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Die drei Musketiere 61

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
7. bis 10. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung
XXVIII.

Das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune

Die großen Verbrecher tragen eine Art von Vorherbestimmungen mit sich, durch welche sie alle Hindernisse zu überwinden vermögen und allen Gefahren entgehen, bis zu dem Augenblick, den die Vorsehung als Klippe ihres frevelhaften Glücks bezeichnet hat.

Dies war bei Mylady der Fall. Sie fuhr mitten durch die Kreuzer der beiden Nationen und gelangte ohne irgendeinen Unfall nach Boulogne.

Als sich Mylady in Portsmouth ausschiffte, war sie eine durch die Verfolgungen Frankreichs aus La Rochelle vertriebene Engländerin. Nach einer zweitägigen Fahrt sich in Boulogne ausschiffend, gab sie sich für eine Französin aus, welche die Engländer in Portsmouth aus Franzosenhass misshandelten.

Mylady trug übrigens den Wirksamsten aller Pässe bei sich: ihre Schönheit und die Freigebigkeit, mit der sie die Pistolen ausstreute. Von den gebräuchlichen Formalitäten durch das höfliche Lächeln und die galanten Manieren eines alten Hafengouverneurs befreit, der ihr die Hände küsste, hielt sie sich in Boulogne nur so lange auf, bis sie einen in folgenden Worten abgefassten Brief auf die Post gegeben hatte.

An Seine Eminenz, Monseigneur Kardinal von Richelieu, im Lager von La Rochelle.

Monseigneur, Ew. Eminenz mag unbesorgt sein. Seine Herrlichkeit, der Herzog von Buckingham, wird nicht nach Frankreich abgehen.

Boulogne, den 25., abends. Mylady ***.

»P. S. Nach dem Wunsch Eurer Eminenz begebe ich mich in das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, wo ich weiteren Befehlen entgegen sehe.

Mylady begab sich wirklich noch an demselben Abend auf den Weg.

Die Nacht überfiel sie. Sie sah sich genötigt, anzuhalten und schlief in einem Gasthof. Am anderen Morgen um fünf Uhr reiste sie wieder ab und hatte nach drei Stunden Bethune erreicht.

Sie ließ sich das Kloster der Karmeliterinnen zeigen und verfügte sich sogleich nach demselben. Die Superiorin kam ihr entgegen. Mylady wies ihr den Befehl des Kardinals. Die Äbtissin ließ ihr ein Zimmer geben und ein Frühstück vorsetzen.

Alles Vergangene hatte sich vor den Augen dieser Frau verwischt, und den Blick auf die Zukunft gerichtet, sah sie nur das hohe Glück, das ihr der Kardinal vorbehielt, den sie so gut bedient hatte, ohne dass sein Name irgendwie in diese blutige Angelegenheit gemischt war. Die stets neuen Leidenschaften, welche sie verzehrten, gaben ihrem Leben Ähnlichkeit mit jenen Wolken, die am Himmel aussteigen, ein Widerschein bald von Azur, bald von Feuer, bald von der schwarzen Farbe des Sturmes sind und keine andere Spuren als Verwüstung und Tod zurücklassen.

Nach dem Frühstück machte ihr die Äbtissin ihren Besuch. Im Kloster gibt es wenig Zerstreuungen und es drängte die gute Vorsteherin, bald Bekanntschaft mit ihrer neuen Kostgängerin anzuknüpfen.

Mylady wollte der Äbtissin gefallen, und dies war etwas Leichtes für eine Frau von so hervorragenden Eigenschaften. Sie versuchte es, liebenswürdig zu sein. Sie war bezaubernd und verführte die Superiorin durch ihr wechselreiches Gespräch und durch die über ihre ganze Person ausgegossene Anmut.

Die Äbtissin, eine Tochter aus adligem Haus, liebte besonders die Hofgeschichten, welche so selten in die Klostermauern gelangen, an deren Schwelle das Geräusch der Welt erstirbt.

