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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere 36

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
7. bis 10. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

III.

Rachetraum

Am Abend gab Mylady Befehl, Monsieur d’Artagnan einzuführen, sobald er seiner Gewohnheit gemäß kommen würde. Aber er kam nicht.

Am anderen Tag besuchte Ketty den jungen Mann abermals und erzählte ihm alles, was am Abend vorgefallen war. D’Artagnan lächelte. Dieser eifersüchtige Zorn war seine Rache.

Am zweiten Abend war Mylady noch ungeduldiger als Tags zuvor. Sie erneuerte den Befehl in Beziehung auf den Gascogner, aber sie wartete vergeblich, wie am Tag vorher. Am nächsten Morgen erschien Ketty wiederum bei d’Artagnan, nicht heiterer, nicht aufgeräumter als an den zwei vorhergehenden Tagen, sondern im Gegenteil zum Sterben traurig.

D’Artagnan fragte das arme Mädchen, was sie habe, aber sie zog statt jeder Antwort einen Brief aus der Tasche und händigte ihm denselben ein.

Dieser Brief war von der Hand Myladys, nur mit dem Unterschied, dass er dieses Mal wirklich für d’Artagnan und nicht für Monsieur von Wardes bestimmt war.

Er öffnete und las Folgendes:

Lieber Monsieur d’Artagnan, es ist nicht schön, seine Freunde zu vernachlässigen, besonders in dem Augenblick, wo man sie auf lange Zeit zu verlassen im Begriff ist. Mein Schwager und ich haben Euch gestern und vorgestern vergebens erwartet. Wird dies heute Abend ebenso sein? Eure dankbare
Lady Winter.

»Das ist ganz einfach«, sprach d’Artagnan. »Ich erwartete diesen Brief. Mein Kredit steigt durch das Sinken des Grafen von Wardes.«

»Werdet Ihr gehen?«, fragte Ketty.

»Höre, mein liebes Kind«, sagte der Gascogner, der sich in seinen eigenen Augen darüber zu entschuldigen suchte, dass er von dem Versprechen, welches er Athos geleistet hatte, abgehen wollte. »Du begreifst, dass es unpolitisch wäre, einer so bestimmten Einladung nicht Folge zu leisten. Würde Mylady mich nicht zurückkommen sehen, so dürfte sie das Abbrechen meiner Besuche nicht begreifen. Sie könnte dann irgendetwas vermuten. Wer weiß, wie weit die Rache einer Frau von diesem Schlag gehen könnte?«

»O mein Gott!«, sprach Ketty, »Ihr wisst die Dinge so darzustellen, dass Ihr immer recht habt. Aber Ihr werdet ihr den Hof machen, und wenn Ihr Mylady diesmal unter Eurem wahren Namen und mit Eurem wahren Gesicht gefallen würdet, so wäre es noch viel schlimmer als das erste Mal.«

Der Instinkt ließ das arme Mädchen einen Teil von dem, was da kommen sollte, ahnen.

D’Artagnan versuchte sie so gut wie möglich zu beruhigen und versprach ihr, unempfindlich gegen Myladys Verführungen zu bleiben.

Er ließ dieser antworten, er sei äußerst dankbar für ihre Güte und werde ihrem Befehl gehorchen, aber er wagte es nicht, ihr zu schreiben, weil er für so geübte Augen wie Myladys, seine Handschrift nicht gehörig verstellen zu können fürchtete.

Mit dem Schlag neun Uhr war d’Artagnan auf der Place Royale. Die Bedienten, welche im Vorzimmer warteten, waren offenbar von seiner Erscheinung in Kenntnis gesetzt, denn sobald er kam, sogar ehe er gefragt hatte, ob Mylady sichtbar sei, lief einer von ihnen hinweg, um ihn zu melden.

»Lasst ihn eintreten«, sprach Mylady mit raschem, aber so durchdringendem Ton, dass d’Artagnan es im Vorzimmer hörte.

Man führte ihn hinein.

»Ich bin für niemand zu Hause«, sprach Mylady, »verstehst du, für niemand.«

Der Lakai entfernte sich.

