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Aus dem Wigwam – Das Paradies der Tetonen

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880

Das Paradies der Tetonen

enn man an einem sternenhellen Abend im Monat des Blätterwelkens seine Augen zur Gegend des Jägersterns (Nordstern) und des ewigen Schnees richtet, wird man den Himmel oft mit einer zarten Röte, ähnlich der Röte auf den Wangen einer Jungfrau, wenn der Name ihres Geliebten erwähnt wird, geschmückt sehen. Auch wird der aufmerksame Beobachter dann und wann ein geheimnisvolles halb unterdrücktes Lachen hören und zuweilen auf die lustigen Gestalten der froh Lachenden, die in der Umgebung der Sterne ihre freudenvollen Tänze aufführen, bemerken. Dieser Anblick erfüllt die Brust des Indianers stets mit der höchsten Freude, denn er glaubt, die Geister seiner verstorbenen Freunde zu sehen, die sich dort oben in ihren Lieblingsspielen ergehen.

Einst hatten sich die Tetonen zur Zeit der Reife des grünen Korns zum Erntefest versammelt, um zu gleicher Zeit dem Großen Geist für seine zahlreichen Wohltaten zu danken, dass selbst die ältesten Indianer sich keiner glücklicheren Zeit, wo Wild und Fische so zahlreich waren und auf dem Feld alles so herrlich gedieh, erinnern konnten. Als nun die Tetonen in ihren festlichen Tänzen begriffen waren, wurden sie plötzlich durch ein stürmisches Hageln und Schneien erschreckt. In der Mitte ihres Tanzplatzes erschien ein Luftgeist in der Gestalt einer Frau von nie gesehener Schönheit. Ihr Haar und ihre Haut waren so weiß wie der Schnee, ihre Augen so blau wie der Himmel, aus dem sie gekommen war. Augenblicklich verstummten die Gesänge und die Tänzer setzten sich voll Erstaunen nieder.

»Brüder!«, hob die Fremde an, »ich bin der Hauptgeist im Land des Schnees. Weit aus dem Norden bin ich hergeeilt, um die glücklichen Tetonen, deren Mut und Geschicklichkeit im Jagen und Fischen weit und breit bekannt sind, bei ihrem heutigen Fest zu sehen. Euer Ruf ist bis zu meinen Ohren gedrungen. Ich will mich nun selbst überzeugen, ob ihr auch wirklich die tapfersten und besten Männer der Erde seid, wofür man euch allgemein hält. Doch dies ist nicht der einzige Grund, warum ich meiner Heimat im Norden verlassen habe. Nein, noch ein anderer und viel mächtigerer Wunsch zwang mich dazu. Ich, die ich schon lange Zeit, ehe der älteste Odschibwe die Erde aus dem Ozean hervorholte, den Himmel bewohnt habe, bin hergekommen, die Freuden und Leiden des Menschengeschlechts zu teilen und um mein Herz jenes unbeschreibliche Gefühl, dass man Liebe nennt, empfinden zu lassen.«

Hier machte sie eine längere Pause.

Der alte Nikanape, welcher der weiseste Mann seine Stammes war, sprach, da er glaubte, das Stillschweigen die Fremde beleidigen würde, nun folgende Worte: »Schöne Geisterfrau des Schneelandes! Du sehnst dich nach einem liebenden Herzen unter den glücklichen Tetonen, aber du bist ein Geist und solltest klüger sein. Verzeihe einem alten erfahrenen Mann diese Bemerkung, denn diejenigen, welche weder Rache noch Gnade, weder Liebe noch Hass, weder Freude noch Sorge kennen, beten beständig zum Großen Geist, dass er sie im Zustand der Unwissenheit erhalten möge. Warum also sehnst du dich nach Liebe?«

»Um die Freuden derselben kennen zu lernen.«

»Die Freuden der Liebe dauern nicht so lange wie die Blume, die heute blüht und morgen ihren Schmuck dem Wind überlässt.«

»Auch ihre Leiden will ich kennenlernen.«

»Sie sind zahlreicher als die Johanniswürmchen, welche in einer Sommernacht die unabsehbare Prärie erleuchten.«

»Als ich einst in einer Nacht aus meinem Schneereich auf die Erde niederschaute, sah ich, wie sich zwei Liebende, die lange nichts voneinander gehört hatten, in den Armen lagen. Ich hörte ihre Liebesworte und sah die höchste Freude auf beider Wangen. War dies nicht Glückseligkeit?«

»Gewiss!«

»Und würdest du es nicht verzeihlich finden, die Länge eines Adlerlebens mit einem Monat solcher Liebesfreuden zu vertauschen?«

»Der große Prophet der Tetonen ist ein Mann von kurzen Worten. Er sieht die Geisterfrau aus dem Schneereich fest entschlossen, eine Sterbliche zu werden. Warum sollte er versuchen, sie davon abzubringen? Möge es einem Jüngling meine Stammes gelingen, deine Zuneigung zu gewinnen!«

»Von meinem eisigen Wohnsitz aus habe ich einen braven Krieger bemerkt, der an Schnelligkeit, Schönheit und Tapferkeit nicht seinesgleichen hat.«

»Du meinst gewiss den Schnellfuß, den Stolz unseres Stammes. Ich werde ihn rufen!«

Der junge Krieger kam und trat vor die schöne Schneefrau. Sie liebte ihn, aber ihre Wangen erröteten nicht, noch füllten Freudentränen ihrer Augen.

