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Der Welt-Detektiv Band 6

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Guido von Scharfenstein – Kapitel II

Guido von Scharfenstein, der mächtige Bezwinger der Zauberer und Hexen, und die wunderbare Rose
Eine Ritter- und Zaubergeschichte aus guter alter Zeit
J. Lutzenberger Verlag Burghausen

II.

Guido schritt mit klirrenden gewichtigen Schritten in seinem Schlafgemach auf und nieder. Ein Seufzer stahl sich aus seiner Brust. Er sprach leise für sich hin: »Bin ich nicht ein Tor, einem Traumbild nachzuhängen? Mich in Sehnsucht nach einem körperlosen Wesen zu verzehren? Und doch war sie so lieblich, stand mir so klar vor Augen, dass ich meinte, sie müsse zu mir sprechen. Man sagt ja, solche Träume hätten Bedeutung. Wenn ich mich nur dem guten Vater Leuthold anvertraut hätte! Er ist erfahren in solchen Dingen und hätte mir gewiss den Traum auslegen können. Ich könnte wohl noch zu ihm gehen, aber er schläft jetzt schon!«

»Er schläft noch nicht, sondern ist hier, um deine Wünsche zu vernehmen, mein Sohn!«

Indem Guido sich umwandte, stand der Gewünschte vor ihm. »Fürwahr, Ihr seid mir sehr willkommen«, sprach dieser, »denn ich habe Euch um mancherlei zu befragen, worüber Ihr allein nur mir Aufschluss geben könnt!«

»Du wirst mich stets bereit finden, dir zu dienen, denn seit deiner frühesten Kindheit habe ich mit liebender Sorgfalt dich bewacht, da mir die Sterne sagten, dass du es sein würdest, der von frommen  Eltern gezeugt, selbst fromm und tugendhaft das große Werk vollbringen kann, zu dessen Ausführung ich schon seit langer Zeit vergebens einen Helden suche!«

»Ha, welches Werk, mein guter Vater! Ihr macht mich neugierig und stolz zugleich!«

»Davon ein anderes Mal, mein Sohn, noch ist es nicht Zeit. Du wolltest mir etwas entdecken, einen Traum, nicht wahr?«

»Ihr wisst es schon, guter Leuthold, und so brauche ich Euch wohl kaum zu sagen, dass mir in voriger Nacht eine wunderholde Maid im Traum erschien, von deren unvergleichlich schönem Antlitz ein solcher Strahlenglanz ausging, dass mein Gemach davon erhellt wurde. Sie war aber jedoch zugleich so natürlich, dass ich mich lange nicht überzeugen konnte, es sei nur ein bloßer Traum gewesen. Nun möchte ich aber gern wissen, ob dieses Gebilde irgendetwas für mich bedeuten könne?«

»Das heißt, du möchtest wissen, mit welchem Namen du sie bezeichnen könntest. Ist es nicht so?«

»So ist es.«

»Hm, hm«, räusperte sich Leuthold mit schlauer Miene und fuhr dann bedächtig fort: »Ich will dir raten, Guido, warte diese Nacht noch ab. Träume, die etwas zu bedeuten haben, kehren in der Regel wieder. Sollte sie dir noch einmal erscheinen, so frage sie, wenn auch im Traum, nach ihrem Namen. Vielleicht entdeckt sie ihn dir. Und nun noch eins: Wenn du morgen die Burg deiner Väter verlässt, so ziehe fort nach Süden, dann gehst du der großen Aufgabe entgegen, die dir überschwänglichen Ruhm gewähren wird, wenn du sie löst, denn sie ist mit ungewöhnlichen Gefahren verbunden. Aber ich weiß, dass du Gefahren suchst.«

»Nur solche suche ich, die einem Ritter geziemen.«

Der Alte betrachtete ihn lange Zeit mit mild blickendem Auge, dann reichte er seinem jungen Freund die Hand und verließ das Gemach.

