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Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 13

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Gardiner und Lady Rochefort rühren sich. Heinrichs Zorn gegen Anne.

»Jetzt bin ich in der Tat Königin von England!1«, rief Anne frohlockend aus, als ihre Umgebung mit betrübter Miene ihr die Nachricht überbrachte. »Jetzt werde ich in Ruhe leben können!« Keine Regung des Mitleids, keine der Reue über die schmachvolle Behandlung der edlen Frau in ihrem Herzen! Selbst Annes aufrichtige Verehrer wandten sich bei dieser unzarten Freude unzufrieden von ihr ab.

Über Lady Rocheforts stolzes Gesicht aber glitt ein Ausdruck hämischer Schadenfreude, als sie sich zu Gardiner begab, der sich am anderen Ende des Saales befand.

»Was meint Ihr, wie wird der König diesen Jubel aufnehmen?«, fragte sie denselben.

»Nicht zum Besten. Anne mag sich in Acht nehmen. Die Krone von England wankt auch auf ihrem stolzen Haupt. Seine Majestät sind tief betrübt und haben Befehl erteilt, dass er allein sein will.«

»Ah, umso besser! Je tiefer sein Schmerz ist, desto mehr wird Anne ihn jetzt verletzen. Ich habe bereits Sorge getragen, dass er eine Trösterin in Jane findet.«

»Recht so«, sagte Gardiner boshaft. »Habt Ihr von dem Pulver Gebrauch gemacht, das ich Euch anvertraute?«

»Noch nicht; ist wohl kaum nötig. Seht Ihr nicht, wie ein geheimer Kummer die letzten Reste der Schönheit untergräbt, wie Anne neben der frischen, kräftigen Gestalt Janes wie ein altes Weib erscheint?«

»Die Veränderung ist mir nicht entgangen«, aber dessen ungeachtet kann das Kind …«

»Lasst mich nur sorgen«, unterbrach ihn die Rochefort. »Anne ist rastlos und gönnt sich keine Ruhe, wie der Arzt verlangt. Ich treibe sie zum Reiten an, zu allen Vergnügungen, welche ihr schädlich sein können. Und wo diese ihre Wirkung verfehlen, besitzen wir Frauen Mittel, um eine Frühgeburt zu bewirken. Es ist besser so und sicherer. Gift würde auf uns und Rom den Argwohn lenken. Aber seht, sie bricht auf. Ich muss Euch verlassen, Herr Sekretär.«

Anne hatte sich von ihrem Sessel erhoben und zog sich nun in ihre inneren Gemächer zurück. Ungeachtet der Freude, welche sie geäußert hatte, bemächtigte sich ihrer dennoch eine heimliche Bangigkeit. Es kränkte sie auch, dass Heinrich sie nicht selbst aufsuchte. Es trieb sie zu ihm, denn sie fühlte wohl, dass Katharinas Tod in ihm frühere Gefühl wieder wachgerufen haben mochte. Als sie allein war, öffnete sie die Verbindungstür der ehelichen Gemächer und schritt durch das kleine Betzimmerchen in die Ankleidekammer, welche an des Königs Arbeitskabinett stieß.

Hier fand sie Lord Norris, welcher bei ihrem Eintritt heftig zusammenschrak.

»Meldet mich Seiner Majestät«, sagte sie freundlich.

»Der König hat befohlen, dass niemand bei ihm eingelassen werde«, antwortete Norris, wobei sein ganzes Benehmen eine Verwirrung und Bestürzung zeigte, die Anne nicht entging.

»Seine Majestät können das Verbot nicht auf mich ausgedehnt haben«, erwiderte sie mit einem festen, forschenden Blick. »Auch glaube ich zu vernehmen, dass er nicht allein ist.«

»Die Prinzessin Mary …«

»Ah! Nun, wo die Tochter Eintritt erhält, kann auch die Gattin nicht stören«, entgegnete Anne und näherte sich mit majestätischem Schritt der Tür.

»Mylady! Ich bitte …«, flüsterte Lord Norris.

Aber Anne machte mit der Hand ein abwehrendes Zeichen, worauf er zurücktrat und sie eintreten ließ.

Sie blieb jedoch auf der Schwelle stehen. Die Füße wurzelten wie gebannt am Boden und eine tödliche, aschgraue Blässe bedeckte ihr Gesicht.

König Heinrich saß in seinem hohen Sessel, neben ihm zu beiden Seiten knieten zwei weibliche Gestalten, die eine von seinem linken Arm zärtlich umschlungen, die andere, jüngere und kleinere, an seine Brust gelehnt. Heinrichs Antlitz war schmerzlich bewegt, seine Augen wie von Tränen gerötet.

