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Die drei Musketiere 41

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
7. bis 10. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

VIII.

Die Belagerung von La Rochelle

Die Belagerung von La Rochelle war eines der bedeutendsten Ereignisse unter der Regierung Ludwigs XIII.

Die politischen Absichten des Kardinals, als er die Belagerung unternahm, waren von hoher Bedeutung. Von den wichtigen Städten, welche Heinrich IV. den Hugenotten als Versicherungsplätze gab, war nur noch La Rochelle übrig. Der Kardinal wollte dieses letzte Bollwerk des Calvinismus zerstören.

La Rochelle, das durch den Untergang der anderen calvinistischen Städte ein neues Gewicht bekommen hatte, war überdies der letzte Hafen, der den Engländern in Frankreich offen stand. Wenn er denselben für England, den ewigen Feind Frankreichs, verschloss, vollendete er das Werk der Jungfrau von Orleans und des Herzogs von Guise.

Bassompierre, der zugleich Protestant und Katholik war, Protestant aus Überzeugung, Katholik als Kommandeur vom heiligen Geist, Bassompierre, ein Deutscher von Geburt, ein Franzose seinem Herzen nach, der ein besonderes Kommando bei der Belagerung von La Rochelle hatte, sagte daher auch, als er an der Spitze mehrerer anderer protestantischer Edelleute angriff: »Ihr werdet sehen, Messieurs, wir sind so dumm und nehmen La Rochelle.«

Und Bassompierre hatte recht. Die Kanonade der Insel Ré weissagte ihm die Verfolgungen der Hugenotten. Die Einnahme von La Rochelle war die Vorrede zum Widerruf des Edikts von Nantes.

Aber neben diesen allgemeinen Absichten des nivellierenden Ministers, welche der Geschichte angehören, muss der Chronikschreiber die kleinen Gesichtspunkte des verliebten Mannes und eifersüchtigen Nebenbuhlers ins Auge fassen.

Richelieu war, wie jedermann weiß, in die Königin verliebt gewesen. Hatte diese Liebe bei ihm einen einfachen politischen Zweck oder war es eine jener tiefen Leidenschaften, wie sie Anna von Österreich den Männern, von denen sie umgeben war, einflößte? Wir wissen es nicht zu sagen, aber jedenfalls könnte man aus der früheren Entwicklung dieser Geschichte ersehen, dass Buckingham bei mehreren Umständen den Sieg über ihn davongetragen hatte, und besonders hatte er ihn bei der Geschichte mit den Nestelstiften auf eine grausame Weise mystifiziert.

Es handelte sich also für Richelieu nicht nur darum, Frankreich von einem Feind zu befreien, sondern auch sich an einem Nebenbuhler zu rächen. Die Rache sollte groß, glänzend und besonders eines Mannes würdig werden, der die Kräfte eines ganzen Königreichs als Schwert in der Hand hält.

Richelieu wusste, dass er, indem er England bekämpfte, über Buckingham triumphierte, dass er, indem er England in den Augen Europas demütigte, Buckingham in den Augen der Königin demütigte.

Während Buckingham seinerseits nur die Ehre Englands vorschob, wurde er von Interessen in Bewegung gesetzt, die denen des Kardinals vollkommen glichen: Buckingham verfolgte ebenfalls eine Privatrache. Buckingham hatte unter keinem Vorwand wieder als Botschafter Eingang in Frankreich finden können.

Daraus geht hervor, dass der wahre Einsatz bei der Partie, welche die zwei mächtigen Reiche nach dem Belieben zweier verliebter Männer spielten, weiter nichts als ein Blick Annas von Österreich war.

Den ersten Vorteil hatte der Herzog von Buckingham errungen. Er erschien unerwartet im Angesicht der Insel Ré mit neunzig Schiffen und ungefähr zwanzigtausend Mann, überfiel den Grafen von Toiras, der auf der Insel für den König kommandierte, und bewerkstelligte nach einem blutigen Kampf seine Landung.

