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Der Welt-Detektiv Band 6

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Gold Band 3 – Kapitel 6.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 6.1

Die Begegnung

Doktor Rascher hatte sich dem Tumult nicht weiter genähert, denn dieses wilde Toben und Wüten der Burschen war ihm fatal, und stimmte nicht im Geringsten zu seinem eigenen ruhigen und friedlichen Wesen. Er wunderte sich nur, dass die Leute in einem so gewaltig großen und fast noch ganz wilden Land nicht einmal freundschaftlich nebeneinander wohnen konnten, denn Platz genug gab es ja für jeden, sich nach Belieben auszubreiten und dem obzuliegen, was ihn gerade freute. Wollten sie das aber nicht, so mochten sie es auch miteinander selbst ausmachen. Er dachte gar nicht daran, sich da hineinzumischen – hatte er doch der Aufregung schon mehr, als ihm selbst lieb war, gefunden.

Hetson kam aber bald zurück. Mit diesem schritt er nun dem Zelt des Alkalden zu – nicht allein die ihm lieb gewordenen Menschen zu begrüßen, sondern auch mehr noch fast als Arzt der Seele wie des Körpers, den durch ihn begründeten und von außen wieder bedrohten Frieden dieses Mal hoffentlich für alle Zeiten zu sichern.

Als sie das Zelt betraten, dessen Inneres Hetson mit einem Blick überflog, fanden sie Mrs. Hetson wie tröstend über Manuela gebeugt, die mit tränenden Augen und bleichen Wangen neben ihr am Boden kniete. In der entferntesten Ecke aber saß Don Alonso, den Kopf gesenkt, die Hände auf den Knien gefaltet – ein Bild des wilden Ingrimms und der Scham. Nur erschreckt fuhr er empor, als er die Männer erkannte, die ihn so gesehen hatten.

Auch Manuela richtete sich rasch empor, und wollte, wie es schien, den Raum verlassen, als ihr Blick auf Doktor Rascher fiel. Aber auch Mrs. Hetson hatte ihn erkannt.

Während das liebe bleiche Antlitz der jungen Frau vor Freude strahlte, eilte sie auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und rief: »Sie sendet uns Gott, oh seien Sie mir tausend, tausend Mal willkommen.«

»Was ist geschehen?«; rief aber Hetson, dem die Aufregung seiner Frau wie Manuelas und ihres Vaters nicht entgehen konnte, während Doktor Rascher beide Hände der Frau in die seinen nahm und herzlich schüttelte.

»Lass das noch jetzt«, wehrte aber Jenny, die den auf Manuela gehefteten fragenden Blick sah, »nachher – du sollst und musst alles erfahren. Vorher aber, Frank, lass mich dir in Gegenwart dieses Mannes eine Mitteilung machen, für die du nicht unvorbereitet sein kannst; die aber …«

»Ich weiß schon alles«, sagte ruhig ihr Gatte. Der forschende und doch so strenge Blick, den er dabei auf die Gattin heftete, trieb ihr das Blut mit einem Schlag in Wangen und Schläfe hinauf.

»Du weißt?«, rief sie, rasch und erstaunt. Aber ein Gedanke tauchte in ihr auf, und fast erschreckt setzte sie hinzu, »durch jenen Siftly.«

Hetson nahm den Blick nicht von ihr, und nur schweigend nickte er mit dem Kopfe.

Die Frau bedurfte einiger Momente sich zu sammeln, denn in dem wilden und unheimlichen Feuer, das in den Augen ihres Gatten glühte, glaubte sie zu ihrem Entsetzen ganz die alte Leidenschaft, den alten Schmerz und Zorn zu lesen, der schon früher sein Leben zu untergraben drohte, und sie selbst so unsagbar elend gemacht hatte. Aber bald fand sie die nötige Ruhe wieder. Mit leiser, aber fast vorwurfsvoller Stimme fuhr sie fort: »Und wenn er dir alles mitgeteilt, hat er dir da auch gesagt, dass Charles Golway an dieser Küste, die er sonst im Leben nicht betreten hätte, nur durch deine eigene Schuld gelandet ist?«

»Durch meine Schuld?«, rief Hetson, durch diese Anklage überrascht.

