Ihr auf unbesonnene Weise beleidigt habt? Wegen der letzten Handlungsweise kann keine Entschuldigung sein, welche auch wegen der ersteren gelten möge, und es war Wahnsinn, einen Edelmann seines hohen Ranges, der nur den König an Ansehen nachsteht, zu beleidigen.«

»Aber wie habe ich den Marquis beleidigt?«, fragte Jocelyn überrascht.

»Ist es möglich, dass Ihr aufs Geratewohl gesprochen haben könnt und ohne die schwere Bedeutung Eurer eigenen Worte zu wissen?«, erwiderte John Wolfe, ihn genau ansehend. »Es mag so sein, denn Ihr seid offenbar unbekannt mit der Welt. Als Ihr sagtet«, fügte er leiser hinzu, »dass diese beiden abscheulichen Erpresser die Kreaturen irgendeines hohen Mannes wären, der ihre boshaften Handlungen vor dem König entschuldige und einen besseren Bericht von ihnen erstatte, als sie verdienten, da ward Ihr der Wahrheit näher, als Ihr dachtet. Aber es konnte kaum angenehm für den Marquis sein, sich dies ins Gesicht sagen zu lassen, da alle außer Euch wissen, dass er der Mann ist.«

»Himmel!«, rief Jocelyn, »ich erkenne nun den Irrtum, den ich begangen habe.«

»Ein schwerer Irrtum, in der Tat«, erwiderte Wolfe kopfschüttelnd, »und sehr schwer widergutzumachen, denn der Vorwand des Nichtwissens wird Euch wohl bei mir, aber schwerlich bei dem Marquis helfen. Er kann auch nur geltend gemacht werden, da er jede Verbindung mit diesen Männern leugnen wird. Man vermutet, dass sein Halbbruder, Sir Edward Villiers, an all ihren geheimen Handlungen beteiligt ist. Davon weiß ich indessen persönlich nichts und sage Euch nur, was ich gehört habe. Aber wenn es nicht fast hochverräterisch wäre, würde ich sagen, dass Seine Majestät viel zu sorglos hinsichtlich der Mittel ist, wo durch seine Schatzkammer bereichert und seine Günstlinge besoldet werden. Auf jeden Fall lässt er sich zu leicht täuschen. Daher kommen alle diese Patente und Monopole, unter welchen wir seufzen. Die Günstlinge müssen Geld haben. Da der König ihnen wenig zu geben hat, so erheben sie so viel, wie sie wollen, auf den Kredit seines Namens. So wird alles verkauft: Ehrenstellen, Ämter, Titel. Alles hat seinen Preis – Bestechung und Käuflichkeit herrschen überall. Der Siegelbewahrer zahlt dem Marquis eine Pension, so auch der Staatsanwalt. Die geistlichen Stellen werden öffentlich verkauft, denn der Bischof von Salisbury zahlte ihm 3500 Pfund Sterling für sein Bistum. Aber dies ist noch nicht das Schlimmste. Ist es nicht schrecklich, sich einen stolzen Edelmann vorzustellen, der mit dem höchsten Ansehen bekleidet und insgeheim mit schmutzigen Wichten im Bunde steht, deren Handlungen er öffentlich missbilligt und Anteil an ihrer Beute erhält? Ist es nicht noch schrecklicher, zu denken, dass die königlichen Koffer teilweise durch ähnliche Mittel gefüllt werden?«

»Es ist genug, einen redlichen Mann zum Wahnsinn zu treiben«, sagte Jocelyn, »und Ihr könnt Euch über meinen Unwillen nicht wundern, wenn Ihr auch meinen Mangel an Vorsicht tadelt. Ich habe nichts ausgesprochen, was nur halb so stark wäre, als was Ihr eben gesagt habt, Herr Wolfe.«

