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Der Arzt auf Java – Zweiter Band – Kapitel 4

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Zweiter Band
Kapitel 4

Das Kodizill des Doktor Basilius

Die Sonne war seit mehreren Stunden aufgegangen, als Eusebius van der Beek an dem Tag, nach dem bei Mynheer Cornelis verbrachten Abend, nach Weltevrede zurückkehrte.

Was auch der Notar Maes über die Unwürdigkeit dieses Fortbewegungsmittels gesagt haben mochte, so legte Eusebius dennoch zu Fuß die Strecke zurück, die ihn von der Stadt trennte. Der Diener, welcher ihm die Tür seines Hotels öffnete, trat erschrocken zurück, so blass war das Gesicht seines Herrn, so sehr schien es entstellt zu sein. Er fragte, was ihn fehle, doch Eusebius antwortete ihm nicht, sondern ging in sein Kabinett. Kaum hatte er dasselbe betreten, als er sich dort einschließen wollte.

»Herr«, sagte der Diener, indem er leise die Tür zurückschob, »wollen Sie denn die Madame nicht sehen?«

»Was kümmert das dich?«, schrie Eusebius wütend, »und wer hat dir das Recht gegeben, meine Handlungen zu belauern?«

»Ich sagte es nur, weil Madame schon mehrmals nach Ihnen gefragt hat.«

»Nun gut, später werde ich zu ihr hinausgehen«, erwiderte Eusebius, der zum ersten Mal in seinem Leben zögerte, Esther zu umarmen.

Der Diener blieb noch immer an der Tür stehen und betrachtete seinen Herrn staunend.

»Worauf wartest du?«, rief dieser mit einer Art von Wut.

»Dass Sie mir die Adresse des Arztes geben, den ich für die Madame holen kann. Wir wissen nicht, welchen wir wählen sollen, während der Herr, der der Neffe des verstorbenen Doktor Basilius ist, mehrere kennen muss.«

Eusebius, der die ersten Worte seines Dieners mit einer Art einfältigem Stumpfsinn angehört hatte, schien plötzlich zu erwachen, ergriff den Menschen beim Kragen und rief: »Sprich nie diesen verfluchten Namen in meiner Gegenwart aus, wenn du nicht augenblicklich aus dem Haus gejagt sein willst.« Nach einer Pause, während welcher man hätte glauben können, er würde ersticken, fuhr er dann fort: »Was willst du mit einem Arzt sagen? Sprich, ist Madame krank?«

Eusebius sprach diese letzten Worte mit einer Rauheit aus, die nicht in seiner Gewohnheit lag, besonders wenn die Rede von seiner Frau war. Wenn auch der Name des Doktor Basilius ihn an traurige Ereignisse der Vergangenheit und an die Besorgnisse vor der Zukunft erinnerte, so durfte doch der Esthers ihn nur an eine Pflicht mahnen. War denn sein Gewissen nicht ohne Eifersucht, dass der Gedanke an diese Pflicht ihm wie ein Gewissensbiss erschien?

»Herr«, stammelte der Diener ganz erstaunt, »es ist nur, weil man glaubt, es würde heute sein.«

Bei diesen Worten verschwanden alle Gedanken, welche Eusebius die Gegenwart seiner Frau fürchten ließen. Er eilte die Treppe hinauf, lief zum Zimmer Esthers, die er im Bett fand und die ihm unter ihren Leiden zulächelte.

»Mein Freund, ich danke dir«, rief die junge Frau, indem sie ihrem Mann die Arme entgegenstreckte. »Ich danke dir, denn ich würde unglücklich gewesen sein, wenn nicht der erste Blick deines Kindes dich getroffen hätte.«

Eusebius bedeckte seine Frau mit den zärtlichsten Küssen. Er hatte alles vergessen.

Nach einigen Augenblicken zärtlichen Geplauders über das Kind, welches geboren werden sollte, sagte Esther: »Wie spät du nach Hause kommst! Es ist das erste Mal, Eusebius, dass du eine ganze Nacht fern von mir zubrachtest.«

Eusebius Blässe verwandelt sich in dunkle Röte. Er senkte die Augen unter dem ruhigen klaren Blick der jungen Frau.

