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Die Riffpiraten – Kapitel 1

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 1
Der geheimnisvolle Befehlshaber

Ungefähr eine Seemeile von Havanna lag bei vollständiger Windstille eine stattliche Brigg auf dem ebenen Wasserspiegel, welcher das Bild des Schiffes so wiedergab, dass es mit den Masten nach unten stand.

Dieses Schiff hatte eine traurige Bedeutung. In Kalkutta gebaut und zum Transithandel bestimmt, wurde es an der afrikanischen Küste von Riffpiraten gekapert, welche es zunächst bemannten und benutzten, eine Ladung schwarzes Ebenholz, wie der westindische Humor eine Ladung Negersklaven zu bezeichnen beliebt, nach Kuba zu bringen. Diese Ladung war zu der Zeit, wo wir das Fahrzeug antreffen, bereits glücklich gelandet. Den reichen Gewinn, den ein solcher Menschenhandel von je her gewährte, in der Tasche, hatte der jetzige Führer oder Kapitän der Brigg alle Kennzeichen eines Sklavenschiffs entfernen und samt den zur Fesselung der Neger dienenden Ketten über Bord werfen lassen, sodass nichts auf und in dem Schiff dessen eigentlichen Zweck verriet.

Diese Brigg war ein wahres Meisterstück der Schiffsbaukunst, welche neben der Solidität in allen ihren Teilen und der schönsten inneren Einrichtung noch die von Seeleuten so sehr gesuchte Eigenschaft des Schnellsegelns hatte. Ihre Besatzung bestand aus dreißig Männern, jenem Volksstamm angehörig, der an der marokkanischen Küste in Afrika unter dem Namen Riffpiraten bekannt ist, und, ein nomadisches Leben führen, seine Unabhängigkeit gegen alle Versuche des Kaisers von Marokko zu erhalten wusste. Zur Verteidigung aber gegen etwaige Angriffe führte das Schiff acht metallene Kanonen.

Während die Mannschaft größtenteils unter dem ausgebreiteten großen Segel vor der Sonnenhitze sich barg oder träge und schläfrig umherlag, trat der Kapitän aus der Kajüte des Schiffes und betrachtete durch ein Fernrohr die Küste der reizenden Insel, in deren Nähe man sich befand.

Dieser Kapitän, der eigentlich Häuptling genannt werden musste, weil er diesen Rang in dem Stamm einnahm, war ein schlanker, regelmäßig gebauter Mann von ungefähr 45 Jahren. Ein weißes, luftiges Gewand, welches durch einen Gürtel um den Leib zusammengehalten wurde, bedeckte seine kräftigen Glieder bis zum Knie, von wo ab der nackte Unterschenkel frei, während die Füße mit einem Paar grünen Halbstiefeln bekleidet waren. Auf jeder Schulter hielten ein paar Hefteln das genannte Kleid, welches dort den kräftigen Hals, die muskulösen Schultern und die starken sonnenverbrannten Arme frei ließ. Unter der weißen maurischen Kopfbedeckung, einem Käppchen ohne Schirm ähnlich, zeigte sich der sorglich geschorene Hinterkopf und ein männliches Antlitz mit einem starken Bart und scharf ausgeprägten Zügen. An seiner Seite hing ein wertvoller und kunstreich gearbeiteter, stark gekrümmter Säbel.

Der Mann war einige Zeit hindurch dem Lauf der Küste mit seinem Instrument gefolgt und setzte es dann zögernd ab, während er dabei brummte:  »Man sieht noch immer nichts und es ist schon spät am Nachmittag!«

Nach diesen wie unwillig ausgesprochenen Worten schritt er über das Verdeck hin, wobei er einen Blick über seine schlafende Mannschaft schweifen ließ und stieg dann wieder in die Kajüte hinab, wo er aus einem geheimen Wandfach unter mehreren Schriften einen Brief hervorholte, den er bedächtig durchsah und der so lautete:

Colombo auf Ceylo, den 15. April 18 ..
An Seine Hoheit
den Häuptling der Riffbewohner,
Abu-Trichan,
an der marokkanischen Küste in Afrika.

