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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 37

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Siebenunddreißigstes Kapitel

Die Armee langt zu Cruz an. Tücke der Pfaffen. Entdeckung derselben und Strafe. Der Abschied unseres Helden von der Dame. Morgan erlässt einen allgemeinen Durchsuchungsbefehl, welchem er selbst auch Folge leistet.

Unter den fortgeführten Gefangenen war eine, welche den allgemeinen Kleinmut nicht teilte, obwohl sie ihre Lage und die Herabwürdigung der Landsleute ihres Gatten tief empfand. Donna Lynia fühlte für Morgan und meinte, mit ihm zu fühlen. Nie hielt sie ihn einer Täuschung fähig. Sie verglich ihn nicht mit einem Inbegriff der Tugend, sondern mit denjenigen, in deren Gemeinschaft er handelte, mit seiner Umgebung, und glaubte, ein gottartiges Wesen in ihm zu sehen. So lange sie in ihm die edelste Verkörperung eines glorreichen Sieges sehen konnte, wirkten die Beschwernisse des Weges nicht überwältigend auf sie.

Morgan ritt stolz und wohlgemut in einem prachtvollen Anzug auf seinem herrlichen Ross weiter, sein blanker Stahlharnisch spielte lustig mit den Sonnenstrahlen, welche die unglücklichen Wanderer fast in die Erde drückten. Sein Gefolge konnte selbst in jenen Tagen des militärischen Prunkes prachtvoll genannt werden, denn er hatte eine Abteilung von zwanzig Reitern vor sich, welche seine Leibgarde bildeten und die einzige Kavallerie seiner Armee waren. Diese Reiter hatten erst während des Aufenthalts in Panama ihre Pferde erhalten und wurden natürlich, sobald sie in Chagre anlangten, wieder in Matrosen umgewandelt.

Die militärischen Obliegenheiten schienen nun unseren Helden ganz in Anspruch zu nehmen, denn er zügelte sein Ross nicht ein einziges Mal, um seiner Geliebten Trost zuzusprechen. Ja, er ließ sie nicht einmal fragen, ob er nicht ihr oder ihrer Tochter den Weg erleichtern könne. Sein Aberglaube hatte seine Leidenschaft überwunden, und er nannte den schmählichen Sieg Heldenmut.

Um Sonnenuntergang ließ Morgan seine Armee in Mitte einer schönen Savanna, durch welche sich ein Bach mit dem süßesten und erfrischendsten Wasser schlängelte, Lager schlagen. Die Gefangenen, Männer, Frauen und Kinder, eilten zum Rand des Wassers, beugten sich nieder und leckten gleich dem Vieh den Strom mit ihren Zungen; so wahnsinnig hatte sie der glühende Durst des Tagmarsches gemacht. Die Truppen schlugen entweder Hütten auf oder schliefen unter Leinwand; die Gefangenen aber hatten kein anderes Gewölbe über sich als das Firmament und mussten auf dem bloßen Boden die Nacht zubringen, nur vom Tau derselben bedeckt. Einige der edelsten Frauen, unter denen sich Lynia und ihre Tochter befanden, wurden mit Zelten versorgt; aber Morgan machte ihnen keinen Besuch und ließ nicht einmal nach ihnen fragen. Die Donna fand für all dies einer Entschuldigung und rechnete ihm sogar die Hochherzigkeit seiner Nachsicht als Tugend an. Morgan dagegen hielt sich mit seinen Obristen und Kapitänen für den Verlust weiblicher Gesellschaft dadurch schadlos, dass er den Abend sehr lustig verbrachte und sich darauf einer guten Nachtruhe erfreute.

