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Die drei Musketiere 54

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
7. bis 10. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung
XXI.

Dritter Tag der Gefangenschaft

Felton war gekommen, aber es blieb noch ein Schritt zu tun. Man musste ihn zurückhalten oder er musste vielmehr von selbst bleiben. Mylady sah nur dunkel das Mittel, das sie zu diesem Resultat führen sollte.

Man brauchte noch mehr, man musste ihn zum Sprechen bringen, um ebenfalls mit ihm zu sprechen, denn Mylady wusste wohl, dass ihre größte Versuchungskraft in ihrer Stimme lag, welche so geschickt die ganze Tonleiter vom menschlichen Wort bis zur himmlischen Sprache durchlief.

Aber trotz dieser Verführungskunst konnte Mylady an dem geringsten Zufall scheitern, denn Felton war unterrichtet. Von nun an beobachtete sie all seine Handlungen, all seine Worte, den einfachsten Blick seiner Augen, jede Gebärde, jedes Atem holen, das man als einen Seufzer halten konnte, kurz, sie studierte alles wie ein geschickter Schauspieler, dem man eine Rolle in einem Fach gegeben hat, worin er nicht gewöhnlich auftritt.

Lord Winter gegenüber war ihr Benehmen leichter. In Beziehung auf ihn hatte sie schon am Tage vorher ihren ganzen Operationsplan festgestellt. Stumm und würdig in seiner Anwesenheit bleiben, ihn zuweilen durch eine geheuchelte Verachtung, durch ein geringschätziges Wort reizen, ihn zu Drohungen und Gewalttätigkeiten antreiben, die einen Kontrast mit ihrer Resignation bilden würden, dies war ihr Plan. Felton würde sehen, er würde vielleicht nichts sagen, aber er würde sehen.

Am Morgen kam Felton wie gewöhnlich. Mylady ließ ihn allen Vorbereitungen zu ihrem Frühstück beiwohnen, ohne ein Wort an ihn zu richten.

In dem Augenblick, wo er sich entfernen wollte, belebte sie daher ein Hoffnungsschimmer, denn sie glaubte, er wolle sprechen; aber seine Lippen bewegten sich, ohne dass ein Ton aus seinem Mund kam. Mit einer gewaltigen Anstrengung verschloss er die Worte, die seinen Lippen entschlüpfen wollten, und verließ das Zimmer.

Gegen Mittag trat Lord Winter ein.

Es war ein schöner Sommertag, und ein Strahl der bleichen Sonne Englands, welche erleuchtet und nicht erwärmt, drang durch die Gitter des Gefängnisses.

Mylady schaute durch das Fenster und stellte sich, als ob sie das Öffnen der Tür nicht hörte.

»Ah, ah«, sagte Lord Winter, »nachdem man abwechselnd Komödie und Tragödie gespielt hat, spielt man jetzt Melancholie.«

Die Gefangene antwortete nicht.

»Ja, ja, ich verstehe«, fuhr Lord Winter fort. »Ihr möchtet wohl auf diesem Gestade in Freiheit sein, Ihr möchtet wohl auf einem guten Schiff die Wellen dieser smaragdgrünen See durchfurchen. Ihr möchtet, sei es zu Wasser oder zu Land, mir einen jener guten kleinen Hinterhalte legen, die Ihr so schön einzurichten wisst. Geduld, Geduld! In vier Tagen ist Euch das Gestade erlaubt und die See geöffnet, mehr vielleicht, als Ihr wünschen möget, denn in vier Tagen ist England von Euch befreit.«

Mylady faltete die Hände und schlug ihre schönen Augen zum Himmel auf.

»Herr, Herr«, sprach sie mit englischer Weichheit der Gebärde und Betonung, »vergib diesem Mann, wie ich ihm selber vergebe!«

»Ja, bete, Verdammte!«, rief der Baron. »Dein Gebet ist umso edelmütiger, wenn du dich, ich schwöre es dir, in der Gewalt eines Menschen befindest, der dir nicht vergeben wird.«

Er entfernte sich.

Im Moment, wo er hinausging, glitt ein scharfer Blick durch die halb geöffnete Tür. Sie gewahrte Felton, der sich rasch auf die Seite drückte, um nicht gesehen zu werden.

Dann warf sie sich auf die Knie und fing an zu beten.