Wir bemerken im Vorübergehen, dass bei diesem Kampf der Baron von Chantal fiel. Der Baron von Chantal hinterließ eine Enkelin von achtzehn Monaten als Waise. Diese Enkelin wurde später Frau von Sevigné.

Der Graf von Toiras zog sich in die Zitadelle Saint-Martin mit der Garnison zurück und warf etwa hundert Mann in ein kleines Fort, das man das Fort de la Prée nannte.

Dieses Ereignis hatte die Entschließungen des Kardinals beschleunigt. Er schickte, bis der König und er, wie dies beabsichtigt war, den Oberbefehl bei der Belagerung von La Rochelle übernehmen konnten, Monsieur ab, um die ersten Operationen zu leiten. Alle Truppen, über die er zu verfügen imstande war, gingen zu dem Kriegsschauplatz ab.

Zu diesem als Vorhut abgeschickten Detachement gehörte auch unser Freund d’Artagnan.

Der König sollte, wie gesagt, folgen, sobald er seinen großen Gerichtstag im Parlament gehalten hätte. Als er sich am 25. Juni von diesem erhob, fühlte er sich vom Fieber ergriffen. Er wollte nichtsdestoweniger abreisen, aber sein Zustand verschlimmerte sich, und er war genötigt, in Villeroy zu bleiben.

Wo der König anhielt, mussten auch die Musketiere verweilen. Dadurch geschah es, dass d’Artagnan, der ganz einfach bei den Garden war, sich wenigstens für den Augenblick von seinen Freunden Athos, Porthos und Aramis getrennt sah. Diese Trennung, welche für ihn nur eine Unannehmlichkeit war, würde ihm gewiss zu ernstlicher Unruhe gereicht haben, wenn er die unbekannten Gefahren hätte ahnen können, von denen er umgeben war. Dessen ungeachtet langte er in dem vor La Rochelle aufgeschlagenen Lager an.

Es befand sich noch alles in demselben Zustand. Der Herzog von Buckingham und seine Engländer fuhren als Messieurs der Insel Ré fort, obwohl ohne Erfolg, die Zitadelle von Saint-Martin und das Fort de la Prée zu belagern. Die Feindseligkeiten mit La Rochelle hatten seit zwei oder drei Tagen gegen ein Fort begonnen, das der Herzog von Angoulême in der Nähe erbauen ließ.

Die Garden unter dem Kommando von Monsieur des Essarts hatten ihre Unterkünfte im Kloster der Minimen.

Aber d’Artagnan, der ganz und gar von dem Ehrgeiz, unter die Musketiere überzutreten, eingenommen war, hatte wenig Freundschaft mit seinen Kameraden gemacht und fand sich so vereinzelt und seinen eigenen Betrachtungen überlassen.

Diese Betrachtungen waren eben nicht sehr lachend. Seit einem Jahre, seit er in Paris angekommen war, hatte er sich in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt. Seine eigenen Angelegenheiten waren, was Liebe und Glück betrifft, nicht weit vorgerückt.

Was die Liebe betrifft, war Madame Bonacieux die einzige Frau, die er wahrhaft geliebt hatte, und Madame Bonacieux war verschwunden, ohne dass er nur im Geringsten etwas von ihrem Leben oder Aufenthalt zu entdecken vermochte.

In Betreff des Glückes hatte er, der Schwache, sich den Kardinal, das heißt den Mann, vor dem die Größten des Reiches, vom König abwärts, zitterten, zum Feind gemacht.

Dieser Mann konnte ihn niederschmettern, zertreten, und er hatte es nicht getan. Für einen so scharfsinnigen Geist wie d’Artagnan war diese Nachsicht ein Licht, durch das er eine bessere Zukunft erblickte.