Mit der Sonne des nächsten Tages wurde der traurige Marsch wieder aufgenommen. Die Gefangenen fühlten die Erschöpfung und Hitze weit mehr als tags zuvor und gegen Mittag mussten mehrere ohnmächtige Frauen für tot liegen gelassen werden. Man hörte nichts als Stöhnen und Wehklagen; vergeblich schmetterten die Trompeten und wirbelten die Trommeln, um das herzzerreißende Geschrei zu übertönen. Nur die jungen und kräftigen Gefangenen waren imstande, mit dem Marsch gleichen Schritt zu halten, während die Schwächeren mit Schlägen und durch Speerspitzen vorwärtsgetrieben werden mussten.

Dennoch gab es unter den Bukanier viele barmherzige Seelen. Die Kinder wurden wie vorher getragen, und den Schönen unter den Frauen fehlte es nie an dem unterstützendem Arm eines tapferen Freibeuters. Im Ganzen aber wurden die Gefangenen mit schrecklicher und unnachsichtiger Grausamkeit vorwärtsgetrieben und den Unglücklichen viele nutzlose Leiden bereitet.

Wo waren die Spanier? Wo die Männer, deren Frauen und Kinder so schonungslos fortgestoßen wurden von einer so geringen Anzahl beutebeladener Feinde? In den gefährlichen Pässen, die wir bei Gelegenheit des Vorrückens der Bukanier geschildert haben und die kaum einem einzigen Maulesel oder drei nebeneinander marschierende Soldaten durchließen, in diesen dunkeln, meilenlangen Engpässen, wo jeder Baum einen Feind verbergen, jeder Fels, jede Höhle, einen Hinterhalt abgeben konnte, ließ sich auch nicht sein einziger spanischer Musketier blicken, um sicher sein verhängnisvolles Ziel zu nehmen, ja nicht einmal der Pfeil eines schnellfüßigen Indianers sauste unter die im Rückzug befindlichen Desperados. Endlich erreichte die ganze Masse wohlbehalten die wichtige Stadt Cruz, von wo aus man die Verbindung mit der Flotte zu Wasser herstellen konnte. Die Vorratshäuser und Magazine des Königs von Spanien wurden nun sehr bequem erfunden. Man lud die Maulesel ab und brachte die Beute unter Dach, während die Kähne und Boote für den Transport der ganzen Expedition zugerüstet wurden. Auch sollten hier die noch ausstehenden Lösegelder entrichtet und die Gefangenen entweder in Freiheit gesetzt oder als Sklaven nach Jamaika überführt werden.

Die Panamaer glaubten nun, dass es Morgans Ernst sei, und begannen scharenweise nach Cruz zu kommen, um für diejenigen Gefangenen und Freunde, für welche kein Lösegeld aufgebracht werden konnte, Fürbitte einzulegen, während die Vermögenden ihre Piaster und Cruzados herbeischafften. Die Bitten der Ersteren übten nur wenig Wirkung auf die Bukanier, und auch in Betreff des Lösegeldes ließen sie kein Haar von der bestimmten Summe ab.

Der Platz gewann ganz den Anschein einer Messe oder vielmehr eines Sklavenmarkts und hätte denen, welche sich für dergleichen Dinge interessierten, einen guten Anlass zu Studien über die Leidenschaften geboten.

Donna Guzman, die wertvollste Prise, musste nun zuerst die bitterste Täuschung erfahren. Sie hatte zuverlässig auf ihren Schwager, den Präsidenten, und auf die übrigen Brüder ihres Gatten gebaut, denn obwohl die Auslösesumme ungeheuer war, wusste sie doch wohl, dass sie leicht und schnell herbeigeschafft werden konnte. Allerdings befürchtete sie nicht viel Schlimmes von Morgans Händen, und wäre ihre Tochter nicht gewesen, so würde sie sich vielleicht bereitwilliger in ihr Schicksal gefügt haben, als einer tugendhaften Frau zustand. Ihre Entrüstung über das Benehmen ihrer Verwandten kannte keine Grenzen. All diese Aufregungen dienten nur dazu, ihre Zuneigung zu dem Mann zu erhöhen, welchen sie so enthusiastisch bewunderte.

