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Markus Heitz: Die dunklen Lande

Markus Heitz: Die dunklen Lande

Der Dreißigjährige Krieg war ein religiöser Konflikt aus dem 17. Jahrhundert, der hauptsächlich in Mitteleuropa ausgetragen wurde. Er ist nach wie vor einer der längsten und brutalsten Kriege der Menschheitsgeschichte mit mehr als 8 Millionen Toten, die durch militärische Kämpfe sowie durch den Konflikt verursachte Hungersnot und Krankheit verursacht wurden. Der Krieg dauerte von 1618 bis 1648 und begann als eine Schlacht zwischen den katholischen und protestantischen Staaten, die das Heilige Römische Reich bildeten. Im Laufe des Dreißigjährigen Krieges ging es jedoch weniger um Religion als vielmehr darum, welche Gruppe letztlich Europa regieren würde. Am Ende veränderte der Konflikt das geopolitische Gesicht Europas und die Rolle von Religion und Nationalstaaten in der Gesellschaft.

Der Autor Markus Heitz greift in seinem jüngsten Roman Die dunklen Lande diese Thematik auf und verwebt Historisches mit Phantastischem.

Das Buch
Die dunklen Lande
Dark Fantasy, Hardcover, Klappenbroschur, Droemer Knaur, München, März 2019, 560 Seiten, 16,99 Euro, ISBN 9783426226766, Covergestaltung: Guter Punkt. München / Anke Koopmann, Coverabbildung: Anke Koopmann unter Verwendung einer Illustration von ©Elm Haßfurth, Kartenillustration: Guter Punkt. München / Markus Weber unter Verwendung eines Motivs von Getiy Images; Markus Weber. Guter Punkt, unter Verwendung eines Motivs von iStock
www.droemer-knaur.de

Synopsis
Eine Söldnerin, finstere Mächte und Magie …
1629. Der 30-Jährige Krieg mit seinen Konflikten erschüttert Europa und tobt besonders gnadenlos in Deutschland.
Die junge Abenteurerin Aenlin Kane reist in die neutrale Stadt Hamburg, um das Erbe ihres berühmten Vaters Solomon Kane zu ergründen. Zusammen mit ihrer Freundin Tahmina, einer persischen Mystikerin, gerät sie in die Wirren des Krieges. Sie nehmen einen folgenschweren Auftrag der West-Indischen Compagnie an: Eine zusammengewürfelte Truppe soll sich durch die Linien nach Süddeutschland durchschlagen, bis nach Bamberg, wo grausamste Hexenprozesse die Scheiterhaufen brennen lassen – doch es kommt vieles anders. Zu viel für einen Zufall!
Aenlin und Tahmina wissen um das Böse und die Dämonen, die sich auf der Erde tummeln und die Wirren des Krieges zu ihrem Vorteil nutzen. Schon bald geht es um mehr als einen Auftrag der Compagnie.
Und der Anführer der Truppe, Nicolas, hat ein düsteres Geheimnis …
Die dunklen Lande spielt in einer der prägendsten, düstersten Zeiten des heutigen Deutschlands und vermischt Wahres mit Erfundenem.

Leseprobe

EXORDIUM

Königreich England, London, März 1629

Vergeben Sie den Lärm und den Dreck. Aber wenn man es gemütlich haben will, muss es manchmal erst ungemütlich werden.«

Beim Klang der Stimme, die durch den hohen, vertäfelten Raum hallte, wandte sich Melchior Pieck zum Eingang um, durch den er vor einer halben Stunde geführt worden war. Sein Gastgeber hatte ihn warten lassen. Pünktlichkeit war etwas für Könige, nicht für Lords.

»Ich habe es nicht bemerkt, Eure Lordschaft.« Auch wenn er aus Hannover stammte, sprach Melchior das Englisch nur leidlich. »Eure Dienerschaft weiß den Staub selbst in den hintersten Winkeln zu finden und auszumerzen.«

»So wie Sie Ihre Beute finden, nicht wahr? Sei sie Mensch oder Tier.« Henry Rich, der Erste Earl of Holland und Baron von Kensington, betrat das riesige Zimmer.

An der Stuckdecke prangten verschiedene Szenen, die im Wettstreit mit den Bildern an der Wand standen. Gegen die dunklen Farben kämpften etliche Petroleumlampen und Kerzen an, das sterbende Abendlicht, das durch die torgleichen Fenster fiel, genügte nicht.

