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Die Büffeljäger am Lagerfeuer – Kapitel 9

Thomas Mayne Reid
Die Büffeljäger am Lagerfeuer
Reisebilder und Naturschilderungen aus dem Westen
Verlag Schmidt & Spring. Stuttgart.1858

Neuntes Kapitel

Eine Rattenjagd

»Chingawa«, fing er an, »ein Chippeway oder Ojibway, im Fort besser unter dem Namen »der alte Fuchs« bekannt, war ein berühmter Jäger seines Stammes. Ich war sein Günstling geworden. Meine wohlbekannte Jagdleidenschaft war eine Art freimaurerischen Bandes zwischen uns, und unsere Freundschaft wurde durch das Geschenk eines alten Messers, welches ich nicht mehr gebrauchen konnte, noch erhöht. Das Messer war keine zwei Groschen wert, aber es machte den alten Fuchs zu meinem besten Freund. Seine ganze Jagderfahrung, das Resultat von fast sechzig Wintern, wurde mein.

Ich war noch nicht in das Geheimnis des Rattenfanges eingeweiht worden, aber die Jahreszeit für dieses edle Vergnügen kam endlich herbei. Der indianische Jäger lud mich ein, ihn auf eine Bisamrattenjagd zu begleiten.

Wir nahmen unsere Jagdgerätschaften auf die Schulter und machten uns zu dem Ort auf den Weg, wo das Wild zu finden war. Dies war eine Kette kleiner Seen oder Teiche, welche sich in einer Entfernung von zehn bis zwölf Meilen vom Fort durch ein sumpfiges Tal zog.

Unsere Gerätschaften bestanden aus einem Eisbohrer mit einem gegen fünf Fuß langen Griff, einer kleinen Spitzhaue, einem Spieß mit eiserner, nur auf einer Seite mit einem Widerhaken versehener Spitze und mit langem, geradem Schaft und einer leichten, ganz geraden und elastischen, ungefähr zwölf Fuß langen Stange.

Wir hatten uns mit einem kleinen Vorrat von Lebensmitteln sowie mit Materialien zum Feuermachen versehen; aber daran fehlt es einem Indianer nie. Wir nahmen auch unsere Wolldecken mit, da wir beabsichtigten, eine Nacht an den Seen zu verbringen.

Nachdem wir mehrere Stunden lang durch den winterlichen Forst getrabt und über zugefrorene Seen und Flüsse gegangen waren, erreichten wir den großen Sumpf. Dieser war natürlicherweise ebenso wie die Seen mit dickem Eis bedeckt. Wir hätten mit einem beladenen Wagen ohne Gefahr des Einbruchs darüberfahren können.

Bald gelangten wir zu einigen kegelförmigen Haufen, welche sich über die Fläche des Eises erhoben. Sie waren aus Schlamm gebaut, der durch Gras und Schilfblätter fest verbunden und vom Frost gehärtet war. Der alte Fuchs wusste, dass sich in jedem dieser gerundeten Haufen wenigstens ein halbes Dutzend Bisamratten, vielleicht sogar die dreifache Anzahl, hübsch warm aneinandergeschmiegt, befand.

Da sich weder Loch noch Eingang zeigte, so war die Frage, wie man den Tieren im Inneren beikommen könnte. Ich dachte, einfach dadurch, dass man solange grabe, bis das Innere zutage käme. Dies würde indessen an und für sich schon keine geringe Arbeit gewesen sein. Das Dach und die Seiten hatten, wie mich mein Gefährte unterrichtete, an drei Fuß Dicke, und der zähe Schlamm war zu der Härte und Festigkeit eines Ziegelsteines zusammengefroren. Und wo hätten wir die Bewohner finden sollen, nachdem wir diese Wand durchbrochen hätten? Nun, höchst wahrscheinlich würden wir sie nach aller dieser Arbeit ganz und gar nicht finden. So sagte mir wenigstens mein Gefährte, indem er mir zu gleicher Zeit Aufschluss gab, dass unter der Erdoberfläche oder vielmehr unter dem Wasser Gänge vorhanden seien, durch welche die Bisamratten zuverlässig unter dem Eis lange vorher, ehe wir bis zu ihnen vorgedrungen wären, entschlüpft sein würden.

