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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 38

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Achtunddreißigstes Kapitel

Der Durchsuchungsbefehl wird in vollster Ausdehnung gehandhabt, liefert kein befriedigendes Resultat für die am meisten dabei beteiligten Gentlemen. Gefährliche Symptome von Meuterei und einige Reden.

Als die Visitatoren, von Morgan und Allen, welche die Ordalie bereits erstanden hatten, begleitet, an die Subalternen und den gemeinen Mann kamen, ergab sich eine Szene großer Heiterkeit, welche unser Held durch derbe Späße sehr erhöhte. Auch verbeugte er sich tief und stattete im Namen der Armee jedem Schelm, der sich eine reichliche Hilfe zugelegt hatte, seinen Dank ab. Die Körbe füllten sich schnell und die Soldaten jubelten bei jeder frischen Handvoll Gold und Edelsteinen, welche aus dem Dunkel und manchen seltsamen Plätzen ans Licht gefördert wurden. Diese ganze Gentry, welche nicht viel mit Hemden belästigt war, wurde in naturalibus visitiert und lieferte eine treffliche Ernte.

Die Gefangenen in den Barken und Kanus, welche all dies aus der Entfernung mit ansahen, konnten kaum zurückgehalten werden, sich der scheinbaren Festlichkeit anzuschließen, in welcher das Gelächter so allgemein war und die Gesellschaft im Stand fast völliger Nacktheit so possierliche Sprünge machte.

Endlich war die Personendurchsuchung abgetan, aber die Soldaten wurden nicht aus ihren Reihen entlassen, bis man all ihr Gepäck völlig durchstöbert hatte. Zuletzt zog man auch noch die Ladungen aus den Pistolen und Musketen, damit die Eigentümer der Letzteren nicht etwa Brillanten oder sonstige kostbare Steine in den Läufen mit forttrügen.

Nur ein Mann, wie Morgan, konnte eine so kühne Maßregel erfolgreich durchführen, obwohl auch er die größte Gefahr dabei lief. Die Sache ging übrigens vortrefflich vonstatten. Als die Soldaten entlassen wurden, sammelten sie sich in mehr oder minder missvergnügte Gruppen. Der Vorgang wurde in allen nur erdenklichen Stimmungen besprochen. Wenigstens die eine Hälfte ließ eine ziemlich meuterische Gesinnung blicken. Namentlich zeigten sich die Franzosen, welche einen bedeutenden Teil des Heeres bildeten, sehr geräuschvoll und würden, wenn sie weitere Teilnehmer gefunden hätten, ohne Weiteres Morgan ergriffen und der Sache eine höchst unangenehme Wendung gegeben haben. Indessen kam man zuletzt überein, die Teilung der Beute, welche zu Chagre stattfinden sollte, abzuwarten und dann die geeigneten Maßregeln zu treffen.

Endlich zog Morgan und seine siegreiche Armee mit dem Pomp eines erfolgreichen Krieges zu Chagre ein. Die Freude war auf beiden Seiten groß, denn die neuen Ankömmlinge hatten nun eine Aussicht vor sich, nach ihren schweren Mühen und Entbehrungen eine Zeit lang auszuruhen, während die mit Bewachung des Forts beauftragte Garnison wieder etwas Menschliches essen zu dürfen hoffte; denn sie hatte seit vielen Wochen nur von Mais gelebt, weil sie verschwenderisch das ganze Land verheert und in schlemmerischem Übermaß während wenigen Wochen aufgebraucht hatte, was mit nur gewöhnlicher Vorsicht Monate lang sie gemächlich hätte ernähren können. Alle Teile aber vereinigten sich in dem wonnigen Vorgenuss einer baldigen Teilung der großen Beute.