Diesen Brief empfangen Eure Hoheit durch eines unserer Agenturschiffe, welches speziell mit dieser Depesche ausgesendet wurde, sie Ihnen von hier aus zu überbringen. Da unsere Angelegenheit sehr drängt, so ist es schleunigst angeblich mit Ballast abgegangen. Indem ich Ihnen im Namen unserer Verbündeten, denen Sie ein ausgezeichnetes Mitglied sind, namentlich auf speziellen Antrag der amerikanischen Genossen, den herzlichsten Dank für geleistete Dienste sage, erlauben wir uns anbei vierzehn Pferde von ausgezeichneter Rasse, ein in Kalkutta angefertigtes Seitengewehr nebst Koppel und zweihundert Feuergewehre als Geschenk zu senden. Das Schiff, welches diese Gegenstände bringt, steht ebenfalls zu Ihren Diensten. Auch haben wir zwanzig neugegossene Kanonen nebst einer angemessenen Quantität von Kugeln und gutem Pulver hinzugefügt. Die Mannschaft, welche der Meinung ist, das Ziel der Reise sei Bordeaux, wohin auch der Frachtbrief lautet, werden Sie mit Ausnahme des Kapitäns, der ebenfalls ein Vertrauter und Verbündeter von uns ist, wie Gefangene behandeln, die Sie zu Ihrer Bequemlichkeit entweder im Seedienst – versteht sich separiert – oder wozu es Ihrer Hoheit beliebt, verwenden wollen. Der Kapitän ist zugleich ein vorzüglicher Seemann, und Sie finden in ihm den lange gewünschten Lehrer in Ihren Marineangelegenheiten.

Was die Hauptsachen dieser Depesche anlangt, so sind es:

Erstens der Umstand, dass ein junger Prinz, Sultan, Thronfolger von den Malediven, mit einem bedeutenden Schatz nach Mexiko reist, wo er selbst seine Erziehung erhalten soll, von uns aber zu einer guten Prise ausersehen ist, an der Eure Hoheit natürlich Ihren Anteil ebenfalls haben.

Der Prinz Mazamba geht, unserer sicheren Kundschaft zufolge, am 1. Juni dieses Jahres von seiner Heimat in See und steuert auf den mexikanischen Meerbusen an, in dem er in Veracruz landen soll.

Sein Schiff, welches der Kapitän, der Überbringer dieses, bereits in Augenschein genommen hat, mithin genau kennt, ist nur schwach bemannt, da der Sultan nicht auf Unsicherheit der Gewässer rechnet.

Eure Hoheit werden sich demnach mit dem Kapitän beraten und in Begleitung desselben Jagd auf die ansehnliche Prise machen. Die Person des genannten Prinzen wird Ihnen hierdurch als Ihr unbeschränktes Eigentum zugesprochen, das Sie benutzen können, wie Sie wollen. Wegen des Übrigen werden wir uns wie stets schon einigen. Wir können uns in Gedanken Ihre Freude versinnlichen, die Sie in dem Bewusstsein empfinden, einen Herrscher Asiens als Sklaven zu Ihren Füßen liegen zu sehen. Die ganze Mannschaft desselben, ein für uns völlig beziehungsloser Gegenstand, kann niedergemacht werden, nur möchte ich raten, den Prinzen zu schonen, da er Ihnen noch von Nutzen sein könnte.

Fürs Zweite erhalten Eure Hoheit hierdurch den dringenden Auftrag, ein Schiff, mit grobem Geschütz und mit guter schlagfähiger Mannschaft zu versehen, nach Westindien abgehen zu lassen, welches am 12. Juni dieses Jahres eine Seemeile vor Havanna einen Herrn, den Doktor Simon, an Bord zu nehmen hat, unter dessen Befehl sich das bezeichnete Schiff stellen wird. Außer einer genauen Instruktion geben Sie auch diesen Brief dem Kapitän, um ihn nötigenfalls als Legitimation benutzen zu können, da dem Doktor die Unterschrift bekannt ist. Ein Anerkennungsbrief, den Absatz Ihrer Negersklavenladung in Westindien zu unterstützen, liegt bei.

Ihrer Hoheit
dienstergebenster
David

Nachdem der Pirat dieses Schreiben gelesen hatte, legte er es an den Ort, wo er es entnahm und welcher in einem künstlichen Gefüge so angebracht war, dass sein Dasein von einer fremden Person nicht entdeckt werden konnte. Sodann holte er einen Kalender hervor, um noch einmal sich zu überzeugen, dass der gegenwärtige Tag das in dem Brief bezeichnete Datum trage, und begab sich dann zum zweiten Mal auf das Deck, wo er durch Rufe und Winke die Mannschaft aus ihrem Schlummer weckte und um sich versammelte. Die Untergebenen des Kapitäns bestanden durchweg aus jungen robusten Leuten, die für diese Expedition besonders ausgesucht wurden.

