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Die drei Musketiere 59

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
7. bis 10. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung
XXVI.

Was in Portsmouth am 23. August 1628 vorfiel.

Felton nahm von Mylady Abschied, wie ein Bruder, der einen einfachen Spaziergang machen will, von seiner Schwester Abschied nimmt, das heißt, in dem er ihr die Hand küsste.

Seine ganze Person schien in den Zustand ihrer gewöhnlichen Ruhe zurückversetzt zu sein; nur war in seinen Augen ein seltsamer, dem Wiederschein eines Fensters ähnlicher Glanz vorherrschend. Seine Stirn war noch bleicher als früher, seine Zähne waren zusammengepresst und seine Sprache machte sich durch ein gewisses Stoßen der Töne bemerkbar, woraus sich schließen ließ, dass finstere Gedanken in seinem Inneren ihr Lager genommen hatten.

Solange er sich auf der Barke befand, die ihn zum Land führte, war sein Gesicht Mylady zugewendet, die ihm, auf dem Verdeck stehend, mit den Blicken folgte. Alle beide fürchteten sich sehr wenig vor einer Verfolgung. Man betrat das Zimmer Myladys nie vor neun Uhr, und man brauchte drei Stunden, um vom Schloss aus London zu erreichen.

Felton stieg an Land, erkletterte den kleinen Kamm, der auf die Höhe des abschüssigen Ufers führte, grüßte Mylady zum letzten Mal und lief zur Stadt.

Nach hundert Schritten konnte er, weil sich das Terrain senkte, nur noch den Mast des Schiffes sehen.

Er eilte in der Richtung von Portsmouth fort, dessen Türme und Häuser er in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile im Morgennebel vor sich erblickte.

Jenseits Portsmouth war das Meer mit Schiffen bedeckt, deren Masten, einem Wald von winterlich entblätterten Pappelbäumen ähnlich, sich unter dem Hauch des Windes schaukelten.

Während seines raschen Laufes durchging Felton alles, was ihm zehn Jahre asketischer Betrachtungen und ein langer Aufenthalt unter den Puritanern an wahren und falschen Beschuldigungen gegen den Liebling Jacobs VI. und Carls I. geliefert hatten.

Wenn Felton die öffentlichen Verbrechen des Ministers, schreiende, sozusagen europäische Verbrechen mit den unbekannten und persönlichen Verbrechen verglich, mit denen ihn Mylady belastete, so fand er, dass der Schuldigere von den zwei Menschen, welche Buckingham in sich schloss, derjenige war, dessen Leben das Volk nicht kannte. Seine so seltsame, so neue, so glühende Liebe ließ ihn die schändlichen, erdichteten Anklagen von Lady Winter so ansehen, wie man durch ein Vergrößerungsglas in sonst unbemerkbaren Atomen furchtbare Ungeheuer erblickt.

Der rasche Lauf entzündete sein Blut noch mehr. Der Gedanke, dass er eine furchtbarer Rache preisgegebene Frau hinter sich ließ, die er liebte oder vielmehr wie eine Heilige anbetete, die Aufregung der vorhergehenden Stunden und Tage, die gegenwärtige Anstrengung, all dies exaltierte seine Seele über das Maß menschlicher Gefühle.

Er erreichte Portsmouth gegen acht Uhr morgens. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Trommeln wurden in den Straßen und in den Häfen gerührt. Die zum Einschiffen bestimmten Truppen marschierten dem Meer zu.

Felton gelangte mit Staub bedeckt und von Schweiß triefend zum Admiralitätspalast. Sein gewöhnlich bleiches Gesicht war purpurrot vor Grimm und Hitze. Die Wache wollte ihn zurückweisen, aber Felton rief den Anführer des Postens, zog aus seiner Tasche den Brief, welchen er zu überbringen hatte, und sagte nur die Worte: »Eilbote von Lord Winter.«

Bei dem Namen des Lords, den man als einen der vertrautesten Freunde Seiner Herrlichkeit kannte, gab der Anführer der Posten Befehl, Felton, der ohnedies die Uniform eines Marineoffiziers trug, passieren zu lassen.