Ich konnte mir nun durchaus nicht vorstellen, wie wir die Sache angreifen sollten. Mit dem alten Fuchs verhielt es sich aber anders. Er wusste recht gut, was er wollte, warf seine Gerätschaften neben einem der Häuser nieder und fing seine Operationen an.

Das von ihm ausgewählte Bisamrattenhaus stand auf dem See in einiger Entfernung vom Ufer. Es war ganz und gar auf dem Eis errichtet. Auf dem Boden desselben befand sich, wie der Jäger recht gut wusste, ein Loch, durch welches die Tiere nach Belieben ins Wasser gelangen konnten. Wie wollte er sie nun daran verhindern, durch das Loch zu entschlüpfen, während wir die Decke oder das Dach entfernten? Dies war das Rätsel, das ich nicht lösen konnte. Ich beobachtete daher aufmerksam die Bewegungen des Indianers.

Anstatt in das Haus hinein zu graben, begann er mit seinem Eisbohrer, ungefähr zwei Fuß vom Rand des Schlammhauses entfernt, ein Loch in das Eis zu schneiden.

Nach Beendigung dieser Arbeit schnitt er ein zweites und dann noch eins und wieder eins, bis vier Löcher vorhanden waren, welche die Ecken eines Vierecks bildeten und das Haus der Bisamratte einschlossen.

Nun verließ er dieses Haus und bohrte dann eine gleiche Anzahl von Löchern um ein zweites, das gleichfalls auf dem Eis stand, dann ging er zu einem dritten, und auch noch ein viertes wurde auf gleiche Weise in Angriff genommen.

Hierauf kehrte er zu dem ersten zurück, indem er diesmal Sorge trug, auf dem Eis leise aufzutreten und so wenig Geräusch wie möglich zu machen. Dort angekommen, nahm er aus seinem Sack ein viereckiges Netz aus Hirschhautriemen, das ungefähr die Größe einer gewöhnlichen Wolldecke hatte. Dieses brachte er auf eine höchst sinnreiche und gewandte Art unter das Eis, bis dessen vier Enden an den vier Löchern erschienen, wo er sie herauslangte und alles mittelst eines von einer Ecke zur anderen gehenden Strickes fest und straff anzog.

Ich habe seine Art, das Netz unter das Eis zu bringen, sinnreich genannt. Es wurde nämlich so bewerkstelligt, dass er mithilfe der bereits erwähnten langen, dünnen Stange einen Strick von einem Loch zum anderen brachte. Die durch eines der Löcher hineingesteckte Stange führte den Strick und wurde selbst durch zwei gabelförmige Stöcke zu den anderen Löchern geleitet. Da nun der Strick an den Ecken des Netzes befestigt war, so konnte dasselbe leicht in die richtige Lage gebracht werden.

Alle Einzelheiten dieses merkwürdigen Netzstellens wurden mit geräuschloser Geschicklichkeit ausgeführt, welche bewies, dass der alte Fuchs kein Neuling im Rattenfang war.

Das jetzt unter der unteren Fläche des Eises ganz straff angezogene Netz musste natürlicherweise das Loch im Boden vollständig bedecken. Es folgte also daraus, dass die Bisamratten, wenn sie sich zu Hause befanden, nun in der Falle stecken mussten.

Mein Gefährte gab mir die Versicherung, dass sie sich im Inneren vorfinden würden, und erklärte mir auch den Grund, warum er das Netz nicht sogleich angewendet hatte, als er die Löcher bohrte. Er unterließ dies, um den Bisamratten, welche möglicherweise durch Furcht herausgetrieben waren, Zeit zur Rückkehr zu geben. Er wusste genau genug, dass sie schon aus der Ursache zurückkommen würden, weil sie nicht sehr lange unter dem Wasser bleiben können.

Bald überzeugte er mich von der Wahrheit dieser Behauptung. In wenigen Minuten hatten wir mithilfe des Eisbohrers und der Spitzhaue die Mauer des Gewölbes durchbrochen, unter welchem sich, wie noch halb im Schlaf blinzelnd, weil sie durch das plötzliche Eindringen des Lichtes erschreckt und geblendet wurden, nicht weniger als acht ausgewachsene Bisamratten befanden.

Der alte Fuchs hatte bereits die ganze Gesellschaft der Reihe nach mit seinem langen Spieß durchbohrt, fast ehe ich sie nur zählen konnte.