Dann hatte er sich noch einen anderen Feind gemacht, der seiner Ansicht nach weniger zu fürchten, aber, wie er instinktmäßig fühlte, darum doch nicht zu verachten war. Dieser Feind war Mylady.

Allen diesen gegenüber durfte er sich des Schutzes und Wohlwollens der Königin versichert halten, aber das Wohlwollen der Königin war zu jener Zeit eine weitere Ursache zur Verfolgung. Ihre Protektion beschützte bekanntlich sehr schlecht, was bei Chalais und Madame Bonacieux sichtbar wurde.

Der augenscheinlichste Gewinn, den er unter allen diesen Verhältnissen errungen hatte, war der Diamant von fünf- bis sechstausend Livres, den er an seinem Finger trug. Auch dieser Diamant hatte, da d’Artagnan in seinen ehrgeizigen Plänen ihn behalten wollte, um ihn eines Tages als Zeichen der Wiedererkennung bei der Königin zu benutzen und ihn also nicht veräußern konnte, vorläufig nicht mehr Wert als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat.

Wir sagen, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat, denn d’Artagnan stellte diese Betrachtungen an, während er einsam auf einem hübschen Pfad spazieren ging, der vom Lager in eine benachbarte Stadt führte. Unter diesen Betrachtungen aber war er weiter gegangen, als er glaubte. Der Tag fing an, sich zu neigen, als er beim letzten Strahl der untergehenden Sonne hinter einer Ecke hervor einen Flintenlauf glänzen sah.

D’Artagnan hatte ein lebhaftes Auge und einen raschen Geist. Er begriff, dass die Flinte nicht allein gekommen war und ihr Träger sich nicht in freundschaftlichen Absichten hinter der Hecke verborgen hatte. Er beschloss also, das Weite zu suchen, als er auf der anderen Seite der Straße hinter einem Felsen das Ende einer zweiten Flinte erblickte.

Das war offenbar ein Hinterhalt.

Der junge Mann warf einen Blick auf die erste Flinte und sah mit einer gewissen Unruhe, dass sie sich in der Richtung nach ihm senkte. Aber sobald er gewahr wurde, dass die Mündung des Laufes unbeweglich blieb, warf er sich mit dem Bauch auf die Erde. Zu gleicher Zeit ging der Schuss los. Er hörte das Zischen einer Kugel, welche über seinem Kopf hinflog.

Es war keine Zeit zu verlieren. D’Artagnan sprang auf und in demselben Augenblick sprengte die andere Flinte die Kieselsteine von der Stelle auf, wo er sich vorher mit dem Gesicht auf die Erde geworfen hatte.

D’Artagnan gehörte nicht zu den Prahlern, welche einen lächerlichen Tod suchen, damit man nicht von ihnen sage, sie seien nicht einen Schritt zurückgewichen. Überdies handelte es sich hier nicht mehr um den Mut, denn d’Artagnan war in einen Hinterhalt gefallen.

»Kommt noch ein dritter Schuss«, sprach er zu sich selbst, »so bin ich ein Kind des Todes.«

Und sogleich entfloh er dem Lager zu mit der Geschwindigkeit der Bewohner seiner Heimat, welche durch ihr behendes Wesen berühmt geworden sind. Aber so rasch er auch lief, so hatte doch derjenige, welcher zuerst geschossen hatte, Zeit gefunden, sein Gewehr wieder zu laden. Er feuerte ihm einen zweiten Schuss nach, der dieses Mal so gut gezielt war, dass die Kugel durch seinen Hut drang und diesen zehn Schritte von ihm schleuderte.

Da d’Artagnan keinen anderen Hut besaß, so hob er diesen im Laufen vom Boden auf und langte ganz bleich und atemlos in seinem Quartier an. Er setzte sich hier nieder, ohne jemand ein Wort zu sagen, und dachte über das Vorgefallene nach.

Dieses Ereignis konnte drei Ursachen haben.

