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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 10 – Teil 2

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 10, Teil 2

Eusebius war zu aufgeregt, um schlafen zu können. Die Nacht hatte daher noch nicht zwei Drittel ihres Laufes zurückgelegt, als er sein Lager verließ, die größte Vorsicht anwendete, um Esther nicht zu erwecken, und zu dem Divan ging, auf welchem das Bett der Negerin bereitet war. Er schob leise die Wiege zur Seite, in welcher sein Kind ruhte, aber zu seiner großen Ueberraschung sah er das junge Mädchen nicht auf seinem Lager. Er empfand eine quälende Angst. Er vermutete, Cora hätte dem Gefühl des Widerwillens, welches sie den Tag zuvor gegen diese Aussicht äußerte, nachgegeben und die Flucht ergriffen. Er ging rasch hinunter, um sich nach ihr und nach seinen Dienern zu erkundigen. Als er durch die Rohrveranda schritt, welche die Wohnung umgab, und auf das Haus zuging, in welchem die Dienerschaft untergebracht war, hörte er einen tiefen Seufzer und blieb stehen. Zwei Schritte von sich entfernt, bemerkte er den Schatten einer schwarzen Gestalt.

»Bist du es, Cora?«, fragte Eusebius.

»Welche andere als Cora würde wachen, weil Ihr wacht? Die Entfernung hindert ein liebendes Herz nicht, zu hören und die Schläge des ihm teuren Herzens zu zählen. Das deine hatte das Fieber, das meine ist von dem Übel ergriffen worden und der Schlaf floh meine Augenlider, wie er die deinen geflohen hat.«

»Arme Cora! Weißt du wohl, dass ich einen Augenblick glaubte, du wärest nach Weltevrede zurückgekehrt?«

»Cora ist nur eine Sclavin, und die Wege liegen nicht offen vor meinem Willen.«

»Cora, die zweite Mutter meines Sohnes ist stets die Freundin unseres Hauses gewesen. Ich will nicht, dass ein anderes Band, als das ihrer Zuneigung, sie an uns fesselt. Ich mache sie frei.«

»Wozu nutzt es, die Fessel an Coras Händen zu zerreißen, wenn an ihren Füßen die schwere Eisenkette zurückbleibt, die sie zur Gefangenen macht? Cora wird stets deine Sklavin sein und die eines anderen, der mächtiger ist als du.«

»Wer ist dieser andere Herr?«

Die Negerin zögerte einige Augenblicke mit der Antwort.

»Das Schicksal«, entgegnete sie endlich, »das Schicksal, welches sagt, geh weiter, und das mich zwingt, zu gehen, selbst wenn ich die hohlen Augen des Todes vor mir erblicke, der gleich einem Panther, verborgen hinter einem Gebüsch, am Wege auf mich lauert.«

Eusebius zuckte die Achseln.

»Du bist also nicht vernünftiger als gestern Abend?«, rief er.

»Ich bin bereit, dich zu den Abhängen des Taikoekoie zu führen«, sagte die Negerin und stand auf.

»Gut«, entgegnete Eusebius; »dann will ich meine Leute wecken, damit sie uns begleiten.«

»Nein«, erwiderte Cora, »der Geist des Berges ist ebenso misstrauisch, wie vorsichtig. Ein Mann und eine Frau, die allein kommen, werden seinen Argwohn weniger erregen.«

»Es sei«, sagte Eusebius, welcher meinte, dem Aberglauben des armen Mädchens dieses Zugeständnis machen zu können. »Lass mich wenigstens Pferde nehmen.«

»Wozu? So flüchtig auch ihre Hufe sind, werden sie uns der Gefahr nicht entreißen, die sich vor uns erhebt. Und auf den Abhängen des Berges wären sie nutzlos. Wenn die Bitten meines Herzens dich nicht rührten, wenn die Liebe zu diesen glänzenden Steinen dich die Gefahren verachten lässt, von denen ich sprach, verachten lässt, wie meine Tränen, die aus meinen Augen rinnen, dann nimm meine Hand und lass uns gehen.«

Eusebius ergriff die Hand der Negerin. Sie war brennend heiß und trocken. Ein fieberhaftes Zittern schüttelte sie.