»Der verhasste Herr Maes wird dich verführt haben«, fuhr sie fort. »Aber ich zürne ihm deshalb nicht, denn ich hatte ihn gebeten, es zu tun.«

»Du, Esther! Du hattest ihn gebeten, mich dahin zu führen, wo er mich hinbrachte?«

»Ohne Zweifel. Ich hoffte, dass die Lustigkeit dieses dicken Menschen ansteckend für dich sein würde, sodass du zuletzt fändest, die Vergnügungen wären die passende Beendigung für einen wohl angewendeten Tag und du würdest bei der Anwendung seines Rezeptes deine sorgenvolle Stirn verlieren.«

»Esther!«, rief Eusebius, »du hast einen großen Fehler begangen. Wolle Gott, dass du es niemals zu bereuen hast.«

»Ach, mein Gott, du erschreckst mich! Was ist denn diese Nacht vorgegangen? Aber das Glück, dich wiederzusehen, hatte mich in der Tat verhindert, zu bemerken, wie blass du bist und in welcher Unordnung deine Kleider sind. Sprich, sprich, mein Eusebius. Ich liebe dich so sehr, dass ich nur auf dein Glück eifersüchtig bin.«

Eusebius schrak von einem offenen Geständnis zurück. Die Lüge, zu der er seine Zuflucht nehmen zu müssen einsah, vermehrte noch seine üble Laune gegen sich selbst. Er konnte derselben nicht freien Lauf lassen, ohne sich selbst anzuklagen. Sie brach daher gegen Esther los.

»Ja, so sind die Frauen!«, rief er heftig.»Sie sehen nichts als ihre Liebe und es scheint Ihnen, als ob auf der Welt nichts weiter bedroht werden könnte!«

»Eusebius, so hast du noch nie zu mir gesprochen!«, rief Esther.

»Weshalb sprichst du das Wort Eifersucht aus, welches meiner Meinung nach so albern und so lächerlich ist?«

»Im Gegenteil, mein Freund, ich gab dir eben die Versicherung, dass ich nicht eifersüchtig bin!«

»Bah! Das ist ein Vorwand, um dir Eifersucht zu zeigen.«

»Wahrlich, mein Freund, ich erkenne dich nicht wieder, und wenn ich nicht volles, unbedingtes Vertrauen in dich setzte, so wäre deine Sprache, an die du mich so wenig gewöhnt hast, wohl der Art, mir Verdacht einzuflößen.«

»Welchen Verdacht? Lass hören. Ich verlange, dass du dich deutlicher aussprichst!«, rief Eusebius außer sich. »Weil ich eine Nacht in Geschäften verbrachte, weil der verhasste Maes mich dahin brachte, beklagenswert abzuschließen? Ist das ein Grund, mich mit deinen beleidigenden Vermutungen zu überhäufen?«

»Aber welche Vermutungen habe ich denn ausgesprochen, mein Gott?«, rief die arme Frau, welche bemerkte, dass die Unruhe ihres Mannes, statt sich zu vermindern, sich noch steigerte und die dadurch auf ganz andere Gedanken gebracht wurde.

»Siehst du, Eusebius«, fuhr sie fort, in dem sie zwischen den Tränen, die langsam ihre Wangen herabrannen, zu lächeln versuchte, »siehst du wohl, du weißt ja, dass ich das vollste Vertrauen in dich setze, dass ich an dich glaube, wie an Gott. Sagst du nun, ich habe dies getan und bin dort gewesen, so glaube ich es unbedingt. Beim Haupt des Kindes, das ein neues Band zwischen uns bilden wird, schwöre ich dir, dass ich nie den geringsten Zweifel an die Wahrheit dessen gehegt habe, was du mir sagtest. Ach, Eusebius, wenn ich dich beleidigt habe, so verzeihe mir«, fügte Esther hinzu, indem sie ihrem Mann ihre reine weiße Stirn bot, umkrönt mit blondem Haar, das in seidenweichen Locken unter ihrer Haube hervorfiel.

Eusebius blieb traurig und schmollend.

»Willst du, dass ich dir einen neuen Beweis meines Vertrauens zu dir gebe?«, fügte sie nach einer Pause hinzu.

»Sprich«, sagte der junge Mann, indem er die Hand seiner Frau ergriff.