Mylady dagegen war sehr auf dem Laufenden mit allen aristokratischen Intrigen, in deren Mitte sie fünf bis sechs Jahre beständig gelebt hatte. Sie fing also an, der guten Äbtissin von den weltlichen Ränken und Geschichten des Hofes von Frankreich sowie den übertriebenen Andachtsübungen des Königs zu erzählen. Sie lieferte ihr die Skandalchronik der vornehmen Messieurs und Damen des Hofes, welche die Äbtissin dem Namen nach kannte, berührte obenhin die Liebschaft der Königin mit Buckingham und sprach viel, damit man ein wenig sprechen möchte.

Aber die Äbtissin begnügte sich, zu hören und zu lächeln, und antwortete nicht. Da Mylady jedoch sah, dass diese Art von Erzählungen sie sehr zu ergötzen schien, so fuhr sie fort, lenkte aber das Gespräch auf den Kardinal.

Dabei geriet sie jedoch in große Verlegenheit, denn sie wusste nicht, ob die Äbtissin Royalistin oder Kardinalistin war. Sie hielt sich deshalb in einer klugen Mitte. Aber die Äbtissin, welche ihrerseits eine noch klügere Zurückhaltung beobachtete, beschränkte sich darauf, eine tiefe Verbeugung mit dem Kopf zu machen, so oft die Reisende den Namen Seiner Eminenz aussprach.

Mylady fing an zu glauben, sie würde sich in diesem Kloster gewaltig langweilen. Sie beschloss daher, etwas zu wagen, um sogleich zu erfahren, woran sie sich zu halten hatte. Da sie wissen wollte, wie weit die Diskretion der Äbtissin ging, begann sie sehr verblümt über den Kardinal loszuziehen. Dann rückte sie näher und erzählte von den Liebschaften des Ministers mit Frau von Aiguillon, mit Marion de Lorme und einigen anderen galanten Damen.

Die Äbtissin hörte aufmerksam zu, belebte sich allmählich und lächelte.

»Gut«, sagte Mylady zu sich selbst, »sie findet Geschmack an meiner Unterhaltung. Ist sie eine Kardinalistin, so treibt sie es wenigstens nicht fanatisch.«

Dann ging sie auf die Verfolgungen über, welche sich der Kardinal gegen seine Feinde zu Schulden kommen ließ. Die Äbtissin beschränkte sich darauf, sich zu bekreuzigen, ohne zu billigen oder zu missbilligen. Dies bestätigte Mylady in ihrer Meinung, dass die Nonne mehr Royalistin als Kardinalistin sei. Mylady trug immer dicker auf.

»Ich bin sehr unwissend in allen diesen Verhältnissen«, sagte die Äbtissin endlich, »aber wie fern wir auch vom Hof leben, wie sehr wir auch außerhalb der weltlichen Interessen gestellt sind, so haben wir doch äußerst traurige Beispiele von der Wahrheit dessen, was Ihr uns da erzählt, und eine unserer Kostgängerinnen hat viel unter der Rache und den Verfolgungen des Monsieur Kardinals gelitten.«

»Eine Eurer Kostgängerinnen?«, fragte Mylady. »O mein Gott! Die arme Frau! Wie sehr beklage ich sie!«

»Und Ihr habt recht, denn sie ist sehr zu beklagen. Gefängnis, Drohungen, Misshandlungen, alles musste sie ausstehen. Aber im Ganzen«, versetzte die Äbtissin, »hatte der Monsieur Kardinal vielleicht triftige Gründe so zu handeln. Obwohl sie wie ein Engel aussieht, so darf man die Menschen doch nicht nach ihrem Gesicht beurteilen.«

»Gut«, sagte Mylady zu sich selbst, »wer weiß? Ich entdecke vielleicht hier etwas.«

Und sie verlieh ihren Zügen einen Ausdruck vollkommener Unschuld.

»Ach, ich weiß wohl«, sprach Mylady, »man sagt, es sei den Physiognomien nicht zu trauen. Aber wem sollte man denn Glauben schenken, wenn nicht dem schönen Werk des Herrn? Ich für meine Person werde vielleicht mein ganzes Leben lang getäuscht werden; aber stets werde ich einer Person trauen, deren Gesicht mir Mitgefühl einflößt.«

»Ihr seid also versucht, diese junge Frau für unschuldig zu halten?«, fragte die Äbtissin.

