Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Anne Boleyn Band 2 – Kapitel 12 Teil 2

Gräfin Luisa Mary von Robiano
Anne Boleyn
Historischer Roman, Constenoble, Jena 1867
Zweiter Band

Er verließ das Gemach, als eben eine leichte, graziöse Gestalt eintrat und sich als die beigegebene Dienerin der Lady vorstellte.

»Du bist mir willkommen«, sagte Lady Willoughby. »Ich fürchte mich, in diesen hohen, unheimlichen Mauern allein zu bleiben. Doch genügt es, dich in meiner Nähe zu wissen. Hilf mir, mich auszukleiden, dann bedarf ich deiner Dienste heute nicht mehr.«

Das Mädchen tat, wie ihr befohlen wurde.

Da Lady Willoughby sich ermüdet zeigte, vollzog man die Nachttoilette schweigend und eilig. Dann verbeugte sie sich sittsam vor der hohen Dame und zog sich in das Nebengemach zurück.

Lady Willoughby, welche scheinbar die Augen zum Schlummer geschlossen hatte, richtete sich nach einiger Zeit rasch in dem hohen Himmelbett auf und lauschte. Es war alles still, still wie im Grab, auch kein Licht in dem Nebenzimmer des Mädchens.

Sie schläft gewiss fest, denn sie ist jung, dachte sie. Sie wird mich nicht hören, wenn ich hinausgehe. Es ist ein Unrecht, das ich durch diesen Schritt begehe, und eine Unwahrheit, denn ich habe Sir Edmund keine Papiere vorzuweisen. Er wird mich mit Gewalt hinausweisen, mir die Tür meiner Herrin verschließen. Ich muss mich zu ihr schleichen, ehe er mich daran hindern kann, muss ihren letzten Willen, ihren letzten Segenswunsch für die Tochter empfangen. Rasch, Clara, keine Zeit verloren!

Sie schlüpfte leicht aus dem Bett und in die abgelegten Kleider, band dann den Schleier als Kopftuch um die schwarzen Haare und warf ihren Reisemantel um die Schultern. Es war mondhell, der Regen hatte aufgehört, der Himmel war wolkenlos geworden. Schon hatte sich Lady Willoughby vorsichtig ihrer Tür genähert, die Hand auf das Schloss gelegt, als ein leises Geräusch sie erschreckte. Es kam von der Kammer her. Als sie das Haupt umwandte, stand nicht weit von ihr das junge Mädchen, völlig angekleidet.

»Erschreckt nicht, edle Frau«, sagte dieselbe freundlich, »ich bin nur gekommen, um Euch sicherer zum Ziel zu geleiten. Ich dachte mir, wem Euer Besuch gelte, denn ich habe das schöne Antlitz Lady Willoughbys gleich wiedererkannt.«

»Wie? Du weißt, wer ich bin?«

»Ja, Mylady. Ich besuchte oft in London meine Schwester, welche die edle Königin bediente, und da sah ich auch Euch. John erkannte mich hier ebenfalls sogleich, aber er legte den Finger auf die Lippen, zum Zeichen, dass ich ihn nicht nennen solle. Da wusste ich gleich, um was es sich handle, und gab auf den Gouverneur und dessen Befehle Achtung. Stellt Euch meine Freude vor, als er mich zu sich entbieten ließ, damit ich Euch bediene … und bewache, Mylady.«

»Bewachen? So schöpft er Argwohn?«

»Wahrscheinlich. Aber dieses Mal hat er falsch gerechnet, denn jede Seele im Schloss liebt die hohe Kranke wie ihr eigenes Leben, und namentlich ich. Ich ahnte dunkel, dass Ihr in der Nacht Zugang zur Königin suchen wolltet, weil John sich so angelegentlich nach der Lage der Zimmer bei mir erkundigte.«

»Er hat mich dir verraten?«

»Behüte der Himmel, Mylady. Da verkennt Ihr die treue Seele! Nein, kein Wort sagte er, aber ich erriet es und vollends, als ich sah, dass er im Korridor zurückblieb.«

»Er wartet auf mich. Ich will in der Nacht in das Zimmer gelangen«, sagte Lady Willoughby.

»Er wird Euch nichts helfen, Mylady, seine Gegenwart im Gegenteil Euch nur in Gefahr stürzen, denn es steht eine Schildwache vor dem Vorzimmer der Königin, und niemand passiert ohne die Parole.«

»Mein Gott, also doch eine Gefangene?«, rief Lady Willoughby.