»Durch deine Schuld«, wiederholte aber die Frau. »Wie bat ich dich damals in Chile, den Ort, wohin wir reisten, nicht zu verheimlichen? Dein unglückseliger Argwohn, oh leugne es nicht, deine Fieberträume haben mir alles verraten. Dein unglückseliger Argwohn sah einen anderen Grund darin. Du fürchtetest nur, absichtlich verlange ich dem früher Geliebten die Spur zu hinterlassen, damit er uns sicherer folgen könne. Nur dein Misstrauen also lenkte seine Schritte hierher, denn er, der uns nach den Berichten, die er in Valparaíso erhielt, auf dem Weg nach einem der australischen Häfen glauben musste, folgte, vollkommen sicher nicht in Kalifornien mit uns zusammenzutreffen, dem allgemeinen Menschenstrom, der sich zu diesen Küsten zog.«

»Sie hören da die Bestätigung dessen, mein lieber Mr. Hetson«, fiel hier der alte Doktor Rascher ein, »was ich Ihnen schon lange vorhergesagt habe. Der Gefahr waren Sie ausgesetzt, wenn Sie es mit einem ehrlichen und rechtlichen

Mann zu tun hatten. Einen Schurken brauchten Sie nicht zu fürchten – der musste ein braver Mann sein, dem Mrs. Hetson früher ihr ganzes Leben anheimgeben wollte.«

»Und was soll jetzt geschehen?«. flüsterte Hetson, von den widerstreitenden Gefühlen bewegt. »Was ist zu tun, das Unheil abzuwehren, mit dem uns seine Nähe hier bedrohen kann?«

»Zu tun?«, sagte aber die Frau mit einem wehmütigen Lächeln um die schmerzhaft zusammengezogenen Lippen. »Uns bleibt da nichts weiter zu tun, Frank. Was überhaupt geschehen konnte, hat er selbst schon getan. Er will fort von hier. Wahrscheinlich schon in diesem Augenblick trägt ihn sein Pferd weit, weit hinweg von uns, unseren Pfad nie mehr zu kreuzen.«

»Das gebe Gott!«, flüsterte Hetson leise vor sich hin, »das gebe Gott!«

»Ich habe das nicht anderes erwartet«, sagte Rascher ruhig, »und deshalb, mein guter Mr. Hetson, waren auch alle Ihre bisherigen Befürchtungen, die zuletzt sogar die Form einer gefährlichen Krankheit annahmen, so grundlos wie, ich möchte fast sagen, selbstmörderisch, denn sie vernichteten törichterweise Ihr eigenes Glück, Ihren eigenen Frieden.«

»Und wo trafst du ihn?«, flüsterte der Mann nun mehr, als er sprach, indem sein Blick wieder die Augen der Frau suchte.

»Auf jenem Berg droben«, antwortete Jenny ruhig, »wohin ich mit Manuela ging, den wundervollen Morgen zu genießen.«

»Aber du hast früher nie unser Zelt so weit verlassen.«

»Allerdings, aber gerade deshalb lockte uns die reine frische Luft auf jene Höhen, die Aussicht in das Tal hinab zu genießen. Keines von uns hatte eine Ahnung, dass die Gegend so unruhig sei und dass besonders so viele Indianer dort umherstreiften?«

Wieder schwieg der Mann, doch war es augenscheinlich, dass noch eine andere Frage auf seinem Herzen lastete, der er nur fürchtete, Worte zu geben. Aber er konnte sie auch nicht zurückhalten. Er musste klar in dieser Sache sehen, wenn er hoffen wollte, die alten Träume und Befürchtungen wirklich mit einem Schlag zu bannen. Mit entschlossener, aber doch scheuer Stimme sagte er endlich: »Und … hattest du … hattest du vorher keine Ahnung, Jenny, dass du … dass du jenen Mann dort oben finden würdest?«

»Frank, um Gottes willen«, rief da die Frau erschreckt aus, »aber die Frage kam nicht aus deinem eigenen Herzen. Den Argwohn hat ein anderer, uns beiden feindseliger Mund hineingesät. Bin ich denn ein einziges, oh nur ein einziges Mal falsch oder unwahr gegen dich gewesen? Hat meine Brust ein einziges Geheimnis für die deine, auch nur für eine kurze Viertelstunde je gehabt?«

»Auch Manuela wusste nichts von ihm?«, fuhr aber Hetson fort, den trüben Becher bis auf die Hefen auszuleeren.

»Manuela?«, sagte Jenny. Ein eigenes bitteres Gefühl überschlich zum ersten Mal ihr Herz. »Du bist ein Meister in der Kunst zu peinigen, aber ich will auch diese Frage einfach beantworten.

Nein, bei meinem Wort, sie wusste nichts. Bist du jetzt zufrieden?«

Hetson schwieg. Fast unwillkürlich suchte sein Blick Manuela, die zitternd neben der Freundin stand.