»Mein Gott! Mein Gott!«, sagte sie, »du weißt, für was für eine heilige Sache ich leide. Gib mir die Kraft, das Leiden zu ertragen.«

Die Tür wurde sacht geöffnet, die schöne Beterin gab sich den Anschein, als hätte sie es nicht einmal gehört, und fuhr mit einer tränenreichen Stimme fort: »Rächender Gott! Gott der Güte! Wirst du die schändlichen Pläne dieses Mannes in Erfüllung gehen lassen?«

Nun erst stellte sie sich, als hörte sie das Geräusch der Tritte Feltons. Sie sprang rasch wie ein Gedanke auf und errötete, als schämte sie sich, auf den Knien angetroffen worden zu sein.

»Ich störe Betende nicht gern, Madame«, sprach Felton mit ernstem Tone. »Lasst Euch also nicht durch mich unterbrechen, ich beschwöre Euch darum.«

»Woher wisst Ihr, dass ich betete?«, fragte Mylady mit einer von Schluchzen erstickten Stimme. »Ihr täuschet Euch, Monsieur, ich betete nicht.«

»Glaubt Ihr denn, Madame«, antwortete Felton, mit demselben Ernst, doch mit etwas weicherem Ausdruck, »glaubt Ihr, ich halte mich für berechtigt, ein Geschöpf, das sich vor seinem Schöpfer niederwerfen will, daran zu hindern? Das wolle Gott verhüten! Überdies steht den Schuldigen die Reue wohl an, welches Verbrechen sie auch begangen haben mögen, ein Schuldiger ist mir heilig zu den Füßen Gottes.«

»Schuldig ich?«, entgegnete Mylady mit einem Lächeln, das einen Engel des Jüngsten Gerichts entwaffnet haben würde. »Schuldig, o mein Gott! Du weißt, ob ich es bin? Sagt, ich sei verdammt, Monsieur! Aber Ihr wisst, Gott, der die Märtyrer liebt, lässt es oft zu, dass die Unschuldigen auf dieser Erde verdammt werden.«

»Mögt Ihr verdammt, mögt Ihr unschuldig, mögt Ihr eine Märtyrin sein«, antwortete Felton, »Ihr habt umso mehr Grund zu beten, und ich werde Euch mit meinem Gebet unterstützen.«

»Oh! Ihr seid ein Gerechter«, rief Mylady ihm zu Füßen fallend, »hört, ich kann es nicht länger in mir verschließen, denn ich fürchte, es könnte mir in dem Augenblick, wo ich den Kampf bestehen und meinen Glauben bekennen soll, an Kraft mangeln. Hört das Flehen einer Frau, welche von der Verzweiflung erfasst ist. Man täuscht Euch, Monsieur, aber hiervon soll nicht die Rede sein. Ich bitte Euch nur um eine Gnade, und wenn Ihr sie mir gewährt, werde ich Euch dafür in dieser und in der anderen Welt segnen.«

»Sprecht mit dem Herrn, Madame«, sagte Felton, »ich habe zum Glück nicht den Auftrag, zu vergeben oder zu strafen. Gott hat diese Verantwortlichkeit einem Höheren übertragen.«

»Mit Euch, nein, mit Euch allein. Hört mich und tragt zu meinem Untergang, zu meiner Schmach bei.«

»Wenn Ihr diese Schmach verdient habt, Madame, wenn Ihr die Schande Euch selbst zuzuschreiben habt, so müsst Ihr Euch geduldig unterwerfen und in Gottes Willen fügen.«

»Was sagt Ihr? Oh! Ihr versteht mich nicht. Wenn ich von Schande spreche, so meint Ihr, ich spreche von einer Bestrafung, von Gefängnis oder vom Tod? Möchte es dem Himmel so gefallen! Was liegt mir an Tod oder Gefängnis?«

»Nun begreife ich Euch nicht, Madame«, sagte Felton.

»Oder Ihr stellt Euch, als ob Ihr mich nicht begriffet, Monsieur«, erwiderte die Gefangene mit einem zweifelhaften Lächeln.

»Nein, Madame, bei der Ehre eines Soldaten, bei dem Glauben eines Christen.«

»Wie! Ihr kennt die Absichten Lord Winters in Beziehung auf meine Person nicht?«

»Ich kenne sie nicht.«

»Unmöglich! Ihr, sein Vertrauter!«

»Ich lüge nie, Madame.«

»Doch er verstellt sich zu wenig, als dass man ihn nicht erraten sollte.«

»Ich suche nichts zu erraten, ich warte, bis man mir etwas anvertraut, und außer dem, was er mir in Eurer Gegenwart gesagt hat, ist mir von Lord Winter nichts anvertraut worden.«

»Wie!«, rief Mylady mit einem unglaublichen Gepräge von Wahrheit, »Ihr seid also nicht sein Mitschuldiger! Ihr wist nicht, dass er mir eine Schmach anzutun gedenkt, der alle Strafen der Erde an Abscheulichkeit nicht gleichkommen?«

»Ihr täuscht Euch, Madame«, entgegnete Felton errötend. »Lord Winter ist keines solchen Verbrechens fähig.«

»Gut!«, sagte Mylady zu sich selbst, »er nennt das ein Verbrechen, ohne zu wissen, was es ist.«

Dann sprach sie laut: »Der Freund des Schändlichen ist zu allem fähig.«

»Wen nennt Ihr den Schändlichen?«, fragte Felton.