»Weißt du auch, was deine künftig ihre Gattin ist?«, fragte sie.

»Ein Geist!«, erwiderte er.

»Weißt du auch, dass, wenn du mich an deinen Busen drückst, du eine Eisgestalt in deinen Armen hältst?«

»Meine Liebe wird dich erwärmen.«

»Mein Hauch ist der Atem des Winters!«

»Und der meine ist die milde Sommerluft, welche die zarten Blüten der Blumen hervorruft. Willst du, schöner Geist, die Frau eines Tetonen werden, in dessen Wigwam mehr Skalpe hängen, als er Finger an der Hand hat, und dessen Kameraden alle auf Pferden reiten, die er von seinen Feinden erbeutet hat?«

»Ich will, tapferer Krieger!«

»Schöner Geist!«, sagte er darauf, als er sie umarmt hatte. »Du bist wirklich sehr kalt, und meine Zähne klappern vor Kälte wie eine Klapperschlange. Aber du sollst meine Frau werden und der Tod soll mich nicht von deiner Umarmung abhalten!«

Darauf rief er mehrere Frauen herbei und bat sie, die Vorbereitungen zum Hochzeitsfest zu treffen. Dieselben beeilten sich so schnell es ging, seinem Wunsch nachzukommen. Die Tochter des Eisreiches wurde dem schönen Tetonen angetraut. Am anderen Morgen versammelten sich die neugierigen Indianer vor dem Wigwam des jungen Ehepaares, um zu sehen, ob nicht ein Unglück vorgefallen sei. Bald erschien denn auch die liebliche Eisfrau, aber wie hatte sie sich verändert! Ihre Wangen schmückte ein zartes Rot und ihr Haar war schwarzbraun geworden.

Der alte Nikanape fragte sie, ob sie es nicht bereue, ihre Heimat verlassen und die Gestalt sterblicher Menschen angenommen zu haben. Sie erwiderte, dass ein Monat der Liebe angenehmer sei, als eine Ewigkeit ihrer früheren Existenz.

Die Liebe zu ihrem Gemahl wuchs mit jedem Jahr. Ihr Mitleid mit den Armen und Kranken kannte keine Grenzen und ihre Weisheit und Klugheit wehrte manches Unglück von den Tetonen ab. Wenn die Jäger auf die Jagd gingen, so fragten sie stets bei ihr zuerst um Rat an und hatten es nie zu bereuen, wenn sie denselben pünktlich befolgten.

Als nach zehnjähriger Ehe zehn schmucke Kinder ihren Wigwam zierten, kam es den meisten Indianer vor, als sei die Eiskönigin nicht immer in der glücklichsten Stimmung. Man hatte im Laufe der Zeit bemerkt, dass sie, sobald die Nacht die Erde umhüllte, nie vor die Tür trat, sondern still in der dunkelsten Ecke des Wigwam sitzen blieb. Solange die Sonne schien, war sie munter und gute Dinge, aber sobald sie unterging, erbleichten ihre Wangen. Wenn gar der Nordwind blies oder es hagelte, zitterte sie vor Angst so auffallend, dass ihr Gemahl sie mehrmals über die Ursache dieser Bedenken erregenden Erscheinung befragte, ohne jedoch eine befriedigende Antwort zu bekommen.

Also der elfte Winter herannahte, kam einst in einer sternhellen Nacht ein Mann, dessen Kleider und Haar aus Eis gemacht zu sein schienen, in das Dorf der Tetonen. Er war von kleiner Statur, kaum so groß wie ein Knabe von zwölf Sommern. Seine Haut war so blendend weiß, wie die der Eisfrau, als sie ihren nördlichen Wohnplatz verließ. Sie fragten ihn, wer er sei und woher er käme.

Aber er gab keine Antwort darauf und fragte in stürmischem Ton: »Habt ihr meine Frau gesehen?«

»Welche Frau?«, fragte der Häuptling.