D’Artagnan warf einen neugierigen Blick auf Mylady. Sie war bleich und hatte matte Augen, mochte dies nun von Tränen oder von Schlaflosigkeit herrühren. Man hatte absichtlich die gewöhnliche Zahl der Lichter vermindert, und dennoch gelang es der jungen Frau nicht, die Spuren des Fiebers zu verbergen, von dem sie seit zwei Tagen verzehrt wurde.

D’Artagnan näherte sich ihr mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit. Sie machte eine gewaltige Anstrengung, um ihn zu empfangen, aber nie hat ein verstörteres Gesicht ein liebenswürdigeres Lächeln Lügen gestraft.

Auf die Frage, welche d’Artagnan über ihre Gesundheit an sie richtete, antwortete Mylady: »Schlecht, sehr schlecht.«

»Dann begehe ich eine Unbescheidenheit«, sagte d’Artagnan, »Ihr bedürft ohne Zweifel der Ruhe, und ich entferne mich.«

»Nein, im Gegenteil, bleibt, Monsieur d’Artagnan. Eure liebenswürdige Gesellschaft wird mich zerstreuen.«

Sie ist nie so reizend gewesen, dachte d’Artagnan. Wir wollen ihr Trotz bieten.

Mylady nahm die liebevollste Miene an, die sie anzunehmen vermochte, und verlieh ihrer Unterhaltung allen möglichen Reiz. Zu gleicher Zeit gab das Fieber, das sie einen Augenblick verlassen hatte, ihren Augen den Glanz, ihren Wangen die Farbe ihren Lippen den Karmin wieder. D’Artagnan fand abermals die Circe, die ihn bereits in ihren Zauber verstrickt hatte. Mylady lächelte, und es war d’Artagnan zumute, als könnte er für dieses Lächeln die Höllenqualen erleiden.

Es gab einen Augenblick, wo er etwas wie Gewissensbisse über das fühlte, was er gegen sie getan hatte.

Nach und nach wurde Mylady mitteilsam. Sie fragte d’Artagnan, ob er eine Liebe im Herzen trage.

»Ach!«, rief d’Artagnan mit seinem empfindsamsten Ton, »könnt Ihr so grausam sein, eine solche Frage an mich zu richten, an mich, der ich, nachdem ich Euch gesehen habe, nur für Euch, für Euch allein atme und seufze!«

Mylady lächelte seltsam. »Also liebt Ihr mich?«, sprach sie.

»Habe ich nötig, Euch dies zu sagen? Habt Ihr es nicht selbst wahrgenommen?«

»Allerdings, aber Ihr wisst, je stolzer die Herzen sind, desto schwieriger sind sie zu erobern.«

»Oh! Die Schwierigkeiten erschrecken mich nicht«, sprach d’Artagnan, »nur die Unmöglichkeiten können mich erschrecken.«

»Nichts ist einer wahren Liebe unmöglich«, sagte Mylady.

»Nichts, Madame?«

»Nichts!«, wiederholte Mylady.

Teufel, dachte d’Artagnan, die Note verändert sich. Sollte sie vielleicht verliebt in mich werden? Sollte sie geneigt sein, mir einen zweiten Saphir zu geben, dem ähnlich, welchen sie mir für Monsieur von Wardes gegeben hat?

»Lasst hören«, sagte Mylady, »was würdet Ihr tun, um mir die Liebe zu beweisen, von der Ihr sprecht?«

»Alles, was man von mir verlangte. Man befehle, ich bin bereit.«

»Zu allem?«

»Zu allem!«, rief d’Artagnan, welcher im Voraus wusste, dass er nicht viel wagte, wenn er eine solche Verpflichtung einging.

»Schön! Plaudern wir ein wenig«, sprach Mylady und rückte ihren Stuhl d’Artagnan näher.

»Ich höre, gnädige Frau«, sprach dieser.

Mylady blieb einen Augenblick nachdenkend und unentschieden, dann schien sie einen Entschluss zu fassen und sagte: »Ich habe einen Feind.«

»Ihr, Madame?«, rief d’Artagnan, den Erstaunten spielend. »Mein Gott, ist es möglich … bei Eurer Schönheit und Güte!«

»Einen Todfeind.«

»In der Tat?«

»Einen Feind, der mich grausam beleidigt hat, dass zwischen ihm und mir ein Krieg auf Leben und Tod stattfindet. Könnte ich auf Euch wie auf einen Bundesgenossen rechnen?«

D’Artagnan begriff sogleich, was das rachsüchtige Geschöpf beabsichtigte.