»Das ist, weil das Gerücht sich verbreitet hat, der Kaiser von Deutschland habe heimliche Agenten nach England gesandt mit dem Auftrag, die Königin durch List zu entführen. Der Papst habe demjenigen Generalablass fürs ganze Leben verheißen, der die Prinzessin Mary nach Frankreich bringe.«

»Eine Sterbende will man noch durch solche kecke Pläne beunruhigen?«, sagte Lady Willoughby. »Wie töricht und ungerecht! Aber nun, liebes Kind, wenn du mein guter Engel sein willst und Mutter und Tochter liebst, so sage mir um Gottes willen, wie ich zu Katharina gelange!«

»Folgt meiner Führung, Mylady«, sagte das Mädchen. »Es wird mich zwar den Dienst kosten, aber einerlei! Ich tue es der Heiligen Jungfrau zuliebe, und sie wird mich darum nicht darben lassen.«

»Nein, du findest in meinem Haus eine lebenslängliche Heimat«, sagte Lady Willoughby.

»Ah, ich wusste wohl«, rief das Mädchen fröhlich aus, »dass die Heilige mich nicht verlassen würde! Nun aber voran, Mylady, reicht mir die Hand und vertraut mir.«

»Und John?«

»Wir müssen an ihm vorbeigehen. Dann sage ich ihm, dass wir ihn nicht brauchen.«

»Gut also, lass uns gehen«, sagte Lady Willoughby, entschlossen über die Schwelle tretend.

Draußen aber war es dunkler als im Zimmer. Die langen Gänge erhielten am Tage nur eine mäßige Beleuchtung durch die Schießlöcher in der dicken Wand. Bei Nacht war die darin herrschende Finsternis so dicht, dass man kaum einige Schritte vor sich sehen konnte.

Lady Willoughby hielt erschrocken an. »Ich sehe nichts!«, flüsterte sie ängstlich.

»Wir dürfen hier noch kein Licht zeigen«, lautete die ebenfalls leise Antwort, »aber bald, wenn wir jene Säule passiert haben. Ich fürchte, man könnte Eure Tür bewachen.«

Das Mädchen zog die Dame vorsichtig weiter. Sie selbst tappte mit der ausgestreckten Linken an der feuchten Mauer entlang. Plötzlich stieß ihr Fuß gegen einen kalten Gegenstand.

»Ah! Schon die erste Säule, Mylady. Nehmt Euch in Acht, damit Ihr Euch nicht stoßt.

Zählt vierzig Schritte, dann sind wir an der zweiten, wo John sein wird.«

Es geschah. Beim neununddreißigsten fragte eine gedämpfte Stimme: »Gott und …«

»Spanien!«, lautete die Antwort Lady Willoughbys, die ihren Diener erkannte. »Habt Ihr ein Licht bei Euch?«

»Ja, eine Blendlaterne«, antwortete John, »und ich denke, die ist hier nötig, wenn man keine Eule ist.«

»Und dennoch müssen wir wie die Eulen noch eine Weile im Finstern forttappen«, sagte das Mädchen neckisch.

»Alle Heiligen, Mylady, Ihr seid nicht allein!«

»Nein, John«, erwiderte Lady Willoughby. »Ich habe in meiner Dienerin unerwartet eine Verbündete gefunden.«

»Ah, dann ist es ohne Zweifel der kleine Schelm Jane Armstrong«, sagte John.

»Ganz recht, Master«, erwiderte das Mädchen. »Nun werdet Ihr beruhigt mir Eure Herrin überlassen, denn Ihr könntet auf dem gewöhnlichen Weg nicht ins Zimmer gelangen. Wir müssen durch die Kapelle in das Vorgemach der Jungfrauen gelangen, ohne dass die Schildwache uns gewahr wird.«

»Gebt mir Eure Hand darauf, dass ich Euch trauen darf«, sagte John zu dem Mädchen.

»Hier!«, sagte diese.

John langte aus und ergriff sie, legte aber zugleich seinen Arm um die schlanke Gestalt und küsste sie zärtlich.

