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John Sinclair Classics Band 36

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 36
Zirkus Luzifer

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 15.01.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 14.09.1976 als Gespenster-Krimi Band 157.

Kurzinhalt:
»Hereinspaziert, Ladies and Gentlemen! Grauen, Entsetzen, Angst – Sie werden alles erleben. Nichts ist uns schaurig genug. Die Geheimnisse der Hölle warten auf Sie. Werwölfe lauern auf ihre Opfer. Vampire schleichen durch die Nacht, gieren nach dem frischen Blut junger Mädchen. Albträume werden Wirklichkeit. Tote steigen aus ihren Gräbern. Lassen Sie sich entführen in geheimnisvolle uralte Grüfte, und geben Sie dem Sensenmann persönlich die Hand! Sie meinen, das wäre übertrieben? Dann überzeugen Sie sich vom Gegenteil. Kommen Sie zu uns! Kommen Sie in den Zirkus LUZIFER!«

Leseprobe

Mit bebenden Gliedern presste sich Cora Bendix gegen die rissige Wand des Wohnwagens. Aus weit aufgerissenen Augen starrte das hübsche schwarzhaa­rige Mädchen in die Dunkelheit, die sich zwischen den einzelnen Wohnwagen ballte.

Drüben – vom Zelt her – kämpfte eine schwache Lichtglocke vergeblich gegen die Finsternis an. Der helle Schein kam von der Leuchtschrift, die über dem Tor bogenförmig angeordnet war.

Ab und zu drang ein schriller Mu­sikfetzen an Coras Ohren und hin und wieder das hysterische Schreien eines übernervösen Zuschauers. Eine Ge­räuschkulisse, die Cora schon seit Mo­naten kannte – ihr aber immer wieder einen neuen Schauder über den Rücken jagte.

Zirkus Luzifer! Wie oft hatte sie die­sen Namen schon verflucht. Ja, es war tatsächlich ein Teufelszirkus, in dem der Satan persönlich Regie führte. Und wer sich nicht unterordnen wollte, war verloren, starb einen grauenvollen Tod.

Aber Cora wollte sich gegen den Ter­ror auflehnen. Lange hatte sie überlegt, hatte in den Nächten nicht geschlafen, sich mit Fluchtgedanken gequält, Zweifel aus dem Weg geräumt und war dann schließlich zu einem Entschluss gekommen.

In dieser finsteren Nacht wollte sie es versuchen.

Cora trug noch immer ihr knappes einteiliges Kostüm. Sie hatte sich nicht getraut, zurück in ihren Wagen zu lau­fen, um sich umzuziehen. So wie sie war, wollte sie verschwinden. Sie wollte die­sen höllischen Kreis aus Angst, Grauen und Tod hinter sich lassen. Aber ob ihr das jemals gelingen würde, war mehr als fraglich. Der Mandarin hatte seine Spitzel und Häscher überall.

Cora presste die Lippen zusammen, als sie an diesen Namen dachte. Der

Mandarin war für sie der Inbegriff des Bösen. Verschlagen, tückisch, grausam.

Niemand kannte seinen richtigen Namen, seine Herkunft – und sein Ge­sicht. Er verbarg es stets hinter einer roten seidenen Halbmaske. Und doch war er der Herrscher des Zirkus. Was er sagte, wurde getan. Dafür sorgte schon Andrax, sein Stellvertreter. Andrax war der Einzige, der den Mandarin näher kannte.

Tagsüber hielt sich der Dämon mit der Seidenmaske, wie der Mandarin auch genannt wurde, versteckt. Doch nachts sah man seine Gestalt zwischen den Wohnwagen umhergeistern. Und wehe dem, dessen Wagen er betrat …

Gerüchte kursierten. Der Mandarin wäre ein Vampir, ein Abgesandter der Hölle oder ein Dämon.

Noch hatte er sich der hübschen Cora Bendix nicht genähert. Aber was nicht war, konnte noch werden, und Cora wollte das Schicksal gar nicht erst her­ausfordern.

Coras Atem hatte sich wieder beru­higt. Sie war etwas zu schnell gelaufen. Sie wollte noch das Ende der Vorstel­lung abwarten. Wenn die Leute aus dem Zelt strömten, würde es ihr vielleicht gelingen, ungesehen zu entkommen.

Cora lauschte in die Dunkelheit, und als sie kein verdächtiges Geräusch hörte, verließ sie die Deckung des Wohnwagens. Ihre engen Stoffschuhe versanken im Schlamm. Es hatte erst in der vergangenen Nacht geregnet, und tagsüber war es auch ziemlich kühl ge­wesen. Zu kühl für Mitte Mai.

In keinem der Wohnwagen brannte Licht. Eine bedrückende Stille lag über dem Platz. Wasserpfützen glänz­ten. Cora passte einmal nicht auf und versank bis zu den Knöcheln in einer Lache. Das Wasser nässte ihre enge Strumpfhose durch und bildete einen schmierigen Film um ihren linken Knö­chel.