»Deswegen sind Sie hier, bester Pieck.« Die lange, taillierte Brokatjacke reichte über die Hüften, die gepufften Ärmel und Hosenbeine verliehen dem schlanken Mann mehr Fülle. Das Haar lag in Locken, in seinem Gesicht stand ein modischer Schnurr- sowie ein Kinnbart. »Man brachte Ihnen nichts zu trinken?«

Melchior, knapp über fünfzig, mit gestutztem grausilbernem Bart und kurzen Haaren, deutete eine Verbeugung an, die trotz seiner Beleibtheit fließend ausfiel. »Ich lehnte ab, Eure Lordschaft. Meine Kehle ist Euren feinen Wein nicht gewohnt.« In seinem bewusst einfach gehaltenen Gewand und den speckigen Lederstiefeln wirkte er wie das komplette Gegenteil zum Earl.

»Nicht zu bescheiden. Ich weiß, dass Sie ein Mann mit Wohlstand und Geschmack sind. Wer zu Graf Mansfelds Lieblingen gehörte, verdiente doch gut.« Rich deutete auf die beiden Sessel neben dem prasselnden Kamin. »Setzen Sie sich. Ich sehe, meine Botin hat Sie wohlbehalten zu mir gebracht.«

»Danke, Eure Lordschaft. Eine liebreizende Dame, in der Tat. Und die Kutsche war komfortabel.« Melchior nahm Platz und sortierte sein Waffengehänge, an dem ein breiter Säbel baumelte, die Radschlosspistole steckte in einem Futteral vor der Brust. »Ihr kanntet den Grafen?«

»Nein. Es genügte mir, von ihm und seinen Schlachten zu hören. Exzellenter Söldnerführer, kämpfte zuletzt bei Breda für die englische Krone. Aber nach Dessau und gegen Wallenstein ging’s bergab.«

»Der Schein trog«, erwiderte Melchior kühl. Er hatte es nicht nötig, sich angreifen und herabsetzen zu lassen. Innerlich addierte er fünfzig Gulden zum Preis. »Der Graf ersann einen neuen Plan.«

»Tat er das? Zu schade, dass ihn die Osmanen vergifteten. War er nicht just im Begriff, mit Ihnen nach Venedig zu reisen und neue Gelder für ein frisches Heer zu beschaffen?«

»Ich sah keine Türken in der Nähe, als er uns, Blut und Lungenstückchen hustend, sein Testament diktierte. Es war ein Blutsturz, Eure Lordschaft.«

»Wie bedauerlich. Weniger heroisch.«

»Wenn Eure Lordschaft wollen, dürft Ihr Euch vorstellen, dass ein Osmane dahintersteckte. Ich für meinen Teil bleibe bei einer Krankheit.« Melchior sah sich um. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit gefiel ihm nicht. Erinnerungen, die schmerzten wie die Narben an seinem Leib und im Gesicht. Er hatte seinen Anführer sehr gemocht und viel von ihm gelernt. »Eure Lordschaft haben einiges mit dem Holland House vor?«

»Oh, ja, gewiss! Dieser Ziegelbau ist mir zu unprätentiös. Die Zierereien aus Stuck und Stein reichen bei Weitem nicht aus für einen Mann meines Standes«, gestand Rich. »Nachdem meine Gemahlin das Gebäude erbte, habe ich sofort die Erweiterung um Seitenflügel und Arkaden angeordnet. Und dorische Säulen werden sich auch noch gut machen. Am Eingang. Was meinen Sie, Pieck?«

»Werden sie, Eure Lordschaft.«

Der Earl wies mit einem Wink die wartenden Diener an, Kleinigkeiten zu essen und zu trinken auf dem Tisch zwischen ihnen abzustellen, und sandte sie wieder hinaus.

