Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel IV, Teil 5

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel IV, Teil 5

Asmodi schlug nun den Herren vor, sich jeder seinen Lieblingswein zu bestellen. Er wollte sie ohne Weiteres à la Faust damit bedienen. Da man glaubte, er scherze, so ließ er einen Bohrer bringen, bohrte die Löcher in den Tisch, sprach seinen Hokuspokus. Froh gelaunt bestellte sich der Advokat Lacryma Christi, der Arzt bitteren Malaga, der Kommerzienrat Shiraz, eine Dame Muscat de Frontignan, ein anderer Zyprier usw. Aber wie sperrten alle Nasen, Ohren und Augen auf, als all die roten Quellen reichlich sprudelten und die Pokale füllten.

»Sehen Sie«, sprach nun Asmodi, »man muss nichts ungeprüft verwerfen, sogar nicht den Glauben an Gespenster. Sie mögen auch sein, welcher Art sie wollen. Selbst die des Justus Kerner sind nicht so ganz ohne. Wir sind nicht alle Sonntagskinder, daher lassen wir alle leben, Weise wie Narren, Rongisten und Papisten, Pietisten und Methodisten, Licht- und Nacht- und Gott weiß was sonst für Freunde, Rationalisten, Alt- und Neu- Lutheraner und wie sie alle heißen mögen, sogar die spekulativen Philosophen nicht ausgenommen, mögen es auch immer die größten Narren sein.«

Man sprach nun dem köstlichen Wein so gut zu, dass bald die Köpfe der ganzen Gesellschaft sich in einem höchst erleuchteten Zustand befanden, alle möglichen Gesundheit ausbrachten und am Ende noch die allgemeine Toleranz leben ließen.

So war unter Trinken und wie Vivats der Abend herangekommen und mit ihm die Zeit, zum welcher man sich in die Oper begibt. Michel lud die ganze Gesellschaft freundlichst ein, die heutige Darstellung, in welcher Jenny Lind nach einer längeren Gastreise wieder zum ersten Mal als Nachtwandlerin auftrat, mit ihm zu besuchen, da er eine ganze Loge in Beschlag genommen hatte. Auch dieses wurde dem vermeintlichen Tausendkünstler, denn für einen solchen hielt man ihn, mit großem Dank zugesagt, der nun sprach: »Um unsere neue Bekanntschaft würdig zu krönen, müssen wir auch die Zelte à la Faust verlassen.«

Auf einen Wink von ihm rutschte ein halbes Dutzend Fässer vor. Er nebst Asmodi setzten sich a cheval auf das erste, die übrigen Herren und Damen einladend Platz auf den übrigen zu nehmen, zu was man sich auch nach einigem Zaudern bequemte. Nun tritt oder rutschte die ganze Kavalkade aus dem Tiergarten durch das Brandenburger Tor längst den Linden hinauf und mit Fackelschein bis zum Opernhaus. Die stammenden Berliner aber hielten den ganzen Zug, den eine Dampfmaschine, ebenfalls in Fassform, in Bewegung zu setzen schien, für eine der berühmten Sängerin zu Ehren veranstaltete Kavalkade.