»Fort!«, sagte er, indem er Cora mit sich zog, »fort!«

Sie richteten sich gegen Süden, ließen die Gärten von Gavoet zu ihrer Linken und gingen über eine mit blühenden Fruchtbäumen bepflanzte Ebene. Die Nacht war ruhig und heiter. Nur das Licht der Sterne verbreitete um die beiden Reisenden einen milden Schein. War es der Einfluss des majestätischen Schweigens, der Cora berauschte durch die Wohlgerüche, mit welchen der Duft der Blüten die Luft schwängerte, oder gab sie einem neuen Gefühl nach. Genug, es war mit dem Wesen und dem Äußeren Coras eine Veränderung vorgegangen, welche Eusebius ungeachtet seiner habgierigen Gedanken bemerken musste.

In dem Maße, in welchem sie sich von Gavoet entfernten, schienen die Schrecken und die Besorgnisse Coras zu schwinden. Weit entfernt, in ihrem Gang zu zögern, schritt sie vielmehr vor Eusebius her, zankte ihn aus, wenn er zurückblieb, und sagte mit eigentümlich aufgeregter und keuchender Stimme: »Komm, komm!«

Von Zeit zu Zeit ergriff sie wieder die Hand, die ihr Herr ihr überließ und legte sie auf ihre Brust. Die ungestümen Schläge ihres Herzens hoben dann ihre brennend heiße Haut.Darauf neigte sie sich zu Eusebius, lehnte ihren Kopf an seine Brust. Der junge Holländer fühlte in seinen Adern die heißen Ausflüsse übergehen, welche dem Körper seiner Sklavin entströmten.

Eusebius kämpfte bereits nicht mehr den Kampf der Ehre und der Pflicht gegen seine traurige Leidenschaft.

Wenn in diesem Augenblick sein Verstand freier gewesen wäre, so würde er ohne Zweifel die glühenden Liebesäußerungen Coras zurückgewiesen haben. Aber gleich ihr hatte auch er das Fieber, gleich ihr schwindelte auch ihm. Das Fieber der Wollust verzehrte das Herz Coras, das Goldfieber berauschte Eusebius und seine Trunkenheit konnte nicht daran denken, die seiner Gefährtin zu zügeln. Ungeachtet des Fröstelns, welches er durch seinen Körper rieseln fühlte, dachte er nur an das Ziel, zu dem sie ihn führen sollte, aber in der Hingebung, zu welcher er sich gehen ließ, beklagte er nur die Zeit, welche er dadurch verlor. Seit einer Stunde gingen sie nebeneinander so her. Allmählich waren die letzten Spuren der Kultur hinter ihnen verschwunden. Auf die niedrigen Stämme und die runden Wipfel der Orangen-, der Zitronen- und der Papaganienbäume folgten die hohen Stämme und mächtigen Kronen der Tamarinden, die Liquidambers, des Teckbaumes und anderer Waldbäume.

Die Luft hatte sich erhoben und rauschte laut in den großen Blättern der Kokospalmen und den biegsamen Zweigen des Arackbaumes, die beim Vorübergehen der beiden nächtlichen Wanderer sich schaukelnd wie gewaltige Federbüschel wiegten.

Der Tag war nahe. Eusebius und Cora betraten den Wald, der den Fuß des Berges Taikoekoie bedeckt.

Übereinander gehäufte Stücke Basalt, Lava und Asche bedeckten den Boden und machten das Gehen mühsam. In der Mitte einer großen Lichtung stieg ein Fels pyramidenförmig empor, vielleicht durch irgendeinen furchtbaren Ausbruch des Vulkans hierher geschleudert.

Eusebius blieb am Fuße dieses Felsens stehen, um auf Cora zu warten, die zum ersten Mal etwas zurückgeblieben war. Er rief sie und sah sie herbeilaufen. Sie hielt in der Hand einen großen Geodoniaast und Malattizweige, die sie gepflückt hatte, und beschäftigte sich damit, einen Kranz zu flechten, in welchem sie, ungeachtet der Dunkelheit der Nacht, geschickt die weißen Kelche der Geodonia mit den purpurroten Blüten der Malatti mischte.

»Was machst du da?«, fragte Eusebius.