Die erste und natürlichste ließ sich in einem Hinterhalt von Rochellern suchen, denen es nicht leid gewesen wäre, einen von den Garden des Königs zu töten, denn sie würden sich dadurch einen Feind weiter vom Halse geschafft haben, und dieser Feind hätte eine wohlgespickte Börse in seiner Tasche tragen können.

D’Artagnan nahm seinen Hut, untersuchte das Loch der Kugel und schüttelte den Kopf. Die Kugel war nicht von einer Muskete, sondern aus einer Büchse. Die Genauigkeit des Schusses hatte ihn schon auf den Gedanken gebracht, er sei aus einem Privatgewehr abgefeuert worden. Es war also kein militärischer Hinterhalt, wie dies aus dem Kaliber der Kugel hervorging.

Es konnte auch ein gutes Andenken vom Kardinal sein. Man erinnert sich, dass er in dem Augenblick, wo er durch den glücklichen Sonnenstrahl begünstigt den Flintenlauf erblickte, selbst über die Langmut Seiner Eminenz in Beziehung auf seine Person staunte.

Aber d’Artagnan schüttelte mit zweifelhafter Miene den Kopf. Bei Leuten, nach denen er nur die Hand auszustrecken hatte, nahm der Kardinal nur selten zu solchen Mitteln seine Zuflucht.

Es konnte eine Rache von Mylady sein.

Diese Vermutung war vernünftiger.

Vergebens suchte er sich der Züge oder der Tracht der Mörder zu erinnern. Er war genötigt gewesen, sich so rasch zu entfernen, dass er nicht Muße gehabt hatte, etwas wahrzunehmen.

»Ah! Meine armen Freunde«, murmelte d’Artagnan, »wo seid ihr? Und wie fehlt Ihr mir!«

D’Artagnan verbrachte eine schlimme Nacht. Drei- oder viermal erwachte er plötzlich, weil er sich einbildete, man nähere sich seinem Bett, um ihn zu erdolchen. Aber der Tag erschien, ohne dass die Dunkelheit einen Überfall herbeigeführt hatte.

D’Artagnan verleugnete sich jedoch nicht, dass aufgeschoben nicht aufgehoben war. Er blieb den ganzen Tag in seiner Wohnung, wobei er sich vor sich selbst mit dem schlechten Wetter entschuldigte.

Am zweiten Tag um neun Uhr wurde Marsch geschlagen. Der Herzog von Orleans visitierte die Posten. Die Leibwachen eilten zu den Waffen. D’Artagnan nahm seine Stelle unter seinen Kameraden ein.

Monsieur zog an der Front der Truppen vorüber, dann näherten sich ihm alle höheren Offiziere, um seinen Hof zu bilden, darunter auch der Monsieur des Essarts.

Nach Kurzem kam es d’Artagnan vor, als ob ihn Monsieur des Essarts durch ein Zeichen zu sich beschiede. Er wartete auf eine neue Gebärde seines Vorgesetzten, aus Furcht, er könnte sich täuschen. Als diese Gebärde wiederholt wurde, verließ er die Reihen und trat vor, um den Befehl einzuholen.

»Monsieur verlangt Freiwillige zu einer gefährlichen Sendung, die jedoch denjenigen, welche sie erfüllen, Ehre bringt, und ich habe Euch ein Zeichen gemacht, damit Ihr Euch bereithalten möget.«

»Ich danke, mein Capitaine«, antwortete d’Artagnan, dem nichts erwünschter war, als sich unter den Augen des Generallieutenants auszuzeichnen.

Die Rocheller hatten wirklich in der Nacht einen Ausfall gemacht und eine Bastei wieder genommen, deren sich zwei Tage vorher die royalistische Partei bemächtigt hatte. Es handelte sich darum, eine Rekognoszierung vorzunehmen, um zu sehen, wie die Bastei bewacht werde.

