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Der Konstanzer Hans Teil 25

W. Fr. Wüst
Der Konstanzer Hans
Merkwürdige Geschichte eines schwäbischen Gauners
Reutlingen, 1852

Fünfundzwanzigstes Kapitel

Mit Hans geht eine große Veränderung vor.

Nach dem dreitägigen Verhör hatte Hans vier Wochen Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Da war seine Seele oft mit den schrecklichsten Vorstellungen erfüllt.

Wenn er sich auch damit trösten wollte, er habe ja keinen Mord begangen, so musste er sich ja doch bekennen, dass er gar viele und schwere Verbrechen verübt habe. Hörte er auch vollends von Leuten, die ihn im Gefängnis besuchten, dass seine Sache misslich stehe, so erschütterte ihn dies auf die fürchterlichste Art und bereitete ihm die qualvollsten Stunden. In solchen Augenblicken ergriff er dann seinen Rosenkranz und betete, so viel er wusste. Dessen war es freilich gar wenig. Dann machte er sich wieder Vorwürfe, dass er zuletzt nicht vorsichtig genug gewesen und dass er auf der Wachstube, wo er nur unter des Nachtwächters Aufsicht gestanden hatte, nicht entflohen sei.

So wechselten in seiner Seele Furcht und Hoffnung, Zorn und Ungeduld. Der herrschende Gedanke aber war der Todesgedanke.

Hans’ Seelenzustand konnte nicht anders sein, als er war, denn bis dahin hatte die Religion noch nicht in ihm gewirkt. Von Natur besaß er zwar manche edle Triebe und gute sittliche Anlagen, welche auch während seines Gaunerlebens bei dem höchsten Grad der Verschlimmerung nie ganz erloschen waren, ihn vor mancher Freveltat bewahrten und zu mancher besseren Handlung antrieben; aber die Religion hatte daran keinen Anteil.

Wenn er sich öfters vorgenommen hatte, dem Gaunerleben zu entsagen, so geschah dies nicht aus Pflichtgefühl, nicht im Aufsehen auf Gott. Vielmehr war es einerseits der Gedanke an das Unwürdige und Verwerfliche seines Treibens, andererseits die große Gefahr bei demselben. Nie noch hatte er sich recht im Verhältnis zu Gott betrachtet, nie sein Leben und seine Handlungen von der Seite angesehen, wie sie Gott wohlgefällig oder missfällig seien, außer während seiner zweiten Gefangenschaft in Tuttlingen, wo er Gott wiederholt versprach, nicht mehr zu stehlen, sowie im Gengenbacher Gefängnis, wo ihn der Gedanke sehr beunruhigte, dass er den Schwur gegen Gott gebrochen und dadurch die göttliche Rache herausgefordert habe.

Betete er hier und da im Gefängnis, so war es wieder nicht das religiöse Gefühl, das ihn dazu antrieb, sondern die dringende Begierde nach Rettung.

Doch heuchelte er keine Religion, die er nicht hatte. Während seine Kameraden oft in derselben Stunde einen Diebstahl begingen, in welcher sie gebeichtet und das Abendmahl empfangen hatten, unterließ er in den vier Jahren seines Gaunerlebens diese religiösen Handlungen. Was hilft euch eure Beichte, sagte er öfters zu ihnen, wenn ihr nach derselben wieder da anfangt, wo ihr vorher aufgehört habt?

Hätte man Hans in seiner Jugend mit den Religionswahrheiten bekannt gemacht, wären sie ihm mit Wärme vorgetragen worden; sein Herz wäre empfänglich für dieselben gewesen. So aber wusste er von den erhabenen Lehren nur so viel, wie er von ungefähr und gelegentlich von anderen gehört und aufgefasst hatte. Dies wenige bestand aus lauter Aberglauben, aus halbwahren oder ganz falschen Begriffen. Dazu kam noch, dass er in seiner Jugend, so lange er mit geistlicher Ware handelte, von der Religion verächtlich denken lernte. Musste er doch, um seine Waren gut anzubringen, diesen gar vielerlei Wunderkräfte andichten, die er bei seinem guten natürlichen Verstand selbst nicht glaubte, sondern die Leute innerlich verspottete, die seinen Lügen Vertrauen schenkten.

So war also Hans in einem recht bedauerlichen Zustand, denn es fehlten ihm die Trostgründe der Religion, die ihn hätten aufrichten und beruhigen können.

Dies wurde nun anders; das bisher Versäumte wurde – wenn auch spät – nachgeholt.