Nun begaben wir uns zu dem zweiten Haus, wo die Löcher gebohrt worden waren, trafen dieselben Vorbereitungen und wurden durch den Fang von sechs weiteren Ratten belohnt.

Im dritten Haus fanden sich nur drei vor.

Als wir das vierte öffneten, zeigte sich unseren Blicken ein sonderbares Schauspiel. Es fand sich nur eine einzige lebendige Bisamratte, und diese schien fast verhungert zu sein. Ihr Körper war bis auf Haut und Knochen zusammengeschrumpft und augenscheinlich war das arme Tier schon längere Zeit ohne Nahrung gewesen. Neben demselben lagen die abgenagten Gerippe mehrerer kleinerer Tiere, welche ich sofort als die Jungen der Bisamratte erkannte. Ein Blick auf den Boden des Nestes erklärte alles. Das Loch, welches in den anderen durch das Eis hindurchgegangen war und welches wir bei allen ganz offen gefunden hatten, war hier in diesem zugefroren. Die Tiere hatten vernachlässigt, dasselbe offen zu halten, bis das Eis auf einmal zu dick geworden war. Dann waren sie, vom Hunger getrieben, übereinander hergefallen, bis eben nur eines, das stärkste von ihnen, übrig geblieben war.

Als ich die Gerippe zählte, fand ich, dass nicht weniger als elf Tiere dieses mit einem Eisriegel versperrte Gefängnis bewohnt hatten.

Der Indianer versicherte mir, dass Erscheinungen dieser Art in sehr kalten Jahren nicht selten seien. Das Eis bildet sich dann so schnell, dass die Tiere, wenn sie vielleicht ein paar Stunden lang keine Veranlassung finden, hinauszugehen, sich mit einem Mal eingefroren sehen und gezwungen sind, entweder vor Hunger umzukommen oder einander aufzufressen!

Die Nacht stand nun nahe bevor, denn wir hatten den Bau erst ziemlich spät am Tage erreicht. Mein Gefährte schlug deshalb vor, die weiteren Arbeiten bis zum folgenden Tag aufzuschieben. Natürlicherweise stimmte ich dem Vorschlage bei, und wir begaben uns unter einige Fichten an einer höheren Stelle des Ufers, wo wir die Nacht zuzubringen beschlossen hatten.

Dort zündeten wir ein tüchtiges Feuer von Fichtenästen an, verspürten nun aber auch tüchtigen Hunger. Leider musste ich die Bemerkung machen, dass von den mitgebrachten Mundvorräten, welche mir bereits mein Mittagsessen geliefert hatten, nur noch ein spärlicher Rest für das Abendessen vorhanden war. Dieser Umstand beunruhigte indessen meinen Gefährten weniger, denn ohne Bedenken zog er einigen Ratten das Fell ab, röstete sie ein wenig über dem Feuer und verzehrte sie dann mit ebenso viel Wohlgefallen, als ob es Rebhühner gewesen wären. Ich war hungrig, aber nicht hungrig genug für eine solche Kost. So saß ich denn da und sah ihm mit einiger Verwunderung und nicht ohne ein leises Gefühl von Ekel zu.

Es war eine schöne Mondnacht, eine der hellsten, deren ich mich erinnern kann. Nur wenig Schnee als eine leichte, dünne Decke lag auf der Erde. Vor den weißen Abhängen der Hügel konnte man die pyramidenförmigen Umrisse der Fichten mit ihren regelmäßigen Abstufungen dunkler, nadelbedeckter Zweige unterscheiden. Sie erhoben sich rings um den See und sahen aus wie Schiffe mit gerefften Segeln und gevierten Spieren.

Ich beobachtete dieses Schauspiel und saß noch in träumender Verwunderung da, als ich plötzlich durch einen verwirrten Lärm aufgestört wurde, der dem Heulen und Bellen von Hunden glich. Ich richtete einen fragenden Blick auf meinen Gefährten.

»Wölfe«, antwortete er unbekümmert und kaute an seinem Rattenbraten fort.