»Wir können nicht weitergehen, ohne dass ich dem Feuergeist, der der Herr des Berges ist, ein Opfer dargebracht habe.«

»So tue es denn, aber tue es schnell«, sagte Eusebius, ohne sich die Mühe zu geben, eine Bewegung der Ungeduld zu unterdrücken.

»Sei gnädig und gut, Herr«, erwiderte die Negerin, indem sie vor Eusebius niederkniete und dessen Hand an ihre Lippen zog. »Das Gewölbe der Bäume verdoppelt die Schatten der Nacht und wir können vor Tagesanbruch nicht weitergehen. Lass deiner Skavin den Geist deiner Absicht günstig stimmen. Sie ist nun ebenso ungeduldig wie du, den Ort wiederzufinden, an welchem die glänzenden Steine durch deine Finger rieseln sollen wie feurige Wogen.«

Eusebius, der durch die Worte Coras beruhigt wurde, setzte sich auf den umgestürzten Stamm eines Baumes. Die junge Negerin schmückte sich mit dem Kranz, den sie gewunden hatte, behielt in der Hand ein ziemlich großes Bukett, raffte eine Menge trockener Kräuter zusammen und erkletterte dann den Fels mit wunderbarer Leichtigkeit. Zu dem Gipfel gelangt, zündete sie das trockene Kraut an, kniete an der Seite des Feuers nieder, das Gesicht gegen den Boden gepresst und flehte die Gnade des Geistes an.

Als ihre Anrufung beendet war, erhob sie sich und warf in das Feuer ein neues Päckchen Kräuter. Die Flamme, die dem Erlöschen schon nahe war, entzündete sich aufs Neue und beleuchtete mit ihrem rötlichen Schein das Gesicht und die Kleider Coras, welche nun auf dem Gipfel des einzelnen Felsblockes aufrecht stand.

Sie hatte ihr Haar aufgelöst und die schwarze Masse flatterte im Wind. Gehüllt in ihren weiten Sacong, dessen rote Streifen Blutstrahlen zu sein schienen, die Lippen bebend, die Augen funkelnd, nahm sie die weißen Blumen der Geodonia des Buketts, das sie in der Hand hielt, eine nach der anderen und schleuderte sie in die Glut, indem sie eine Art von Gesang murmelte, dessen langsame und monotone Melodie an die Klagen der Hirten in Europa erinnerte.

»Mächtiger Rakschase«, sagte sie, »du, dessen Hauch wie Sturmwind ist und von dem jeder Seufzer die Flammen bis zu den Wolken treibt, reiner Geist, habe Mitleid mit meinen Tränen. Wenn sie nicht gleich denen, welche, wenn du seufzest, dem Mund deines Kraters entströmen, in die Ebene hinabfließen, um dort Verheerung und Tod zu verbreiten, so sind sie deshalb nicht minder bitter. Jede derselben ist ein Tropfen geschmolzenen Metalls. Indem sie aus mein Herz fällt, verursacht sie eine brennende Wunde. Ich bin die Taube, welche einsam bleibt, weil ihre Federn schwarz sind, und gleichwohl waren ihre Küsse süß und das Schlagen ihrer Flügel voll Versprechungen!

»Aber die Blume, die ich dir darbringe, ist nicht weißer als das Gesicht meines Geliebten, und der Tag vermählt sich mit der Nacht. Meine Augenlider schließen sich daher mehr, meine Augen können nicht einen Augenblick darauf verzichten, sein Bild zu sehen, obwohl seine Gleichgültigkeit die Hoffnung tötet. Reiner Geist, mächtiger Beherrscher des Berges, wenn unsere Anwesenheit in deinem Reich dich beleidigt, wenn dein Zorn ein Opfer verlangt, so biete ich dir mein Leben, wie ich dir diese Blumen biete, die sich in dem Feuer biegen und schwärzen. Wähle die Taube mit den dunklen Flügeln und lass meinen Geliebten mit dem glänzenden Gefieder die Ufer des großen Sees wieder erreichen, an denen die weiße Gefährtin, die er sich wählte, seiner wartet.«

Die ersten Worte Coras waren Eusebius aufgefallen, ohne seine Aufmerksamkeit im Geringsten zu erregen. Aber allmählich hörte er gespannt zu und wurde durch das wahrhaft Rührende in dieser Ergebenheit der Leidenschaft, welche er der jungen Negerin einflößte, ergriffen.