Jenny Lind hatte sich eines Empfangs zu erfreuen, dessen sich selbst Henriette Sonntag zu ihrer Zeit nicht hatte rühmen können. Sie wurde fast unter Blumen und Kränzen erstickt. Der brüllende Donner des Applauses wollte gar kein Ende nehmen und war so gewaltig, dass die arme Künstlerin mehr als einmal einer Ohnmacht nahe zu sein schien und die Rolle nur höchst angegriffen zu Ende singen konnte. Am Ende der Oper wiederholte sich derselbe Sturm nochmals, und zwar mit verdoppelter Kraft, sodass die, wie sich von selbst versteht, nun gekrönte Sängerin endlich fast bewusstlos von der Bühne in ihren Wagen gebracht werden musste, wo sie neue gewaltige Ehrenbezeugungen, Fackelzüge, Freudengebrüll etc. erwartete und bis zu ihrem Hotel unter den Linden begleiteten, wo sie wieder mit vagen Schlachtenhurras begrüßt und empfangen wurde. Die Säle und Trinkstuben dieses Gasthofes waren so gedrängt voll Menschen, dass man keinen Platz mehr finden konnte. Plötzlich verbreitete sich das Gerücht, dass die göttliche Jenny wirklich ernstlich unwohl geworden sei und man nach einem Arzt geschickt habe, der auch in wenigen Minuten eintraf und nach einigen Pulsfühlungen und anderen Berührungen der Künstlerin ein kaltes Lavement verordnete. Bald nachdem dieser Verordnung ein Genüge geschehen war, brachte einer der Aufwärter das Instrument, mit dem man dieselbe vollzogen hatte, in den Speisesaal des Gasthofes. Alle Gäste und Enthusiasten, Fremde wie Einheimische, stürzten auf die ewig merkwürdige Klistierspritzte los und rissen sie sich einander aus den Händen.

Endlich schrie einer derselben: »Ich behalte das teure Kleinod für mich als ein ewiges Andenken an die göttliche Jenny und zahle, was es kostet.«

»Oho!«, fielen sogleich mehrere Stimmen ein, »wir haben gleiche Rechte und zahlen ebenfalls dem vollen Wert.“

Sie wollten dem, in dessen Händen sich nun die kostbare Spritze befand, dieselbe mit Gewalt entreißen. Dieser aber hielt sie mit Riesenstärke fest. Es drohte sich ein Kampf zu entspinnen, wie weiland um die geraubte Helena, als sich plötzlich eine donnernde Marsstimme vernehmen ließ, die sogleich Ruhe und Stille gebot, welche sich auch sofort einstellte, da diese Stimme die ganze hoch ansehnliche Versammlung durch ihre furchtbare Stärke in Schrecken versetzt hatte.

Es war keine andere als die des Asmodi selbst, der nun fortfuhr: »Meine Herren, ich finde es ganz natürlich, dass sich jeder gefühlvolle Mensch, der nur einigermaßen Ohren für allerlei Töne hat, im Besitz eines solchen Kleinods zu sehen wünscht, wie die Spritze ist, durch welche der ersten Sängerin ihres Jahrhunderts Heil geschah, und die deren Leiden, die wir alle mitleiden, erleichterte. Aber niemand steht es zu, sich eigenmächtig anzueignen, welche Opfer er auch bringen möge. Ich schlage deshalb der ehrbaren ansehnlichen Versammlung vor, dass dieses kostbare Instrument auf dem Weg der Versteigerung dem Meistbietenden zugeschlagen werde, indem dies der einzige Weg ist, auf dem die Sache mit Ruhe, friedlich und gewiss auch zur gänzlichen Zufriedenheit des Eigentümers erledigt werden kann.«

