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Elbsagen 43

Elbsagen
Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten
Für die Jugend ausgewählt von Prof. Dr. Oskar Ebermann
Verlag Hegel & Schade, Leipzig

43. Die Bettelmannskirche zu Meißen

Auf der südöstlichen Seite von Meißen erhebt sich ziemlich steil der sogenannte Plossenberg. Sein westlich vorspringender Teil führt jedoch den Namen Martinsberg von der diese Höhe krönenden Begräbniskirche zu St. Martini für die Bewohner der Dörfer Bockwein und Lercha. Ihre Entstehung wird verschieden erzählt. Nach einigen soll nämlich ein Ritter auf Schloss Siebeneichen bei Meißen sieben Söhne gehabt haben, deren einer, namens Martin, ins Gelobte Land zog, um für die von seinen Vorfahren begangenen Untaten am Grabe des Erlösers Verzeihung zu erflehen. Nach langem Herumirren in der Fremde kehrte er endlich in sein Vaterland zurück und soll auf dem genannten Berg ein Pilgerhaus zur Aufnahme für Arme und Kranke gestiftet haben, das, freilich in ver­änderter Gestalt, bis zum Jahre 1520 unter dem Namen Der elende Kretscham (d. h. Herberge für elende Pilger) am Fuß des Berges bestand. Mit diesem war aber eine Kapelle vereinigt worden, die dem heiligen Martin geweiht war. Er war auch auf einem alten Altargemälde darin abgebildet, wie er seine Kleider zerreißt und unter die Armen verteilt.

Eine zweite Sage schreibt aber die Entstehung der Kapelle einer anderen Ursache zu. Es lebte nämlich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu Meißen ein wackerer Bürgersmann, namens Martin, seines Zeichens ein Maurer, der fast allen seinen Verdienst zur Unterstützung der Armen verwendete. Er war auch mit unter den vom Baumeister Arnold von Westfalen zur Erbauung der Albrechtsburg (1471 – 1483) verwendeten Werkleuten, stürzte aber eines Tages von einem Gerüst herunter und wurde infolge dieses Falles, der ihn lange ans Krankenbett fesselte, zum Bettler, da er alle seine früheren Kräfte verloren hatte und arbeitsunfähig geworden war. Infolge davon musste er betteln gehen, und so floss denn, wenn er auf den Stufen des Doms, auf Krücken gestützt, die ins Gotteshaus Eilenden um Almosen anflehte, manche reichliche Gabe in seinen Bettlerhut. Da kam die Pest mit ihren Schrecken, und Vater Martin ging nun in den angesteckten Häusern herum und brachte den Kranken, die oft von ihren eigenen Verwandten gemieden wurden, Trost, Abwartung und Hilfe, sodass manches Menschenleben durch seine Tätigkeit gerettet wurde. Nachdem die Krankheit gewichen war, schossen Rat und Bürgerschaft eine erkleckliche Summe zusammen, um ihm die Dankbarkeit der Stadt zu beweisen. Martin aber lebte als Bettler fort und erbaute von dem ihm geschenkten Reichtum die Martinskirche, die nach ihrem Erbauer auch die Bettelmannskirche genannt wurde. Zum Andenken wurden in einen Stein im Inneren der Kirche zwei Krücken eingehauen, die für ewige Zeiten an ihren Träger erinnern sollen und noch zu sehen sind.