»Der Monsieur Kardinal bestraft nicht allein die Verbrechen«, erwiderte Mylady. »Es gibt gewisse Tugenden, die er noch heftiger verfolgt als gewisse Frevel.«

»Erlaubt mir, Madame, Euch mein Erstaunen auszudrücken«, sagte die Äbtissin.

»Und worüber?«, fragte Mylady naiv.

»Über die Sprache, die Ihr führt.«

»Was findet Ihr denn Wunderbares an dieser Sprache?«, fragte Mylady lächelnd.

»Ihr seid die Freundin des Kardinals, da er Euch hierher schickt, und dennoch …«

»Und dennoch spreche ich Schlimmes von ihm«, versetzte Mylady, den Gedanken der Superiorin vollendend.

»Wenigstens sagt Ihr nichts Gutes von ihm.«

»Dies geschieht, weil ich nicht seine Freundin, sondern sein Opfer bin«, erwiderte sie seufzend.

»Doch diesen Brief, durch den er Euch mir empfiehlt …«

»Ist ein Befehl für mich, in einer Art von Gefängnis zu verharren, bis er mich durch seine Schergen …«

»Aber warum seid Ihr nicht geflüchtet?«

»Wohin sollte ich gehen? Glaubt Ihr, es gebe irgendeinen Ort der Erde, wohin der Kardinal nicht reichen könnte, wenn er sich die Mühe geben will, seinen Arm auszustrecken? Wäre ich ein Mann, so dürfte dies noch möglich sein, aber eine Frau! … Was sollte ich als Frau machen? Hat die junge Kostgängerin, die Ihr bei Euch habt, zu fliehen versucht?«

»Nein, das ist wahr; doch bei ihr ist es etwas anderes. Sie wird, wie ich glaube, durch irgendeine Liebschaft in Frankreich zurückgehalten.«

»Wenn sie liebt«, sprach Mylady mit einem Seufzer, »ist sie nicht ganz unglücklich.«

»Also sehe ich«, fragte die Äbtissin und schaute Mylady mit wachsender Teilnahme an, »also sehe ich abermals eine arme Verfolgte vor mir?«

»Ach ja«, antwortete Mylady.

Die Äbtissin betrachtete Mylady einen Augenblick mit großer Unruhe, als ob ein neuer Gedanke in ihrem Geist rege geworden wäre.

»Ihr seid keine Feindin unseres heiligen Glaubens«, sprach sie stammelnd.

»Ich«, rief Mylady, »ich eine Protestantin? Oh nein! Ich rufe Gott zum Zeugen an, dass ich im Gegenteil eine eifrige Katholikin bin.«

»Dann, Madame«, sprach die Äbtissin lächelnd, »dann möget Ihr Euch beruhigen; denn das Haus, in welchem Ihr Euch befindet, soll kein harter Kerker für Euch sein, und wir werden alles tun, was in unseren Kräften liegt, um Eure Gefangenschaft angenehm zu machen. Überdies findet Ihr hier die junge Frau, welche ohne Zweifel wegen einer Hofintrige verfolgt wird. Sie ist liebenswürdig, anmutig und wird Euch gefallen.«

»Wie heißt sie?«

»Sie ist mir von einer sehr hochgestellten Person unter dem Namen Ketty empfohlen worden. Ich habe ihren anderen Namen nicht zu erfahren gesucht.«

»Ketty!«, rief Mylady. »Seid Ihr dessen gewiss?«

»Dass sie sich so nennen lässt? Ja, Madame. Solltet Ihr sie etwa kennen?«

Mylady lächelte bei dem Gedanken, diese junge Frau könnte ihre ehemalige Zofe sein. In die Erinnerung an dieses Mädchen mischte sich eine Erinnerung des Zorns. Die Rachgier verstörte schnell Myladys Züge, welche jedoch beinahe in demselben Augenblick den ruhigen, wohlwollenden Ausdruck wieder annahmen, den diese Frau mit den hundert Gesichtern ihnen zuvor verliehen hatte.

»Und wann könnte ich diese junge Dame sehen, für welche ich bereits eine so große Sympathie in mir fühle?«, fragte Mylady.