»Gibt es in England zwei Menschen, denen ein solcher Name gebührt?«

»Ihr sprecht von George Villiers«, sagte Felton, dessen Blicke flammten.

»Den die Heiden, die Ungläubigen und die Gottlosen Herzog von Buckingham nennen«, versetzte Mylady. »Ich hätte nicht geglaubt, dass in ganz England ein Mensch leben könnte, der einer so langen Erläuterung bedürfte, um denjenigen zu erkennen, von welchem ich sprechen wollte.«

»Die Hand des Herrn ist über ihm ausgestreckt, er wird der verdienten Strafe nicht entgehen.«

Felton sprach in Beziehung auf den Herzog nur das Gefühl der Verwünschung aus, das alle Engländer gegen den Mann hegten, den auch die Katholiken schlechtweg Satan nannten.

»Oh! Mein Gott! Mein Gott!«, rief Mylady, »wenn ich dich bitte, über diesen Menschen die ihm gebührende Strafe zu verhängen, so weißt du, dass ich nicht meiner eigenen Rache Genüge tun will, sondern die Befreiung eines Volkes vom Himmel erflehe.«

»Ihr kennt ihn also?«, fragte Felton.

»Endlich fragt er mich!«, sagte Mylady zu sich selbst, voll Freude, so schnell zu einem so großen Resultat gelangt zu sein.

»Ob ich ihn kenne! Oh ja! Zu meinem Unglück, zu meinem ewigen Unglück.« Mylady rang die Hände, als ob sie von einem Paroxysmus des Schmerzes befallen wäre.

Felton fühlte ohne Zweifel in seinem Inneren, dass ihn die Kraft verließ. Er machte einige Schritte zur Tür, aber die Gefangene, welche ihn nicht aus den Augen ließ, lief ihm nach und hielt ihn zurück.

»Monsieur!«, rief sie, »seid barmherzig, hört meine Bitte. Das Messer, welches mir die unselige Klugheit des Barons genommen hat, weil er weiß, welchen Gebrauch ich davon machen will … Oh! Hört mich bis zu Ende. Dieses Messer, oh! Gebt es mir nur auf eine Minute zurück, gebt es mir aus Gnade, aus Mitleid. Ich umfasse Eure Kniee! Ihr schließt die Tür, ich will nicht Euch an das Leben gehen. Gott! Euch an das Leben gehen. Euch, dem einzigen gerechten, guten und teilnehmenden Wesen, das ich getroffen habe! Euch, meinem Retter vielleicht. Eine Minute, nur eine Minute dieses Messer und ich gebe es Euch durch das Gitter der Tür zurück! Nur eine Minute, Monsieur Felton, und Ihr habt meine Ehre gerettet!«

»Euch töten!«, rief Felton voll Schrecken und vergaß, seine Hände denen seiner Gefangenen zu entziehen. »Euch töten!«

»Ich habe es ausgesprochen, Monsieur«, murmelte Mylady, indem sie die Stimme sinken ließ und kraftlos auf den Boden niederfiel. »Ich habe mein Geheimnis ausgesprochen! Er weiß alles, mein Gott! Ich bin verloren!«

Felton blieb unbeweglich und unentschlossen auf der Stelle.

Er zweifelt noch, dachte Mylady, ich bin nicht wahr genug gewesen.

Man hörte in der Flur gehen, Mylady erkannte den Tritt von Lord Winter.

Felton erkannte ihn ebenfalls und machte einen Schritt zur Tür.

Mylady sprang auf und sagte mit gepresster Stimme: »Oh! Nicht ein Wort, nicht ein Wort zu diesem Menschen von allem, was ich Euch gesagt habe, oder ich bin verloren; und Ihr seid es … Ihr …«

Als die Tritte nun näher kamen, schwieg sie aus Furcht, ihre Stimme könnte gehört werden, und legte dabei mit einer Gebärde unsäglichen Schreckens ihre schöne Hand Felton auf den Mund.

Felton stieß Mylady sanft zurück und diese sank auf eine Bank.

