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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 61

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

61. Wie Rübezahl jemanden wieder einmal eine Nase drehte, aber eine schöne.

Vor Alters war es Sitte, dass die an Schlesien grenzenden böhmischen Städte sich besondere Boten hielten, die nach Hirschberg und anderen schlesischen Städten über das Gebirge wanderte und allda für andere dort Geschäfte abmachten. So ging auch ein solcher Bote von Przichowitz nach Hirschberg, und jedes Mal den Tag vorher, ehe es in Hirschberg Wochenmarkt war.

Zu einer Zeit hatte dieses Amt ein Mann, welcher eine gar ehrliche Haut war, und konnten die Leute dort herum ihm Geld und Gut übergeben, ohne dass sie besorgt zu sein brauchten. Wenn der Franzl einmal etwas übernommen hatte, so kam es so richtig an den bestimmten Ort als heutzutage mit der Post.

Das war nun gut, aber vollkommen ist nichts auf Erden. So hatte auch der Franzl etwas Besonderes an sich, was zwar andere Leute nur wenig, aber ihn desto mehr kümmerte: Er hatte eine ganz außerordentlich lange Nase. Die Nase war wirklich ganz außerordentlich, sodass er überall, wohin er kam, wegen dieser Nase verlacht wurde und aus den Streitigkeiten deshalb nicht herauskam. Für einen Boten ist das schlimm. Das fühlte der arme Mann auch gar sehr und fragte manchmal in seinem Unmut, warum ihm nur der liebe Gott eine so große Nase erschaffen, die doch gar nicht nötig sei, denn eine kleine tue es ja auch.

In Petersdorf kehrte er eines Tages im Kretscham ein. Es war Winter und kaum im Freien fortzukommen. Darum tat ihm die Ruhe not.

»Ihr habt, guter Freund«, redete ihn einer der Gäste an, nachdem er sich kaum gesetzt hatte, »heut einen schlimmen Tag getroffen. Der Weg ist verweht, und ihr werdet heut Hirschberg nicht erreichen.«

»Seid unbesorgt«, fiel ein andrer Gast lachend ein, »seid unbesorgt um diesen Mann da, und wenn auch der größte Schnee fällt, so kann er getrost durchhingehen, denn seine Nase hilft ihm durch.«

»Ja, ja«, fiel ein Dritter aus der lachenden Menge ein, »Ihr könnt getrost durchs ganze Gebirge gehen, denn Eure Nase macht den Schneepflug.«

»Freund«, sagte ein Vierter, »kommt nur mit mir, denn in unserem Dorf fehlt es an einer Uhr. Wir möchten drum gern einen Sonnenzeiger. Stellt Ihr Euch gut an, und der Tag ist sonnenhell, so gibt Eure Nase die Mittagslinie. Es kann Euer Glück sein.« Damit wurde das Gelächter des unverständigen Volkes immer ärger.

Der arme Franzl sagte zu allen den Spöttereien nichts, aber er zerdrückte in seinen Augen eine Träne, trank sein Glas Bier aus und zog wieder in die wilde tobende Natur hinaus, die seiner nicht spottete.

Freilich war ein fürchterlicher Schneesturm da draußen und der arme Mann konnte kaum den Schnee, bis an den Unterleib durchwatend, sich forthelfen, denn von einer Straße war weit und breit nichts zu sehen.

Er mochte wohl eben in der Richtung zwischen Petersdorf und Hermsdorf gewesen sein, so sah er vor sich im Schnee einen Mann liegen, welcher schlief. Auf seinem Mantel, der ihm von der Schulter gefallen war, erblickte er eine Menge Goldstücke. Da kribbelte es ihm in den Fingern und es war ihm, als ob er zugreifen sollte, denn dann, sagte er zu sich selbst: Damit wärst du aus aller deiner Not und könntest in Ruhe zuhause bleiben.

Aber die Ehrlichkeit war in ihm doch schon etwas festgezimmert gewesen. Er hatte sich alles Zugreifens tapfer enthalten. »Franz«, sagte er weiter, »halt deine Hand davon und bleib ehrlich, sonst hast du zeitlebens ein böses Gewissen.« Damit ging er fort. Umsehen mochte er sich aber doch nicht, denn der Teufel ist überall geschäftig, dachte er.

Auf einmal blieb er stehen und besann sich. »Den Mann musst du wecken«, sagte er bei sich, »sonst kommt er in diesem Schneesturm um sein Leben und erfriert.«

Er kehrte also um und weckte den Mann, der ihn mit großen Augen verwundert anblickte.