Bei dieser Gelegenheit führte Morgan einen Meisterzug aus. Er begann die Operationen durch Gelage, zu welchen er nicht nur die Offiziere, sondern auch die Einflussreichsten unter den Gemeinen einlud. An seiner Tafel und im vertraulichen Gespräch suchte er allmählich ihre hohe Erwartung herabzustimmen. Während er so auf der einen Seite um Popularität buhlte, erkünstelte er auf der anderen mehr als gewöhnlichen militärischen Prunk, indem er zugleich seine Leute stets daran erinnerte, sie seien Mitglieder einer regelmäßig bestellten Armee und die Untertanen Seiner allergnädigsten Majestät, Carls II. Er tat dergleichen, als zeichne er die besonderen Dienstleistungen jedes Einzelnen auf, um ihrer in England lobende Erwähnung tun zu können. Im ganzen Heer war kaum ein Mann, der sich nicht mit Beförderungshoffnungen irgendeiner Art getragen hätte.

Die wichtige Angelegenheit der Teilung konnte jedoch nicht lange verzögert werden. Der Gesamtbetrag der Beute wurde zu viermal 143.200 Pfund Sterling angeschlagen – eine Summe, deren Geringfügigkeit alle die Aussichten auf reichliche Dividenden in die größte Bestürzung umwandelte. Der Schlechteste im Heer hatte mindestens einen Anteil von achthundert bis tausend Pfund erwartet, und die Übrigen maßen ihre Aussichten in demselben Verhältnis ab. Mit Ausnahme dessen, was die denkwürdige Untersuchung zu Barbacoa abwarf, kamen nur sehr wenige Juwelen zum Vorschein. All diese wurden hauptsächlich von Morgan selbst um den zehnten Teil ihres Marktwerts angekauft. Wünschte sich jemand einen prächtigen Schmuck anzueignen, so wusste es unser Held einzuleiten, dass ein zurückschreckender Preis darauf gesetzt wurde. So sah sich denn alles außer ihm und seiner Junta vom Markt verdrängt.

Endlich wurde die Teilung vorgenommen, und nichts als die starke Hand der Gewalt und die trügerische Vorstellung einer weiteren Dividende war imstande, einem offenen Meutereiausbruch Einhalt zu tun. Mit Ausnahme von Morgans besonderen Freunden waren alle darüber einig, dass bei der Teilung die größte Schurkerei stattgefunden habe. Und die Getäuschten ließen in ihrer Wut die schrecklichsten Drohungen laut werden. Das Wenigste, was geschehen konnte, bestand in Gefangennahme des Generals, den man zu Herausgabe seines schändlich errungenen Reichtums zwingen wollte, während die große Mehrzahl der Unzufriedenen ihn ohne Weiteres vor den Kopf schlagen und so die Sache mit einem Mal bereinigen wollte. Diejenigen, welche bloß ein vergleichendes Inventar der ihm übergebenen Schätze verlangten, wurden als hasenherzige Schreier betrachtet.

Während die Unzufriedenen sich mit den edelsten und großartigsten Entschließungen trugen, ohne auch nur das Geringste davon zur Ausführung zu bringen, traf Morgan schnell und in aller Stille seine Maßregeln. Die Missvergnügten blieben einander nicht getreu. So erhielt er Kunde von allem, was in ihren geheimsten Versammlungen stattfand. Er versprach noch immer weitere Anteile, versuchte durch alle Künste der Schmeichelei Zeit zu gewinnen oder brachte diejenigen, welche sich durch Worte nicht beschwichtigen lassen wollten, durch die Gewalt seines militärischen Ansehens zum Schweigen; aber stets kamen sie wieder auf das alte Lied zurück – auf die große Beute, die sie gemacht hatten. Morgan antwortete ihnen unaufhörlich mit denselben Worten: »Wartet, bis die Rechnungen geschlossen sind, und seht dann, was Ihr erhalten werdet!«

Inzwischen verproviantierte der General die meisten seiner Schiffe und schickte seine nicht ausgelösten Gefangenen zur Insel St. Catharina oder Providence, wie sie von den Engländern genannt wurde. Einige davon sandte er jedoch als Gesandte nach Carthagena oder Portobello, um mit den spanischen Behörden wegen eines Lösegeldes für die Stadt und das Fort Chagre zu unterhandeln. Aber er hatte das Land so arm gemacht, dass man entweder nicht geneigt oder nicht imstande war, ihm auch nur einen einzigen Piaster zu bieten.