»Nun wohl; ungeachtet der dringenden Vorstellungen des Herrn Maes habe ich nicht gewollt, dass er dich von dem beleidigenden Kodizill in Kenntnis setzte, welches unser Onkel seinem Testament hinzugefügt hat.«

»Das Kodizill besteht also wirklich?«, rief Eusebius. »Mein Gott, ich wollte daran zweifeln. Wenn es aber besteht, so ist das, was diese Nacht vorging, kein Traum, wie ich mich seit diesem Morgen überreden wollte! Der Schlangenbeschwörer, die eigentümliche Vision, welche mich Esther sterbend erblicken ließ, die Rangune, der Traum – das alles sind Wirklichkeiten, und Basilius hat über mich seinen ersten Triumph errungen. Ha, ich höre sein frohlockendes Gelächter!«

Indem Eusebius so sprach, schien er von Wut ergriffen zu werden.

»Mein Gott, er wird wahnsinnig!«, rief Esther, deren bleicher Kopf leblos auf das Kissen zurücksank.«

Der Anblick der Gefahr, in welcher seine Frau schwebte, brachte Eusebius wieder zu sich. Er warf sich auf das Bett Esthers, küsste ihre eiskalte Hand, versuchte sie in das Leben zurückzurufen. Als ihm dies nicht gelingen wollte, klingelte er ihren Frauen, die sich beeilten, ihr Beistand zu leisten.

Der Arzt war herbeigerufen worden und erschien nun. Mit zwei Worten setzte Eusebius ihn von dem Vorgefallenen in Kenntnis. Er erklärte, dass Esthers Lage im höchsten Grad gefährlich sei, dass die heftige Erschütterung, die sie wahrscheinlich erlitten hätte, unfehlbar eine Krisis herbeiführen würde, durch welche die Mutter oder das Kind, das sie unter ihrem Herzen trug, vielleicht auch alle beide, mit dem Tod bedroht würden. Er verlangte von Eusebius, ihn allein bei der Kranken zu lassen, denn er fürchtete die Erschütterung, die sie beim Wiedererwachen empfinden könnte, wenn sie ihren Mann an ihrem Lager erblickte.

Eusebius war in Verzweiflung, aber er schöpfte Mut aus dem Übermaß seines Schmerzes und verließ das Gemach.

Auf der Schwelle fand er seinen Diener, welcher ihm sagte, dass ein Herr seiner im Kabinett warte und dringend verlange, ihn zu sprechen.

Eusebius wollte zuerst die Antwort geben, er sei für niemand zu sprechen, aber er bedachte, dass er durch Geschäfte das beste Mittel der Zerstreuung finden würde und ging hinab. Der seiner wartende Herr war niemand anderes als unser alter Bekannte, der Notar Maes.

Eusebius hätte vergebens auf dem Gesicht des Notars die Spuren der Orgie vom vergangenen Abend gesucht, welche Eusebius’ Physiognomie so sehr veränderte. Herr Maes war rot und frisch, ruhig und lächelnd. Seine Halsbinde zeigte ein tadelloses Weiß und sowohl auf seinem schwarzen Anzug als auch auf seinem Gesicht verriet nicht eine einzige Falte die bachantischen und choregraphischen Exzesse, deren er sich bei Mynheer Cornelis schuldig gemacht hatte. Als er Eusebius erblickte, reichte er ihm die Hand und begleitete diese Bewegung mit einem beinahe ehrerbietigen Gruß.

Er vereinigte den Genossen der Lustigkeit mit dem Klienten.

»Was wollen Sie hier?«, rief Eusebius ihm mit beinahe drohendem Ton zu. »Haben.Sie noch nicht genug an den Torheiten, die Sie mich diese Nacht begehen ließen?«

»Ich werde meinem lieben Herrn van der Beek bemerken«, entgegnete Herr Maes mit einem zugleich freundlichen und würdigen Ton, »dass ich die Ehre habe, sein Notar zu sein und dass ich in seinen Geschäften und nicht in den meinen gekommen bin. Wenn aber mein Klient mich um meine Ansicht über das befragt, was er die Torheiten dieser Nacht zu nennen beliebt, so gestehe ich dem Herrn van der Beek, dass es deren zu viel gegeben hat, viel zu viel.«

Indem Herr Maes diese Worte sprach, schlug er mit der einen Hand auf ein gestempeltes Papier, das er zusammengefaltet in der Hand hielt.