»Aber was ist hier vorgegangen?«, rief er jetzt, indem sein Blick von dem Mädchen zu ihrem Vater hinüberflog. »Was ist geschehen? Manuela hatte geweint, als ich das Zelt betrat.«

»Der Mann«, sagte die Frau mit fester entschlossener Stimme, »den du deinen Freund nennst, ist ein Spitzube.«

»Siftly?«

»Das ist sein Name«, lautete die fest und bestimmt gegebene Antwort. »Mit schlauer teuflischer List hat er jenen alten Mann wieder in sein Garn zu locken gewusst. Als er ihm die wenigen Dollar abgenommen, die jener sich mit saurem Fleiß über Tag draußen erarbeitet hatte, wusste er ihn dahin zu bringen, dass er, von der furchtbaren Leidenschaft des Spiels verblendet, die Tochter einsetzte.«

»Manuela?«, rief Hetson erschreckt.

»Manuela«, bestätigte die Frau, während der Zorn ihre feinen Lippen fester zusammenzog. »Du weißt, wie ihr die Entwürdigung auf der Seele gelegen hatte, in jenen Räumen des Lasters, die das Volk so bezeichnend mit dem Namen Spielhöllen brandmarkt, als Lockvogel für die wüste Schar mit ihrem seelenvollen Spiel zu dienen. Dem zu entgehen, zog sie mit uns hierher und fühlte sich glücklich in dem stillen Leben, und jetzt … jetzt hat ihr eigener Vater das einzige Kind verspielt, jenem Teufel in der Gestalt eines Menschen aufs Neue untertan zu sein.«

»Ich begreife dich nicht …«, rief Hetson erstaunt.

»Sie soll ihm, einen Monat lang, an jedem Abend zwei Stunden in seinem Zelt spielen. Das ist, was er verlangt, wozu er glaubt, ein Recht zu haben es zu fordern.«

»Und Manuela?«

»Will eher sterben, ehe sie ihm willfahrt.«

Don Alonso war, während die Frau sprach, langsam von seinem Sitz aufgestanden. Wenn er auch das Englische nur gebrochen sprach, verstand er doch gut genug, um was es sich hier handele. Nun war er an des Amerikaners Seite getreten, der ihn mit finsterem Blicke maß. Seinen Arm ergreifend, sagte er mit leiser bewegter Stimme in seiner eigenen Sprache:

»Señor, Eure Frau hat Euch die Wahrheit gesagt, aber glaubt mir bei allem, was Ihr auf und über der Erde für heilighaltet – jener Mann hat falschgespielt.«

»Und entschuldigt das Euch, Señor?«, fragt der Amerikaner, »macht das die Tat, mit der Ihr Eure Tochter leichtsinnig zurück in das alte Elend stoßen wolltet, weniger verächtlich?«

»Nicht daran dachte ich«, stöhnte der alte Mann, verzweifelnd die Hände zusammenschlagend, »nur dem furchtbaren Land hier wollte ich entfliehen und mit den dreihundert Dollar, die jener dagegen setzte, hätte ich die eigene Heimat wieder mit meinem Kind erreichen können.«

»Und jetzt?«, fragte Hetson kalt.

»Gott allein weiß es«, stöhnte der Unglückliche und bedeckte das fahle Antlitz mit den Händen.

»Und spricht das Gesetz dem Spieler das Mädchen zu?«, fragte besorgt der Doktor Rascher, während Manuelas Blicke an den Lippen des Richters hingen, als ob sie von dort ihr Todesurteil erwarte.

»Wie alt ist Manuela?«, fragte er jetzt leise.

»Achtzehn Jahr.«

Wieder schwieg der Alkalde, und eine peinliche Stille herrschte in dem Raum.

Da richtete sich Don Alonso noch einmal auf. Wieder fasste er den Arm des Amerikaners und sagte mit heiserer, von innerer Bewegung fast erstickter Stimme:

»Señor, was ich in dieser Nacht gelitten habe, könnte ich Ihnen nicht schildern, wenn ich es auch versuchen wollte. So, wie ich den dämmernden Morgen erwartet habe, muss dem Verdammten zumute sein, auf den der Henkersknecht mit Sonnenaufgang wartet. Ich habe geweint und gebetet, aber das nicht allein. Ich habe auch den ernsten festen Vorsatz gefasst, von diesem Tag an keine Karte je mehr zu berühren. Bitten Sie Ihren Landsmann für mich, dass er mir dieses Mal den Satz erlässt. Vom dämmernden Morgen bis in die späte Nacht will ich arbeiten, ihm jene dreihundert Dollar zu bezahlen, die er, wenn auch nur zum Schein, gegen mich gewagt hat. Ich weiß, er hat mich betrogen, aber vor den Augen der Welt bin ich sein Schuldner.«

»Vater!«, rief die Tochter, fiel in seine Arme und barg krampfhaft schluchzend ihr Antlitz an seiner Brust. »Vater, mein lieber, lieber Vater.«