Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Detektiv – Der Einsiedler vom Dschebel Schamschan – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Der Einsiedler vom Dschebel Schamschan

4. Kapitel

Der Großkaufmann Ali ben Barka

Aden ist das Gibraltar des Ostens. Diese kleine, felsige Halbinsel, 6 Kilometer breit, etwa 5 Kilometer lang, aufsteigend am Südrand zu dem Berggebiet des erloschenen Vulkans Schamschan hat England am Ostausgang des Roten Meeres zu einer uneinnehmbaren Feste ausgebaut. Die Stadt Aden liegt auf der Ostseite einige vierzig Meter über dem Meer. Rund 150.000 Menschen bevölkern diese hochwichtige Kolonie Britanniens, darunter etwa 2500 Europäer.

Aden ist ein Backofen zu jeder Jahreszeit. Wenn irgendwo, dann würde man hier jegliche Kleidung entbehren können. Die Felsmassen saugen die Sonnenhitze tagsüber auf, strahlen sie nachts wieder aus. Ließen sich all die Schweißtropfen, die hier fließen, in Trinkwasser verwandeln, wäre es besser mit der Wasserversorgung dieser Steinwildnis bestellt. Trinkwasser wird hier zumeist durch Destillation des Meerwassers gewonnen. Eine recht kostspielige Sache.

Das mag über Aden genügen. Dass der Handelshafen auf der Nordwestseite der Halbinsel liegt, habe ich ja bereits erwähnt.

Als der Fischkutter uns abgesetzt hatte, wanderten wir auf dem am Meeresstrand entlanglaufenden Fahrweg der Stadt zu. Sobald ein Gefährt oder ein Fußgänger auftauchte, verbargen wir uns. Harst wusste hier gut Bescheid. In der Stadt besaß ein Deutscher namens Sachsenhauer einen Laden: Bedarfsartikel für die ärmere Bevölkerung. Es war ein Kaufhaus im Kleinen.

Oskar Sachsenhauer erkannte Harst, der nun keine Verkleidung trug, sofort wieder, führte uns in seine Wohnung über dem Geschäft und machte uns mit seiner Familie — Frau und zwei erwachsenen Töchtern — bekannt.

Harst fragte nach Major Robertson.

»Ach, der hat ein schreckliches Ende vor etwa einem Jahr gefunden«, erklärte unser Landsmann ehrlich betrübt. »Er ist im Dschebel Schamschan abgestürzt und wurde zerschmettert in einer Schlucht erst nach Wochen zufällig entdeckt. Ich hatte ihn immer schon gewarnt, die Bergfexerei nicht zu übertreiben. Er kroch sozusagen jede freie Minute in den Bergen herum, immer allein. Manche Leute behaupten hier, er hätte einen Schatz gesucht, von dem er irgendwie Kenntnis erhalten habe. Ich glaube das nicht.«

Er räusperte sich. »Hm, ja, Sie sind ja nun ein berühmter Detektiv geworden, lieber Herr Harst. Ich habe immer in den Berliner Zeitungen mit wahrer Gier nach neuen Erfolgen bei Ihrer Millionenwette gesucht. Mit Ihnen möchte ich, gerade mit Ihnen, gern über Robertsons Tod genauer sprechen. Der Major hat mir viel genützt, hat mich stets halb als Freund behandelt. Und es ist uns, mir und den meinen, sehr nahe gegangen, als seine Schwester, die er vor zwei Jahren, als seine Eltern in England verstarben, hierher nachkommen ließ, so spurlos verschwand. Es war ein sehr hübsches Mädchen, die Elsi Robertson, so frisch und natürlich. Der Major liebte sie über alles. Und wie sie dann von einem Spaziergang nicht heimkehrte, wie dann alles Suchen umsonst blieb, da wurde Robertson ein völlig anderer, da begann seine Leidenschaft für das Bergkraxeln. Hm, ehrlich gestanden, Herr Harst, ich glaube, der Major hat im Dschebel Schamschan keinem Schatz, sondern vielmehr seiner Schwester nachgespürt.«

»Das glaube ich auch«, meinte Harst. »Als ich damals vor vier Jahren hier war, herrschte in der Stadt große Aufregung wegen des Verschwindens zweier Schwestern, zweier Schwedinnen, die zu einer Damenkapelle gehörten. Sie besinnen sich noch.«

»Natürlich!« Abermals hüstelte unser Landsmann, flüsterte dann ganz leise: »Ich nehme an, Major Robertson hat eine Entführung seiner Schwester durch arabische Mädchenhändler geargwöhnt.«

»Denselben Verdacht habe auch ich«, entgegnete Harst.