»Ja«, erwiderte Eusebius, »und hätte ich nicht das Recht, Sie der Mitschuld bei der Schlinge anzuklagen, die mir gelegt wurde, Sie, den ich als meinen Freund hätte betrachten sollen?«

»Ich war es in der Tat, Herr van der Beek. Wenn ich in dieser Stunde nur noch Ihr Notar bin, so war ich in der, zu welcher sich die Ereignisse, deren Sie erwähnen, zutrugen, mit den Banden einer wahren Freundschaft an Sie gefesselt.«

»Eine hübsche Freundschaft, die darin besteht, mich an einen nichtswürdigen Ort zu führen und mich an Händen und Füßen gebunden dem höllischen Menschen, der mich verfolgt, oder dessen Agenten zu überliefern.«

»Wahrlich, Herr van der Beek, ich verstehe Sie nicht.«

»Wenn Sie nicht der Mitschuldige derer gewesen sind, denen es mithilfe irgendeiner mir unbekannten Missetat gelungen ist, meine Sinne zu betäuben, weshalb ließen Sie mich dann in ihren Händen, weshalb verließen Sie ohne mich Mynheer Cornelis?«

»Herr van der Beek«, entgegnete Herr Maes mit beinahe feierlichem Ton, »der Notar Maes hat die Gewohnheit, sich nie um das Tun und Lassen des Privatmannes, Herr Maes, zu bekümmern. Ich fordere Sie auf, diese weise Zurückhaltung nachzuahmen. Wir würden damit das gewinnen, ernste Angelegenheiten nicht mit denen zu verwechseln, die es nicht sind. Haben Sie wirklich gegen Herrn Maes die Anklage auszusprechen, die soeben über Ihre Lippen ging, so suchen Sie ihn auf und er wird Ihnen antworten. Dies zu tun aber verträgt sich nicht mit der Würde des Notars. Die Wahrheit ist indes, dass dieser Letztere sich an nichts von dem erinnert, dessen Sie erwähnen.«

»Das glaube ich wohl. Sie waren schwer betrunken!«

Herr Maes antwortete nicht auf diese Beschuldigung. Seine Augenwimpern verschleierten leise seine großen Augen, wie dies bei einem Menschen zu geschehen pflegt, der sich durch die Erinnerung an einen Genuss entzückt; das war alles.

»Sie haben jetzt nur Ihren Notar vor sich, der gekommen ist, um Ihnen, als seinem Klienten, zu sagen: Was soll ich von diesem Aktenstück denken, welches von Ihnen 600.000 Gulden verlangt, infolge der Bedingungen des Kodizills, welches dem Testament des Doktor Eusebius, Ihres Onkels, hinzugefügt worden ist, und dies zum Nutzen einer Mademoiselle Johanna Trumper, die in dem erwähnten Kodizill bezeichnet wurde?«

Eusebius antwortete nicht. Er warf sich auf einen Divan und verbarg das Gesicht in den Händen.

Dieses Aktenstück ist in meinem Kontor abgegeben worden, sagte mir der Huissier, der es aufgesetzt hat, und der, das Ärgernis zu vermeiden und die Strenge der Gerichte mit der Schonung zu vereinigen wünscht, welche man dem Zustand schuldig ist, in dem sich Madame van der Beek befindet. Hier ist es.«

Der Notar reichte Eusebius das Papier. Dieser stieß einen Seufzer aus, der einem unterdrückten Schrei glich, nahm das Aktenstück und zerdrückte es in den Händen.

»Verzeihen Sie«, rief Herr Maes, »aber das Papier darf nicht zerrissen werden. Bedenken Sie, dass wir vielleicht gezwungen sind, es der Madame van der Beek vorzulegen, welche die Erbin ist und nicht Sie.«

Eusebius Blässe verwandelte sich in Totenfarbe.

»Esther ist von dem allen unterrichtet, mein Herr!«, rief er. »Wollen Sie sie denn töten? Versuchen Sie das nie, wenn Sie auf Ihr Leben halten.«

Ungeachtet des furchtbaren Blickes, mit welchem Eusebius die Worte begleitete, schien der Notar dadurch nicht im Geringsten ergriffen zu werden. Er setzte sich an die Seite seines Klienten und sog phlegmatisch eine Prise Tabak ein.