»So, nun geht Eures Weges«, sagte er alsdann. »Die Blendlaterne nehmt mit, Miss Jane. Gott beschütze Euch, meine teure Lady.«

»Legt Euch nun zur Ruhe, John«, sagte seine Herrin, »wir haben einen langen Tag hinter uns. Ihr müsst ermüdet sein.«

»Mit Verlaub, Mylady. Ich will lieber hier die Rückkehr Janes abwarten. Bin doch gespannt, zu wissen, ob Ihr ans Ziel gelangt seid oder ob wir nicht beide wieder mit Tagesanbruch davonziehen.«

»Man wird mich hinaustragen müssen«, sagte Lady Willoughby fest, »mit freiem Willen verlasse ich das Plätzchen nicht.«

»Lasst Euch die Wartezeit nicht lang werden, Master«, flüsterte Jane dem kecken Burschen schnippisch zu, als sie an ihm vorbeiging.

Nachdem sie noch einige Zeit lang sich mühsam fortgeschlichen hatten, hielt Jane an einer Tür unter einem der größeren Fenster an, welche hier und da in der Mauer angebracht waren.

»Durch diese gelangen wir in die Sakristei«, sagte Jane, »und von dort aus leicht weiter. Ich denke, sie ist nur angelehnt, denn unser Herr Pfarrer ist so schwach, dass er sie nicht auf- und zuriegeln kann. Richtig! Sie ist offen, tretet ein, Mylady, ohne Scheu.«

Lady Willoughby gehorchte. Jane schob den Schieber in der Blendlaterne zurück und ließ das schwache Licht ungehemmt in die Finsternis hinausströmen. Sie stiegen eine schmale Wendeltreppe hinauf, die in der Mauer angebracht war, gelangten in ein kleines Gemach und durch dieses in die Privatkapelle der Königin.

»Auf jenem Stein dort«, sagte das Mädchen mit bewegter Stimme, indem sie sich vor dem Altare bekreuzigte, »hat die hohe Frau stundenlang gekniet und gebetet. Zuletzt wurde sie zu schwach dazu und konnte sich nur noch bis in jene Galerie schleppen, wo sie der Messe beiwohnte und in heiligen Schriften las.«

»So sind wir nicht mehr fern von ihren Gemächern?«, fragte Lady Willoughby.

»Ganz nahe, Mylady. Jene Tür dort führt Euch hinauf in ein Vorzimmer und durch dieses gelangt Ihr in das Schlafgemach der drei Edelfräulein. Das Krankenzimmer befindet sich neben diesem.«

»Da kann ich mich nicht mehr verirren«, sagte Lady Willoughby, »und du brauchst dich nicht weiter zu bemühen, liebes Kind.«

»Werdet Ihr den Weg zurückfinden?«

»Ich gehe ihn nicht mehr in der Nacht zurück«, sagte Lady Willoughby. »Ich bleibe im Krankenzimmer. Niemand in diesem Haus soll mich von meiner Herrin mehr trennen.«

»Ihr müsst selbst wissen, was Ihr tun dürft, edle Frau«, sagte Jane. »So will ich Euch denn verlassen und John Nachricht bringen, dass ich Euch sicher geleitet habe.«

»Tu das«, sagte Lady Willoughby, »er wird ungeduldig deiner harren. Nimm zum Beweis meines Dankes und meiner Liebe diesen Ring von mir. Er kann einst dein Brautring werden. Und wenn du einen Bräutigam hast, sorge ich für die Ausstattung und die Hochzeit.«

Janes hübsches Gesicht erblühte wie eine Rose. »O, Mylady, John und ich kennen uns schon lange. Ich weiß aber nicht, ob Master John mich … gern sieht … oder …«

»Schon recht«, unterbrach sie Lady Willoughby lächelnd. »Geh nur und lass mich eilen. Wir sprechen uns morgen wieder. Wenn man dich aber schnell aus dem Schloss weist, dann geh sofort auf mein Gut und melde dich bei meinem Gemahl. Er wird dich freundlich empfangen und aufnehmen, bis ich komme.«

Das Mädchen verbeugte sich und küsste die ihr dargebotene Hand, dann schieden sie. Jane eilte trotz der Dunkelheit flüchtigen Schrittes der Stelle zu, wo John ihrer harrte.

Sein gutes Ohr hatte ihre Schritte erkannt, auch ohne die Blendlaterne. Als sie ihm aber mit hoch geröteten Wangen den Ring zeigte und Lady Willoughbys Versprechen erwähnte, schloss der junge Mann sie überglücklich in seine Arme und drückte auf ihre glühenden Lippen den Brautkuss, indem er behauptete, der Bräutigam sei schon vorhanden. Es war das erste Mal seit vielen, vielen Jahren, dass ein Bund der Liebe in diesen düsteren Mauern geknüpft worden war, und dass zwei zärtlich liebende Herzen weder die Finsternis in denselben beachteten noch fürchteten.