»Ihr könnt es«, sprach er mit Emphase. »Mein Arm und mein Leben gehören Euch, wie meine Liebe.«

»Dann«, sprach Mylady, »da Ihr in demselben Grad edelmütig seid, in dem Ihr liebt …«

»Nun?«, fragte d’Artagnan.

»Nun!«, versetzte Mylady nach kurzem Stillschweigen, »sprecht fortan nicht mehr von Unmöglichkeiten.«

»Tötet mich nicht durch so viel Glück!«, rief d’Artagnan, stürzte auf die Knie und bedeckte die Hände, die man ihm überließ, mit Küssen.

Räche mich an diesem heillosen Wardes, dachte Mylady, und ich werde mich deiner alsbald zu entledigen wissen, doppelter Dummkopf, lebendige Degenklinge!

Ja, sage mir. Du liebst mich, nachdem du mich so schändlich betrogen hast, heuchlerisches, gefährliches Weib, dachte d’Artagnan, und ich verlache dich dann mit demjenigen, welchen du durch meine Hand bestrafen willst.

D’Artagnan schaute empor und sagte: »Ich bin bereit.«

»Ihr habt mich also begriffen, lieber Monsieur d’Artagnan«, sprach Mylady.

»Ich würde Eure Blicke erraten.«

»Ihr werdet also für mich Euren Arm gebrauchen, der sich bereits einen so hohen Ruf erworben hat?«

»Sogleich.«

»Und wie werde ich Euch je für einen solchen Dienst danken können?«, sprach Mylady.

»Eure Liebe ist die einzige Belohnung, welche ich verlange«, erwiderte d’Artagnan, »die einzige, die Euer und meiner würdig ist.«

»Eigennütziger!«, sagte sie lächelnd.

»Ah!«, rief d’Artagnan, einen Augenblick durch die Leidenschaft fortgerissen, welche diese Frau in seinem Herzen zu entzünden gewusst hatte, »ah! Weil mir Eure Liebe unwahrscheinlich vorkommt, und weil ich sie wie meine Träume verschwinden zu sehen fürchte, drängt es mich die bestimmte Versicherung aus Eurem Mund zu empfangen.«

»Verdient Ihr denn bereits ein solches Geständnißs?«

»Ich bin zu Euren Befehlen«, sagte d’Artagnan.

»Gewiss?«, rief Mylady mit einem leichten Zweifel.

»Nennt mir den Elenden, der diese schönen Augen weinen gemacht hat.«

»Wer sagt Euch, dass ich geweint habe?«, fragte Mylady lebhaft.

»Es schien mir so …«

»Frauen, wie ich, weinen nicht«, versetzte Mylady.

»Desto besser! O, sagt mir dann, wie er heißt.«

»Bedenkt, dass sein Name ganz mein Geheimnis ist.«

»Ich muss ihn jedoch wissen.«

»Ja, Ihr sollt ihn erfahren. Seht, welches Vertrauen ich in Euch setze!«

»Ihr erfüllt mich mit Freude! Wie heißt er?«

»Ihr kennt ihn.«

»Wirklich?«

»Ja!«

»Es ist keiner von meinen Freunden?«, sprach d’Artagnan zögernd, um an seine Unwissenheit glauben machen.

»Wenn es einer von Euren Freunden wäre, würdet Ihr also zögern?«, rief Mylady. Ein drohender Blitz zuckte aus ihren Augen.

»Nein, und wäre es mein Bruder«, sprach d’Artagnan, als würde er von der Begeisterung fortgerissen.

Unser Gascogner beteuerte, ohne zu wagen, denn er wusste, wohin dies alles führen sollte.

»Ich liebe Eure Ergebenheit«, sagte Mylady.

»Ach! Liebt Ihr nur das an mir?«, fragte d’Artagnan.

»Ich werde Euch das ein andermal sagen«, antwortete sie und nahm ihn bei der Hand.