»Diesen Abend«, erwiderte die Äbtissin, »noch heute. Aber Ihr reist seit vier Tagen, wie Ihr mir selbst sagt, seid heute Morgen um fünf Uhr aufgestanden und müsst der Ruhe bedürfen. Legt Euch nieder und schlaft. Zur Stunde des Mittagessens werden wir Euch wecken.«

Obwohl Mylady, unterstützt durch alle Aufregungen, welche ein neues Abenteuer in ihrem nach Intrigen gierigen Gemüt erzeugte, leicht den Schlaf hätte entbehren können, so nahm sie doch nichts desto weniger das Anerbieten der Superiorin an. Seit zehn bis vierzehn Tagen hatte sie so verschiedene Gemütsbewegungen durchlebt, dass, wenn auch ihr eiserner Körper die Anstrengungen zu ertragen vermochte, ihre Seele doch der Ruhe bedurfte.

Sie nahm also von der Äbtissin Abschied und legte sich, sanft gewiegt durch Rachegedanken, auf die der Name Ketty sie gebracht hatte, zu Bett. Sie erinnerte sich des beinahe unbegrenzten Versprechens, das der Kardinal ihr gegeben hatte, falls sie ihre Unternehmungen glücklich zu Ende führte. Es war ihr geglückt und somit konnte sie sich an d’Artagnan rächen.

Eines jedoch erschreckte Mylady, das Andenken an ihren Gatten, den Grafen La Fère, den sie tot oder wenigstens aus dem Vaterland entfernt geglaubt hatte, nun aber in Athos, dem besten Freund d’Artagnans, wiederfand.

Aber wenn er der Freund d’Artagnans war, so musste er ihm auch in all seinen Handlungen, wodurch er den Plan Seiner Eminenz vereitelt hatte, Beistand geleistet haben. Wenn er der Freund d’Artagnans war, so war er der Feind des Kardinals. Ohne Zweifel würde es ihr gelingen, ihn in dasselbe Rachewerk zu verstricken, in welchem der junge Musketier seinen Untergang finden sollte.

All ihre Aussichten waren angenehme Gedanken für Mylady. Sanft von diesen gewiegt, entschlummerte sie bald.

Sie wurde durch eine weiche Stimme geweckt, die am Fuße ihres Bettes ertönte. Mylady öffnete die Augen und sah die Äbtissin in Begleitung einer jungen Person mit blonden Haaren und zartem Teint, welche einen Blick voll wohlwollender Neugierde auf sie heftete.

Das Gesicht dieser jungen Person war ihr völlig unbekannt. Beide schauten sich prüfend und mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, während sie die üblichen Höflichkeiten austauschten. Beide waren sehr schön, aber von verschiedenartiger Schönheit. Mylady lächelte jedoch, als sie erkannte, dass sie selbst in Bezug auf vornehmes Aussehen und aristokratische Manieren bei Weitem den Vorzug hatte.

Die Äbtissin stellte sie einander vor. Nachdem dieser Förmlichkeit Genüge geleistet war, ließ sie die beiden jungen Frauen allein, da ihre Pflichten sie in die Kirche riefen.

Da die Novize sah, dass Mylady im Bett lag, so wollte sie der Superiorin folgen; aber Mylady hielt sie zurück.

»Wie, Madame«, sprach sie, »kaum habe ich Euch erblickt, und Ihr wollt mich bereits wieder Eurer Gegenwart berauben, auf die ich, ich gestehe es, für die Dauer meiner Anwesenheit an diesem Ort ein wenig rechnete.«

»Nein, Madame«, antwortete die Novize, »ich glaubte nur, die Zeit schlecht gewählt zu haben. Ihr habt geschlafen, Ihr seid müde.«

»Wohl«, erwiderte Mylady, »was können schlafende Menschen Besseres erwarten, als ein gutes Erwachen? Dieses Erwachen habt Ihr mir gegeben. Lasst es mich nach meinem Wohlgefallen genießen.«

Hierauf nahm sie die junge Person bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl, der in der Nähe ihres Bettes stand.

Die Novize setzte sich. »Mein Gott«, sprach sie, »wie unglücklich ich bin! Ich befinde mich nun sechs Monate hier ohne einen Schatten von Zerstreuung. Ihr kommt, Eure Gegenwart sollte für mich eine liebliche Gefährtin sein, und wahrscheinlich habe ich nun in den nächsten Augenblicken das Kloster zu verlassen.«

»Wie?«, sprach Mylady, »Ihr geht also bald von hier?«

»Wenigstens hoffe ich es«, erwiderte die Novize mit einem freudigen Ausdruck, den sie nicht im Geringsten zu verbergen bemüht war.