Während des Aufenthalts zu Cruz wurde Morgan wieder aufmerksam und warm. Die abergläubische Furcht, in welche ihn seine Wunde versetzt hatte, schien schnell vor der Schönheit und dem Zauber seiner Geliebten dahin zu schwinden.

Endlich trafen die beiden Geistlichen, welche Lynia an Don Perez Guzman und ihre Verwandten geschickt hatte, mit den kläglichsten Gesichtern und gut erkünsteltem Leidwesen ein. Sie gaben an, es sei ihnen völlig unmöglich gewesen, einen von ihren Verwandten aufzufinden, obwohl sie, wie sie sich ausdrückten, Blut und Wasser geschwitzt hätten, um ihre und ihrer Tochter Auslösung zu bewerkstelligen. Es gereiche ihnen übrigens zu einigem Trost, dass sie bei den Gläubigen mehr Glück gehabt hätten, denn der Sinn für Religion habe diese bewogen, sich die letzten Heller abzubrechen, um die nötige Summe zu Auslösung sämtlicher Mönche und Brüder beizuschaffen. Dieser übermäßige Eifer vonseiten der frommen Herde überraschte unseren Helden sehr. Sein Argwohn wurde noch mehr geweckt, weil die angeblich gesammelte Summe sich nahezu so hoch belief, wie das für Donna Lynia und ihre Tochter festgesetzte Lösegeld – nämlich auf fünfundsiebzigtausend Piaster.

Nachdem der General das Geld in Verwahrung genommen hatte, behielt er die stattliche Priesterschar noch immer bei sich, indem er scherzend bemerkte, er müsse angelegentlich wünschen, so viel Religion möglichst lange unter seinen Halunken zu bewahren, denn unter dem ganzen Haufen sei nichts weiter von diesem Artikel zu finden, als was von den geschorenen Platten repräsentiert werde. Die würdigen Freibeuter murrten zwar sehr hierüber und wünschten die fromme Geistlichkeit in den tiefsten Meeresgrund, denn die Mönche waren sehr unflätig von Person, gewaltige Esser und konnten nur durch Schläge von den weiblichen Gefangenen ferngehalten werden. Die Zahl der Priester belief sich nahezu auf siebzig. Nie hatte man wohl so wenig Ergebung und Geduld gesehen, wie unter diesem Häuflein von Menschen, welche den Grundsatz der Demut und Unterwürfigkeit unter den göttlichen Willen bekannten. Sie fassten jeden neuen Ankömmling aufs Ängstlichste ins Auge und würden gern jeden, der sich der Stadt näherte, aufgefangen haben, wenn man es ihnen gestattet hätte.