Dieser Druck machte d’Artagnan schaudern, als ob ihn das Fieber, welches Mylady verzehrte, durch die Berührung ebenfalls ergriffen hätte.

»Werdet Ihr mich eines Tages lieben?«, rief er. »O, wenn dies der Fall wäre, ich könnte den Verstand darüber verlieren!«

D’Artagnan war in der Tat trunken vor Freude. In seinem Wahnsinn glaubte er beinahe an die Zärtlichkeit Myladys, er glaubte beinahe an das Verbrechen von Wardes. Wenn Wardes in diesem Augenblick unter seiner Hand gewesen wäre, er hätte ihn getötet.

Mylady ergriff die Gelegenheit.

»Er heißt …«, sprach sie.

»Von Wardes, ich weiß es«, unterbrach d’Artagnan.

»Und woher wisst Ihr dies?«, fragte Mylady, indem sie seine beiden Hände nahm und in seinen Augen bis auf den Grund seiner Seele zu lesen suchte.

D’Artagnan fühlte, dass er sich hatte hinreißen lassen und dass er einen Fehler gemacht hatte.

»Sprecht, sprecht, sprecht doch!«, wiederholte Mylady. »Woher wisst Ihr es?«

»Woher ich es weiß?«, sprach d’Artagnan.

»Ja.«

»Ich weiß es, weil gestern von Wardes in einem Salon, wo ich mich befand, einen Ring zeigte, von dem er behauptete, er habe ihn von Euch bekommen.«

»Der Elende!«, rief Mylady.

Dieser Beiname trug seinen Klang, wie man leicht begreift, bis tief in d’Artagnans Herz.

»Nun wohl …«, fuhr sie fort.

»Wohl! Ich werde Euch rächen an diesem Elenden!«, versetzte d’Artagnan und gab sich dabei das Ansehen des Don Japhet von Armenien.

»Ich danke Euch, mein mutiger Freund!«, rief Mylady. »Wann werde ich gerächt sein?«

»Morgen, sogleich, wenn Ihr wollt.«

Mylady wollte ausrufen: Sogleich! Aber sie bedachte, dass eine solche Eile nicht sehr erfreulich für d’Artagnan wäre.

Überdies hatte sie tausenderlei Vorsichtsmaßregeln zu nehmen, ihrem Verteidiger tausenderlei Ratschläge zu geben, damit er Erklärungen vor Zeugen mit dem Marquis vermeiden möchte.

»Morgen«, sprach d’Artagnan, »seid Ihr gerächt oder ich bin tot.«

»Nein«, sagte sie, »Ihr werdet mich rächen, aber Ihr werdet nicht sterben. Ich weiß etwas.«

»Was wisst Ihr?«

»Es scheint mir, Ihr hattet Euch bei Eurem Streit mit ihm nicht über das Glück zu beklagen.«

»Das Glück ist eine Buhlerin. Heute günstig, kann es mich morgen verraten.«

»Das heißt: Ihr zögert jetzt.«

»Nein, ich zögere nicht, Gott soll mich bewahren, aber …«

»Still!«, unterbrach sie ihn, »ich höre meinen Schwager. Er braucht Euch nicht hier zu finden.«

Sie schellte. Ketty erschien.

»Geht durch diese Türe«, sagte sie zu d’Artagnan und stieß dabei eine kleine verborgene Tür auf. »Kommt um elf Uhr wieder und wir werden unsere Unterredung zu Ende bringen. Ketty führt Euch zu mir herein.«

Das arme Kind glaubte umzusinken, als sie diese Worte hörte.

»Nun, was macht Ihr denn, Mademoiselle, Ihr bleibt hier unbeweglich wie eine Statue? Hört Ihr, führt diesen Monsieur zurück, und um elf Uhr, vergesst es nicht.«

Es scheint, alle ihre Rendezvous finden um elf Uhr statt, dachte d’Artagnan. Das ist eine feste Gewohnheit.

Mylady reichte ihm die Hand, die er zärtlich küsste.

Sachte, dachte er sich entfernend und kaum auf die Vorwürfe Kettys antwortend, sachte, wir wollen kein Tor sein. Offenbar ist diese Frau eine große Missetäterin. Sei auf deiner Hut, d’Artagnan!