»Ihr habt, wie ich höre, durch den Kardinal gelitten«, fuhr Mylady fort. »Das ist ein weiterer Grund der Sympathie zwischen uns.«

»Also ist das, was mir unsere gute Mutter gesagt hat, eine Wahrheit? Ihr seid ebenfalls ein Opfer des Kardinals?«

»Still«, entgegnete Mylady, »selbst hier dürfen wir nicht so von ihm sprechen. Mein ganzes Unglück kommt davon her, dass ich ungefähr das, was ihr soeben sagtet, in Gegenwart einer Frau äußerte, die ich für meine Freundin hielt und die mich verriet. Und Ihr, seid Ihr auch ein Opfer des Verrats?«

»Nein«, antwortete die Novize, »sondern meiner Anhänglichkeit an eine Frau, die ich liebte, für die ich das Leben hingegeben hätte, für die ich es noch hingeben würde.«

»Und die Euch verlassen hat, nicht wahr?«

»Ich war so ungerecht, dies zu glauben, aber seit ein paar Tagen habe ich den Beweis vom Gegenteil erlangt und danke Gott dafür. Es würde mich das Leben gekostet haben, wenn ich hätte glauben müssen, ich sei ganz und gar von ihr vergessen worden. Aber Ihr, Madame«, fuhr die Novize fort, »es scheint mir, Ihr seid frei, und wenn ihr fliehen wolltet, so würde es nur von Euch abhängen.«

»Wohin soll ich gehen, ohne Freunde, ohne Geld, in einer Gegend von Frankreich, die ich nicht kenne, wo …«

»Oh!«, rief die Novize, »was die Freunde betrifft, Ihr werdet sie überall finden, wo Ihr wollt, denn ihr scheint so gut zu sein, und seid so schön!«

»Darum bin ich nicht minder allein und verfolgt«, fügte Mylady bei und versüßte ihr Lächeln, sodass es einen wahrhaft englischen Ausdruck annahm.

»Hört«, sprach die Novize, »man muss die Hoffnung auf den Himmel nicht aufgeben. Seht, es kommt immer ein Augenblick, wo das Gute, was wir getan haben, vor Gott für unsere Sache spricht, und es ist vielleicht ein Glück für Euch, dass Ihr, so niedrig auch meine Stellung ist, so wenig ich Macht besitze, mich getroffen habt, denn wenn ich diesen Ort verlasse, nun, dann werde ich einige mächtige Freunde haben, die, nachdem sie für mich ins Feld gezogen sind, auch für Euch zu Felde ziehen können.«

»Oh! Wenn ich sagte, ich sei allein«, erwiderte Mylady, in der Hoffnung, die Novize zum Sprechen zu bringen, »so äußerte ich dies nicht, als ob ich nicht auch einige hohe Bekanntschaften hätte, sondern weil diese Bekanntschaften vor dem Kardinal zittern. Die Königin selber wagt es nicht, mir gegen diesen furchtbaren Minister beizustehen, und ich habe den Beweis, dass Ihre Majestät trotz ihres vortrefflichen Herzens mehr als einmal genötigt gewesen ist, die Personen, welche ihr Dienste geleistet hatten, dem Zorn seiner Eminenz preiszugeben.«

»Glaubt mir, Madame, es kann bei der Königin den Anschein haben, als hätte sie diese Personen verlassen, aber man muss dem Schein nicht glauben. Je mehr sie verfolgt werden, desto mehr denkt Ihre Majestät an sie, und in dem Augenblick, wo sie wähnen, die Königin denke am wenigsten an sie, erhalten sie oft den Beweis einer herzlichen Erinnerung.«

»Ach! Ich glaube es wohl«, sprach Mylady. »Die Königin ist so gut!«

»Ihr kennt sie also, diese schöne und edle Königin, da Ihr so von ihr sprecht!«, rief die Novize begeistert.