»Bravo! Bravo!«, erschallte es nun von allen Seiten. »Ein zweiter Salomo, ein wahrer Daniel!«, ließen sich mehrere Stimmen vernehmen und in wenigen Augenblicken ging die Versteigerung vor sich. Die Spritze wurde endlich einem reichen englischen Bierbrauersohn, der als Mylord auf dem Kontinent reiste, für den ungeheuren Preis von 4000 preußischen Talern zugeschlagen und eingehändigt. Als jedoch derselbe mit seinem kostbaren Schatz in seinem Zimmer ankam, siehe da, o Jammer! Es fehlte das teuerste Stück derselben, die Spitze oder das sogenannte Mundstück. Der Bierlord kehrte sogleich wieder in den Saal zurück, teilte sein Missgeschick dem Wirt und allen Gästen mit, aber ach! Trotz allem Suchen und Forschen war keine Spitze zu finden. Ein gewandter Berliner Taschendieb hatte dieselbe, als sich die Spitze schon in des Engländers weiter Rocktasche befand, listigerweise abgeschraubt und eingesteckt. Die Geschichte dieser Klistierspritzte und ihrer Spitze verbreitete sich wie ein Lauffeuer in einem Nu in ganz Berlin und war in jedermanns Munde. Noch an denselben Abend verkaufte der Dieb, nachdem er die Versicherung der größten Verschwiegenheit vom Käufer erhalten hatte, diese Spitze an einen der Herren, die am höchsten mitgeboten hatten, für 50 Friedrichsd’or. Der schlaue Dieb fand den Handel so einträglich, dass er ganz in der Stille einige Dutzend Klistierspritzenspitzen aufkaufte und mit ungeheurem Gewinn wieder für diejenige verkaufte, welche der göttlichen Lind gedient hatte, ja er fand das Gewerbe so ergiebig, dass er damit auf die Frankfurter Ostermesse zu reisen beschloss und sogar dem die dortige löbliche Polizei präsentierenden Senator eine solche Spitze um den sehr mäßigen Preis von fünf Gulden aufhing, der nun, ebenfalls ein sehr großer Verehrer der göttlichen Jenny, dieselbe zu einem Zigarrenmundstück, auf dem er aber noch vorher dem Namen Jenny Lind sowie Datum und Jahreszahl von einen Petschierstecher hatte eingravieren lassen, bestimmte, aus dem er täglich und besonders dann rauchte, wenn ihm schwierige, polizeigerichtliche Fälle zur Entscheidung vorgelegt wurden, um hierdurch seinen Scharfsinn zu begeistern. Aber ach! Diese Spitze stammte von der Klistierspritze eines alten, unbeschnittenen jüdischen Frankfurter Wucherers, dem Dietrich Harpax, wie wir aus sicherer infernalischer Quelle wissen. Es war demnach kein Wunder, wenn der Herr Polizeisenator statt salomonische oft so übelriechende Urteile und Entscheidungen von sich gab.

Michel und Asmodi hatten hatte die doppelte Vorstellung, sowohl die der Oper als auch im Gasthof belustigt. Sie entfernten sich um die elfte Stunde Berlin verlassend und nahmen ihren Flug in Basel, um dort einer Muckerversammlung beizuwohnen, von der sich Michel nicht minder Unterhaltung versprach.

Unsere Luftreisenden, welche ihren Flug bei der heitersten mondhellen Nacht, die ihren glänzenden Sternenmantel, ohne durch das kleinste Wölkchen verhüllt, ausbreitete, zurückgelegt hatten, ließen sich zu Basel in der Nähe des gotischen Münsters herab, dessen Turmuhren gerade die Glocke Mitternacht verkündeten, und schlugen den Weg zum Rathaus ein, gingen von da durch einige Gässchen und blieben endlich vor einem großen gelblichweiß angestrichenen Tor stehen, dessen Pforte sich ihnen auf ein vom Hinkenden gegeben Zeichen leise ein wenig öffnete und die beiden Ankömmlinge einließ. Sie gingen über einen kleinen Hof, kamen an ein zweites, niedrig gewölbtes, schwarzgraues Tor, dass sich ihnen ebenfalls öffnete, und stiegen nun ungefähr 15 bis 20 Stufen in ein Gewölbe hinab, das allen Anschein nach zu einem Weinkeller bestimmt war, indem man verschiedene Tische wahrnahm, auf denen die Überreste wahrscheinlich eines gehaltenen Liebesmahles nebst Weinflaschen, Gläsern usw. erblickte. Hier fanden sie etwa 60 bis80 Personen, Frauen und Männer, bei dem düsteren Schein einiger Lampen versammelt, die zu beten oder wenigstens in Andacht versunken schienen. Sie bildeten einen Kreis um einen Altar, auf dem eine weiß verhüllte Figur stand. Michel und der Teufel hat unbemerkt hinter einem Paar dieser Frommen Platz genommen, die sich recht brüderlich und schwesterlich die Hände drückten. Nach einigen Minuten tiefer Stille, die nur durch ein leises Murmeln und Flüstern gestört wurde, trat plötzlich ein rüstiger Mann, der eine Art Priesterkleidung trug, in die Mitte des Halbkreises vor den Altar und sprach: »Teure Brüder und Schwestern, der hehre Augenblick, der uns zu den Freuden der seligsten Seligkeit vorbereiten soll, naht. Bringt der Stellvertreterin der himmlischen Jungfrau eure irdische Huldigung!«