Felton stürzte in den Palast. Im Augenblick, wo er in den Flur eintrat, erschien auch ein bestaubter, atemloser Mann, der vor der Tür ein Postpferd stehen ließ, das sogleich vor Erschöpfung in die Knie sank.

Felton und er wandten sich zu gleicher Zeit an Patrick, den ersten Kammerdiener des Herzogs. Felton nannte den Baron Winter. Der Unbekannte wollte niemand nennen und behauptete, er dürfe sich nur dem Herzog allein zu erkennen geben. Jeder wollte vor dem anderen den Eintritt erlangen.

Patrick, welcher wusste, dass Lord Winter in dienstlichen und freundschaftlichen Verhältnissen zu dem Herzog stand, gab demjenigen, der in des Lords Namen kam, den Vorzug. Der andere war genötigt, zu warten, und man sah deutlich, wie sehr er diese Zögerung verwünschte.

Der Kammerdiener ließ Felton durch einen großen Saal gehen, in welchem die Deputierten von La Rochelle, mit dem Fürsten von Soubise an der Spitze warteten, und führte ihn in ein Kabinett, wo Buckingham, aus dem Bad kommend, seine Toilette vollendete, der er dieses Mal wie immer eine besondere Aufmerksamkeit widmete.

»Der Lieutenant Felton«, sagte Patrick, »von Lord Winter geschickt.«

»Von Lord Winter?«, wiederholte Buckingham. »Lasst ihn eintreten.«

Felton trat ein. In diesem Augenblick warf Buckingham einen reichen, mit Gold gestickten Schlafrock auf das Kanapee, um ein durchaus mit Perlen gesticktes Wams von blauem Samt anzuziehen.

»Warum ist der Baron nicht selbst gekommen?«, fragte Buckingham. »Ich erwartete ihn diesen Morgen.«

»Er hat mich beauftragt, Eurer Herrlichkeit zu sagen«, antwortete Felton, »dass er sehr bedaure, nicht diese Ehre haben zu können, aber er sei durch eine notwendige Bewachung im Schloss abgehalten.«

»Ja, ja«, sprach Buckingham, »ich weiß das, er hat eine Gefangene.«

»Gerade von dieser Gefangenen wollte ich mit Eurer Herrlichkeit sprechen«, versetzte Felton.

»Nun, so sprecht!«

»Was ich zu sagen habe, kann nur von Eurer Herrlichkeit gehört werden.«

»Lass uns allein, Patrick«, sprach Buckingham, »aber halte dich im Bereich der Glocke auf. Ich werde dich sogleich rufen.«

Patrick ging hinaus.

»Wir sind allein, Monsieur«, sagte Buckingham, »sprecht nun.«

»Mylord«, erwiderte Felton, »der Baron von Winter hat Euch kürzlich geschrieben und Euch in seinem Brief gebeten, einen Deportationsbefehl bezüglich auf eine junge Frau namens Charlotte Backson zu unterzeichnen.«

»Ja, Monsieur, und ich habe ihm geantwortet, er möge mir diesen Befehl bringen oder schicken, und ich werde ihn unterzeichnen.«

»Hier ist er, Mylord.«

»Gebt«, sagte der Herzog.

Er nahm das Papier aus den Händen Feltons und warf einen raschen Blick darauf. Als er sah, dass es derjenige war, welchen man ihm angekündigt hatte, legte er ihn auf den Tisch, ergriff eine Feder und schickte sich an, denselben zu unterzeichnen.

»Um Vergebung Mylord«, sprach Felton, den Herzog zurückhaltend. »Weiß Eure Herrlichkeit, dass der Name Charlotte Backson nicht der wahre Name dieser jungen Frau ist?«

»Ja, Monsieur, ich weiß es«, antwortete der Herzog, die Feder in das Tintenfass tauchend.

»Also kennt Eure Herrlichkeit ihren wahren Namen?«, fragte Felton in kurzem Ton.

»Ich kenne ihn.«

Der Herzog näherte die Feder dem Papiere. Felton erbleichte.