»Dann«, sagte er, indem er mit den Fingerspitzen einige Tabakkörner fortschnippte, welche die Weiße seines Hemdes zu trüben drohten, »dann müssen Sie sich eine Vollmacht verschaffen, die Sie von Madame van der Beek unter irgendeinem Vorwand fordern mögen. Wir beraten danach miteinander den Widerspruch, den wir den Reklamationen der Antragstellerin entgegenzusetzen haben. Wir machen einen Formfehler ausfindig, wir klagen, und wenn der Staat nicht interveniert, indem er sich auf die Klausel des Testaments stützt, welche die Regierung als Erbin einsetzt, im Fall die Ansprüche bestritten werden, nun, dann können wir vielleicht zugleich das Zartgefühl der Madame van der Beek und Ihren Geldbeutel schonen, in welchen diese Summe von 600.000 Gulden eine ziemlich bedeutende Bresche schießen würde.«

Sonderbar! Eusebius, der, während er ruhig das Vermögen genoss, welches der Doktor Basilius hinterlassen hatte und darauf keinen Wert legte, sich sogar desselben mehrmals zu entledigen suchte, fühlte sich plötzlich sehr beunruhigt, als er sah, dass diese Besitzverminderung gegen seinen Willen bewirkt werden sollte, als er erkannte, dass er mit dem Verlust eines bedeutenden Teils des verschmähten Vermögens bedroht war.

Es ist mit dem Gold wie mit den Frauen; ganz besonders, wenn diese sich von uns abwenden, kann man erkennen, ob man sie liebt und in welchem Grade man sie liebt.

Der Doktor Basilius konnte nicht bei gesundem Verstand gewesen sein, als er einen so hohen Preis auf die Liebe dieses elenden Geschöpfes setzte. Es war aber eine Laune des Testators, gleich der, welche Madame van der Beek auf Kosten anderer Verwandten bereicherte, die ihr Onkel vielleicht noch hatte.

»Aber«, sagte Eusebius, indem er aufstand und unruhig im Zimmer auf- und niederging, »es ist unmöglich, dass ich zu der Zahlung dieser Summe verurteilt werde. Mithilfe irgendeines Zaubers, den ich nicht begreife, haben sie mit meinem Körper gemacht, was sie wollten, aber mein Herz, meine Seele, mein Geist sind rein geblieben.«

»Ich glaube, mein lieber Herr van der Beek, dass Sie gleich einigen Personen meiner Bekanntschaft diesen Zauber auf dem Boden einer Flasche gefunden haben. Ei zum Teufel, das ist der Grund! Sie haben sich mit dem Geist nicht befreundet und dadurch ihn sich zum Feind gemacht!«

»Nein, nein, ich werde beweisen, dass ich das Opfer einer höllischen Intrige war, dass die, welche mich verfolgen, nicht von dieser Welt sind, und dass alle Kraft und alle Tugend des Menschen gegen eine solche Bosheit ohnmächtig bleiben.«

»Herr van der Beek«, entgegnete der Notar, »wenn Sie von Zaubermitteln zu unseren ehrlichen holländischen Richtern sprechen, so werden Sie, wie ich glaube, Ihre Angelegenheit ganz verderben. Das Erforderliche ist, einen guten Grund zu finden, auf den wir unsere Verteidigung stützen können; der ist weit eher in dem Pandemonium der Schikane zu entdecken, als beiden geheimen Wissenschaften. Da Sie aber geneigt zu sein scheinen, den Ansprüchen der Johanna Trumper Widerspruch entgegenzusetzen, darf ich Ihnen nicht verhehlen, dass aus diesem Prozess großes Ärgernis entspringen wird.«

So groß auch der Unterschied war, den der Notar zwischen dem wollüstigen Herrn Maes und dem strengen Rechtsgelehrten und öffentlichen Beamten zu machen behauptete, war es doch nicht möglich, ihn so vollkommen festzustellen, dass der Gedanke, selbst kompromittiert zu werden, wenn die eine oder die andere der streitenden Parteien sein Zeugnis anrief, nicht einigen Einfluss auf seine gemachte Bemerkung gehabt hätte. Diese Bemerkung brachte Eusebius zur Verzweiflung. Er hatte bei dem Schmerz, den ihm der Verlust der 600.000 Gulden machte, Esther nicht vergessen und konnte nicht ohne Abscheu an die Verzweiflung denken, die er ihr verursachen würde. Seine Betrübnis war so groß, dass sie Herrn Maes, der mit Strenge sein Amt auszuüben liebte, entwaffnete.