Anne erkannte sogleich in den beiden Frauen die Prinzessin Mary, welche hier an der Brust des Vaters ihren herben Verlust beweinte, und Jane Seymour, welche den König zu trösten sich bemühte.

Der tiefe Seufzer, der sich ihrer gepressten Brust bei diesem unerwarteten Anblick entrann, schreckte die Gruppe aus ihrer traulichen Stellung auf.

»Die Königin!«, rief Jane und erhob sich rasch von ihren Knien, während Mary sich noch fester an den Vater schmiegte.

»Treibt mich nicht von Euch fort«, jammerte diese, »beraubt mich nicht Eures Anblicks, mein Vater!«

»Still, du bleibst, wo du bist«, sagte Heinrich fest. »Ich habe ein schweres Unrecht an dir wiedergutzumachen! Katharina hat dich mir feierlich als letztes Andenken vermacht. Sie soll es nicht umsonst getan haben. Lady Anne, was bringt Ihr? Mir däucht, das Herz könne Euch nicht in die Wohnung der Trauer, der Trauer um sie führen.«

»Majestät, ich kam, weil ich es für meine Pflicht als Gattin hielt, Euch in dieser Stunde nahe zu sein. Ihr habt recht, trauern kann ich nicht um den Tod der Frau, die mir so viel bitteres Leid verursacht hat und deren Tochter mir durch ihre listigen Ränke Euer Herz zu rauben sucht.«

Mary weinte heftiger bei diesen Worten.

Der König aber erwiderte mit finsterer Miene: »Katharina hat Euch und mir in ihren letzten Stunden vergeben, Lady Anne. Vergeltet ihre Großmut durch Eure Liebe zu ihrer verwaisten Tochter.«

»Nie«, erwiderte Anne stolz. »Zwischen Katharinas unehelichem Kind und mir kann nie von Liebe die Rede sein.«

»Aber dieses Kind ist auch das meine«, sagte Heinrich, indem er Mary heftig wegschob und aufstand, »das meine, und mein ältestes Kind. Versteht Ihr, Lady Anne? Wer hat mich dazu getrieben, dass ich es mit dem Siegel der Unehelichkeit brandmarken ließ, wer anders als Ihr selbst zugunsten Eurer Tochter? Aber so wahr ich lebe, Mary soll Gerechtigkeit widerfahren! Das Vorrecht ihrer Erstgeburt nimmt sie von heute wieder an, und nur einem Sohn steht sie in der Thronfolge nach.«

»Jane, das ist dein Werk, falsche Schlange, die ich an meinem Herzen genährt, gepflegt habe!«, rief Anne zornig gegen diese aus.

»Nein, nein!«, rief diese, indem sie sich der Erzürnten zu Füßen warf. »Ihr tut mir Unrecht, so wahr ich lebe! Seine Majestät ließen die Prinzessin zu sich rufen, und da sie vor Kummer und Erregung nicht allein gehen konnte, nahm sie mich mit.«

»Du lügst! Du bist schon lange im Komplott gegen mich!«, rief Anne, deren Zorn sie alle Grenzen vergessen ließ. »Du willst mir des Gatten Herz entwenden, mich mit meinem Kinde ins Elend stoßen! Ich weiß es, ich kenne deine Falschheit, dein unlauteres Herz. Ich habe es durchschaut, da, wo es keine Maske der Unschuld und der Frömmigkeit zur Schau trug!«

»Majestät, so wahr ich lebe, meine Ehre …«

»Ehre?«, rief Anne höhnisch lachend aus. »Ja, die bewahrt man nicht, wenn man sich zu heimlichen Zusammenkünften im dunklen Pavillon erniedrigt! Ich habe dazu geschwiegen, aber jetzt ist das Maß voll! Du verlässt dieses Schloss und wagst es nie mehr, dich in meiner Nähe blicken zu lassen! Muss ich auch der Tochter Katharinas in der Liebe meines Gemahls zurückstehen, ich weiche nicht der Buhlerin!«

»Haltet ein!«, rief Heinrich außer sich vor Zorn und mit funkelnden Blicken. »Nichts mehr in dieser Sache, Mylady Anne, oder Ihr habt es mit mir zu tun! Jane ist nie meine Geliebte gewesen und wird es nicht werden! Ihre Tugend und ihre Freundschaft für mein misshandeltes Kind haben ihr ein ewiges Recht auf meine Achtung und Dankbarkeit erworben!«

»Sie soll fort aus meiner Nähe, die Viper!«, sagte Anne finster.