Es fand nun ein kleiner Vorfall statt, welcher zeigte, dass Morgans Herz nicht ganz von der Erwägung der sichersten Mittel, seine Mitabenteurer zu betrügen, in Anspruch genommen war. Er hatte nämlich Befehl erteilt, die Zerstörung der Kathedrale, in deren Schiff er die Überreste seines Freundes Owen beigesetzt hatte, zuletzt vorzunehmen. Um Mitternacht ließ er unter Kundgebungen seines Schmerzes und der tiefsten Achtung Bradleys Grab öffnen und legte den Dolch, welchen er von dem Sterbenden erhalten hatte, in dessen Sarg.

Über die Beweggründe, welche Morgan zu dieser Rückerstattung veranlassten, lässt sich nur schwer eine Vermutung aufstellen. Vielleicht lasteten seine Verbrechen schwer auf seiner Seele – möglich auch, dass er später andere und neue Lynias zu finden erwartete oder der Rückkehr der alten entgegensah. So viel ist gewiss, dass er zu diesem Benehmen durch den gröbsten Aberglauben bewogen wurde. Er beaufsichtigte selbst die Zerstörung der Kirche und ließ dieselbe so wirksam vernehmen, dass sie, obwohl man nicht sagen könnte, es sei kein Stein mehr auf den anderen geblieben, doch zu einem völligen Trümmerhaufen wurde, welcher, wenn ich mich des Ausdruckes bedienen darf, so kompakt und fest aufgebaut dastand, dass es mehr Mühe und Aufwand gekostet haben würde, ihn abzutragen, als wenn man die Kirche neu hätte errichten wollen. So war denn für den Freund ein dauerndes Mausoleum hergestellt. Der Platz ist seitdem unangerührt geblieben und wird noch heutigen Tages als ein Denkmal gezeigt, wie schonungslos die alten Bukanier im Zerstörungswerk waren. Dort modern die Überreste des wälischen Harfnersohnes, welcher tapfer die Stelle erobert hatte, die ihm ein Grab bot.

Die Klemme, in welche sich Morgan durch seinen Geiz und seine Habsucht versetzt hatte, wurde mit jedem Tag bedenklicher und gefährlicher. Diejenigen, welche dem General freundlich zugetan waren, hatten sich meist an Bord ihrer Schiffe zurückgezogen. Auf dem Land befanden sich lauter Unzufriedene. Morgans Lager hatte einen großen Anhang, welcher nachgezogen war, um sich die Torheit der Abenteurer zunutze zu machen. Noch immer zögerte die Flotte und Morgan sah sich Tag für Tag unausgesetzt genötigt, Deputationen zu empfangen, welche nicht immer in der achtungsvollsten Sprache Vorstellungen machten, auf eine neue Durchsuchung der Mannschaft und der Schiffe drangen und eine abermalige Verteilung der Beute forderten.

Die französischen Abenteurer, welchen sich die meisten Nichtengländer im Heer angeschlossen hatten, waren nun zu einer bestimmten und entschieden feindlichen Partei zusammengetreten, von der man stündlich einen ernstlichen Schlag erwartete. Morgan verdoppelte nun seine Leibwache und ließ sich nie anders als im Geleit seiner wohl bewaffneten Parteigänger öffentlich blicken.

Am Abend des 11. März versammelten sich die Abgeordneten der Unzufriedenen an Bord des französischen Schiffes la Dedaigneuse, dessen Kapitän Jacques Pélaton den Vorsitz führte. Das Meeting wurde mit einem gebührenden Grad von Mäßigung und Förmlichkeit eröffnet. Indessen wandelte das leidenschaftliche Ungestüm der Sprecher die Verhandlung bald zu einer Szene des Tumults und der Verwirrung um.

Statt zu beraten, fluchten sie, und statt Abhilfe und Maßregeln vorzuschlagen, stießen sie bloß Rachegelübde aus.