»Das heißt«, versetzte Mylady, in ihren Verschanzungen bedrängt, »ich habe nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich kenne viele von ihren vertrautesten Freunden. Ich kenne Monsieur von Putange; ich habe in England Monsieur Dujart kennen gelernt; ich kenne Monsieur de Tréville.«

»Monsieur de Tréville!«, rief die Novize, »Ihr kennt Monsieur de Tréville?«

»Ja vollkommen, sehr gut sogar.«

»Den Kapitän der Musketiere des Königs?«

»Den Kapitän der Musketiere des Königs.«

»Oh! Nun werdet Ihr sehen«, sprach die Novize, »dass wir sogleich ganz gut mit einander bekannt, ja beinahe Freundinnen sein werden. Wenn Ihr Monsieur de Tréville kennt, so müsst Ihr in seinem Haus gewesen sein.«

»Oft«, antwortete Mylady, welche die Lüge bis zum Ende führen wollte, als sie bemerkte, dass sie auf diesem Weg zum Ziel kam.

»Ihr müsst bei ihm einige von seinen Musketieren gesehen haben?«

»All diejenigen, welche er gewöhnlich empfängt«, erwiderte Mylady, für welche dieses Gespräch ein wirkliches Interesse zu gewinnen anfing.

»Nennt mir einige von denen, die Ihr kennt, und Ihr werdet sehen, dass sie zu meinen Freunden gehören.«

»Ich kenne«, sprach Mylady etwas verlegen, »ich kenne Monsieur von Louvigny, Monsieur von Courtivon, Monsieur von Ferussac.«

Die Novize ließ sie aussprechen. Als sie aber sah, dass Mylady innehielt, so fragte sie:

»Kennt Ihr nicht einen Edelmann Namens Athos?«

Mylady wurde so bleich wie die Leintücher, in denen sie lag, und konnte sich, so sehr sie sich auch zu beherrschen wusste, eines Schreies nicht enthalten, während sie die Novize bei der Hand fasste und mit dem Blick verschlang.

»Wie? Was habt Ihr? Oh! Mein Gott«, fragte die arme junge Frau, »habe ich etwas gesagt, was Euch verletzte?«

»Nein, aber der Name ist mir aufgefallen, weil ich diesen Mann ebenfalls kenne, und weil es mir seltsam vorkommt, dass ich jemand finde, der so genau mit ihm bekannt ist.«

»O ja, sehr genau bekannt, und zwar nicht allein mit ihm, sondern auch mit seinen Freunden, den Messieurs Aramis und Porthos.«

»In der Tat? Auch sie kenne ich«, rief Mylady, welche eine eisige Kälte in ihr Herz dringen fühlte.

»Nun, wenn Ihr sie kennt, so müsst Ihr wissen, dass es gute und brave Kameraden sind. Warum wendet Ihr Euch nicht an sie, wenn Ihr der Hilfe bedürft?«

»Das heißt«, stammelte Mylady, »ich stehe mit keinem von ihnen in einer wirklichen Verbindung. Ich kenne sie, weil ich einen von ihren Freunden, Monsieur d’Artagnan, von ihnen sprechen hörte.«

»Ihr kennt also Monsieur d’Artagnan!«, rief die Novize, die nun ihrerseits Mylady bei der Hand fasste und sie mit ihren Augen verschlang.

Dann sagte sie, als sie den seltsamen Ausdruck in Myladys Blick gewahr wurde: »Um Vergebung, Madame, in welcher Eigenschaft kennt Ihr ihn?«

»Wie meint Ihr?«, sprach Mylady verlegen. »In der Eigenschaft eines Freundes.«

»Ihr täuscht mich, Madame«, versetzte die Novize, »Ihr seid seine Geliebte gewesen!«

»Ihr seid es gewesen, Madame«, entgegnete Mylady.

»Ich!«, rief die Novize.

»O ja, Ihr. Ich kenne Euch jetzt. Ihr seid Madame Bonacieux.«

Die junge Frau wich voll Staunen und Schrecken zurück.

»Oh! Leugnet nicht, antwortet«, sprach Mylady.

»Nun ja, Madame, ich liebe ihn. Sind wir Nebenbuhlerinnen?«

Das Gesicht Myladys beleuchtete sich mit einem so wilden Feuer, dass Madame Bonacieux unter allen andern Umständen voll Angst entflohen wäre; aber nun wurde sie einzig und allein durch die Eifersucht beherrscht.