Ihre weißen Gewänder, die in derselben Weise angelegt waren, wie beim Kapitän, und ein eigentümliches Unterkleid, welches die Beinkleider ersetzte und bis auf die Knie reichte, machte ihren ganzen Anzug aus. Arme, Hals und Füße waren entblößt und durch die Sonne gebräunt. Das weiße Käppchen auf ihren Köpfen wurde durch einen um das Kinn gehenden Lederriemen festgehalten.

Sobald sich diese Männer, deren Physiognomien alle scharf und kühn geschnitten waren, um ihren Kapitän oder Häuptling versammelt hatten, wichen die schläfrigen Mienen aus den Gesichtern. Erwartungsvoll belebten sich die dunklen, glänzenden Augen der wilden Küstenbewohner Afrikas.

»Meine Jungens, wir können uns Glück wünschen, dass wir unsere Fahrt so schnell und ohne Anfechtung zurückgelegt haben. Freilich haben wir bedeutende Verluste an unserer Ladung gehabt, indem uns die verdammten Neger auf dieser Fahrt ganz beispiellos und wie die Fliegen im Seenebel fielen; doch wir können dem ungeachtet wegen des erst angeführten Grundes zufrieden sein.«

»Da magst du recht haben, Häuptling«, bemerkte einer der Leute. »Doch hättest du meinen Rat befolgt und die schwarzen Kreaturen mehr in die frische Luft gebracht, so dürfte der Schaden nicht so bedeutend geworden sein. Der Neger ist schwach und hinfällig wie ein altes Weib, und wenn das Heulen und Wehklagen erst angeht, ist es notwendig, sie täglich auf dem Verdeck nach der Trommel oder Pfeife tanzen zu lassen. Das macht sie froh und lebensfähig.«

»Ach«, gab ein anderer lachend von sich, »und sie von Zeit zu Zeit mit einem Tauender aufzumuntern, das ist ein Mittel, welches noch mehr Wunder verrichtet, wie Trommeln und Pfeifen.«

»Schon gut«, sagte der Kapitän barsch. »Ich bin indessen mit dem Handelsgeschäft zufrieden. Die ganze Ladung ist gegen ansehnliche Preise abgegangen, und man möchte sagen, es sei ein wahrer Negerhunger in Westindien. Doch nichts ist langweiliger für Seeleute, als zu viel Ruhe und Windstille, wobei sich der Mensch um den Verstand schläft. Damit dies jedoch euch nicht geschieht, so sollt ihr heute einen Festtag haben.«

Während die Mannschaft des Riffpiraten zu der Mitteilung des Kapitäns jubelte und einzelne bereits zu dem gedachten Fest Vorbereitungen treffen wollten, näherte sich von der Küste her ein leichtes Boot dem Schiff.

Das kleine Fahrzeug, in welchem ein Mann am Steuer saß und das von vier Lohnnegern gerudert wurde, lief unter kunstgerechtem, gleichmäßigen Schlagtempo pfeilschnell heran. Als es das Schiff erreicht hatte, stieg der im Spiegel des Bootes sitzende Mann an Bord der Brigg, schickte das Negerboot nach der Havanna zurück und bezeichnete sich nach kurzem, gleichgültigem Gruß als der Doktor Simon.

»Sie haben«, fuhr er dann zu dem Kapitän gewendet fort, »Ihren Auftrag pünktlich und zu meiner Zufriedenheit ausgeführt, und ich sage Ihnen deshalb meinen Dank, indem ich Sie zugleich bitte, mir den Raum zu zeigen, der mich aufzunehmen bestimmt ist.«

Der angebliche Doktor Simon ließ noch einen prüfenden Blick über die neugierige Mannschaft gleiten und folgte dann dem vorausgehenden Kapitän unter Deck.

Nach einer Viertelstunde schon kehrte der Kapitän auf das Deck zurück, wo sofort nach seinen Anweisungen Verrichtungen zum Ankerlichten getroffen worden. Um Mitternacht ging die Brigg bei einem aufspringenden Seewind unter Segel und erreichte in sehr kurzer Zeit den Hafen von Veracruz, wo selbst der Doktor Simon dem Kapitän einstweilen zu bleiben befahl. Er dagegen fuhr in einem wie es schien schon zu diesem Zweck bereitgehaltenen, mit vier Maultieren bespannten Wagen durch die Stadt und auf der Straße nach Mexiko weiter.