Das Heulen kam immer näher, dann folgte ein Klappern zwischen den entlaubten Stämmen der Bäume und ein schnell wiederholtes Geräusch, welches klang, als ob die Hufe eines Tieres durch gefrorenen Schnee brächen. Im nächsten Augenblick flog ein Hirsch im vollen Lauf an uns vorüber und stürzte sich auf das Eis. Es war ein großer Bock von der Rentierart. Deutlich sah man, dass er vor Hitze dampfte und äußerst erschöpft war.

Er war kaum an uns vorüber, als das Heulen von Neuem anhaltend und fortdauernd erscholl und plötzlich eine Reihe von dunkeln Gestalten aus dem Gebüsch hervorbrach. Es mochten im Ganzen ungefähr ein Dutzend sein, und sie liefen in größter Eile wie eine Meute Hunde auf blutiger Spur. Ihre langen Schnauzen, ihre aufrechtstehenden Ohren und ihre großen, hageren Körper zeichneten sich deutlich gegen den schneebedeckten Boden ab. Ich erkannte Wölfe, und zwar graue Wölfe von der größten Art.

Schnell sprang ich auf, um bei dem Fang des Hirsches zu helfen, oder vielmehr, um den Wölfen ihre Beute abzujagen. Zu diesem Zweck ergriff ich den Spieß und lief ihnen nach.  Noch hörte ich meinen Gefährten mir, wie ich glaubte, eine Warnung nachrufen, aber ich war zu erpicht auf die Jagd, um seinen Worten große Aufmerksamkeit zu schenken. Ich verspürte eben Hunger und einen sehr lebhaften Appetit auf Wildbraten zum Abendessen.

Als ich an das Ufer hinunterkam, sah ich, dass die Wölfe den Hirsch bereits eingeholt und auf das Eis niedergerissen hatten. Das arme Tier konnte auf der schlüpfrigen Fläche nur schlecht laufen und glitt bei jedem Sprung aus, während seine Verfolger durch ihre scharfen Klauen in den Stand gesetzt wurden, wie Katzen über das Eis zu rennen. Der Hirsch hatte ohne Zweifel das Eis für Wasser angesehen, was diese Tiere häufig tun, infolge dieses Irrtums dann eine leichte Beute für Wölfe, Hunde und Jäger werden.

Ich lief in dem guten Glauben vorwärts, dass ich die Wölfe leicht verscheuchen und mich ihrer Beute bemächtigen könnte. In wenigen Augenblicken befand ich mich mitten unter ihnen und schwang meinen Speer, bemerkte aber zu nicht geringer Überraschung und zu meinem Schrecken, dass einige von den Bestien, anstatt den Hirsch loszulassen, ihn festhielten, während die anderen mit weit aufgerissenen Rachen und Augen, die wie glühende Kohlen funkelten, mich anblickten.

Ich schrie und kämpfte verzweifelt, indem ich mit dem Speer bald nach diesem, bald nach jenem Wolf stieß, aber die Bestien wurden durch die Wunden, welche ich ihnen beibrachte, nur noch grimmiger und jeden Augenblick kühner und wilder.

Mehrere Minuten lang setzte ich diesen unerwarteten Kampf fort, begann aber dann doch erschöpft zu werden. Ein Gefühl schrecklicher Furcht, welches mich erfasste, lähmte mich fast und ich glaubte schon meine letzte Stunde sei gekommen, als zum Glück die hohe, dunkle Gestalt des auf dem Eis herbeieilenden Indianers mir frischen Mut gab, sodass ich den Speer mit aller noch übrigen Kraft handhabte und mehrere meiner Gegner durchbohrt auf das Eis hinstreckte. Da die anderen nun die Nähe meines Gefährten mit seinem großen Eisbohrer bemerkten und überdies durch sein wildes indianisches Geheul erschreckt wurden, so ergriffen sie endlich die Flucht und liefen davon.

Fünf von ihnen hatten jedoch ihr letztes Geheul ausgestoßen. Den Hirsch fanden wir, schon halb verzehrt, dicht neben ihren Leichen.

Es war indessen noch genug von ihm übrig, um mir und meinem Gefährten ein gutes Abendessen zu verschaffen. Letzterer machte, obwohl er schon die Knochen von drei Bisamratten abgenagt hatte, einen neuen kräftigen Angriff auf das Wildbret, von dem er so viel verzehrte, als ob er seit vierzehn Tagen keinen Bissen genossen hätte.«