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Der Welt-Detektiv Band 6

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Deutsche Märchen und Sagen 62

Johannes Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

64. Die weiße Frau in Soest

In Soest lebte ein Bürger, mit Namen Henricus Gemma, und der hielt eine Schenke, die jedoch in einiger Entfernung von seinem Wohnhaus lag. Eines Abends kehrte er spät zurück, das aus dem Wein gelöste Geld in seiner Tasche. Auf dem Weg fand er eine Frau in weißem Gewand.

Die zog ihn, als er an ihr vorbeikam, beim Rock und sprach zu ihm: »O Freund, wie lange habe ich hier schon deiner geharrt! Nun komm auch mit mir und gib mir deine Gunst.«

Darauf antwortete der Wirt: »Ich habe nichts mit dir zu schaffen und will nichts von dir wissen, sondern will geradenwegs zu meiner Frau nach Haus.« Mit diesen Worten riss er ihr seinen Rock aus der Hand.

Da er auf ihr inständigeres Bitten noch immer ihr nicht folgen wollte, fasste sie ihn endlich mit kräftigen Armen und flog mit ihm durch die Luft über das Sankt Patrokli Kloster weg bis auf eine Wiese außerhalb der Stadt, wo sie ihn niederlegte. Nach langer Zeit erst erwachte er aus einer schweren Ohnmacht, in die der Schrecken ihn geworfen hatte, erhob sich und ging nach Hause zurück, wo ihn die seinen zu Bett brachten.

Noch drei Nächte nachher kam die weiße Frau und klopfte an dem Haus, aber Herr Heinrich rief: »Lasst sie nur klopfen, sie kommt und klopft meinetwegen.«

Der Mann überlebte krank und schwach kaum noch ein Jahr; dann starb er.