»Und mit dem wahren Namen vertraut«, sprach Felton, »wird Eure Herrlichkeit dennoch unterzeichnen?«

»Allerdings«, erwiderte Buckingham, »eher zweimal als einmal.«

»Ich kann nicht glauben«, fuhr Felton mit einer Stimme fort, welche immer mehr abgestoßen klang, »ich kann nicht glauben, dass Eure Herrlichkeit weiß, dass es sich um Lady Winter handelt.«

»Ich weiß es vollkommen, obwohl ich staune, dass Ihr es wisst.«

»Und Eure Herrlichkeit wird diesen Befehl ohne Gewissensbisse unterzeichnen?«

Buckingham schaute den jungen Mann stolz an. »Ei! Monsieur, wisst Ihr«, sagte er, »dass Ihr ganz seltsame Fragen an mich stellt, und dass es einfältig von mir ist, darauf zu antworten?«

»Antwortet, gnädigster Monsieur«, sprach Felton. »Die Lage der Dinge ist bedeutungsvoller, als Ihr wohl glauben möget.«

Buckingham dachte, da der junge Mann von Lord Winter abgeschickt sei, so spreche er ohne Zweifel in dessen Namen, und besänftigte sich.

»Ohne irgendeinen Gewissensbiss«, sagte er, »und der Baron weiß so gut wie ich, dass Mylady eine große Verbrecherin ist, und dass man es beinahe als eine Begnadigung betrachten muss, wenn man ihre Strafe auf Deportation beschränkt.«

Der Herzog legte die Feder auf das Papier.

»Ihr werdet diesen Befehl nicht unterzeichnen, Mylord«, sprach Felton und machte einen Schritt gegen den Herzog.

»Ich werde diesen Befehl nicht unterzeichnen?«, fragte Buckingham, »und warum nicht?«

»Weil Ihr in Euch gehen und Mylady Gerechtigkeit widerfahren lassen werdet.«

»Man würde ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sie nach Tyburn schickte«, sagte Buckingham. »Mylady ist eine schändliche Verbrecherin.«

»Gnädigster Monsieur, Mylady ist ein Engel. Ihr wisst es wohl, und ich fordere von Euch ihre Freiheit.«

»Seid Ihr ein Narr«, rief Buckingham, »dass Ihr so sprecht!«

»Mylord, entschuldigt mich, ich spreche wie ich kann. Bedenkt jedoch, Mylord, was Ihr zu tun im Begriff seid, und fürchtet das Maß zu überschreiten.«

»Wie? … Gott vergebe mir«, rief Buckingham, »ich glaube, er droht mir!«

»Nein, Mylord, ich bitte noch und sage Euch: Ein Tropfen Wasser reicht hin, um das volle Gefäß überlaufen zu machen. Ein leichter Fehler genügt, um die Strafe auf das trotz so vieler Verbrechen bis auf diesen Tag verschonte Haupt zu ziehen.«

»Monsieur Felton«, sprach Buckingham, »Ihr entfernt Euch und meldet Euch sogleich in Arrest.«

»Und Ihr, Ihr werdet mich ganz anhören, Mylord. Ihr habt das junge Mädchen verführt, Ihr habt die Unglückliche beschmutzt, misshandelt. Macht Eure Verbrechen gegen sie wieder gut. Lasst sie frei ziehen, und ich werde nichts anderes von Euch fordern.«

»Ihr werdet nicht fordern?«, sprach Buckingham, Felton mit Erstaunen anschauend und auf jede Silbe der vier Worte, die er sprach, einen besonderen Nachdruck legend.

»Mylord«, fuhr Felton fort, der immer aufgeregter wurde, je länger er sprach, »ganz England ist Eurer Frevel müde, Mylord, Ihr habt die königliche Gewalt, die Ihr an Euch gerissen, missbraucht, Mylord, Ihr seid Gott und den Menschen zum Abscheu. Gott wird Euch später bestrafen, aber ich, ich bestrafe Euch heute.«

»Ah, das ist zu stark«, rief Buckingham mit einem Schritt zur Tür.

Felton versperrte ihm den Weg.

»Ich bitte Euch in Demut: Unterzeichnet den Freilassungsbefehl von Lady Winter. Bedenkt, dass es die Frau ist, sie Ihr entehrt habt.«

»Entfernt Euch, Monsieur«, sagte Buckingham, »oder ich rufe und lasse Euch von meinen Leuten wegjagen.«

»Ihr werdet nicht rufen«, sagte Felton und warf sich zwischen den Herzog und die Glocke, welche auf einem mit Silber eingelegten Tischchen stand. »Nehmt Euch in Acht, Mylord, Ihr seid jetzt in den Händen Gottes.«

»In den Händen des Teufels, wollt Ihr sagen!«, rief Buckingham, die Stimme verstärkend, um Leute herbeizuziehen, ohne diese jedoch unmittelbar aufzufordern.