Lord Winter ging an der Tür vorüber, ohne stehen zu bleiben, und man vernahm das Geräusch der Tritte, wie sie sich entfernten.

Bleich wie der Tod, horchte Felton einen Augenblick mit gespanntem Ohr. Als aber das Geräusch gänzlich erstorben war, atmete er wie ein Mensch, der aus einem Traum erwacht, und stürzte aus dem Zimmer.

»Ah!«, sagte Mylady, als sie die Tritte Feltons in entgegengesetzter Richtung sich ebenfalls verlieren hörte, »endlich bist du mein.«

Dann verdüsterte sich ihre Stirne wieder.

»Wenn er bei dem Baron plaudert, bin ich verloren«, sagte sie, »denn der Baron, der wohl weiß, dass ich mir nicht das Leben nehme, wird mir in seiner Gegenwart ein Messer in die Hände geben, und Felton wird sehen, dass diese ganze große Verzweiflung nur eine Spiegelfechterei war.«

Sie stellte sich vor den Spiegel und beschaute sich. Nie war sie so schön gewesen.

»Oh! ja«, sprach sie lächelnd, »aber er wird nicht plaudern.«

Am Abend erschien Lord Winter, als man Mylady ihr Mahl brachte.

»Monsieur«, sprach Mylady, »ist Eure Gegenwart eine notwendige Beigabe meiner Gefangenschaft, und könntet Ihr mir nicht den Zuwachs an Qualen ersparen, den mir Eure Besuche verursachen?«

»Wie, meine liebe Schwester, habt Ihr mir nicht auf eine ganz empfindsame Weise mit diesem schönen, heute aber gegen mich so grausamen Mund angekündigt, Ihr seiet einzig und allein, um mich nach Gefallen sehen zu können, nach England gekommen, nur um diesen Genuss zu haben, dessen Entbehrung Ihr so sehr fürchtetet, wie Ihr mir sagt, dass Ihr alles dafür gewagt habt, Seekrankheit, Sturm, Gefangenschaft? Übrigens hat mein Besuch diesmal einen Grund.«

Mylady bebte. Sie glaubte, Felton habe gesprochen. Nie vielleicht fühlte diese Frau, welche so mächtige und entgegengesetzte Gemütsbewegungen erfahren hatte, ihr Herz so heftig schlagen.

Sie saß. Lord Winter nahm einen Lehnstuhl, stellte ihn neben sie, setzte sich und zog ein Papier aus seiner Tasche, das er langsam entfaltete.

»Hört«, sprach er, »ich wollte Euch diesen Pass zeigen, den ich selbst abgefasst habe, und der Euch als Verhaltungsvorschrift in dem Leben dienen soll, das ich Euch lasse.«

Dann las er, seine Augen von Mylady ab und zu dem Papier wendend:

»Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder freigelassen worden ist, nach … der Name ist noch nicht eingetragen«, unterbrach sich Winter, »wenn Ihr einem Ort den Vorzug gebt, so sagt es mir. Beträgt die Entfernung wenigstens zweitausend Meilen von London, so soll Euch willfahrt werden. Ich fahre also fort: Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach … zu führen. Sie wird an diesem Ort bleiben, ohne sich nicht mehr als drei Meilen davon zu entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches soll die Todesstrafe an ihr vollzogen werden. Sie erhält täglich fünf Schillinge für Kost und Wohnung.«

»Dieser Befehl betrifft mich nicht«, sprach Mylady kalt, »da ein anderer Name als der meine, eingetragen ist.«

»Ein Name! Habt Ihr einen Namen?«

»Ich habe den Eures Bruders.«

»Ihr täuscht Euch. Mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Sagt mir seinen Namen und ich werde ihn an die Stelle von Charlotte Backson setzen. Nicht? Ihr wollt nicht? … Ihr schweigt. Gut. Ihr werdet unter dem Namen Charlotte Backson in das Gefangenenregister eingetragen.«

Mylady blieb stumm. Diesmal aber geschah es nicht aus Verstellung, sondern vor Schrecken. Sie glaubte, der Befehl werde alsbald vollstreckt werden. Sie fürchtete, Lord Winter habe ihre Abreise beschleunigt. Sie glaubte sich verurteilt, schon an demselben Abend weggebracht zu werden. Für einen Augenblick war in ihrem Inneren alles verloren, als sie plötzlich bemerkte, dass der Befehl noch nicht mit einer Unterschrift versehen war.

Die Freude, welche ihr diese Entdeckung gewährte, war so groß, dass sie nicht die Kraft besaß, sie zu verbergen.