Zunächst war es der Ratsverwandte Kürner in Sulz, der Hans’ erstem Verhör als Urkundsperson beigewohnt und in zeitweiser Abwesenheit des Oberamtmannes mit sanftem Ernst ermahnt hatte, die Wahrheit gewissenhaft zu sagen. Obwohl Hans diese Erinnerungen mit Trotz und roher Gleichgültigkeit hinnahm, so dachte er ihrer doch bald wieder in seinem Gefängnis, als aufs Neue ihn Todesschrecken beunruhigten. Er sprach den Wunsch aus, dass dieser Mann ihn besuchen möchte. Kürner tat es mit Freuden.

Hans sagte ihm nun, bald habe er Hoffnung, mit dem Leben davonzukommen, bald stelle er sich wieder die Todesstrafe vor, was ihm stets eine fürchterliche Angst bereite. Hierauf entgegnete ihm Kürner, seine Hoffnung sei allerdings unsicher, und das Leben könne ihm nur durch die Gnade Gottes und der Obrigkeit geschenkt werden, wenn man an das Unrecht denke, das er durch so viele Freveltaten begangen habe. Kürner machte ihn auch auf die Ewigkeit, auf Gottes Gerechtigkeit, auf Lohn und Strafe nach dem Tod bekannt, wodurch Hans in ungeheure Bestürzung geriet und kein Wort mehr reden konnte.

Kürner lenkte wieder ein und sagte, Gott habe dem Menschen einen Erlöser geschenkt, und es könne also auch ihm noch geholfen werden. Er las ihm das 15. Kapitel des Lukasevangelium vor, welches von dem verlorenen Sohn handelt, sowie einige Lieder, in welchen von der Gnade Gottes gegen reuige Sünder die Rede war, und verließ ihn hierauf mit der freundlichen Ermahnung zur Besserung.

Diese Unterredung hatte auf Hans einen tiefen Eindruck gemacht. Als er wieder allein war, vergoss er bittere Tränen. Er nahm das Abendessen nicht an und verbrachte die Nacht schlaflos und in der größten Unruhe.

Am folgenden Morgen wurde er zum Verhör abgeholt und fand da den Pfarrer von Marschalkenzimmern, welcher den berüchtigten Gefangenen zu sehen wünschte. Bei diesem Geistlichen hatte Hans einmal einbrechen wollen, führte aber sein Vorhaben nicht aus. Dies musste er nun ausführlich erzählen, worauf jener ihm einige Erinnerungen mit liebevollem Ernst gab. Auf Hans’ Bitte besuchte ihn derselbe später in jeder Woche und blieb immer einige Stunden bei ihm, da ihm die Besuche nun amtlich aufgegeben waren. Durch seine liebevolle Unterhaltung brachte dieser würdige Geistliche den Gefangenen bald dahin, dass dieser sich nun fest vornahm, alles einzugestehen, also auch diejenigen Verbrechen, die bisher noch nicht bekannt waren und die vielleicht immer verborgen geblieben wären. Denn, sagte der Pfarrer zu ihm, nicht nur Gott, sondern auch der Obrigkeit müsse er alles bekennen, wenn er Gnade vor Gott finden wolle. Als Hans allein war, sagte er zu sich selbst: Lieber will ich alle meine Freveltaten bekennen und die schwerste Strafe erleiden, als meine Seele ewig unglücklich machen.

Am Ende nahm er eine sorgfältige Selbstprüfung vor und stellte sich seine Einbrüche und Diebstähle, seine Unmäßigkeit, sein Fluchen und Spielen, seinen Zorn und seine Gewalttätigkeiten vor die Seele. Reue und nie empfundene Bekümmernisse zerrissen sein Herz. Viele Nächte brachte er schlaflos unter Gebet und heißen Tränen zu, denn der Gedanke, Gott könne und werde ihn nicht retten, ließ ihm keine Ruhe.

Im nächsten Verhör gab er nun auf das Genaueste alle seine Verbrechen an und fühlte sich dadurch sehr erleichtert. Er machte alles Gestohlene namhaft, bestimmte den Wert desselben und nannte auch die Namen derjenigen, welche ihm die Beute abgekauft hatten.

Hans hatte ein vorzügliches Gedächtnis, und dies machte ihm die genauen Angaben der vielen Einbrüche und Diebstähle möglich. Man bedenke: Innerhalb vier Jahren beging er 136 nächtliche Einbrüche und wenigstens 300 Tagdiebstähle und kleinere Entwendungen, die meisten derselben aber fielen in die zwei letzten Jahre. Der ganze Raub, den Hans teils allein, teils in Gesellschaft mit anderen Gaunern gemacht hatte, beläuft sich auf wenigstens 6000 Gulden, wovon etwa die Hälfte auf seinen Anteil zu rechnen ist.

Um seine Tätigkeit während seines Gaunerlebens ganz zu kennen, muss noch bemerkt werden, dass ihm mehrere hundert Einbrüche misslungen sind, und dass er oft in einer Nacht vier bis fünf vergebliche Versuche gemacht hat.