»Unterzeichnet, Mylord, unterzeichnet die Freilassung von Lady Winter«, sagte Felton und stieß ein Papier vor den Herzog.

»Gewalt? Scherzt Ihr? Holla, Patrick!«

»Unterzeichnet Mylord!«

»Nie!«

»Nie?«

»Herbei!«, rief der Herzog und lief zu gleicher Zeit zu seinem Degen.

Aber Felton ließ ihm nicht Zeit, ihn zu ziehen. Er hielt ganz entblößt und unter seinem Wams verborgen das Messer, mit dem sich Mylady gestochen hatte. Mit einem Sprung war er beim Herzog.

In diesem Augenblick trat Patrick in den Saal und rief: »Mylord, ein Brief von Frankreich.«

»Von Frankreich!«, sprach der Herzog, der nun alles um sich her vergaß und nur daran dachte, von wem wohl dieser Brief komme.

Felton benutzte diesen Augenblick und stieß ihm das Messer bis ans Heft in die Seite.

»Ha, Verräter!«, schrie Buckingham, »Du hast mich ermordet.«

»Mörder! Mörder!«, heulte Patrick.

Felton warf seine Blicke umher, um zu entfliehen. Als er die Tür geöffnet sah, stürzte er in das anstoßende Zimmer, wo erwähntermaßen die Abgeordneten von La Rochelle warteten, eilte durch dieses und lief zur Treppe. Aber auf der ersten Stufe begegnete er Lord Winter, der ihn, als er ihn bleich, verstört, leichenfarbig, an der Hand und im Gesicht mit Blut befleckt, herabstürzen sah, an der Gurgel fasste, und ihm zurief: »Ich wusste es! Ich hatte es geahnt. Eine Minute zu spät! Oh! Ich Unglücklicher! Ich Unglücklicher!«

Felton leistete keinen Widerstand. Lord Winter übergab ihn den Wachen, die ihn bis auf weitere Befehle auf eine kleine, das Meer beherrschende Terrasse führten, und eilte selbst in das Kabinett Buckinghams.

Bei des Herzogs Geschrei, bei dem Ruf Patricks lief der Mann, welchen Felton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Kabinett. Er fand den Herzog auf einem Sofa ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.

»La Porte«, sprach der Herzog mit sterbender Stimme, »La Porte, kommst du von ihr?«

»Ja, gnädigster Monsieur«, antwortete der getreue Diener Annas von Österreich, »aber vielleicht zu spät.«

»Still, La Porte! Man könnte Euch hören. Patrick, lass niemand herein. Oh! Ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen lässt. Mein Gott, ich sterbe!«

Und der Herzog fiel in Ohnmacht.

Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Anführer der Expedition, die Beamten des Hauses Buckingham in sein Zimmer eingedrungen. Überall erscholl ein Geschrei der Verzweiflung. Die Nachricht, welche den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.

Ein Kanonenschuss kündigte an, dass etwas Neues, Unerwartetes vorgefallen war.

Lord Winter raufte sich die Haare.

»Um eine Minute zu spät!«, rief er, »um eine Minute zu spät! O mein Gott, welch ein Unglück!«

Man hatte ihm wirklich morgens um sieben Uhr gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Er erinnerte sich wieder, was ihm d’Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte. Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächste beste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hof ab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Felton auf der ersten Stufe.

Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und alle waren mit neuer Hoffnung belebt.

»Messieurs«, sagte er, »lasst mich mit Patrick und La Porte allein … Ah! Ihr seid es, Lord Winter! Ihr habt mir diesen Morgen einen seltsamen Narren geschickt. Seht den Zustand, in welchen er mich versetzt hat!«

»Oh! Mylord«, rief der Baron, »Mylord, ich werde mich nie zu trösten wissen.«

»Und du hättest unrecht, mein guter Winter«, erwiderte Buckingham und reichte ihm die Hand. »Ich kenne keinen Menschen, der es verdiente, von einem anderen Menschen ein ganzes Leben hindurch beklagt zu werden. Aber ich bitte dich, lass uns allein.«

Der Baron entfernte sich schluchzend.

