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Der Welt-Detektiv Band 6

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Rübezahl, der Herr des Gebirges – Folge 44

Rübezahl, der Herr des Gebirges
Volkssagen aus dem Riesengebirge
Für Jung und Alt erzählt vom Kräuterklauber
Verlag Carl Gustav Naumann, Leipzig, 1845

44. Wie Rübezahl etwas Justiz macht.

Gleich nach dem Dreißigjährigen Krieg war es am Gebirge hin gar unsicher, denn es gab eine Menge abgedankter Landsknechte, die im Land herumliefen, bettelten, stahlen und die Wanderer auf den Straßen auszogen und plünderten. Unter anderen war bei diesem Gesindel ein Mensch, auf welchen die Gerichte schon lange vigilierten und konnten ihn doch nicht fassen, denn er war eigentlich des Teufels Vorlauf. Aber endlich kam auch seine Stunde. Sie fingen ihn und setzten ihn in den Turm.

Eine hübsche Zeit lang hatte er schon da gesessen und niemand hatte an ihn gedacht, folglich auch niemand ihn verhört. Da sagte er eines Tages dem Gefangenwärter, er habe das Warten satt. Als der fragte, warum, es gehe ihm ja nichts ab, so applizierte er sich des Weiteren und sprach: Darum.

Am folgenden Tag aber kam er wieder auf das Thema und sagte, wenn sie ihn nicht bald verhörten, so müsse er ohne Verhör davongehen, denn es leide ihn einmal hier nicht mehr, und das solle er nur immerhin dem Bürgermeister sagen.

Der Pankraz meldete das also dem gestrengen Herrn Burgermeister und der setzte das Verhör an.

Sie brachten den Delinquenten nun vor den Hohen Rat und führten ihn unter hinlänglicher Bedeckung hinein in den Sitzungssaal. Da herrschte eine feierliche Stille. Die gnädigen Herren saßen mit geneigtem Haupt und niedergeschlagenen Augen da und mochten wohl über eine wichtige Sache nachdenken. Der Ratsdiener ging zum Bürgermeister hin und stieß ihn an, dass er aus seinen inneren Betrachtungen auffuhr. Dann schüttelte er einen jeden Ratsherrn ein wenig am Ellenbogen, sodass der ganze hoch edle Rat bald munter war und ganz couragiert aussah.

Sie nahmen nun den Mann ins Gebet und fragten ihn aus. Der war auch nicht faul und bekannte sein ganzes Sündenregister und meinte, er wolle nur alles vom Herzen heruntersagen, damit er bald wieder fortkomme.

So geschwind, meinte nun der Bürgermeister, gehe das nicht, denn er müsse erst ein wenig im Zuchthaus studieren, wenn er es zu etwas bringen wolle.

Das verdross den Delinquenten und er sagte, mit dem Zuchthaus müsse man ihm gleich gar nicht kommen, denn da habe er 37-mal gesessen und jedes Mal auf zeitlebens. Nun, seit dem letzten Mal, sei er ein freilediges Mannsbild und nur dazwischen von der Stadt eingefangen worden, jedoch nicht auf lange. Denn, sagte er ferner, da er selbst einmal gehört habe, dass der Burgermeister bei einer gewissen Gelegenheit gesagt hatte, die Welt sei ein großes Zuchthaus, wo die Menschen durch Kreuz und Trübsal für den Himmel gezogen würden, so halte er das ihm hiermit vor. Zugleich bewies er ihm, dass es für die Kämmerei weit vorteilhafter und für ihn selbst weit nützlicher und anmutiger sei, wenn sie ihn da hinausließen in die Welt, dass er seine Strafe da rechtschaffen absitzen könne.

Der Bürgermeister konnte das nicht leugnen, dass er es gesagt habe und dass er das glaube. Es waren Zeugen da, und zwar sieben. Weil er, der Delinquent, sonst ein anschläglicher Kopf wäre, so wolle er ihn da hinauslassen. Er fragte also die anderen, ob sie das zufrieden wären. Der Erste nickte sogleich ganz munter mit dem Kopf und sagte Ja. Die anderen aber, so etwas weniger lebhaft waren, schrien alle Ja.