»Wirklich?«

»Wenn Sie und Ihre Damen mir fest versprechen, über das zu schweigen, was ich Ihnen jetzt anvertrauen will, dann könnten wir vielleicht auch den Verbleib von Elsi Robertson feststellen, Herr Sachsenhauer. Nun gut, ich habe also Ihr Versprechen.« Er begann unser Abenteuer auf der Westerland zu erzählen, flocht dabei den auch mich interessierenden Satz ein: »Wenn ich dem Kapitän des Schoners also mit so großer Bestimmtheit sagte, Hilde Held solle nach Aden gebracht werden, so war das von mir durchaus kein Schuss ins Blaue hinein, sondern eine sehr kühl überlegte Antwort. Robertson hatte den Dolch hier in Aden halb und halb geraubt, der Händler Selim besaß genau denselben Dolch, nur ohne bewegliche Petschaftplatte. Der Schoner steuerte südwärts; in Aden waren schon öfters Mädchen verschwunden. Also hiernach vermutete ich hier eine geheime Mädchenhändlerzentrale. Und das Verhalten des Schonerkapitäns, die Herausgabe Fräulein Helds, bestätigte dann ja auch, das ich richtig geraten hatte. Die junge Lehrerin sollte hier verschachert werden!«

Ich will unser Gespräch mit dem Landsmann hier nicht näher anführen. Jedenfalls teilte er Harsts Verdacht, konnte uns jedoch keinerlei Fingerzeige geben, wo man den Schlupfwinkel dieser Menschenfleischkrämer zu suchen hätte. Er besorgte uns zwei Anzüge arabischer Hafenarbeiter, half uns beim Färben der Gesichter und Arme und zeigte uns eine Pforte in seiner Gartenmauer, durch die wir, da sie in eine Lagerspeichergasse mündete, unbemerkt aus und eingehen konnten.

Um sechs Uhr nachmittags verließen wir sein gastliches Haus, wohl versehen mit Proviant und zwei Feldflaschen kaltem Tee.

Ich hatte keine Ahnung, was Harst beabsichtigte. Nur eins ahnte ich: Die kommende Nacht würde wieder etwas aufregend werden.

Wir wanderten zunächst zum Handelshafen wieder am Meer entlang. Die Westerland lag am Kai und löschte ihre Ladung. Wir gingen an Bord und fragten nach Arbeit. Störmer stand auf dem Vorschiff mit einem Araber im Gespräch. Dieser Araber musste seiner Kleidung nach ein sehr reicher Mann sein. Er hatte einen langen, breiten, bereits leicht ergrauten Bart, eine messerscharfe Hakennase und ein Paar große, lebhafte Augen.

Der Erste Offizier der Westerland hatte uns erklärt, wir sollten morgen früh uns wieder einfinden. Es gebe dann Kohlen zu bunkern. Als wir uns noch auf Deck herumdrückten, schnauzte er uns an und jagte uns weg. Mit Recht, denn die Araber stehlen wie die Raben.

Wir stellten uns hinter einen Stapel von Kisten, bis der reiche Eingeborene sich von Störmer verabschiedete. Dann liefen wir über die Planke auf das Vorschiff, bekamen den Kapitän so allein zu sprechen und freuten uns, dass er uns erst erkannte, als Harst plötzlich das Deutsche an Stelle des Hafenkauderwelsches benutzte.

»Vorsicht!«, flüsterte Harst. »Tun Sie weiter so, als wären wir echt. Wer war der Graubart, der Sie soeben verließ?«

»Der reichste Mann Adens, Ali ben Barka. Er hat Datteln nach Europa zu verfrachten.«

Auch Sachsenhauer hatte diesen Barka erwähnt, der hier ein prachtvolles Schloss mit großem Park besaß.

»Sprach er mit Ihnen nur über geschäftliche Dinge?«, fragte Harst nun.