Es blieben nur noch der Verwundete, La Porte und Patrick. Man suchte einen Arzt und konnte ihn nicht finden.

»Ihr werdet leben, Mylord, Ihr werdet leben«, wiederholte, vor dem Sofa des Herzogs kniend, der Bote Annas von Österreich.

»Was schreibt sie mir?«, fragte der Herzog mit schwacher Stimme, von Blut triefend und furchtbare Schmerzen bewältigend, um von der Geliebten sprechen zu können.

»Was schreibt sie mir? Lies mir ihren Brief vor!«

»Oh! Mylord!«, rief La Porte.

»Nun, La Porte, siehst du nicht, dass ich keine Zeit zu verlieren habe?«

La Porte erbrach das Siegel und legte dem Herzog das Pergament unter die Augen; aber Buckingham versuchte vergebens die Schrift zu unterscheiden.

»Lies doch«, sagte er, »lies doch. Ich sehe nichts mehr, lies doch, denn bald vielleicht werde ich auch nicht mehr hören und sterben, ohne zu erfahren, was sie mir geschrieben hat.«

La Porte machte keine Schwierigkeiten mehr und las:

Mylord,

bei dem, was ich, seit ich Euch kenne, für Euch und durch Euch gelitten habe, beschwöre ich Euch, wenn Euch an meiner Ruhe etwas gelegen ist, die großen Rüstungen zu unterbrechen, welche Ihr gegen Frankreich ins Werk setzt, und einen Krieg aufzugeben, als dessen scheinbare Ursache man laut die Religion bezeichnet, während man ganz leise sagt, Eure Liebe für mich sei die verborgene Ursache. Dieser Krieg kann nicht nur für Frankreich und England große Katastrophen, sondern auch für Euch ein Unglück herbeiführen, über das ich mich nie mehr trösten würde.

Wacht über Euer Leben, das man bedroht und das mir von dem Augenblick an teuer sein wird, wo ich nicht mehr genötigt bin, in Euch einen Feind zu sehen.

Eure wohlergebene
Anna.

Buckingham raffte den ganzen Rest seines Lebens zusammen, um diesen Brief zu hören. Sobald er zu Ende war, fragte er, als hätte er eine bittere Enttäuschung darin gefunden:

»Habt Ihr mir nichts anderes mündlich zu sagen, La Porte?«

»Allerdings, gnädiger Monsieur. Die Königin beauftragte mich, Euch zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein, denn sie habe sichere Kunde, dass man Euch ermorden wolle.«

»Und das ist alles? Das ist alles?«, versetzte Buckingham ungeduldig.

»Sie hat mich auch noch beauftragt, Euch zu sagen, dass sie Euch stets liebe.«

»Ah!«, rief Buckingham, »Gott sei gelobt! Mein Tod wird also für sie nicht der Tod eines Fremden sein.«

La Porte zerfloss in Tränen.

»Patrick«, sprach der Herzog, »bring mir das Kästchen, in welchem die diamantenen Nestelstifte eingeschlossen waren.«

Patrick brachte den verlangten Gegenstand, worin La Porte ein früheres Eigentum der Königin erkannte.

»Jetzt das kleine Kissen von weißem Atlas, auf welches ihre Chiffre in Perlen gestickt ist.«

Patrick gehorchte abermals.

»Seht, La Porte«, sprach Buckingham, »das sind die einzigen Pfänder, die ich von ihr besitze. Dieses silberne Kästchen und diese zwei Briefe. Ihr gebt sie Ihrer Majestät zurück und zum letzten Andenken … (er suchte einen kostbaren Gegenstand um sich her) … fügt Ihr …«

Er suchte abermals, aber seine durch den Tod verfinsterten Blicke begegneten nur dem Messer, das Feltons Händen entfallen und dessen Klinge noch von frischrotem Blut benetzt war.

»Und Ihr fügt dieses Messer bei«, sprach der Herzog und drückte La Porte die Hand.

