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Aus dem Wigwam – Mikwon oder der rote Manitu

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig. 1880

Vierzig Sagen
Mitgeteilt von Chingorikhoor

Mikwon oder der rote Manitu

ines Tages, als mehrere Indianer am großen Salzmeer standen, sahen sie ein merkwürdiges Ding auf dem Wasser. Es war so ungeheuer groß, dass sie aus Furcht eiligst zurückliefen und dem ganzen Stamm die Wundermär erzählten.

Sie fingen nun an, zu raten, was es wohl sein möge. Der eine hielt es für einen riesigen Fisch und der andere meinte, es sei ein schwimmendes Haus; aber da keiner sich entsinnen konnte, jemals etwas Ähnliches gesehen zu haben, so wurden augenblicklich Schnellläufer an die benachbarten Stämme abgeschickt, um sie herbeizurufen. Diese kamen denn auch bald. Da sie glaubten, der Große Geist wohne in jenem Wasserhaus, so bereiteten sie sich vor, ihn würdig zu empfangen, damit er ihr Land und Volk segne. Die Abgötter wurden herbeigeholt und gründlich gereinigt. Die besten Jäger eilten in den Wald, um die nötigen Opfertiere zu schießen. Die Medizinmänner hüllten sich in ihre magischen Gewänder, banden Schlangen um ihre Lenden, bemalten sich mit allerlei Farben und schickten sich an, die Fragen der Männer und Frauen durch Beschwörungen zu beantworten. Aber ihre Schutzgeister blieben stumm und die ihnen zu Ehre angeordneten Tänze hatten nicht den ersehnten Erfolg.

Als sie so völlig ratlos dastanden, kamen mehrere Indianer, die sich dem fremden Gegenstand in ihren Kanus genähert hatten, zurück und erklärten, dass es das schön bemalte Haus des Großen Geistes und dass es von Leuten von schneeweißer Hautfarbe, von denen einer einen blutroten Anzug anhabe, bewohnt sei.

Als das Haus nahe war, sahen sie, dass es eigentlich ein großes Kanu war, auf dem sich noch mehrere kleinere befanden. Eins derselben wurde heruntergelassen, ein Mann mit roter Kleidung setzte sich hinein und fuhr an Land. Später kamen auch die anderen Fremden nach und gingen in das Ratszelt der Mohikaner und schüttelten ihnen die Hände. Jene be­trachteten sie von oben bis unten mit der größten Verwunderung. Die Medizinmänner, welche den rot gekleideten Fremden für den Großen Geist hielten, glaubten jeden Augenblick, er würde sie doch als alte Bekannte anerkennen.

Dieser aber machte wenig Worte und goss aus einer großen Flasche eine wasserähnliche Flüssigkeit in ein Glas und reichte es dem neben ihm stehenden Häuptling zum Trinken. Derselbe roch jedoch nur daran und gab es seinem Nachbarn, der es wieder weiterreichte, sodass es unberührt im Kreis herumging.

Als dies der Bieger des Tannenbogens, einer der tapfersten Krieger, sah, sprach er: »Es ist nicht recht, dass wir das Getränk des roten Manitu zurückgeben, ohne davon gekostet zu haben. Wenn es Gift enthält, nun so will ich mich opfern und zuerst trinken!«

Danach nahm er von seiner Familie feierlichen Abschied und trank das ganze ©las ans. Bald danach wankten seine Füße unter ihm und er fing an, so sonderbare Gesichter zu schneiden, dass alle glaubten, er sei närrisch geworden. Zuletzt fiel er in tiefen Schlaf. Seine Frau glaubte, er sei gestorben. Aber der Fremde sagte ihr, er würde bald wieder aufstehen. Dies traf denn auch wirklich ein. Als jener erzählte, dass er noch nie so glücklich gewesen sei wie in diesem Schlaf, da sehnten sich auch die anderen nach jenem Wunderwasser. Der rote Manitu ließ jeden ein großes Glas voll trinken. Bald lagen nun alle bewegungslos im Gras. Als sie am nächsten Morgen wieder gerade auf den Beinen stehen konnten, sagte ihnen der Fremde, dass sie im nächsten Frühjahr wiederkommen und mit ihren Frauen und Kindern bei ihnen bleiben wollten. Da die Indianer damit zufrieden waren, so ließ er Äxte und Kleidungsstücke unter sie austeilen und fuhr mit seinen Gefährten ab.

Im nächsten Frühjahr kam er wieder und brachte das ganze Schiff voll Leute mit. Als diese die Indianer sahen und bemerkten, dass sie die Äxte als Schmuck am Hals trugen und die Strümpfe als Tabakbeutel benutzten, lachten sie laut auf und zeigten ihnen den eigentlichen Gebrauch dieser Dinge.

Die Fremden blieben bei ihnen und ließen sich auf dem Land nieder, das ihnen die Mohikaner geschenkt oder verkauft hatten. Doch als sie sich im Laufe der Zeit vermehrten und immer mehr Land wünschten, entspann sich ein blutiger Krieg, der mit der völligen Vertreibung der Mohikaner endete.