»Aber was ist zu tun?«, rief Jacques Pélaton in einem fort. »Meine Freunde! Lasst uns zur Sache kommen!«

»Ich habe dem Spitzbuben ein Kruzifix übergeben, das seine Tausend Piaster wert war«, rief der eine. »Was ist daraus geworden?«

»Und die diamantene Agraffe, welche bei der Visitation von Barbacoa aus den Futter von Jean Trousseaus Jacke getrennt wurde – wo ist sie?«

»Der treulose Schurke gedenkt, seiner schönen Frau ein Geschenk damit zu machen«, meinte ein Dritter.

»Ich kann diesen abscheulichen, barbarischen welschen Namen nie aussprechen, ohne dass mich ein Entsetzensschauder anwandelte«, sagte ein Vierter.

Viele wunderten sich, wie sie imstande sein würden, mit einer so erbärmlichen Summe, die kaum für drei Tage Schlemmerei reiche, ihre Gläubiger, die Kneipenwirte und Frauenzimmer zu befriedigen. Alle waren in Verzweiflung und von wildem Wahnsinn erfüllt. Man muss dabei bedenken, dass dieses Meeting nur aus Offizieren bestand – wie ungestüm mussten sich nicht erst die rohen Leidenschaften bei den weit geringer belohnten Gemeinen entfaltet haben?

Ein einziger Mann, der etwas vernünftiger dachte als die Übrigen, erhob sich mit den Worten, dass es zu einem regelmäßigen Verfahren nötig sei, für die Unterschlagung des Admirals Beweise beizubringen. Bei dem Wort Beweis erhob sich jedoch ein donnernder Tumult. »Beweise? Beweise!«, hallte es in jedem möglichen Ton der Verachtung, des Zornes und der Verwunderung aus allen Ecken des Schiffes wieder. Der Sucher nach Beweisen hätte seine Vermessenheit fast mit dem Leben bezahlt.

Endlich wusste sich ein Wundarzt, ein Mann von einiger Fähigkeit, der in Anbetracht der Umstände viel Mäßigung verriet, Gehör zu verschaffen und redete seine zürnenden Kameraden folgendermaßen an: »Brüder, ich bin selbst auch aus dem Grunde meines Herzens ein Franzose, wie Ihr, und betrogen und betört worden von diesem Engländer, dem wir mit unsäglichen Gefahren, Mühen, Wunden, Gesundheitsverlust und durch den Tod vieler unserer teuren Gefährten zu glänzenden Schätzen verholfen haben. Ja, wir sind so schwach, so erbärmlich schwach gewesen, dies zu tun. Urteilt also daraus, ob ich ihn nicht aus so vollem Herzen hasse, wie der erbittertste Hasser unter Euch. Aber um einen Erfolg zu erzielen, dürfen wir nichts übereilen«, fuhr er fort. »Es hat jemand verlangt, man solle für die Treulosigkeit dieser schlechten Menschen Beweise beibringen. In Erwiderung darauf können wir fragen: Wo ist die Beute, welche uns die reichste Stadt auf der ganzen Erde geliefert hat? Wo ist das Lösegeld von Tausenden sehr bemittelter Gefangenen? Wo ist der Ertrag so vieler Schiffe, die im Atlantischen und Stillen Weltmeer genommen wurden? Umgeben von seinen bewaffneten Garden und seinen Parteigängern wird euch Morgan damit antworten, dass er euch Verzeichnisse und Bilanzen vorlegt, die er selbst in Gemeinschaft mit denjenigen, welche an seinem ungeheuren Raub teilnahmen, ausgeworfen hat. Er wird uns in Betreff einer weiteren Dividende auf unsere Ankunft in Jamaika verweisen und uns, wenn wir uns nicht damit zufriedengeben, dem Profos und dem Galgen überantworten. Wir haben dann die Ehre, gesetzlich gehängt zu werden, weil wir alle unter Bestallungen dienen, welche von dem englischen König verliehen sind.«