»Sprecht, lasst hören, Madame«, fuhr Frau Bonacieux mit einer Energie fort, deren sie gar nicht fähig schien. »Seid Ihr seine Geliebte gewesen?«

»O! Nein!«, rief Mylady mit einer Betonung, die keinen Zweifel an der Wahrheit dessen, was sie sagte, übrig ließ. »Nie! Nie!«

»Ich glaube Euch«, sprach Madame Bonacieux, »aber warum dieser Schrei?«

»Wie, Ihr begreift nicht?«, sagte Mylady, welche sich von ihrer Unruhe erholt und ihre ganze Geistesgegenwart wiedergewonnen hatte.

»Wie soll ich begreifen? Ich weiß nichts.«

»Ihr begreift nicht, dass d’Artagnan, der mein Freund war, mich zu seiner Vertrauten gewählt hatte?«

»Wirklich?«

»Ihr begreift nicht, dass ich alles weiß. Eure Entführung aus dem kleinen Hause in St. Germain, seine und seiner Freunde Verzweiflung, ihre Nachforschungen seit jenem Augenblick? Und ich soll nicht staunen, wenn ich mich so unvermutet in Eurer Nähe befinde, nachdem wir so oft miteinander von Euch gesprochen haben, die er mit der ganzen Macht seiner Seele liebt, sodass auch ich Euch lieben musste, noch ehe ich Euch gesehen hatte? Ach! Teure Constance, endlich, endlich finde ich Euch!«

Mylady streckte ihre Arme nach Madame Bonacieux aus, welche nunmehr überzeugt war, und in dieser Frau, die sie einen Augenblick vorher für ihre Nebenbuhlerin gehalten hatte, nur noch eine ergebene und aufrichtige Freundin erblickte.

»Oh! Vergebt mir! Vergebt mir!«, sagte sie und sank auf ihre Schulter, »ich liebe ihn so sehr!«

Die zwei Frauen hielten sich einen Augenblick umarmt. Wenn Myladys Kräfte ihrem Hass gleichgekommen wären, so würde diese Umarmung nur mit dem Tod von Madame Bonacieux geendet haben. Aber da sie die junge Frau nicht ersticken konnte, so lächelte sie ihr zu.

»Oh! Teure, schöne Kleine«, sagte Mylady, »wie glücklich bin ich, Euch zu sehen. Lasst mich Euch anschauen.« Bei diesen Worten verschlang sie die Novize wirklich mit ihren Blicken. »Ja, Ihr seid es. Nach dem, was er mir von Euch gesagt hat, erkenne ich Euch zu dieser Stunde, ich erkenne Euch vollkommen.«

Die arme junge Frau konnte nicht ahnen, wie schrecklich es hinter dem Wall dieser reinen Stirn, hinter diesen schönen Augen, worin sie nur das Interesse des Mitleids las, zuging.

»Ihr wisst also, was ich gelitten habe«, sprach Madame Bonacieux, »da er Euch sein Leid mitgeteilt hat. Aber für ihn dulden ist Glück.«

Mylady wiederholte mechanisch: »Ja, das ist Glück.«

Sie dachte an etwas anderes.

»Und dann«, fuhr Madame Bonacieux fort, »ist mein Unglück seinem Ende nahe. Morgen, diesen Abend vielleicht, werde ich ihn wiedersehen, und dann besteht die Vergangenheit nicht mehr für mich.«

»Diesen Abend? Morgen?«, rief Mylady, durch diese Worte aus ihrer Träumerei gerissen. »Was wollt Ihr damit sagen? Erwartet Ihr vielleicht Nachrichten von ihm?«

»Ich erwarte ihn selbst.«

»Ihn selbst! D’Artagnan hier!«

»Ihn selbst.«

»Das ist unmöglich! Er befindet sich mit dem Kardinal bei der Belagerung von La Rochelle und wird erst nach der Einnahme der Stadt nach Paris zurückkehren.«

»Ihr glaubt dies, aber sagt: Ist meinem d’Artagnan, diesem trefflichen und loyalen Edelmanns, etwas unmöglich?«

»Ah! Ich kann es nicht glauben.«

»Nun, so lest doch«, sprach die unglückliche junge Frau, im Übermaß ihrer Freude und ihres Stolzes, indem sie Mylady den Brief überreichte.