»Ja, ja«, sprach Lord Winter, als er wahrnahm, was in ihr vorging. »Ja, Ihr sucht die Unterschrift und sagt Euch: Noch ist nicht alles verloren, da diese Akte nicht unterzeichnet ist. Man zeigt sie mir, um mir Schrecken einzuflößen, das ist das Ganze. Ihr täuscht Euch: Morgen wird dieser Befehl Lord Buckingham zugeschickt, übermorgen kommt er von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen zurück, und vierundzwanzig Stunden danach, dafür stehe ich Euch, beginnt der Anfang der Vollstreckung. Gott befohlen, Madame, ich habe Euch sonst nichts zu sagen.«

»Und ich, Monsieur, erkläre Euch, dass dieser Missbrauch der Gewalt, dass diese Verbannung unter einem fremden Namen eine Niederträchtigkeit ist.«

»Wollt Ihr vielleicht lieber unter Eurem eigenen Namen gehenkt werden? Ihr wisst, die englischen Gesetze sind unerbittlich im Punkt einer Doppelehe. Erklärt Euch ganz offen; obwohl mein Name oder vielmehr der meines Bruders in diese Geschichte verflochten ist, scheue ich doch den Skandal eines öffentlichen Prozesses nicht, wenn ich überzeugt sein kann, dass ich mit einem Schlag von Euch befreit werde.«

Mylady antwortete nicht, wurde aber leichenblass.

»Oh, ich sehe, dass Ihr die Auswanderung vorzieht. Vortrefflich, Madame, ein altes Sprichwort behauptet: Reisen bilden die Jugend. Meiner Treu, Ihr habt nicht ganz unrecht, das Leben ist so schön! Darum habe ich auch ganz und gar keine Lust, mich von Euch umbringen zu lassen. Es bleibt also noch der Punkt der fünf Schillinge zu ordnen. Ich zeige mich hier etwas sparsam, nicht wahr? Das kommt davon her, dass ich Euch die Möglichkeit rauben will, Eure Wächter zu bestechen. Übrigens besitzt Ihr immer noch Eure Reize, um sie zu verführen. Benutzt sie, wenn der Umstand, dass Ihr bei Felton gescheitert seid, Euch nicht einen Widerwillen gegen dergleichen Versuche beigebracht hat.«

»Felton hat nicht gesprochen«, sagte Mylady zu sich selbst, »noch ist nichts verloren.«

»Und nun, Madame, auf Wiedersehen! Morgen werde ich Euch den Abgang meines Boten melden.«

Lord Winter stand auf, verbeugte sich ironisch vor Mylady und verließ das Zimmer.

Mylady atmete auf: Sie hatte noch vier Tage vor sich. Vier Tage genügten ihr, um Felton vollends zu verführen.

Ein furchtbarer Gedanke tauchte in ihr auf, der Gedanke, Lord Winter könnte Felton selbst abschicken, um den Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen. Auf diese Art entging ihr Felton, denn es bedurfte des Zaubers einer fortwährenden Verführung, wenn die Gefangene ihren Plan zum Ziel führen sollte.

Doch, wie gesagt, ein Umstand beruhigte sie. Felton hatte nicht gesprochen.

Sie wollte sich nicht das Ansehen geben, als ob Winters Drohungen ihr zu Herzen gingen. Deshalb setzte sie sich zu Tisch und speiste.

Dann warf sie sich, wie am Tage vorher, auf die Knie und betete laut. Der Soldat hörte wie am Tage vorher auf, im Gang umherzumarschieren, blieb vor der Tür stehen und lauschte.

Bald vernahm sie leichtere Tritte als die der Wache, welche aus dem Hintergrund des Flurs kamen und vor ihrer Tür still anhielten.

»Er ist es«, sagte sie.

Sie stimmte denselben religiösen Gesang an, der am Abend vorher Felton so sehr exaltiert hatte.

Aber ihre Tür blieb verschlossen, obwohl ihre sanfte, volle, sonore Stimme harmonischer, ergreifender vibriert hatte als je. Wohl glaubte Mylady bei einem flüchtigen Blick, den sie zum Gitter warf, die glühenden Augen des jungen Mannes gesehen zu haben, aber ob es nun Wirklichkeit oder eine Vision war, diesmal hatte er die Macht über sich selbst, nicht einzutreten.

Nur meinte Mylady einige Augenblicke, nachdem sie ihren religiösen Gesang vollendet hatte, einen tiefen Seufzer zu vernehmen. Dann entfernten sich dieselben Schritte, welche sie kommen gehört hatte, langsam und mit Widerwillen.