Unser Held hatte bereits seine Zögerung bis zu den äußersten Grenzen der Klugheit ausgedehnt. Der nächste Tag war bereits für den Aufbruch zu Wasser anberaumt, als auf flüchtigem Ross ein Sklave zu Cruz anlangte. Er brachte Briefe an den General und an Donna Guzman. Das Schreiben an Morgan kam von seinem alten Korrespondenten, dem furchtbaren Präsidenten. Es war höflich abgefasst und reich an Komplimenten. Der Schreiber hoffte, Morgan trage noch immer den Ring, den er ihm früher zugeschickt hatte, und entschuldigte sich, dass er nicht imstande gewesen sei, ihm seine Gastfreundschaft zu beweisen. »Indessen finde ich«, fuhr der Brief fort, »dass es sich Eure Excellenz in meinem Palast ganz heimisch gemacht hat. Er verschmäht es, hinfort eine weniger berühmte Person zu beherbergen, und ist voll Bedauern über Eure Abreise zusammengefallen. Dennoch, mein höchst ritterlicher General, tut es mir sehr leid, bemerken zu müssen, dass ein so tapferer Kavalier sich in Betreff seines Wortes so mangelhaft erfinden lässt, denn wir haben uns zu Grunde gerichtet und zu Bettlern gemacht, um Euch durch die heiligen und hochwürdigen Väter Sebastian und Hieronymus des königliche Lösegeld zuzusenden, welches Ihr für meine Schwägerin und ihre Tochter gefordert habt.« Er hielt unserem Helden noch weiter sehr streng und gerecht eine Vorlesung über die Gesetze der Ehre, des Krieges und der Ritterlichkeit, fügte noch unterschiedliche Komplimente bei und schloss mit dem Wunsch, dass Sr. Exzellenz alle nur erdenkliche Wohlfahrt vorbehalten bleiben möge. Das Schreiben an die Donna war des gleichen Inhalts. Auffallender Weise bezweifelten die Spanier nie das pflichtmäßige Benehmen der Mönche, sondern schoben die ganze Schuld der schurkischen Verhandlung auf Morgan. Die Bigotterie der Zeit war so groß, dass sogar der Geschichtsschreiber dieser Büberei nur mit Stocken Erwähnung tut; denn er sagt: »C’était bien mal fait à ces pères, qui je n’ay pas vouln faire connaistre, à cause de l’indignité de leur action, et de la vénération que j’ay pour leur ordre.«

Man kann sich leicht denken, in welchen Zorn ein Mann von Morgans ungestümen Leidenschaft geriet oder vielmehr, es lässt sich gar nicht denken, denn in seinem ersten Aufwallen befahl er, dass die Mönche samt und sonders den Tod erleiden sollten. Dagegen sträubte sich jedoch seine Armee, doch nicht aus religiösen Bedenklichkeiten, sondern weil sie es für Unglück bringend hielt, mit kaltem Blut eine Katze oder einen Priester zu töten. So ließ er denn die ehrwürdigen Väter in ein Karree von Musketieren bringen, zugleich aber ihnen bedeuten, dass die Feuerwaffen um sie her samt und sonders geladen wären. Dann zwang er sie, sich gegenseitig mit den Stricken, die sie um den Leib gebunden trugen, so lange durchzudreschen, bis einige davon ohnmächtig wurden. Nur der Fürsprache der Damen, welche sie so schändlich behandeln wollten, hatten sie es zu danken, dass der weiteren Züchtigung Einhalt getan wurde.

Es wurden nun für die Abreise der Guzmans die geeigneten Vorbereitungen getroffen. Man besorgte für sie Maulesel und Dienerschaft, wie denn auch Morgan und seine Gefährten sie mit allen Beweisen von Achtung überschütteten. Es war unserem Helden eifrig darum zu tun, dass sie unter den günstigsten Eindrücken von ihm und seinem Benehmen im Allgemeinen abreisen sollten. Dies war so schwer nicht zu erzielen, denn die stolze Lynia lag nun weit mehr in Morgans Banden, als es bei Morgan je ihr gegenüber der Fall gewesen war. Freilich dürfen wir keinen Augenblick annehmen, dass sie ihm ihre Würde oder ihre Tugend geopfert haben würde; aber die Vergleiche hatten sich ihr aufgedrungen, und ihre Bewunderung für den Sieger war zur Begeisterung geworden.

Es fand ein eindrucksvoller Abschied statt. Sie waren allein. Mit einem Sturm widerstreitender Gefühle, die in ihrem Inneren tobten, kniete Donna Guzman vor unsrem Helden nieder und betete lange und glühend zum Himmel, dass ihm ein glückliches Los beschieden sein möge. Sie beschwor ihm, seine gegenwärtige Laufbahn zu verlassen, hinfort sich selber und Gott zu leben und den Umgang frommer, gläubiger Männer aufzusuchen. Sie dankte ihm wiederholt für die edelmütige Behandlung, die er ihr und ihrer Tochter hatte zuteilwerden lassen, rief zum Schluss tausend Segenswünsche auf ihn nieder, umarmte ihn, küsste ihn auf die Stirn und ließ sich dann, in Tränen aufgelöst, von ihm zu ihrem Maulesel geleiten. So schieden sie, um sich nie wieder zu sehen oder auch nur voneinander zu hören.