Nach einigen Augenblicken erhob Monsieur die Stimme und sprach: »Ich bedarf zu diesem Auftrag drei oder vier Freiwillige geführt von einem sicheren Mann.«

»Was den sicheren Mann betrifft, so habe ich diesen bei der Hand«, erwiderte Monsieur des Essarts und deutete auf d’Artagnan, »und in Beziehung auf die Freiwilligen darf Monseigneur nur seinen Willen kundgeben, und es wird nicht an Leuten fehlen.«

»Vier Freiwillige, um sich mit mir töten zu lassen«, sprach d’Artagnan, den Degen erhebend.

Zwei von seinen Kameraden bei den Garden stürzten sogleich hervor, zwei Soldaten verbanden sich mit ihnen und die gewünschte Zahl war voll. D’Artagnan wies daher alle anderen zurück, da er denen, welche zuerst gekommen waren, ihr Recht auf Beförderung nicht schmälern wollte.

Man wusste nicht, ob die Rocheller nach der Einnahme diese Bastei geräumt oder ob sie eine Garnison darin gelassen hatten. Man musste also den bezeichneten Ort ziemlich nahe untersuchen, um sich hierüber Gewissheit zu verschaffen.

D’Artagnan ging mit seinen vier Gefährten ab und folgte dem Laufgraben. Die zwei Garden marschierten in demselben Glied mit ihm und die Soldaten kamen hinter ihm.

So gelangten sie, sich deckend, bis auf hundert Schritte zur Bastei. Als sich d’Artagnan hier umwandte, sah er, dass die Soldaten verschwunden waren. Er glaubte, sie seien aus Furcht zurückgeblieben, und rückte weiter vor.

An der Biegung der äußersten Grabenmauer waren sie nur noch ungefähr sechzig Schritte von der Bastei entfernt.

Man sah nichts, die Bastei schien ganz verlassen.

Die drei Verlorenen beratschlagten, ob sie weiter gehen sollten, als plötzlich eine Rauchwolke sichtbar wurde und ein Dutzend Kugeln um d’Artagnan und seine Gefährten zischten.

Sie wussten, was sie wissen wollten. Die Bastei wurde bewacht, ein längerer Aufenthalt an diesem gefährlichen Ort wäre eine nutzlose Unklugheit gewesen.

D’Artagnan und die zwei Garden kehrten um und begannen einen Rückzug, der mehr einer Flucht glich.

Als sie die Ecke des Laufgrabens erreichten, der ihnen als Wall dienen sollte, stürzte einer von den Garden. Eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt. Der andere war wohlbehalten und setzte seinen Lauf zum Lager fort.

D’Artagnan wollte seinen Gefährten nicht so verlassen und beugte sich über ihn herab, um ihn aufzuheben, aber in diesem Augenblick wurden zwei Schüsse abgefeuert. Eine Kugel zerschmetterte dem bereits verwundeten Garden den Kopf, die andere prallte an dem Felsen ab, nachdem sie auf zwei Zoll an d’Artagnan vorübergeflogen war.

Der junge Mann wandte sich lebhaft um, denn dieser Angriff konnte nicht von der Bastei kommen, die durch die Ecke des Laufgrabens maskiert war. Sogleich fielen ihm die zwei Soldaten ein, die ihn verlassen hatten. Er erinnerte sich dabei der Mörder, die ihm zwei Tage vorher nach dem Leben getrachtet hatten. Er beschloss daher, diesmal zu untersuchen, woran er sich zu halten hätte, und fiel auf den Leib seines Kameraden nieder, als ob er tot wäre.

Alsbald sah er, wie sich zwei Köpfe über einem verlassenen Werk, dreißig Schritte von ihm erhoben. Es waren die zwei Soldaten. D’Artagnan hatte sich nicht getäuscht. Diese Leute waren ihm nur gefolgt, um ihn zu töten, in der Hoffnung, der Tod des jungen Mannes würde dem Feind auf die Rechnung gebracht werden.