So ging unser Delinquent fröhlich von dannen. Während er nun vom Rathaus herunterging, sang er nichts als Loblieder auf einen hoch edlen Rat und auf den hoch weisen Herrn Bürgermeister. Alles Volk, durch welches er hinzog, stimmte mit ein. Ja, einer führte das noch weiter aus und sagte, so einen Bürgermeister finde man weit und breit nicht und wohl in keinem Weltteil weiter, denn er schlafe im Rat nicht eher ein, als bis er auf dem Stuhl sitze. Als ein Naseweis fragte, wie es denn da die andern machen, antwortete der Mann: »Nun, die schlafen schon, wenn sie sich setzen.«

So strich unser Freigelassener durch die Langgasse durch, borgte sich beim Herrn Labander noch ein Quartier, nahm im Vorbeigehen beim Pfefferküchler am Tor noch einige Päcklein Pfefferkuchen zu sich, die er unterwegs zu studieren gedachte, und drehte draußen beim Heiligen Geist einer naturforschenden Gans noch freundschaftlich den Hals um und dachte: Gut, dass ich es nicht bin! Und steckte sie unter den Rockschoß.

Auf dem Weg holte ihn Rübezahl ein, der in der Stadt vom Delinquenten und seinem Verhör vernommen und zugleich die Verwünschungen der Menschen gehört hatte, die sich nun den Angriffen des Bösewichts wieder anheimgestellt sahen. Er beschloss also eigne Justiz zu handhaben und dachte: Hab ich dich nur erst oben … Denn, sagte er ferner bei sich, wo die Menschen zu dumm oder zu faul und zu dickhäutig oder gar zu schlecht sind, einander selbst zu schützen, da muss es ein Höherer tun. Er machte sich also an ihn. Im Gespräch entschlüpfte ihm, wie es schien, wider Willen, manches, und der Gauner horchte hoch auf. Ja, bald wurde es ihm klar, dass sich hier das Sprichwort aufführe: Gleich und Gleich gesellt sich gern. Nun trat er mit seinen Bekenntnissen heraus und suchte unter großen Versprechungen seinen Gefährten für seine Pläne zu gewinnen. Sie wurden also Handels eins und beschlossen, den Schauplatz ihrer Taten jenseits des Gebirges aufzuschlagen. Die Haut schauerte selbst dem Berggeist, als er die verruchten Pläne des Sünders hörte. Er zwang sich kaum bis zu den Schneegruben. Aber dort, wo er von seiner Kanzel herab der gesunkenen Menschheit so oft die Wahrheit gezeigt hatte, beschloss er endlich, die Welt von einem solchen Ungeheuer zu befreien.

Den Kräuterklauber freut es, dass selbst einer, der bei so vielen für einen Teufel gilt, besser sein kann als viele Menschen und wartet ruhig das Ende ab, denn er weiß es schon.

Sie waren nun also oben bei den Schneegruben. Rübezahl sagte dem Bösewicht, hier solle er sich niedersetzen und sich noch einmal die Welt ansehen. Hierauf stieg er auf die Felsen, die aus jenen Zeiten her Rübezahls Kanzel heißen, und redete von da dem Schurken ins Gewissen, der fast leblos und wie vernichtet dastand. Wie er nun in der höchsten Kraft der Rede mit Donnerworten den Verbrecher niederschlug und ihn der Hölle, wohin er gehöre, überwies, so fuhr plötzlich unter furchtbarem Donner und Blitz ein Sturm daher und stürzte den Elenden hinab in die Tiefe der Schneegruben.

Noch heute blinken beim Mondschein aus der Tiefe der Schneegruben die lang gebleichten Gebeine des armen Sünders herauf. Der Kräuterklauber hat sie selbst gesehen, wenigstens etwas Weißes da unten.

Merke: Fürchte Gott, tue Recht, scheue niemand, so brauchst du keine Grube zu fürchten.