Rich, mit seinen vierzig Lenzen zehn Jahre jünger als Melchior, lächelte verschlagen. Es sollte demnach wohl geschäftlich werden. »Nachdem Graf von Mansfeld tot war, machten Sie sich in den letzten drei Jahren einen hübschen Namen als …«

»Ich bevorzuge das Wort Entrepreneur.«

»Nun, und ich bevorzuge es, Dinge beim Namen zu nennen.« Rich lehnte sich nach vorne. »Kopfgeldjäger. Söldner. Spion. Auftragsmörder. Intrigant.« Er nahm den Pokal mit Portwein und schlürfte laut. »Vergaß ich etwas, guter Pieck?«

»Mein Angebot als Entrepreneur ist umfangreich. So werden Eure Lordschaft Gebrauch davon machen wollen?« Melchior ergriff den Port und leerte ihn mit einem großen Schluck. »Eure Lordschaft hatten recht.« Er stellte den weniger aufwendig verzierten Becher zurück auf die Platte. »Euer Port ist nicht zu gut für mich.«

»Touche.« Rich lachte leise. »Ein Kerl nach meinem Geschmack.« Er langte unter den Tisch, zog eine Mappe heraus und reichte sie herüber. »Ihr Auftrag, Pieck.«

Melchior öffnete sie neugierig. Zum Vorschein kam die Bleistiftzeichnung einer jungen Frau von Mitte zwanzig, mal im Profil, mal von vorne. Sie trag lange schwarze Haare mit einer fingerbreiten nachtschwarzen Strähne, die das Licht absorbierte, wie der Zeichner als Notiz hinzugefügt hatte; zusammengehalten wurden sie von einem weißen Samtband. Die linke Augenbraue wies einen bemerkenswerten hellen Strich auf. Eine Narbe? Auf dem Kopf führte die Lady in der Seitenansicht einen weißen Hut mit schwarzem Band und großer Krempe, die rechts in die Höhe geklappt war.

»Hübsch. Ein wenig … dünn im Gesicht«, kommentierte Melchior, um nicht hager zu sagen. Die Züge kannte er vage, wusste aber nicht, woher. Unter der Zeichnung prangte das persönliche Wappen der Frau sowie ihr Name. Neben zwei gekreuzten brennenden Fackeln mit Rapier und Pistolen stand: Aenlin Salome Kane.

»Das hat sie von ihrem Vater.« Rich tippte mit dem Finger auf das Wappen. »Sie versteht es, mit Rapier und Linkshanddolch umzugehen. Dazu führt sie zwei verborgene Stilette mit sich. Zudem ist sie eine sehr gute Schützin. Sagt man.«

»Kane?« Melchiors Augen wurden zu Schlitzen. Der Name ermöglichte ihm, das Antlitz zuzuordnen. Er hatte es gezeichnet in vielen Büchern gesehen. »Ist es … Ist das etwa die Tochter von Solomon Kane, Eure Lordschaft? Dem Solomon Kane?«

»Spielt das eine Rolle, Pieck?«

Für den Preis auf alle Fälle, dachte er und betrachtete die Züge. »Ich wüsste nicht, dass dieser legendäre Mann Nachfahren hat.«

»Sagen wir, seine Geliebte Bess wartete vergebens auf seine Rückkehr, um ihm das Wunder zu zeigen, das er ihr hinterließ«, antwortete Rich mit Süffisanz. »Nach ihrem Tod hielt er es nicht für nötig, Nachforschungen anzustellen.« Er goss sich neuen Port ein. »Die junge Aenlin machte eine bemerkenswerte Karriere als Haudegin, wie man sich zuflüstert. Deswegen warnte ich Sie vor ihren Waffen. Lassen Sie sich von der Jugendlichkeit nicht täuschen. Sie sticht angeblich präzise.«

Melchior kannte die Erzählungen von Solomon Kane, dem puritanischen Abenteurer, der in Europa und Afrika die wildesten Abenteuer erlebt und gegen das Böse gekämpft hatte.

Schauergeschichten, so dachten die meisten.

Aber Melchior war im Kampf, auf den Schlachtfeldern, in verwüsteten Gegenden und verzweifelten Ortschaften gewesen und wusste, was die Dunkelheit gebar, wenn man sie ließ. Oder sie gerufen wurde. »Und was erwarten Eure Lordschaft von mir, dass ich tue?«

»Sie, guter Pieck, werden Aenlin Kane nach Hamburg folgen und sie dort beschatten. Es darf ihr nichts geschehen. Sie müssen sie beschützen, ganz egal, wie Sie es anstellen und was dazu nötig ist, ohne dass sie von Ihnen etwas erfährt.« Rch nahm einen Schluck.