Diese Szene machte einer tiefen Eindruck auf Henry Morgan. Als die Dame außer Sicht war, hörte man ihn mit einem furchtbaren Eid beteuern: »Wenn ich je fromm werde, so geschehe es nur dieses Weibes willen.« Dass sie einen großen Einfluss über ihn besaß, lässt sich aus dem Umstand folgern, dass er auf ihre Bitten den Mönchen, welche ihn so furchtbar gereizt hatten, die Erlaubnis erteilte, zwei aus ihrer Mitte an ihre Freunde und Beichtkinder abzuschicken, damit sie des eigentliche Lösegeld beitrieben und es nach Chagre brächten.

Die nötigen Wassertransportmittel waren nun angelangt und die gesamte Beute nebst ungeheuren Massen von Reis, Mais und bukaniertem Ochsenfleisch, die von Panama beigeschafft worden waren, eingeschifft. Die nicht ausgelösten Gefangenen einschließlich der siebzig Priester, welche man zu zwei und zwei aneinandergebunden hatte und durchaus nicht aufs Glimpflichste behandelte, wurden nebst fünfhundert wertvollen Negersklaven, die sich über den Wechsel ihrer Herren freuten, gleichfalls an Bord gebracht. Alles war nun bereit, und die Armee brach mit ihrem ganzen Gepäck am 5. März 1670 von Cruz auf.

Der Aufbruch wurde abermals für die vielen nicht ausgelösten Spanier ein Szene des bittersten Schmerzes, und auch die Freude der Befreiten war mit herbem Leiden gemischt. Erstere fühlten sich überzeugt, dass ihnen Sklaverei an unbekannten, barbarischen Orten und unter fremden, strengen Gebietern bevorstand, während Letztere über das Schicksal ihrer Verwandten und Freunde klagten, welche sie nie wieder zu sehen fürchteten. Indessen war die Armee, die wir nun bald Flotte nennen müssen, zur sehr an dergleichen Dinge gewöhnt, um in der Sache etwas anderes zu tun, als den Abschied zu beschleunigen, was auch vielleicht den Umständen nach das Beste war.

Nachdem die Gefangenen, Sklaven und Schätze nebst einer zureichenden Anzahl bewaffneter Hüter, welchen die Erhaltung der Ordnung aufgetragen wurde, eingeschifft waren, stellte sich heraus, dass in den Schiffen nicht mehr hinreichend Platz für die übrige Expedition war, welche sich deshalb genötigt sah, langsam am Ufer des Flusses weiterzumarschieren. Nach dreitägigem Marsch kamen sie an dem lieblich gelegenen Städtchen Barbacoes an, wo sie zu ihrer großen Überraschung die zwei Sendlinge der Priester auffanden, welche bereits mit dem bedungenen Lösegeld ihrer Brüder eingetroffen waren. Dies machte Morgan und der übrigen Armee große Freude, denn die geistlichen Herren waren eine sehr unangenehme Gesellschaft und hätten zu Chagre doch aufgegeben werden müssen, da sie eine Art von Vieh waren, welches auf keinem Sklavenmarkt der Welt Käufer gefunden haben würde.

An diesem Platz fiel eines der lächerlichsten und denkwürdigsten Ereignisse vor, welche sich in Morgans inhaltreichem Leben zutrugen. Unser Held berief seinen Sekretär John Peeke, den Zweiten im Kommando, Vize-Admiral Collier, seine englischen Obristen und ein paar Kapitäne, welchen er vertrauen konnte, (unter diesen befand sich Kapitän Wills nicht, weil er viel zu ehrlich war) zu einer geheimen Beratung und fasste mit ihnen einen Beschluss, welchem nachstehendes Verfahren folgte.