»Diejenige, die sich gestern aus meinem Armen riss; die schöne Schneekönigin!«

»Es ist jetzt im elftem Jahr, dass eine schöne Jungfrau, die dir sehr ähnlich sieht, zu uns kam und die Frau unseres tapfersten Kriegers wurde. War sie vielleicht deine Frau?«

»Zehn deiner Jahre sind nur ein Tag in den Augen der Geister.«

»Wer bist du?«

»Ich bin der König der Stürme!«

»Dafür scheinst du denn doch etwas zu klein und zu schwach zu sein!«

»Zweifle nur an meiner Stärke, wenn du sie fühlen willst. Hole mir meine schlechte Frau her!«

Der alte Häuptling ging in den Wigwam der Schneekönigin und sagte, dass ein Fremder da sein, der sie als Gemahlin beanspruche. Diese Nachricht schienen nicht unerwartet zu kommen. Sie küsste unter Tränen ihre schlafenden Kinder und ging vor die Tür.

»Endlich habe ich dich doch gefunden! Nun, wie gefällt dir dein neuer Gemahl?«

»So gut, dass ich bei ihm bleiben werde, wenn du es zufrieden bist!«

»Nichtswürdiges Geschöpf! Bist du ernstlich gewillt die Herrscherfreuden mit der verabscheuenswerten Arbeit einer Squaw zu vertauschen?«

»Im Wigwam eines Tetonen gefällt es mir besser als in den Eisregionen des Nordens. Krankheiten und Elend des menschlichen Lebens sind immerhin einer der gefühllosen und liebeleeren Geisterexistenz vorzuziehen. Ich bitte dich, lass mich, wo ich bin!«

»Fürchtest du nicht den Tod?«

»Nein, denn ich werde vorher gelebt haben.«

»Deine Seele …«

»Wird zum Land des Eises zurückkehren.«

»Ich frage dich noch einmal: Willst du auf der Erde bleiben?«

»Ja! In meinem Wigwam ist ein braver Krieger, den ich liebe. Um ihn herum stehen zehn blühende Kinder, die die Eiskönigin mit ihrer eigenen Milch gesäugt hat. Der Tetonen ist ihr Vater. Du bist gefühllos und kennst die Leidenschaft meines Herzens nicht. Wer mich von meinen Angehörigen wegreißt, zerstört meinen Frieden auf immer!«

»Wir werden uns wiedersehen. Auch ich möchte in Menschengestalt wie du einen Wigwam bewohnen und frohe Kinder um mich sehen, wenn es dem Gebieter Stürme geziemt. Du bist nun sterblich geworden und wirst dich deines Erdenlebens nur noch wenige Jahre erfreuen. Dann werden wir uns in unserem alten Reich wiedersehen!«

Danach nahm er Abschied. Die Frau des Tetonenkriegers trocknete ihre Tränen, und die Freude zog wieder in ihr Herz ein. Sie blieb abends nicht mehr scheu in der dunklen Wigwamecke sitzen, sondern beteiligte sich an den munteren Tänzen der erwachsenen Mädchen und war dabei stets die Lustigste. Sie behielt ihre jugendliche Frische, aber ihr Gemahl wurde allmählich schwach und starb zuletzt. Die Medizinmänner versuchten sie zu trösten.

Aber sie wollte sich nicht trösten lassen und sprach, als sie sich anschickten, seine Leiche zu begraben: »Seit 20 Sommern, Tetonen, leben wir zusammen. Wir sind stets Freunde gewesen und wollen auch als solchen scheiden. Ich werde meinen Gemahl in die Wohnung folgen, die ihm in meiner Heimat bereitet worden ist. Meine Kinder aber vertraue ich eurer Sorge ein. Beschützt und ernährt sie so lange, wie sie der Große Geist ebenfalls abruft! Ihr seid unter allen Indianern als die geschicktesten Tänzer berühmt. Kein anderer Stamm führt den Kriegstanz, den Kalumet- und Skalptanz so gut auf wie ihr. Da ihr so große Freude daran hat, so soll es euch auch erlaubt sein, nach dem Tod im Himmel weiter tanzen zu dürfen. Der Himmel des Nordens war einst mein Reich, und morgen werde ich die Herrschaft darüber wieder antreten!«

»Aber ist es ist sehr kalt in dieser Gegend«, sagte der alte Häuptling, »und ich glaube nicht, dass uns im Land des Schnees und Eises das Tanzen besonders warm machen wird.«

»Meine Geister werden ein Feuer anzünden, dessen Flammen den kalten Nebel verscheucht werden. Wenn ein Tetone stirbt, so wird seine Seele im Himmel des Nordens eine Heimat finden. Dies soll euer Paradies sein«

Danach verschwand sie.

Sie behandelten ihre Kinder getreu nach ihren Wünschen. Sie hielt ebenfalls ihr Versprechen, wovon sich jedermann, der in einer Herbstnacht den feurigen Himmel betrachtet, überzeugen kann.