»Auf, auf, Freund«, sagte Franzl, »steht auf und kommt mit mir, sonst ist es hier Euer Letztes.«

»Ich kann nicht weiter«, sagte der Mann mit matter Stimme, »so lasst mich hier sterben und geht Euren Weg.«

»Nein, nein«, erwidert Franzl, wenn ich Euch hier verlasse, so soll mich Gott in meiner Todesstunde verlassen. Ich tue von hier keinen Schritt ohne Euch, und gehe ich, so liegt Euer Tod auf meinem Gewissen.«

»Kümmert Euch nicht um mich«, versetzte der Mann, »meine Kräfte sind erschöpft, und Ihr könnt in diesem Unwetter ja selbst Euch nicht forthelfen.«

Aber Franzl fragte danach nichts. Mit Schnelligkeit las er die Goldstücke zusammen, schob sie dem Mann in seine Tasche, wickelt ihn in den Mantel und lud ihn auf seine Arme. Keuchend schleppte er ihn so im Schnee weiter und ward ihm freilich gar sauer.

Da milderte sich plötzlich der Sturm, das Schneegestöber hörte auf, die fliegenden Wolken zerteilten sich. Sie sahen nicht weit von sich die Häuser von Hermsdorf liegen.

»Freut Euch«, rief der Franzl, »freut Euch, wir sind gerettet, denn dort ist Hermsdorf.« Und so durchwatete er mit gehobenen Kräften, immer sein Ränzel auf dem Rücken und den Mann im Arm den Schnee, und brachte ihn glücklich unter Dach und Fach.

Im Wirtshaus erholte sich der Fremde bald und bedankte sich gar sehr bei dem Boten, dass er sich so menschenfreundlich gegen ihn erwiesen hatte. Als nachmittags das Wetter sich gebessert hatte, wanderten beide zusammen nach Hirschberg hinunter, denn von nun an hatten sie doch immer Weg und Steg. Auf dem Weg führten denn nun die Wanderer ihre Gespräche und der Bote teilte auch dem Gefährten mit, wie lieblos man ihm wegen seiner Nase in Petersdorf begegnete und wie er zeitlebens diesen körperlichen Makel unverdient tragen müsse.

Der Mann tröstete ihn nun und meinte, so groß sei seine Nase doch wirklich nicht, wie er glaube. Er übertreibe die Sache zu sehr. Er solle nur am nächsten Tag zum Beispiel einmal in Hirschberg seine Nase recht ordentlich in einem Spiegel beschauen und mit anderen Nasen vergleichen, so werde er sehen, dass seine Nase nur eine recht stattliche, aber durchaus nicht zu große sei.

Der Mann schüttelte ungläubig den Kopf, wurde aber durch solche Tröstung gar sehr beruhigt.

In Herischdorf schied der Mann unter nochmaligen Danksagungen vom Boten. Der setzte seinen Weg weiter fort und kam glücklich in seiner Herberge an. Müde war er auf einen solchen sauren Tag als der gegenwärtige. Es war ihm gar lieb, als die Streu fertig war und der Hausknecht sagte: »Franzl, nun schlaf gesund.«

Unterwegs hatte sich aber dem Franzl, seit ihn der Mann verlassen hatte, ein Floh ins Ohr gesetzt. Er dachte mit Seufzen an die Goldstücke zurück und was er für ein Mann nun sein könnte, wenn er zugegriffen hätte. »Aber«, sagte er, indem er beim Ausziehen wieder daran dachte, »du bist doch noch ein ehrlicher Mann.«

Damit zog er die Schuhe aus und schleuderte sie in die Ecke. Da klang, glitzerte und rollte es. Wie er genauer hinschaute, da lagen lauter Dukaten bei den Schuhen. Aus den Schuhen waren sie geflogen und konnten also niemanden gehören. Drum glaubte er, der dankbare Fremde habe sie ihm heimlich hinein praktiziert und warf sich fröhlich und mit innigem Dank gegen Gott auf die Streu.

Als er am Morgen erwachte, dachte er an sein gestriges Glück und suchte in den Taschen. Die Dukaten waren noch da. Indem er nun so an den Reisegefährten dachte, fielen ihm denn auch seine Tröstungen ein. Er geht unwillkürlich zum Spiegel, um seine Nase zu besehen. Aber er traute seinen Augen kaum, als er wirklich seine Nase gar nicht so groß fand, wie sie ihm früher vorgekommen war. Die Leute im Haus sagten auch, es müsse ihm seit seinem letzten Besuch gar wohl gegangen sein und er sei viel dicker geworden, sodass seine Nase nun gar nicht mehr so groß und wirklich sehr hübsch aussehe.

Da ging ihm wegen des Reisegefährten ein Licht auf, auch wegen der Dukaten und der Nase. Er dankte nun im Stillen Gott und dem Rübezahl für das ihm erzeigte Gute und sagte zu sich: »Franzl, Ehrlichkeit währt doch am längsten!«

Merke aber: Ein verständiger Mensch kann mit jeder Nase zufrieden sein, wenn er nur damit überall zur rechten Zeit den Braten riecht.