Da er jedoch nur verwundet sein und ihr Verbrechen anzeigen konnte, so näherten sie sich ihm, um ihm den Garaus zu machen. Durch die List d’Artagnans getäuscht, versäumten sie es glücklicherweise, ihre Gewehre wieder zu laden. Als sie auf zehn Schritte von ihm entfernt waren, stand d’Artagnan, der bei seinem Fall sein Schwert fest in der Hand behalten hatte, rasch auf und befand sich mit einem Sprung bei ihnen.

Die Mörder begriffen, dass sie, wenn sie zum Lager entflohen, ohne ihren Mann getötet zu haben, von diesem verklagt wurden. Es war daher ihr erster Gedanke, zum Feind überzulaufen. Der eine von ihnen nahm seine Flinte beim Lauf und bediente sich derselben als einer Keule. Er führte einen furchtbaren Schlag nach d’Artagnan, der ihm dadurch auswich, dass er sich auf die Seite warf, aber durch diese Bewegung ließ er dem Banditen freien Raum, und dieser lief sogleich nach der Bastei.

Da die Rocheller, welche dieselben bewachten, nicht wissen konnten, in welcher Absicht dieser Mann zu ihnen kam, so gaben sie Feuer auf ihn, und er stürzte mit zerschmetterter Schulter nieder.

Während dieser Zeit warf sich d’Artagnan auf den zweiten Soldaten und griff ihn mit dem Degen an. Der Kampf währte nicht lange. Der Elende hatte zu seiner Verteidigung nichts als die abgefeuerte Flinte. Der Degen des Garden glitt am Lauf des unnütz gewordenen Gewehres ab und durchdrang den Schenkel des Mörders, welcher niederfiel.

D’Artagnan setzte ihm sogleich seine Degenspitze an die Gurgel.

»Oh! Tötet mich nicht«, rief der Bandit. »Gnade! Gnade, mein Offizier, und ich werde Euch alles sagen.«

»Ist dein Geheimnis so viel wert, dass ich dir das Leben schenke?«, fragte der junge Mann.

»Ja, sobald Ihr das Leben einigermaßen schätzt, wenn man erst zwanzig Jahre alt ist, wenn man schön und brav ist, wie Ihr, und alles erreichen kann.«

»Elender«, sagte d’Artagnan, »sprich schnell. Wer hat dir den Auftrag gegeben, mich zu ermorden?«

»Eine Frau, die ich nicht kenne, die man aber Mylady nannte.«

»Doch wenn du diese Frau nicht kennst, woher weißt du ihren Namen?«

»Mein Kamerad kannte sie und nannte sie so. Sie verhandelte mit ihm und nicht mit mir. Er hat sogar in seiner Tasche einen Brief von dieser Person, der von großem Belang für Euch sein muss, wie ich ihn sagen hörte.«

»Aber wie kommst du dazu, an diesem Hinterhalt Anteil zu nehmen?«

»Er machte mir den Vorschlag, diesen Streich zu zweit auszuführen, und ich willigte ein.«

»Und wie viel hat sie euch für dieses Unternehmen gegeben?«

»Hundert Louisd’or.«

»Schön«, sprach der junge Mann lachend, »sie denkt doch, ich sei etwas wert. Hundert Louisd’or, das ist eine Summe für Schurken eurer Art. Auch begreife ich, dass du eingewilligt hast, und ich begnadige dich, jedoch unter einer Bedingung.«

»Unter welcher?«, fragte der Soldat unruhig, als er sah, dass noch nicht alles zu Ende war.

»Dass du mir den Brief holst, den dein Kamerad in seiner Tasche hat.«

»Aber das ist nur eine andere Art, mich zu töten«, rief der Bandit. »Wie soll ich diesen Brief unter dem Feuer der Bastei holen?«

»Du musst dich entschließen, ihn herbeizuschaffen, oder ich schwöre dir, dass du von meiner Hand stirbst.«

»Gnade! Monsieur, Barmherzigkeit! Im Namen der jungen Dame, die Ihr liebt, die Ihr vielleicht tot glaubt, und die es nicht ist!«, rief der Bandit, sich auf die Knie erhebend und mit der Hand stützend, denn er fing an, mit seinem Blut auch die Kräfte zu verlieren.