»Oh nein. Wir sind alte Bekannte. Er erkundigte sich, ob wir gutes Wetter bei der Herreise gehabt hätten. Ich habe ihm erzählt, dass wir in der Bucht im Roten Meer recht aufregende Stunden durchgemacht haben.«

»Hm! Hoffentlich haben Sie nicht zu viel von mir gesprochen. Sagten Sie diesem braunen Krösus, dass wir, Schraut und ich, die Westerland heimlich verlassen hätten?«

»Bewahre! Er fragte nach Ihrem Verbleib. Ich erwiderte, Sie beide seien sofort mit der Lady Macbeth nach Bombay weitergefahren.«

»Sehr gut so!«

»Hören Sie, Verehrtester, Sie scheinen Ali ben Barka für einen von denen zu halten, die nicht ganz hosenrein sind!«

»Vielleicht, lieber Störmer! Wo ist Hilde Held zurzeit?«

»Mit den übrigen Landsleuten drüben in der Stadt.«

»Ist …« Harst wollte noch etwas hinzufügen, schaute jedoch scharf zum Kai hinüber, flüsterte dem Kapitän dann zu: »Schnell, geben Sie uns irgendeine Arbeit sofort, nur zum Schein …«

Er griff schon nach einer Kiste, wälzte sie näher der Reling zu.

Störmer war so verblüfft, dass er erst nach Sekunden begriff dass Harst fürchtete, irgendjemand könnte uns in unserer Verkleidung erkennen, wenn wir weiter so gemütlich miteinander plauderten. Er rief mir also nun zu, eine andere Kiste aus dem Weg zu räumen.

Nach einigen Minuten winkte Harst mir und wir verließen den Dampfer, indem wir Störmer nicht weiter beachteten.

Wir schritten dem Postgebäude zu. Vor uns ging ein Soldat mit Korkhelm und Nackenschleier.

Harst raunte mir zu: »Bleib zehn Meter zurück. Tu so, als gehörten wir nicht zusammen.«

Es dunkelte bereits. Plötzlich flammten dann die Bogenlampen auf.

Der Soldat hatte nun einen hochgewachsenen Araber eingeholt, sprach ihn an. Ich sah, dass es Ali ben Barka war.

Sie gingen gemeinsam weiter. Vor einem der auch hier vorhandenen Hotels hielt ein Auto. Barka und der Soldat stiegen ein und fuhren nach Süden davon. Dort hart am Abhang eines Berges lag unweit der Straße das Schloss des reichen arabischen Handelsherrn. Harst hatte es mir gezeigt, als wir auf dem Herweg daran vorüberkamen.

Wir folgten dem Auto nun, hatten bald die letzten Häuser hinter uns.

Hier wartete Harst auf mich, sagte dann mit mühsam unterdrückter Erregung: »Warbatty ist hier! Ich bemerkte ihn, als wir uns vorhin mit Störmer unterhielten. Er lugte zu der Westerland hinüber. Deshalb auch meine plötzliche Arbeitswut.«

»Ah, Warbatty! Er lebt also noch!«

»Sogar sehr! Er sieht recht gut in Uniform aus.«

»Etwa der Soldat, der mit Ali ben Barka …«

»Wer sonst?«, unterbrach er mich. »Die Sache hier wird recht interessant! Wir wollen jetzt mal fromm werden und dem Einsiedler von Schamschan einen Besuch abstatten, der bekanntlich nur nach Dunkelwerden die zahlreichen Pilger empfängt, die zu ihm wallfahrten, und auch nur wöchentlich zweimal — dienstags und donnerstags. Und heute haben wir Donnerstag.«

Wir schritten schneller aus. Zwei Wagen kamen uns entgegen, rasten vorüber. Harst war stehen geblieben, schaute ihnen nach.

»Du, das waren unsere Touristen von der Westerland. Die hatten es mächtig eilig! Mir scheint …« Er starrte vor sich hin, sagte dann hastig: »Zurück zur Westerland! Hilde Held fehlte. Ich ahne Böses.«

Eine Viertelstunde darauf wussten wir, dass die junge Lehrerin in der Basarstraße in Aden spurlos verschwunden war — vor etwa drei Stunden, dass die Polizei bereits nach ihr suchte und dass Hildes Verlobter, von Bombay kommend, mit ihr heute Abend ein Zusammentreffen auf der Westerland verabredet gehabt hatte.

Dieses Rendezvous hier im Orient hatte sie Harst damals verschwiegen, als sie ihm anvertraute, dass sie heimlich verlobt sei.