»Und ich sage Euch, Miss Jane bleibt; fürchtet Euch nicht«, sagte der König fest und entschieden zu dieser, welche zitternd dastand. »Ich ernenne Euch heute zur Vertrauten und Ehrendame meiner Tochter May! Gottes Tod! Wir wollen doch sehen, wer dem König Heinrich Gesetze vorzuschreiben wagt! Nehme ich es mit Papst und Kaiser auf, so werde ich mich durch das Schelten meines eigenen Weibes nicht einschüchtern lassen. Merkt Euch diese Lehre, Mylady Anne … und …«

»Jesus Maria!«, schrie Jane erschrocken aus und sprang auf Anne zu, welche zurückgetaumelt war und nun zu fallen drohte.

»Die blonden Haare!«, hauchte die unglückliche Frau, indem sie noch eine schwache Anstrengung machte, die verhasste Rivalin von sich zu stoßen; aber ihre Kraft erlag. Bewusstlos und einer Sterbenden gleich fingen sie die beiden Mädchen in ihren Armen auf.

Heinrichs Zorn verschwand bei dem Anblick, eine ungeheure Angst um das Schicksal des erwarteten Erben bemächtigte sich seiner. Es war keine Liebe mehr für die Mutter, welche ihn bewegte, nur Selbstsucht.

»Norris«, rief er seinem Kammerherrn hastig ins Nebenzimmer zu, »lasst den Arzt und die Kammerfrauen herbeirufen. Ihre Majestät sind von einer Ohnmacht befallen!«

»Ich dachte es mir, Sire«, entgegnete dieser mit einem Blick stillen Vorwurfs auf Jane. »Es war nicht meine Schuld, ich wollte Lady Anne abhalten, aber sie schob mich bei Seite.«

»Immer die alte Herrschsucht und Eifersucht«, sagte Heinrich unverhohlen. »Wie anders hätte sich meine edle Katharina bei dieser Gelegenheit benommen! Aber entfernt Euch beide nun, damit sie Jane bei ihrer Erholung nicht gewahr werde.«

Die Mädchen gehorchten willig.

Die ohnmächtige Frau erholte sich bald und man trug sie in ihr Zimmer, wo Heinrich sich als der liebevollste Gemahl bewies und ihr auch versprach, Jane ihres Dienstes zu entlassen.

So groß auch anfangs sein Schmerz über den Tod Katharinas gewesen war, er verhinderte nicht, dass bereits am folgenden Tag sein feiler, sklavisch gesinnter Kanzler Cromwell nach Kimboltoncastle abreisen musste, um sich den Nachlass der edlen Frau anzueignen. Dieser fiel, wie zu vermuten stand, spärlich aus, da die Verstorbene oft sogar in Armut gelebt hatte und keinen Schmuck besaß als den, welchen sie an jenem

Tag trug, wo sie Westminster verließ. Sie hatte dort alles ihrer Tochter hinterlassen, allein Anne bemächtigte sich sofort des Schmuckes sowie der reichen Hermelinpelze und Samtgewänder.

Katharina besaß noch ein Einkommen von jährlich fünftausend Pfund, als Witwe des Kronprinzen Arthur, das nach ihrer Verstoßung aber nicht ausbezahlt worden war. In ihrem Testament verfügte sie über dieses Geld zu Gunsten ihrer Diener und Dienerinnen.

In wie weit Heinrich für gut fand, dieser Anordnung seiner Gattin Genüge zu leisten, muss dahingestellt bleiben. Authentisch ist nur die Tatsache, dass die meisten Diener sowie die drei Jungfrauen Katharinas sich auf den Kontinent begaben, wo sie beim Kaiser freundliche Aufnahme fanden. Katharina selbst, die edle Dulderin, wurde nicht in Westminster begraben, sondern in der alten ehrwürdigen Abtei von Peterborough2, wo der Bischof von Lincoln die heilige Handlung vollzog.

Heinrich gelobte vor vielen Zeugen, dass er ihr das schönste Monument im christlichen Reich errichten wolle. Er hielt dieses Mal getreulich Wort.

In späteren Jahren blieb die herrliche Abtei als Ruhestätte der geliebten Katharina allein von Heinrichs blutigen, geldgierigen Fingern verschont und vor der allgemeinen Plünderung der reichen Kirchengüter bewahrt. Selbst Cromwell, der Erzfanatiker, gab seinen Schergen den strengsten Befehl, dieses Gebäude bei der Zerstörung der katholischen Kirchen unberührt zu lassen.

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  1. Annes eigene Worte
  2. Im englischen Volk hat der Name Katharina von Aragon einen Heiligenschein bewahrt. Bis heute betrachtet der Wanderer mit Ehrfurcht die schlichte Platte von Messing, welche allein den Ruheort dieser hohen Unglücklichen bezeichnet.