Cora war die Partnerin eines Mes­serwerfers. Das war jedes Mal ein be­sonderes Schauspiel. Cora wurde auf eine rotierende Scheibe gebunden, und Lui Latero warf die höllisch scharfen Dolche. Er war ein Meister seines Fachs, doch der Clou bestand darin, dass er die Messer nicht neben Cora in die Scheibe warf, sondern genau auf sie zu.

Bei dieser Szene überlief die Zu­schauer das kalte Entsetzen, doch Cora war nicht ein einziges Mal verletzt wor­den. Die Messer drehten jeweils wenige Millimeter vor ihrem Körper ab und wuchteten in die Scheibe.

Cora hatte Lui Latero einmal nach dem Trick gefragt, doch keine Antwort bekommen. Für sie ging das nicht mit rechten Dingen zu, wie auch einige an­dere Zirkusnummern.

Cora Bendix lief quer über den Platz. Sie wollte das Zelt umrunden, um an den Eingang zu gelangen.

Der Schatten eines Traktors tauchte vor ihr auf. Der Wagen war mit einer Plane abgedeckt. Cora spielte schon mit dem Gedanken, sich unter der Plane zu verstecken, als sie plötzlich ein Ge­räusch hörte.

Schritte …?

Cora Bendix lauschte mit offenem Mund.

Ja, sie hörte sie ganz deutlich. Jemand näherte sich ihrem Standort.

Aber wer?

Angst kroch in dem Mädchen hoch. Vergeblich versuchte Cora ein Zittern ihrer Glieder zu unterdrücken. Die Angst war einfach stärker.

Diese Unentschlossenheit wurde Cora Bendix zum Verhängnis. Als sie endlich losrennen wollte, war es zu spät.

Der Unbekannte war plötzlich hinter ihr. Ein bärenstarker Arm umfasste Co­ras Leib, riss das Mädchen zurück, und dann spürte es die scharfe Klinge eines Messers an ihrer Kehle …

 

 

Starr vor Angst hing Cora Bendix in den Armen des Unbekannten. Und doch arbeitete ihr Gehirn in diesen schreckli­chen Sekunden auf Hochtouren, suchte nach einer glaubhaften Ausrede.

»Wenn du auch nur einen Laut von dir gibst, schneide ich dir die Kehle durch«, flüsterte eine raue Männerstimme.

Cora gab es einen Stich. Sie kannte die Stimme nur zu gut. Sie gehörte Lui Latero, dem Messerwerfer. Und Cora wusste auch, dass Latero ein treuer Diener des Mandarin war.

Ihre Chancen zerrannen wie Butter in der Sonne.

Das Messer verschwand. Cora sah die Klinge noch kurz aufblitzen, dann bekam sie einen harten Schlag in den Rücken, der sie gegen den Traktor warf.

Cora konnte sich nicht schnell genug abstützen und prallte mit dem Kinn ge­gen einen vorspringenden Gegenstand. Der Schmerz fuhr ihr bis in den letzten Gehirnwinkel. Noch im gleichen Atem­zug spürte sie eine harte Hand auf ihrer Schulter, die sie zurückriss.

Aus einer Handbreit Entfernung starrten sich Cora Bendix und Lui La­tero in die Augen.

Der Blick des Messerwerfers war von tödlicher Kälte. Latero trug noch immer sein Kostüm. Nur den breitkrempigen Stetson hatte er abgenommen. Das ölig glänzende, schwarze Haar fiel ihm bis in den Nacken.

»Bist du mir nicht eine Erklärung schuldig?«, fragte Latero gefährlich leise. »Aber ich rate dir gut. Lass dir ja die Wahrheit einfallen, sonst prallt kein Messer mehr ab.«

Der Messerwerfer hatte Coras Hand­gelenke gepackt und drückte sie zusam­men.

»Ich warte!«, zischte er.

Cora zog pfeifend den Atem ein. »Ich – ich wollte ein wenig frische Luft schnappen«, sagte sie. »Mir war es nicht besonders.«

»Wirklich nur Luft schnappen?«, höhnte Latero und drückte zu.

Cora Bendix stöhnte auf und ging in die Knie.

Wie aus unendlicher Feme vernahm sie die Beifallsovationen aus dem Zelt. Sie wusste, dass die Vorstellung jetzt be­endet war. In wenigen Minuten würden die Menschen aus dem Eingang strömen. Und sie hatte vorgehabt, mit ihnen zu laufen und …

Coras Gedankenkette zerbrach.

»Du wolltest abhauen, wie?«, zer­schnitt die kalte Stimme des Messer­werfers sie Stille.

»Ich – ich …«

»Ja oder nein?« Latero drückte wie­der fester zu.

»Ja!«, schrie Cora Bendix. »Ja, ich wollte weglaufen. Ich …« Ein Tränen­strom erstickte ihre weiteren Worte.

»Ich hatte es mir doch gedacht!« La­tero lachte und riss Cora Bendix hoch. »Dein Benehmen war in den letzten Tagen schon recht seltsam. Wie gut, dass ich dich nie aus den Augen gelas­sen habe. Na, der Mandarin wird sich freuen.«

Cora hörte jetzt Stimmen und Ge­lächter. Die übrigen Mitglieder der Zirkustruppe verließen das Zelt und strebten auf ihre Wohnwagen zu. Lich­ter flammten auf, zerschnitten mit ihren hellen Inseln die Finsternis.