Er ließ seine ganze Armee auf einer schönen Ebene außerhalb der Stadt antreten, dort ein hohles Karree bilden und befahl ihnen, ihre Waffen in der Mitte des Vierecks aufzuhäufen. Den Gewehrhaufen ließ er augenblicklich durch seine Leibgarde umgeben. Dann ritt er, zu Wehr und Angriff bis an die Zähne bewaffnet, in die Mitte des Karrees ein, um eine in der Einleitung recht angenehme Rede zu halten. Die Soldaten wurden als die tapfersten und besten Männer, ja als die gehorsamsten und die diszipliniertesten bezeichnet.

»Ihr seid im Begriff, meine Brüder«, fuhr der General fort, »mit Ruhm bedeckt und mit Schätzen beladen nach Hause zurückzukehren.«

Die meisten Soldaten ächzten bei dieser Andeutung.

»Fügen wir nun aber allen diesen hervorleuchtenden Eigenschaften noch eine andere Tugend bei – die Ehrlichkeit. Lasst uns, meine teuren Freunde, gegeneinander ehrlich sein. Ich will euch jetzt den Artikel vorlesen, den wir alle beschworen oder wenigstens unterschrieben haben. Unser Wort ist so gut wie ein Eid, und was wir zusagen, muss noch bindender sein, als alles, was die Könige aufs Evangelium beschwören.«

Morgan las sodann mit einer Stimme, ähnlich der Trompete eines Herolds, die Bundesartikel vor; den aber, welcher jedem Mann einen Eid auflegte, dass er nichts verborgen habe und erforderlichenfalls eine Durchsuchung anordnete, wiederholte er noch zweimal und hielt dann inne.

Die erstaunten Soldaten und Offiziere, welche sich so überlistet sahen, blickten zuerst einander und dann ihre aufgehäuften Waffen an. Sie stöhnten, murrten und schrien, aber Morgan, der völlig unbewegt blieb, befahl ihnen, in Reih und Glied zu bleiben und ihn anzuhören.

»Meine Freunde, meine guten Freunde, glaubt ja nicht, dass es mir in den Sinn kommt, irgendeinem von euch ein unehrenhaften Beweggrund zu unterstellen. Denjenigen, welcher den größten Beutewert an seiner Person weiterbefördert hat, werde ich für meinen besten Freund, für den besten Freund der Armee halten. Müssen nicht wir alle seine Sorgfältigkeit, Bedachtsamkeit und Selbstverleugnung bewundern, dass er für das gemeinsame Beste die Mühe auf sich nahm, so viel von den gemeinschaftlichen Vorrat zu retten, da es ja sonst in Ermangelung der Transportmittel hätte verloren gehen müssen? Ihr alle erinnert euch, wie viele überladene Maultiere auf dem Weg zu Grunde gingen. Ehre und Ruhm also denjenigen, welche uns einen Teil unseres schwer und glorreich errungenen Reichtums gerettet haben!«

Bei Anhörung dieser Rede war kaum ein Mann in den Reihen, welcher nicht fühlte, dass er statt der Maulesel den Esel gespielt hatte. Aber sie waren noch mehr verwirrt, als sie den General folgendermaßen fortfahren hörten.

»Ich weiß wohl, dass unsere Gesetze verlangen, jeder von uns solle seine Ehrlichkeit mit einem Eide bekräftigen, aber wir wollen von dieser Bestimmung, welche unserer Ehre so sehr zu nahetritt, Umgang nehmen und dafür eine allgemeine Personendurchsuchung anordnen. Niemand kann sich dadurch gekränkt fühlen, denn ich, euer Oberbefehlshaber, werde mich zuerst derselben unterwerfen, und alle meine Hauptoffiziere sollen meinem Beispiel folgen. Sind wir alle visitiert, so soll, ehe sich ein Mann von dieser Ebene entfernt, unser gesamtes Gepäck, das des Höchsten, als auch das des Niedrigsten, durch Männer untersucht werden, welche ihr selbst zu diesem Zweck auswählt. Kommt, meine Jungen, und fügt euch gutwillig darein, denn ich schwöre euch bei Gott, dass geschehen soll, was ich gesagt habe, selbst wenn ich euch, die ihr unbewaffnet dasteht, zu Dutzenden niederschießen müsste. Der erste Mann, der aus seiner Reihe tritt, bekommt den Inhalt dieser Pistole zu kosten.«