»Woher weißt du, dass es eine junge Frau gibt, die ich liebe, und dass ich diese junge Frau tot geglaubt habe?«, fragte d’Artagnan.

»Aus dem Brief, den mein Kamerad in seiner Tasche hat.«

»Du siehst also wohl, dass ich diesen Brief bekommen muss«, sprach d’Artagnan. »Nicht mehr gezögert, oder wie sehr es mir auch widerstrebt, mein Schwert zum zweiten Mal in das Blut eines Elenden zu tauchen, wie du bist. Ich schwöre dir, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin …«

Bei diesen Worten machte d’Artagnan eine so drohende Gebärde, dass sich der Verwundete erhob.

»Halt, halt!«, rief er, seinen Mut wieder durch den Schrecken gewinnend, »ich gehe … ich gehe.«

D’Artagnan nahm die Büchse des Soldaten, ließ ihn vor sich hergehen und trieb ihn gegen seinen Gefährten zu, indem er ihn von Zeit zu Zeit mit der Spitze seines Degens in die Hüfte stach. Es war furchtbar anzuschauen, wie dieser Unglückliche, auf seinem Weg eine lange Blutspur zurücklassend, bleich vor dem bevorstehenden Tod, sich ungesehen zum Leichnam seines Kameraden hinzuschleppen suchte, der zwanzig Schritte von ihm entfernt lag.

Der Schrecken war so stark auf seinem mit kaltem Schweiß bedeckten Gesicht ausgeprägt, dass d’Artagnan Mitleid bekam und ihn verächtlich anschaute.

»Nun!«, sprach er, »ich will dir zeigen, welch ein Unterschied zwischen einem Mann von Herz und einem Feigling deiner Art stattfindet. Bleibe, ich werde gehen!«

Und schnellen Schrittes, mit lauerndem Auge jede Bewegung des Feindes beobachtend, alle Vorteile des Terrains benutzend, gelangte d’Artagnan bis zum zweiten Soldaten.

Es gab zwei Mittel, seinen Zweck zu erreichen: Entweder musste er ihn auf der Stelle durchsuchen oder musste er ihn, seinen Leib als Schild gebrauchend, zum Laufgraben tragen und dort erst durchsuchen.

D’Artagnan zog das zweite Mittel vor und lud den Mörder in dem Augenblick, wo der Feind Feuer gab, auf seine Schulter.

Ein leichter Stoß, ein letzter Schrei, ein Beben des Todeskampfes bewiesen d’Artagnan, dass ihm derjenige, welcher ihn ermorden wollte, das Leben gerettet hatte.

D’Artagnan erreichte wieder den Laufgraben und warf den Leichnam neben den Verwundeten.

Sogleich begann er die Untersuchung: Eine lederne Brieftasche, eine Börse, worin sich offenbar ein Teil von der Summe fand, die der Bandit erhalten hatte, ein Becher und Würfel bildeten die ganze Hinterlassenschaft des Toten.

Er ließ den Becher und die Würfel, wo sie hingefallen waren, schleuderte die Börse dem Verwundeten zu und öffnete gierig die Brieftasche.

Mitten unter unwichtigen Papieren fand sich folgender Brief, den er mit Gefahr seines Lebens geholt hatte.

Da ihr die Spur dieser Frau verloren habt und sie nun in Sicherheit im Kloster ist, wohin ihr sie nie durftet gelangen lassen, so sucht wenigstens den Mann nicht zu verfehlen. Verfehlt ihr ihn, so wisst ihr, dass ich eine lange Hand habe, und dass ihr die hundert Louisd’or, die ihr von mir erhalten habt, teuer bezahlen müsst.