»Ja, aber, mein guter junger Herr, ich spreche nicht öffentlich meine Meinungen aus, wie Ihr es tut. Lord Buckinghams Name darf ebenso wenig erwähnt werden, wie der Seiner Majestät. Wollte man den Namen des Marquis mit denen seiner bekannten Werkzeuge in Verbindung setzen, so würde man ihn tödlich beleidigen. Eine solche Verbindung auch nur anzudeuten, ist hinreichend, sein Missfallen zu erregen! Aber genug davon. Meine Absicht ist nicht, Euch zu tadeln, sondern als Freund gegen Euch zu handeln. Sagt mir offen, mein guter junger Herr, und nehmt mir das Anerbieten nicht übel. Wird meine Börse Euch nützlich sein? Wenn das ist, so steht sie Euch zu Diensten. Sie kann Euch vielleicht aus Eurer gegenwärtigen Verlegenheit helfen, denn wenn auch nicht genug darin ist, um den Herrn zu bestechen, seine Absicht gegen Euch aufzugeben, so enthält sie doch hinreichende Mittel, um Euch von den Dienern Eure Freilassung zu erkaufen.«

»Ich danke Euch herzlich, mein guter Herr Wolfe, und glaubt mir, dass ich nicht von falschem Stolz zurückgehalten werde, Euer Anerbieten anzunehmen«, erwiderte Jocelyn, »aber ich muss meinem eigenen Arm vertrauen, meine Freiheit zu bewahren, und meiner eigenen Geschicklichkeit, sie wiederzuerlangen, wenn ich verhaftet werden sollte. Ich danke Euch nochmals, mein Herr.«

»Es tut mir leid, dass ich Euch keine andere Hilfe leisten kann«, erwiderte John Wolfe, ihn teilnehmend ansehend, »aber mein friedlicher Beruf gestattet mir nicht, an persönlichen Streitigkeiten teilzunehmen. Dennoch stehe ich nicht gern dabei und sehe zu, wenn Unrecht geschieht.«

»Seid meinetwegen nicht mehr besorgt, würdiger Herr«, fiel Jocelyn ein. »Vielleicht wird man mich nicht belästigen, und wenn es geschehen sollte, bin ich wohl imstande, für mich selber zu sorgen. Mögen die, welche mich angreifen, die Folgen davon tragen.«

Aber John Wolfe verweilte noch. »Wenn nur einer von meinen Lehrlingen hier wäre«, sagte er, »und besonders jener kräftige Bursche Dick Taverner, so ließe sich vielleicht etwas tun, um Euch tätigen Beistand zu leisten. Ha! Was bedeutet dieser Aufruhr?«, fuhr er fort, als man ein verwirrtes Geräusch, gemischt mit dem Ruf Knittel! Knittel! vom Kai her vernahm. »So wahr ich lebe, die Lehrlinge sind da und mit Unheil beschäftigt. Es müsste seltsam zugehen, wenn Dick Taverner nicht unter ihnen wäre. Ich will sehen, was sie vorhaben.«

Während er sprach, eilte er zu dem Bogenfenster, welches die Aussicht auf den Kai gewährte, und rief: »Ja, ja, es ist, wie ich dachte. Dick ist unter ihnen, und zwar an ihrer Spitze. Beim Himmel! Sie greifen diese schurkischen Eisenfresser von Whitefriars an und bearbeiten sie wacker mit ihren Knitteln, Ha! Was sehe ich? Die Söldner sind geschlagen und die tapferen Burschen haben Sir Francis Mitchell gefangen genommen. Was werden sie mit ihm anfangen? Ich muss hinausgehen und zusehen.«

Seine Absicht wurde indessen durch eine plötzliche Bewegung des Sir Giles und seiner Begleiter verhindert. Sie gingen auf Jocelyn Mounchensey zu, in der deutlichen Absicht, den jungen Mann zu ergreifen. Jocelyn sprang sogleich auf, zog seinen Degen und stellte sich zur Verteidigung auf. Die Söldner bereiteten sich vor, die Klinge des jungen Mannes mit ihren Hellebarden niederzuschlagen, und ihn zu verhaften, als Jocelyns Mantel von hinten erfasst wurde und er Madame Bonaventures Stimme rufen hörte.

»Hierher! Folgt mir augenblicklich!«

Infolge dieser Aufforderung eilte er durch die Tür, die sogleich hinter ihm geschlossen wurde, sobald er sich zurückgezogen hatte.