»Le scélerat! Le perfide! Nieder mit der englischen Flagge! Das schwarze Banner für immer! Vive le pavillon noir!«, riefen alle in Erwiderung dieser aufregenden Anrede. Nachdem die Ordnung ein wenig hergestellt war, nahm der Wundarzt wieder auf: »Ihr seht, Brüder, welche Art von Beweisen Ihr erhalten werdet, wenn Ihr sie unmittelbar fordert. Ich will Euch andere geben, die weit überzeugender sind. Ihr alle müsst bemerkt haben, wie unruhig der General stets erschien, nachdem die Expedition so vollständig gelungen war. Wir sahen nicht länger den heiteren, scherzenden, populären Führer, welcher unsere Herzen gewonnen hatte, als so endlose Mühen und Gefahren vor uns lagen. Warum war er so melancholisch und zurückhaltend? Was hatte dieser Mann noch zu wünschen? Er wurde wie ein Fürst bedient, lebte und wohnte wie ein Kaiser. Weiber und Wein standen ihm nach Herzensgelüsten zu Gebote. Mit der Leckerhaftigkeit eines Epikureers eignete er sich ein ganzes Nonnenkloster zu. Nicht zufrieden mit diesem Harem, der sogar dem Großtürken genügt haben würde, schwelgte er in den Reizen jenes Wunders von Schönheit, der Donna Guzman, und in denen ihrer kaum weniger schönen Tochter.«

Seufzer und boshafte Scherzreden, mit wilden Verwünschungen untermengt, ließen sich nun von allen Seiten hören.

»Aber ungeachtet aller dieser Beigaben des Glücks schien doch Morgan der armseligste Tropf in der Armee zu sein. Warum – warum dies? Er trug sich mit Anschlägen, uns zu berauben und zu täuschen. Der bisschen Überrest von Gewissen beunruhigte ihn noch. Habt Ihr nicht bemerkt, wie angelegentlich stets er mit einigen seiner Vertrauten flüsterte und wie abgemessen und zurückhaltend er plötzlich gegen uns alle wurde, die er vor dem Sieg stets als Kameraden zu begrüßen pflegte? Ist es Euch entgangen, dass ihn jede Erwähnung des Wortes Beute in üble Laune versetzte und eine ganze Salve gemeiner englischer Flüche zur Folge hatte? Erwägt all diese Dinge wohl, Kameraden, und denkt nur an jene Durchsuchungsposse. Mögen alle, welche sie anzettelten, ewig dafür im Fegfeuer brennen, denn ich verlor dadurch mehr als tausend Pfund.«

»Und ich zweimal so viel!«

»Und ich fünfhundert!«

Mit diesen und ähnlichen Ausrufen ging es eine Weile fort, bis endlich der Sprecher wieder zum Wort kommen konnte.

»Habt Ihr nicht bemerkt, dass bei derselben Untersuchung der Kapitän Wills, der ehrliche Kapitän Wills – verdammt sei eine solche Ehrlichkeit – und er zusammen flüsterten. Sie machten sich über uns lustig, meine Freunde, sie verhöhnten uns, beschimpften uns! Sollen wir keine Genugtuung erhalten, sollen wir ungerächt bleiben?«

Die Aufregung der Zuhörer steigerte sich bis zum Wahnsinn, denn der Beredsamkeit des Doktors hatte das Eau de vie bedeutenden Vorschub getan. Sie zogen ihre Säbel, schlugen gegen die Balken der Kajüte, wünschten sich, dass es englische Köpfe wären, und führten gewaltige Stöße und Hiebe nach den Regeln der Wissenschaft in die leere Luft, stets dabei ausrufend: »Meurs, assasine – meurs, scelerat – meurs, chien de trâitre – meurs, détestable Morgan!«