Guido betete fromm und brünstig zu seinem Gott und streckte sich auf seinem Lager, zum letzten Mal für lange Zeit. Nachdem er eingeschlummert, beschäftigte ihn gegen Morgen ein lebhafter Traum. Er hatte geschlummert und erwachte nun durch die Töne einer lieblichen Musik. Ein rosiger Lichtschimmer verbreitete sich in der ganzen Atmosphäre. Wie er nun unverwandt dahin blickte, schwebte aus dem Lichtmeer eine liebliche Jungfrau hervor, deren Schönheit alles übertraf. Sie bog sich über ihn. Wie er sie länger und länger betrachtete, wollte ihm namenlose Wonne die Brust zersprengen. Es war dieselbe Huldgestalt, die er schon einmal im Traum gesehen hatte. Sinnend betrachtete sie ihn eine Weile, dann erheiterte sich ihr Antlitz. Sie ließ eine eben erblühte Rose, die sie in der Hand hielt, auf ihn niederfallen und sagte mit leisen Worten: »Rette mich, tapferer Guido! Ja, du bist derjenige, dem das große Werk meiner Befreiung gelingt. Du und kein anderer! Wir werden uns wiedersehen. Diese Rose sei dir ein Unterpfand!« Darauf richtete sie sich empor und schwebte langsam zurück.

In diesem Augenblick ermannte sich Guido von seiner Überraschung. Dem Rat Leutholds folgend fragte er sie: »Himmlische Jungfrau, wie heißt du?«

»Rosamunde!«, tönte es aus der Wolke zurück.

»Rosamunde!«, betete er leise nach, blickte um sich und fand sich auf dem Lager in seinem Schlafgemach. Lange rieb er sich die Augen. Er wollte es nicht glauben, dass er geträumt habe, aber es war so. Nur eines war aus dem Traum in die Wirklichkeit übergegangen: Die schöne, rote, süß duftende Rose, welche ihm Rosamunde hinterlassen hatte, lag vor ihm auf dem Lager.

In diesem Augenblick trat Vater Leuthold ein und weidete sich lächelnd an der Verwirrung seines Lieblings. »Mein Sohn!« sprach er, »ich komme, um dir Lebewohl zu sagen und dir zugleich ein kleines Andenken zu hinterlassen. Sieh hier diese goldene Kapsel. Sie eignet sich zur Aufbewahrung dieser dir von einem unbekannten Wesen überbrachten Rose. Diese Rose, mein Sohn, ist für dich von hoher Bedeutung. Sie welkt nie, so lange dein Wandel rein und unbescholten ist, aber die geringste Abirrung von der Bahn der Tugend bringt eine traurige Veränderung an ihr hervor. Dadurch wird sie dir ein warnendes und zugleich aufmunterndes Zeichen, welches dir die guten Geister, welche über deine Wohlfahrt wachen, gegeben haben, um dich durch die wunderbare Kraft, welche dieser Blume innewohnt, gegen die Einwirkung der bösen Geister zu schützen. Und nun mein Sohn beherzige noch Folgendes: Du wirst manche Prüfung zu bestehen haben. Die Sünde wird dir verlockend in schöner Gestalt entgegentreten. Aber meide sie, bleibe der Tugend getreu, dann bekommen die bösen Geister und namentlich die Hexe Xanda mit all ihrem Anhang keine Gewalt über dich, so sehr sie sich auch bemühen wird, dir auf deinem Ritterzug allerhand verfängliche Abenteuer zu bereiten. Bleibe du fest und treu, dann ist dein Lohn ein schöner. Er heißt: Rosamunde!«

Mit diesen Worten verschwand Leuthold. Guido betastete die Gegenstände um sich her, um sich zu überzeugen, dass er wirklich wache. Er betrachtete nochmals mit heiliger Scheu die schöne Rose und legte sie dann in die dazu empfangene goldene Kapsel, dessen daran befindliches Kettchen er um seinen Hals schlang. Auf solche Weise barg er das teure Liebespfand auf seinem vor Wonne und Freude hochklopfenden Herzen und rüstete sich nun zum Scheiden aus der väterlichen Burg.