»Los, geh!«, kommandierte der Mes­serwerfer. »Aber denk daran, dass ich immer hinter dir bin.«

Cora versuchte es ein letztes Mal. »Bitte, Lui«, flüsterte sie. »Bitte, lass mich gehen. Ich werde nichts sagen, ich verspreche es dir.«

»Halt dein Maul! Wir gehen beide. Aber zum großen Mandarin. Was meinst du, wie er sich freuen wird. Bestimmt gibt er dir heute noch eine Gala-Show. Und jetzt vorwärts.«

Lui Latero packte das Mädchen kurzerhand an den langen schwarzen Haaren und stieß es mit der anderen Hand ins Kreuz.

Latero war voller sadistischer Vor­freude auf das, was gleich noch folgen würde …

 

*

 

Im Innern des Zeltes war es stockdunkel.

Als Lui Latero die Plane zur Seite schob, kam es Cora Bendix vor, als würde sie geradewegs in den Schlund der Hölle gehen.

Sie zögerte.

Lateros Stoß in den Rücken warf sie vor, und einen Atemzug später wurde sie von der Dunkelheit verschluckt.

Lui Latero zog die Klappe des Sei­teneingangs wieder zu. Jetzt war Cora endgültig gefangen. Gefangen in einem Grab, das sich Manege nannte und noch vor einer halben Stunde mit Zuschauern gefüllt war.

Hinter Cora knirschten die Schritte des Messerwerfers im Sand.

»Geh weiter, Süße«, flüsterte Latero, »bis in die Mitte der Manege. Du kennst dich ja hier aus, auch im Dunkeln.«

Cora gehorchte. Ihre Knie zitter­ten. Eine fürchterliche Angst hielt sie gepackt. Angst vor der Bestrafung des Mandarin, denn diese Bestie kannte keine Gnade!

»Wir sind da!« Lateros Stimme schallte durch das Rund der Manege.

Das Echo der Worte lag noch in der Luft, da flammte ein Scheinwerfer auf. Der breite Lichtstrahl übergoss den Körper des Mädchens mit seiner grellen Lichtfülle.

Geblendet schloss Cora die Augen. In einer plötzlichen Eingebung versuchte sie den Lichtkegel zu verlassen, doch schon nach dem ersten Schritt stoppte sie eine harte Männerstimme.

»Bleib stehen!«

Cora zuckte zurück.

Die Stimme gehörte Andrax. Sie wurde durch einen Lautsprecher ver­stärkt und klang blechern und unheim­lich.

Andrax musste irgendwo in der Dun­kelheit der Zuschauerränge lauem.

Ein zweiter Lichtspeer flammte auf, kreuzte den Ersten und blieb auf der runden Scheibe haften, auf die Cora bei ihrem Auftritt festgeschnallt wurde.

Die Scheibe war mit blutrotem Samt bespannt. Es gab Lederschlaufen für Hand- und Fußgelenke. Sie waren je­weils diagonal zueinander angebracht, sodass der Körper mit gespreizten Ar­men und Beinen an der Scheibe hing.

Die Scheibe selbst stand auf einem schmalen Holzpodium, in das ein Elek­tromotor eingebaut war, der sie zur Rotation brachte.

Cora ahnte, was man mit ihr vorhatte, und sie fühlte, wie sich ihre Nacken­haare sträubten.

Doch dann wurde sie abgelenkt, denn ein dritter Scheinwerferstrahl durch­brach das Dunkel.

Er war exakt auf den Mandarin ge­richtet!

Der Mandarin saß auf einer Empore über den Zuschauerrängen. Er hockte dort auf seinem hochlehnigen Thron wie ein Geist aus einer anderen fremden Welt.

Eine rote Halbmaske verdeckte die obere Hälfte seines Gesichts. Der giftgrüne, dreiviertellange Umhang war weit geschnitten und besaß einen hochstehenden, bis zum Kinn reichen­den Kragen. Auf der Brust des Umhangs befand sich ein weißer Kreis, der mit einem roten M ausgefüllt war.

Personen

  • Cora Bendix, Artistin, Lui Lateros Frau
  • Mandarin, Dämon mit der Seidenmaske
  • Lui Latero, Messerwerfer
  • Andrax, Mandarins Leibwächter
  • Terry Bendix, Coras Schwester
  • Simon Dexter, Mitarbeiter des Secret Service
  • Conga, Artist, Steinzeitmensch
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Glenda Perkins, Sir Powells Sekretärin
  • Ginny, Verkäuferin der Boutique Paris
  • Tanja und Ilonka, Vampire
  • Sergeant Mallory, Polizeistreifenführer
  • Polizeibeamte, Spurensicherung
  • Doktor Purdom, Arzt
  • Bill Conolly, freier Reporter, Hobby-Geisterjäger
  • Mona, Artistin

Orte:

  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 36. Bastei Verlag. Köln. 15. 01. 2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000