Er legte das kleine Kissen in das silberne Kästchen, ließ das Messer hineinfallen und machte La Porte ein Zeichen, dass er nicht mehr sprechen könne. Dann erfasste ihn eine letzte krampfhafte Zuckung, die er nicht mehr zu bekämpfen vermochte, und er glitt vom Sofa auf den Boden herab.

Patrick stieß ein furchtbares Geschrei aus. Buckingham wollte zum letzten Mal lächeln, aber der Tod schlug seinen Gedanken in Fesseln und dieser blieb wie ein letztes Lebewohl auf seine Lippen und auf seine Stirn geprägt.

In diesem Augenblick traf der Arzt des Herzogs ganz verstört ein. Er war schon an Bord des Admiralschiffes gewesen, und man hatte sich genötigt gesehen, ihn dort zu suchen.

Er näherte sich dem Herzog, nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinigen und ließ sie wieder fallen.

»Alles ist vergeblich«, sprach er, »er ist tot!«

»Tot! Tot!«, rief Patrick.

Bei diesem Schrei drang der ganze Haufen wieder in den Saal und überall herrschte Bestürzung und Aufruhr.

Sobald Lord Winter Buckingham entseelt sah, lief er zu Felton zurück, den die Soldaten auf der Terrasse des Palastes bewachten.

»Elender«, sprach er zu dem jungen Manne, der seit dem Tod Buckinghams seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte. »Elender, was hast du getan?«

»Ich habe mich gerächt«, antwortete er.

»Du!«, rief der Baron, »sage, dass du diesem verfluchten Weib als Werkzeug gedient hast; aber ich schwöre dir, dieses Verbrechen soll ihr letztes sein!«

»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt«, entgegnete Felton ruhig, »und ich begreife nicht, von was Ihr sprechen wollt, Mylord. Ich habe den Herzog von Buckingham getötet, weil er es Euch selbst zweimal abschlug, mich zum Kapitän zu ernennen. Ich habe ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft, das ist das Ganze.«

Lord Winter schaute die Leute, welche Felton banden, erstaunt an und wusste nicht, was er von einer solchen Unempfindlichkeit denken sollte. Nur eines lagerte sich wie eine Wolke auf Feltons Stirn. Bei jedem Tritt, den er hörte, glaubte der naive Puritaner den Tritt und die Stimme Myladys zu hören, welche komme, um sich in seine Arme zu werfen, sich mit ihm anzuklagen und dem Verderben zu überantworten.

Plötzlich bebte er. Sein Blick war auf einen Punkt im Meer gerichtet, das man von der Terrasse aus, auf welcher er sich befand, völlig beherrschte. Mit seinem seemännischen Adlerblick hatte er da, wo ein anderer nur eine auf den Wellen sich wiegende Möve gesehen hätte, ein Segel erschaut, das zu der Küste Frankreichs steuerte. Er erbleichte, fuhr mit der Hand nach dem brechenden Herzen und begriff den ganzen Verrat.

»Eine letzte Gnade«, sagte er zu dem Baron.

»Welche?«, fragte dieser.

»Wie viel Uhr ist es?«

»Neun Uhr.«

Mylady hatte ihre Abfahrt um anderthalb Stunden vorgerückt. Sobald sie den Kanonenschuss hörte, der ein unglückliches Ereignis verkündigte, gab sie Befehl, die Anker zu lichten.

Die Barke schwamm in großer Entfernung von dem Gestade unter einem blauen Himmel.

»Es war so Gottes Wille«, sprach Felton, mit der Resignation des Fanatikers, jedoch ohne seine Blicke von dem Fahrzeug losmachen zu können, an dessen Bord er ohne Zweifel das weiße Gespenst derjenigen zu unterscheiden glaubte, welcher sein Leben geopfert werden sollte.

Lord Winter folgte seinem Blick, schaute in sein leidendes Antlitz und erriet alles.

»Du sollst vorerst allein bestraft werden, Elender«, sagte der Lord zu Felton, der sich, die Augen zur See gekehrt, wegführen ließ, »aber ich schwöre dir beim Andenken an meinen Bruder, den ich unendlich liebte, dass deine Mitschuldige nicht gerettet ist.«

Felton neigte das Haupt, ohne eine Silbe zu sprechen.

Der Baron aber stieg rasch die Treppe hinab und begab sich zum Hafen.