»Zum Teufel, mein lieber Herr van der Beek«, sagte er, »Sie müssen nicht verzweifeln. Glauben Sie mir, viele von denen, welche Sie verurteilen, werden es bedauern, nicht an Ihrer Stelle gewesen zu sein. Die Furcht vor den verfluchten Schlangen trieb mich in die Flucht und so sah ich den Auftritt nicht, der in diesem Aktenstück geschildert wird. Aber wenn von der weißen Rangune die Rede ist, wie ich vermute, so muss ich gestehen, dass man zu entschuldigen ist, wenn man sich wegen eines so schönen Geschöpfes in die Verdammnis stürzt.«

Nach einer Bewegung der Ungeduld, welche seinem Klienten entging, fuhr er dann fort: »Aber zum Teufel, Herr van der Beek, wie kam es denn, dass Sie, der Sie Ihrer so sicher waren, sich schwach zeigten und das gerade bei einer von den einzigen drei Personen, bei denen Ihnen die Schwäche untersagt ist? Denn Sie dürfen nicht vergessen, dass die ganze übrige Welt Ihnen freisteht.«

Herr Maes ließ sich hier in eine unerschöpfliche Reihe von Gemeinplätzen ein, welche jederzeit zu Vorwürfen Veranlassung gegeben haben würden. Er machte gegen Eusebius eine Masse listiger Bemerkungen, allein seine tugendhafte Beredtsamkeit hatte doch den Vorteil, Eusebius die Aufrichtigkeit des Notars zu beweisen und ihm zu zeigen, dass derselbe nur durch die Leichtfertigkeit seiner Sitten und seine nicht sehr gewählten Verbindungen tadelnswert war, Dinge, die van der Beek kannte und die er nicht gehörig bedacht zu haben, das Unrecht beging.

Der Notar hatte freundschaftlich die Hand seines Klienten ergriffen und sagte: »Hören Sie, eine geschriebene Zeile auf gutem Stempelpapier wird unsere Sache weiterbringen, als alle Ihre Seufzer, wären sie auch mächtig genug, einen Dreimaster von Batavia nach Amsterdam zu treiben. Erzählen Sie mir Ihre Geschichte, verhehlen Sie mir nichts. Ein Notar, ein Priester und ein Arzt bilden die Dreieinigkeit der Beichtväter, deren ein Mensch in seinem Leben bedarf.«

Eusebius zögerte, ob er den Notar zum vollkommenen Vertrauten machen und ihm alles mitteilen sollte, was seit dem Tag vorgegangen war, an welchem der Notar sein Haus betrat. Er blieb einige Augenblicke unentschieden und stumm.

Auf der einen Seite empfand er gleich allen Unglücklichen das Bedürfnis, sich auszusprechen und dadurch das Gewicht der Sorgen zu erleichtern. Auf der anderen schien es ihm, als verleihe er dadurch, dass er einem Fremden seine Angst mitteilte, derselben Körper und Leben, während er bisher alles nur als Phantome hatte betrachten wollen. Es widerstrebte ihm, dass ein anderer die Existenz des Basilius bezeugen sollte. Er hoffte seine Erinnerung zu töten, indem er die Wirklichkeit derselben leugnete.

Bei dem Kampf, den er zu bestehen gehabt hatte, verließ ihn die-Festigkeit seines Charakters. Er fühlte nicht mehr, wie zuvor, den Mut, den Mitteilungen über den sonderbaren Menschen, dem er sein Vermögen verdankte, entgegenzugehen. Er begann die frische Kraft zu verlieren, die ihm bisher gestattet hatte, der Gefahr in das Gesicht zu sehen. Endlich ließ ihn auch noch der spöttische Ton, mit welchem Herr Maes ihm antwortete, als er von Zaubermitteln sprach, fürchten, der Notar möchte seine sonderbare Schilderung als eine Störung seines Verstandes betrachten. Diese letztere Rücksicht, die stärker war, als alle übrigen, hielt ihn besonders zurück.

Er beschränkte sich deshalb darauf, von der Nacht bei Mynheer Cornelis die Umstände zu erzählen, auf die er sich besinnen konnte; die Betäubung, von der er plötzlich befallen worden war, die Art von Fieber, welche auf diesen ersten Zustand folgte, sein Erwachen auf einer Matte, die mit Blut befleckt und mit Trümmern der Orgie bedeckt war; seine Überraschung, als er in seinen Armen die leblose Rangun erblickte; seine Verwirrung, als er, seine Betäubung abschüttelnd, bemerkte, dass sein eigentümliches Erwachen Zeugen hatte; die Neckereien, die er von denen anzuhören hatte, die ihn umgaben und die ihn mit den Bestimmungen des Kodizills bekannt machten, von welchem Herr Maes ihm den Abend zuvor erzählt hatte, indem er ihm versprach, es ihm am nächsten Tag umständlich mitzuteilen.

