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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 18

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Die Harburg

Nahe bei Wernigerode liegt eine Bergkuppe, welche der Zwölfmorgen genannt wird. An sie lehnt sich ein anderer, kegelförmiger Berg an, auf dessen wenig umfangreichem Scheitel einst die Harburg thronte.

Diese Burg bestand nach der ältesten Bauart solcher Ritterburgen nur aus einem mächtigen Turm. Kein Wunder, dass sich dem letzten Besitzer derselben, der eine große Familie hatte, der Mangel an Raum sehr fühlbar machte. Gern hätte er sein Stammschloss vergrößert, aber der Berg bot zu wenig Platz. Sich auf einer anderen Höhe anzusiedeln, das hätte unendliche Schwierigkeiten und große Kosten verursacht.

Eines Abends saß der Ritter mit seiner Gemahlin auf dem Söller. Als sie auf den gegenüberliegenden Berg blickten, auf welchem sich noch heute das Schloss Wernigerode erhebt, sprach der Schlossherr: »Wenn doch dort drüben unsere Burg stände, da hätten wir Raum genug und könnten sie erweitern.«

Die Burgfrau stimmte dem Gatten bei, denn auch sie sehnte sich längst hinaus aus diesen engen Mauern.

Als sie des Abends am Fenster ihres Schlafgemaches stand, sinnend noch in die Ferne schaute und mit Bedauern daran dachte, wie es doch unmöglich sei, ihren und ihres Gemahls Wunsch erfüllt zu sehen. Da stand plötzlich ein kleines, graues Männchen vor ihr, das der Edelfrau längst als guter Burggeist bekannt war.

»Ihr seid traurig, gute Frau«, hob der Kleine zu sprechen an, »kann ich Euch helfen? Ich weihe Euch allezeit gern meine Dienste. Sagt, was Ihr begehrt.«

Die Burgfrau erzählte dem Zwerg, welches ihr inniger Wunsch sei.

Aber als dieser ihr Begehren vernahm, machte er ein sehr trauriges Gesicht end entgegnete vorwurfsvoll: »So lange hat Euer Geschlecht glücklich und sorglos in diesen Mauern gewohnt, alle Eure Vorfahren fühlten sich wohl in der Burg, und Ihr wollt sie verlassen? Ja, so undankbar sind die Menschen und niemand ist zufrieden.«

Kopfschüttelnd verließ der Kleine das Gemach. Die Burgfrau legte sich nieder, wurde aber durch lebhafte Träume arg gequält. Wie von unsichtbaren Mächten fühlte sie sich durch die Luft getragen und deutlich klangen die Worte Rutsche fort! an ihr Ohr. Als sie sich aber am Morgen nach kurzem, unruhigem Schlummer erhob und ans Fenster trat, da wusste sie kaum, wie ihr geschehen war, und rieb sich verwundert die Augen, weil sie noch immer ein Trugbild zu sehen glaubte. Unmittelbar unter ihrer Burg erhob sich Wernigerode, und der Berg, welcher ihr Stammschloss, die Harburg, getragen hatte, lag ihrem jetzigen Schloss gerade gegenüber. Der Zwerg hatte die alte Burg mithilfe seines Völkchens über Nacht an diesen Ort gebracht. Dankbar empfanden alle Bewohner der kleinen Harburg diese Veränderung. Den Ritter sowie seine Gemahlin trieb es, dem guten Burggeist innig für seine Güte zu danken. Doch umsonst suchten und riefen sie den Kleinen. Er hasste die Veränderung und war an dem alten Ort zurückgeblieben.

Auf dem Zwölfmorgen wachsen gelbe Glockenblumen, auch Pfingstrosen genannt, von denen man erzählt, dass sie ein Vermächtnis aus alter Zeit seien, in der hier ein Lustgarten gewesen war, der zu der Harburg gehört habe. Zwerge hat man häufig um eine Eiche tanzen sehen, die nun leider gefällt ist. Auch haben sie in den Zweigen anderer Bäume, die auf der Harburg standen, gesessen und lustig gesungen. Im Berg aber sollen Schätze liegen, die von den Zwergen bewacht wurden. Als man nun das kleine Volk einst seines Gutes berauben wollte und dasselbe sich heftig zur Wehr setzte, war es von den Räubern erschlagen worden bis auf das letzte Männlein. Von den Schätzen aber hat nur eine Frau einmal etwas zu sehen bekommen. Sie hatte dort in der Nähe Gras gemäht und war dann vor Müdigkeit eingeschlafen. Erst nach geraumer Zeit wachte sie auf. Da sah sie denn, dass das geschnittene Gras ganz gelb geworden war. Zu gleicher Zeit aber hatte sich der Berg aufgetan. Den erstaunten Blicken der Frau zeigten sich mehrere große Tonnen, die bis zum Rand mit blinkendem Gold gefüllt waren. Schnell lief die Erstaunte nach Wernigerode, um Hilfe zu holen, damit sie die vielen Schätze fortbringen könne. Doch als sie mit anderen Leuten zurückkehrte, war das Gras wieder grün und der Berg hatte sich geschlossen. Sie aber wurde arg gescholten und für eine Lügnerin gehalten.