»Still, meine Freunde – still noch für eine kleine Weile«, nahm der Doktor wieder auf. »All diese Dinge geben im Grunde doch weiter nichts als Anlass zu Verdacht. Hört mich noch weiter an. Eines Tages ließ er, weil er seinen englischen Ärzten nicht traute, mich rufen, um die Wunden eines seiner Hauptvertrauten zu verbinden. Während ich emsig meinem Beruf oblag, sagte der Verräter zu dem Patienten in englischer Sprache, weil er meinte, dass ich sie nicht verstehe: ›Blicke auf, mein Freund! Fasse Mut und sei getrost. Du hast mir zum Sieg geholfen. Mache, dass du wieder gesund wirst, und du kannst mir helfen, von diesem Sieg Vorteil zu ziehen.‹ Meine Freunde, will dies, nachdem es der Erfolg so jammervoll bestätigt hat, in unserer guten Muttersprache nicht so viel heißen, wie: Du hast mir geholfen, viele Beute zu machen, und musst mir nun auch beistehen, sie fortzuschaffen.«

»Ja, ja, diese Beweise sind so klar, wie der Tag«, lautete die einmütige Antwort.

»Doch dies ist noch nicht alles«, fuhr der Sprecher fort. »Ihr wisst, dass sich Morgan mit vielem Prunk umgab, und selbst, als so viele von uns armen Teufeln zu Fuß von Cruz nach Chagre traben mussten, lag die Lustbarke unseres vornehmen Herrn Kommandeurs müßig und unbeschäftigt auf dem Fluss – ja, er ließ sie vollkommen leer zur Flotte heruntertauen.«

»Pfui, pfui – pfui der Schande!«

»Während unsres Aufenthalts zu Cruz sah ich mich einmal nach einer medizinischen Pflanze um, die mir als ein Heilmittel sehr nötig war, und ich ging bei dieser Gelegenheit am Ufer des Flusses hin. Da bemerkte ich denn, wie Morgan ganz allein in seinem Lustboot sich niederbeugte und in einer Ecke etwas verbarg. Was es aber war, konnte ich aus der Ferne nicht unterscheiden. Sein ängstliches Wesen und der Umstand, dass er oft aufblickte, um zu sehen, ob er nicht beobachtet werde, brachte mich auf den Schluss, dass er etwas von großer Bedeutung verstecke. Als er mich endlich bemerkte, kam er sehr verwirrt auf mich zu. Eine Weile danach fragte er mich mit erkünstelter Gleichgültigkeit, was ich an einem so auffallenden Platz treibe, und ob ich schon lange da gewesen sei. Aber während er mich so anredete, entdeckte ich die Pflanze, die ich suchte, pflückte sie statt aller Antwort und reichte sie ihm hin, indem ich mich über ihre Heilkräfte ausließ. Er schien zufrieden zu sein, kam aber bald wieder auf den Gegenstand zurück und begann ein unzusammenhängendes, abschweifendes Gespräch, in welches er viele schlaue Fragen einflocht. Dabei beteuerte er mir wiederholt und nachdrücklich seine Freundschaft und erbot sich gegen mich zu allen Arten von Dienstleistungen.«

»Der Heuchler! Aber unser Wundarzt war zu scharf für ihn.«

»Nein, meine Freunde, scharf war ich nicht, nur ehrlich und geradeaus, aber dennoch verständig genug, um zu begreifen, dass der sonst so stolze und wilde General irgendeinen wichtigen Beweggrund gehabt haben musste, um sich gegen eine so bescheidene Person, wie ich bin, zu solcher Vertraulichkeit herabzulassen. Auch wurde ich noch argwöhnischer, als ich fand, dass er von seinem Pfad abging, nur um mir schmeicheln zu können. Diese Aufmerksamkeit vonseiten meines Oberbefehlshabers konnte jedoch mein Höflichkeitsgefühl nicht gestatten. Er bemerkte endlich seinen törichten Irrtum und nahm verlegener als je von mir Abschied.«