»Das ist nichts weiter als eine kleine Falle«, sagte der Notar, nachdem er diese Erzählung angehört hatte, »und mein Freund Thsermai, den ich lächeln sah, als Sie sich so ungeschickt Ihrer Kraft rühmten und der, wie man versichert, diese Rangune in seinem Ballett gehabt hat, ist der Sache vielleicht nicht ganz fremd.«

»Thsermai«, rief Eusebius »Aber Thsermai ist reich.«

Der Notar zuckte die Achseln.

»Man ist niemals reich«, entgegnete er, »wenn man sich schon auf dieser Erde das Paradies Mohameds schaffen will.«

»Aber er hat mich mit Zuvorkommenheit und Frenudschaftsversicherungen überhäuft.«

»Ein Grund mehr, hätte ich noch einen Zweifel, so wurde das, was Sie mir sagen, ihn zerstören. Thsermai hatte keinen Grund, sich Ihnen so an den Hals zu werfen. Es war eine einfache Spekulation dieses edlen Eingebornen. er wird irgendetwas in Ihren Wein getan haben und nun mit der Rangune teilen, das ist klar. Sie sehen, dass dabei allerdings ein Zaubermittel stattgefunden hat, wenn auch nicht in dem Sinn, wie Sie es verstanden.«

Die Schlußfolgerung des Notars erleichterte Eusebius. Bei der Verlegenheit, in welcher er sich befand, entweder einen ärgerlichen Prozess zu bekommen, der Esther den lebhaftesten Kummer verursachen musste oder ein Drittel seiner Reichtümer zu opfern, war es für ihn ein Trost, die Überzeugung zu gewinnen, dass der Einfluss des Doktor Basilius dabei nicht mitgewirkt hatte und dass er ein Opfer der Habgier der Menschen war und nicht der Bosheit der Dämonen.

Dieser Gedanke beschwichtigte seine Schrecken. Er gestattete ihm die Hoffnung, die beiden anderen Drittel seines Vermögens leicht erhalten zu können und sie nicht einmal bedroht zu sehen. Mit größerer Freiheit des Geistes prüfte er nun gemeinschaftlich mit Herrn Maes die Aussichten, welche in diesem Fall ein gerichtliches Verfahren ihm ließ.

Der Notar war nicht der Meinung, ein solches zu versuchen, ehe er sich offen gegen Esther ausgesprochen hatte, ohne deren Mitwirkung und Wissen es schwer gewesen sein würde, einen Prozess zu führen, bei dem sie selbst Partei war.

Es bemerkte Eusebius, dass er auf die Nachsicht und die Verzeihung einer Frau rechnen dürfte, die ihm so ganz ergeben war, dass im Grunde der Fehltritt, dessen er sich schuldig bekennen musste, keiner war, da weder sein Herz noch sein Wille daran teilgenommen hatte.

Eusebius van der Beek blieb unerschütterlich, sein Stolz lehnte sich gegen den Gedanken auf, seine Schwäche zu gestehen. In eben dem Augenblick, in welchem ihm die menschliche Gebrechlichkeit bewiesen wurde, zeigte sein Selbstvertrauen sich ebenso unerschütterlich, wie zuvor, obwohl er es eigentlich schon verloren haben sollte. Herr Maes, der, wie wir bereits sagten, keineswegs wünschte, diese Angelegenheit öffentlich werden zu sehen, bekämpfte gleichwohl den Entschluss seines Klienten mit spartanischer Selbstverleugnung, die er als eine Pflicht seines Amtes betrachtete.

Alles war nutzlos. Die Notwendigkeit dieses vorangehenden Geständnisses bestimmte Eusebius zu dem Opfer, welches dem Geiz, der in seinem Herzen Wurzel zu fassen begann, unendlich schwer wurde.

Er begleitete Herrn Maes bis zu dessen Wohnung und unterzeichnete seufzend die Aktenstücke, deren der Notar bedurfte, um seinem Klienten die Summe zu verschaffen, die dazu dienen sollte, einen von den Artikeln des Kodizills des Doktor Basilius zu erfüllen.