Diese Erklärung war sehr sachgemäß. Jeder meinte, sein Nachbar sei vielleicht glücklicher gewesen als er selbst. Und so fügten sie sich in das, was sie nicht verhindern konnten. Das finstere Stirnrunzeln der Meuterei begann endlich einem breiten Grinsen Platz zu machen. Die gute Laune kehrte zurück, und der unparteiische Anführer wurde mit lauten Hurras begrüßt. Wir wollen damit freilich nicht sagen, dass dieses bessere Gefühl allgemein war, denn es gab unter dem Heer viele selbstsüchtige und geizige Schurken, welche Morgan aus dem Grunde ihres Herzens verfluchten; aber es handelte sich hier um die Stimmung der Mehrheit und dies war in einer Gesellschaft von solcher Zusammensetzung hinreichend.

Fünfzig schwarze Sklaven traten nun, dem erhaltenen Befehl zufolge, von Ohr zu Ohr grinsend und in einen Zustand vollkommener Nacktheit, um nichts verbergen zu können, mit großen Weidenkörben in das Viereck. Jede Kompanie wählte aus ihrer Mitte denjenigen, welchen sie für den ehrlichsten Visitator hielt; aber keinem derselben wurde gestattet, sein Amt an denen zu üben, welche ihn gewählt hatten. Kapitän Henry Wills war wegen seiner Ehrlichkeit bekannt und wurde daher zuerst als Durchsucher bezeichnet. Auch fiel ihm die Aufgabe anheim, den Oberbefehlshaber zu visitieren.

Morgan stieg von seinem Pferd, ließ sich bis auf das Hemd auskleiden, seine Taschen umdrehen und seine Kleider schütteln; aber da das Wetter sehr warm war, so hatte die Operation durchaus nichts Unangenehmes im Gefolge. Als der Mann, welcher seine Pflicht kannte und sie erfüllte, dem General wieder in seiner Kleider half, konnte er es sich nicht versagen, dem Durchsuchten ins Ohr zu flüstern, dass gewisse Diamanten, Rubine und Perlen, welche dem Kapitän Francois abgenommen worden waren, seltsamerweise vom allgemeinen Vorrat verschwunden seien – eine Andeutung, welche Morgan keiner anderen Antwort würdigte, als dass er den Mann ausdrucklos anstierte.

Der General wurde als makellos erfunden. Es folgte nun ein allgemeines Beifallsgeschrei. Aber die Leute wussten entweder nicht oder hatten es doch vergessen, dass er all sein Gepäck und das Büro der Armee drei Tage zuvor fortgeschickt hatte und sich nun alles wohlbehalten an Bord des Flaggschiffes im Hafen von Chagre befand.

Die Entkleidung bis aufs Hemd wurde den übrigen Oberoffizieren erlassen und wäre auch an Morgan nicht in Wirksamkeit gekommen, wenn er nicht um des Beispiels willen und weil er sich keiner persönlichen Ungestalt bewusst war, darauf bestanden hätte. Bei den anderen Offizieren wurde es übrigens sehr genau mit der Visitation genommen und manches Geschmeide wieder aufgefunden, das sie entweder wirklich verborgen oder zum Finden beigesteckt hatten, um der Sache einen Anstrich von Gerechtigkeit und Unparteilichkeit zu geben.