»Aber das Lustboot – das Lustboot?«

»Ohne Zweifel verbarg er darin, als wir nach Barbacoas marschierten, die auserlesensten Geschmeide, denn er war viel zu klug, um sie am Leibe mit sich zu führen, umso mehr, da er die jämmerliche Komödie der Durchsuchung im Schilde führte. Ihr wisst wohl, dass man die wertvollste Beute stets zu Morgan gebracht hat, natürlich die Kleinigkeiten ausgenommen, die wir selbst fortzuschaffen gedachten. Wo ist sie? Tausende von kostbaren Gegenständen, die ihm privatim überliefert wurden, sind in den Verzeichnissen nicht aufgeführt worden. Dies kann jedermann bezeugen. Er sagt, sie seien verlegt oder verloren gegangen. Unsinn, sie waren an irgendeinem sicheren Plätzchen in der Barke versteckt. Er ließ dieses Boot nie aus dem Blick. Niemand durfte in dasselbe treten. Als es zu Chagre anlangte, wurde es augenblicklich an Bord seines eigenen Schiffes gehievt. Dort sind nun alle unsere Schätze aufgehäuft.«

Der Bericht über das Boot gab zu manchen Betrachtungen Anlass. Es wurde bemerkt, man hätte es leicht heimlich untersuchen können, da es in der Regel unbewacht gewesen sei.

»Ja, darin lag eben seine große Schlauheit. Er wollte keinen Verdacht erregen. Aber glaubt ja nicht, Brüder, dass ich, euren und meinen eigenen Interesse, zuwider so stumpfsinnig war, um in der Sache nicht weitere Nachforschungen anzustellen. Sobald Morgan wieder zu Hause war, stahl ich mich selbst an Bord der Barke und nahm meine Sonde nebst einem Bohrer mit. Kein Winkelchen ließ ich nicht durchsucht. Zwischen jede Planke steckte ich meine Sonde durch, keine Rippe des Fahrzeugs blieb von mir unangebohrt; aber alles vergeblich. Er hatte das Versteck allzu schlau eingerichtet. Die Hinterlist dieses Mannes ist undurchdringlich. Aber je größer seine Schlauheit ist, desto größer muss auch unsere Willenskraft und der Nachdruck unserer Handlungen sein. Wir müssen gleichfalls geheim zu Werke gehen. Ein Komitee von fünf wird zureichen, aber jeder hier Anwesende muss sich durch einen feierlichen Eid verpflichten, ohne Widerrede die ihm zugehenden Weisungen zu befolgen. Ich nehme keinen Anstand, zu bemerken, dass einige dunkle, geheime und schreckliche Taten geübt werden müssen. Wir alle, das Komitee miteingeschlossen, wollen durch das Los entscheiden, wem die Aufgabe zufallen soll. Wer mich versteht, wird reinen Mund zu halten wissen. Diejenigen, aber, bei welchen dies nicht der Fall ist, werden zur geeigneten Zeit Aufklärung finden.«

Es war übrigens niemand vorhanden, der den blutigen Vorschlag nicht verstand. Er zielte auf Meuchelmord! Die Andeutung des Wundarztes wurde durch allgemeinen Zuruf angenommen und der Eid von allen unter den überspanntesten Förmlichkeiten geleistet. Einige weinten, andere ritzten sich mit Dolchen die Venen ihrer Arme auf, mischten das Blut mit Branntwein und brachten in dem ekligen Getränk Toaste aus auf Morgans ewiges Verderben. Viele streiften ihre Kleider zurück und zeigten die Narben ihrer tiefen und unerträglichen Wunden. Alle aber gelobten Rache und dürsteten danach, zu Werkzeugen derselben erkoren zu werden. Auch einige edlere Regungen mischten sich in diesen Sturm wilder Leidenschaften, denn die narbenvollen Krieger klagten lange und wehmütig um die im Kampf erschlagenen oder vom Klima getöteten Kameraden und erzählten sich, wie edel, wie gut, wie tapfer sie gewesen waren. Und sie alle, alle waren zu Grunde gegangen, um den einzigen, ungeheuren Räuber zu mästen und zu vergrößern! Ihre Schatten wurden feierlich heraufbeschworen, um ihnen in ihrer Rache beizustehen.

Endlich zog sich der Rat der Fünf in die innere Kajüte zurück, um alle schlimmen Leidenschaften zu Erreichung ihre Wünsche zu lenken und ihrem bitteren Hass gegen Morgan und seine Vertrauten eine todbringende Gestalt zu geben.

Es war höchste Zeit, dass unser Held an den Aufbruch dachte.