Bei diesen Worten riss der Sprecher der Figur das Gewand ab, welches sie bedeckte. Man erblickte ein sehr schön geformtes reizendes, etwa 18-jähriges junges Mädchen, das beinahe ganz nackt war, denn nur um dessen Hüften wand sich ein dünner Florschleier. Bei ihrem Anblick stürzten alle auf die Knie nieder, murmelten ein kurzes Gebet, worauf sie sich wieder erhoben, sodann Paar um Paar, ein Mann und eine Frau oder Mädchen, sich dem Altar, auf dem die Jungfrau stand, näherten, ein paar Stufen hinaufstiegen, derselben die Füße und andere Teile des Körpers küssten, sich sodann tief verneigend wieder entfernten und in einem Winkel des Gewölbes Platz nahmen. Als alle Anwesenden, Michel und der Hinkende ebenfalls – Letzterer hatte die Gestalt und Kleidung einer hübschen jungen Frau angenommen – diese Zeremonie vollzogen hatten, trat der Mann in dem priesterlichen Gewand abermals vor und sprach: »Nun, teuerste Freunde, Brüder und Schwestern, bereitet euch vor. der Augenblick ist gekommen, mit welchem sich der Heilige Geist naht und uns alle mit seinen wohltuenden Flügeln beschattet!«

Kaum hatte der Redner das letzte Wort gesagt, als das düstere Lampenlicht verschwand und die dichteste Finsternis das Gewölbe und alle Anwesenden umgab. Man vernahm nur noch ein Stöhnen, Ächzen und Seufzen von verschiedenen Seiten.

»Jetzt ist es Zeit«, rief nach einigen Minuten plötzlich der Hinkende mit kreischender, näselnder Stimme, auf den Boden stampfend, dem nun ein rot brennendes Fackellicht entquoll, welches das Gewölbe auf das Hellste bis in seine verborgensten Winkel beleuchtete, und dem Michel Gruppierungen vor die Augen führte, die wir uns wohl hüten werden, näher zu beschreiben. Das Ganze stellte ein Bild der obszönsten Orgien dar. Auch das Mädchen vom Altar war verschwunden und in die Arme des Sprechers gesunken. Aber Asmodi, der nun seine Teufelsgestalt ebenfalls in ganzer Nacktheit angenommen hatte, sprach mit donnernder Stimme: »Aha, ihr Heuchler, ihr verstockten Sünder, habe ich euch auf der Tat ertappt? Ich will euch einen Vorgeschmack von dem geben, was euch in der Hölle, der ihr verfallen seid, erwartet.«

In diesem Augenblick zischten furchtbare Schlangenblitze durch das wie von einem Erdbeben erschütterte Gewölbe. Ein schrecklicher Donner und ein Getöse, noch hundertmal ärger als das der Wolfsschlucht im Freischütz in den Berliner oder Pariser Operntheater, ließ sich vernehmen. Ein Flammenmeer entquoll den Boden, die grässlichsten Gestalten sausten und brausten unter Flüchen und Wehegeheul vorüber. Endlich verließen Michel und der Hinkende das schauerliche Sündergewölbe, in dem sämtliche Mucker und Muckerinnen in einer totenähnlichen Ohnmacht liegend zurückblieben, aus dem sie erst nach mehreren Stunden wie aus einem schweren Traum erwachten. Man sagt, dass viele derselben, obwohl sie die ganze Begebenheit seitdem für einen bösen Traum hielten, sich doch bekehrt haben und wieder bessere Christen geworden sein sollen.