»Die Handschrift der Frau von Chevreuse!«, sagte Mylady zu sich selbst. »Ich war überzeugt, dass mit dieser ein Einverständnis stattfand.«

Und sie las mit gierigen Blicken folgende Zeilen:

Mein liebes Kind, haltet Euch bereit. Unser Freund wird Euch bald besuchen, und zwar nur, um Euch dem Gefängnisse zu entreißen, wo Ihr Euch Eurer Sicherheit wegen verborgen halten musstet. Trefft Eure Vorkehrungen zur Reise und verzweifelt nie an uns. Unser vortrefflicher Gascogner hat sich soeben wieder brav und getreu gezeigt, wie immer. Sagt ihm, dass man ihm irgendwo für den Rat, den er erteilt, sehr dankbar sei.

»Ja, ja«, sprach Mylady, »ja, dieser Brief ist genau. Wisst Ihr vielleicht, worin dieser Rat besteht?«

»Nein; ich vermute nur, dass er die Königin von irgendeiner Machination des Kardinals benachrichtigt hat.«

»Ja, so ist es ohne Zweifel«, erwiderte Mylady, gab den Brief Madame Bonacieux zurück und ließ ihr nachdenkendes Haupt auf die Brust sinken.

In diesem Augenblick hörte man den Galopp eines Pferdes.

»Oh!«, rief Madame Bonacieux, an das Fenster stürzend, »sollte er es sein?«

Mylady war vor Erstaunen in Stein verwandelt im Bett geblieben. Es begegneten ihr plötzlich so viele unerwartete Dinge, dass sie zum ersten Mal den Kopf verlor.

»Er! Er!«, murmelte sie, »sollte er es sein?« Und sie verharrte mit starren Augen in ihrem Bett.

»Ach! Nein«, sprach Madame Bonacieux, »es ist ein Mann, den ich nicht kenne. Es scheint, er kommt hierher. Er reitet langsamer … er hält vor der Tür … er läutet.«

Mylady sprang aus dem Bett.

»Seid Ihr gewiss, dass er es nicht ist?«, sagte sie.

»O ja, ganz gewiss.«

»Ihr habt vielleicht schlecht gesehen?«

»Oh! Ich würde ihn erkennen, wenn ich nur die Feder seines Hutes, das Ende seines Mantels erblickte.«

Mylady kleidete sich fortwährend an. »Gleich viel, Ihr sagt, dieser Mann komme hierher?«

»Ja, er ist bereits in das Kloster eingetreten.«

»Das geschieht entweder Euret- oder meinetwegen.«

»O mein Gott! Wie aufgeregt seht Ihr aus!«

»Ja, ich gestehe, ich hege nicht Euer Vertrauen, ich fürchte alles von dem Kardinal!«

»Still!«, sagte Madame Bonacieux, »man kommt.«

Die Tür öffnete sich und die Äbtissin trat ein.

»Kommt ihr von Boulogne?«, fragte sie Mylady.

»Allerdings«, antwortete diese, indem sie ihre Kaltblütigkeit wieder zu erlangen suchte. »Wer fragt nach mir?«

»Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, aber vom Kardinal kommt.«

»Und mich sprechen will?«, sagte Mylady.

»Der eine Dame sprechen will, welche von Boulogne eingetroffen sein soll.«

»Dann lasst ihn eintreten, Madame!«

»Oh! Mein Gott, mein Gott!«, rief Madame Bonacieux, »sollte es eine schlimme Kunde sein?«

»Ich befürchte es.«

»Ich lasse Euch mit diesem Fremden allein; aber sobald er sich entfernt hat, kehre ich mit Eurer Erlaubnis wieder zurück.«

»Ich bitte Euch darum.«

Die Äbtissin und Madame Bonacieux verließen das Zimmer.

Mylady blieb, die Augen auf die Tür geheftet, allein. Bald hörte man Sporengeklirr auf der Treppe. Dann näherten sich Tritte. Die Tür wurde geöffnet und ein Mann erschien.

Mylady stieß einen Freudenschrei aus. Dieser Mann war der Graf von Rochefort, die ergebenste Seele Seiner Eminenz.