Keine Unterschrift. Dessen ungeachtet kam der Brief unleugbar von Mylady. Er behielt ihn also als ein Aktenstück zum Behuf der Überweisung. Da er sich hinter der Ecke des Laufgrabens in Sicherheit befand, so fing er an, den Verwundeten auszufragen. Dieser gestand, dass er es mit seinem soeben getöteten Kameraden übernommen hatte, eine junge Frau, die von Paris durch die Barriere de la Vilette abreisen sollte, zu entführen, dass sie sich aber in einer Schenke, um zu trinken, aufgehalten und den Wagen um zehn Minuten versäumt hatten.

»Aber was hättet ihr mit dieser Frau gemacht?«, fragte d’Artagnan bange.

»Wir sollten sie in ein Palais der Place Royale bringen«, erwiderte der Verwundete.

»Ja, ja«, murmelte d’Artagnan, »das ist es, zu Mylady selbst.«

Nun begriff der junge Mann schaudernd, welcher furchtbare Rachedurst diese Frau antrieb, ihn, sowie diejenigen, welche ihn liebten, zugrunde zu richten, und wie sehr sie mit den Angelegenheiten des Hofes vertraut war, da sie alles entdeckt hatte. Ohne Zweifel hatte sie ihre Nachrichten dem Kardinal zu verdanken. Aber dagegen sah er auch mit einem Gefühl wahrer Freude ein, dass die Königin endlich den Kerker erkundet, in welchem die arme Madame Bonacieux ihre Ergebenheit büßen musste, und dass sie dieselbe diesem Kerker entzogen hatte.

Von dieser Zeit wurde es, wie Athos vorhergesagt hatte, möglich, Madame Bonacieux wieder aufzufinden. Ein Kloster war nicht uneinnehmbar.

Dieser Gedanke vollendete die Milde in seinem Herzen. Er wandte sich gegen den Verwundeten um, welcher ängstlich all die verschiedenen Ausdrücke in seinem Gesicht verfolgte, und reichte ihm den Arm.

»Auf!«, sprach er, »ich will dich nicht so verlassen. Stütze dich auf mich. Kehren wir in das Lager zurück.«

»Ja«, sagte der Verwundete, der kaum an so viel Großmut glauben konnte, »aber geschieht dies nicht, um mich hängen zu lassen?«

»Du hast mein Wort und zum zweiten Mal schenke ich dir dein Leben.«

Der Verwundete sank auf die Knieeund küßte seinem Retter abermals die Füße. Aber d’Artagnan, der durchaus keinen Grund hatte, so nahe beim Feind zu bleiben, kürzte selbst die Dankbarkeitsbezeigungen ab.

Der Gardist, welcher beim ersten Feuer der Rocheller zurückgeeilt war, hatte den Tod seiner vier Gefährten angekündigt. Man war also sehr erstaunt und äußerst vergnügt im Regiment, als man den jungen Mann wohlbehalten ankommen sah.

D’Artagnan erklärte den Degenstich seines Gefährten durch einen Ausfall, den er improvisierte. Er erzählte den Tod des anderen Soldaten und die Gefahren, denen sie preisgegeben gewesen waren. Seine Erzählung hatte einen wahren Triumph für ihn zur Folge. Die ganze Armee sprach einen Tag lang von dieser Expedition, und Monsieur ließ ihm darüber seine Zufriedenheit aussprechen.

Wie übrigens jede schöne Handlung ihre Belohnung mit sich trägt, so war das Resultat der schönen Handlung d’Artagnans, dass sie ihm die verlorene Ruhe wiedergab. Der junge Mann glaubte in der Tat ruhig sein zu können, da von seinen zwei Feinden der eine tot, der andere seinen Interessen ergeben war.

Diese Sache bewies bloß, dass d’Artagnan Mylady noch nicht kannte.