»Dann sind Eure Lordschaft ihr Gönner?«

»Bis zu einem gewissen Moment, ja.«

»Wann ist der, Eure Lordschaft?«

»Sobald Aenlin Kane die Stadt wieder verlässt.« Rich betrachtete versonnen das Bild zu seiner Rechten, das ihn bei einer Jagdszene zeigte. »Dann werden Sie die Frau umbringen.«

Melchior hob die ergrauten Augenbrauen und goss sich ebenfalls Port nach, den er erneut in einem Zug in sich hineinschüttete. »Möchten Sie mir dies erläutern?«

»Alles, was sie im Moment ihres Todes bei sich trägt und mit sich führt, jegliches Hab und Gut, das Aenlin Kane in Hamburg erwirbt, stecken Sie in eine Kiste und schaffen es nach London. An eine Adresse in den Docks, die ich Ihnen gebe, sobald wir einen Vertrag unterschrieben haben.«

Melchior nickte langsam. »Eure Lordschaft wollen etwas, was sie in Hamburg abholt. Aber sie holt es nur dann, wenn sie sich unbeobachtet wähnt.«

»Genau, Pieck.«

»Muss sie deswegen sterben, Eure Lordschaft?«

»Skrupel stehen einem Mann wie Ihnen nicht, Pieck. Freiwillig wird sie es nicht herausgeben. Außerdem möchte ich nicht, dass wir deswegen Scherereien bekommen. Die Angelegenheit ist delikat.«

»Wie die Affaire Eurer Lordschafts Mätresse mit dem Comte de Chalais?«, fügte Melchior unschuldig dreinblickend hinzu. »Ihn hat man für das Komplott gegen Richelieu hingerichtet, aber die Duchesse…«

»… weilt wieder in Paris. Die Verbannung ist aufgehoben. Der Duchesse de Chevreuse wurde verziehen«, sagte Rich barsch, und sein Gesicht lief rot an. Er gehörte in die Reihe Liebhaber der schönen Französin, und ihm als Ehemann schmeckte es gleich zweimal nicht, davon zu hören.

»Unterhalten Eure Lordschaft noch freundschaftliche Beziehungen zur Duchesse?« Melchior legte unauffällig eine Hand auf den Dolchgriff, der in der Doppelscheide neben dem Säbel steckte.

»Das ist für Ihren Auftrag nicht von Belang, Pieck. Maßen Sie sich nicht zu viel an.«

»Das Interesse ist rein geschäftlich. Mir steht der Sinn nicht nach Klatsch und Tratsch. Meinetwegen können Eure Lordschaft so viele Liaisons haben, wie Ihr wollt und stemmen könnt.« Melchior mochte den Port. »Sagt, war das Ende von Lord Buckingham im letzten Sommer nicht tragisch? Erdolcht von einem eigenen Mann!«

»Möge seine Seele in der Hölle schmoren! Buckingham kostete uns vor La Rochelle mehr als viertausend gute Männer. Ich hätte …« Rich ballte die Hand zur Faust. »Drehen Sie die Zeichnung um.«

Melchior grinste. Die Sticheleien gegen ihn und seine Söldnerei hatte er dem Lord zurückgegeben. Englands Krone hatte sich beim Kriegspielen auf zu viele Feinde eingelassen und zahlte dafür einen Preis.

Er wendete die Zeichnung. »Noch eine Frau? Oder eine Verkleidung?«

Sie war erkennbar jünger und zierlicher, die Haut mit winzigen Punkten gedunkelt, daneben hatte der Künstler brauner Teint vermerkt, auch die Augen wirkten dunkel. Die Kleidung war orientalischer Natur, wie Melchior sie bei den Frauen der Osmanen kannte, die in manchen Söldnerheeren dienten. In der Hand hielt sie einen geschnitzten Wanderstab.

»Eine persische Mystikerin namens Tahmina. Sie ist seit einiger Zeit die Begleiterin von Aenlin Kane. Angeblich hat Kane sie vor irgendwas gerettet, und seitdem folgt sie ihr.«

»Dann ist sie eine Hexe?«

»Sagen wir, dieses Kind steht in Verbindung mit exquisiten Mächten, die jemand näher erkunden möchte.« Rich deutete auf den versiegelten Umschlag in der Mappe. »Daher: Diesen Brief werden Sie Tahmina unbemerkt zustecken. Nach dem Tod von Kane.«

»Was tue ich, wenn sie Anspruch auf Kanes Erbe erhebt?«

»Bewusstlos schlagen. Nicht töten, Pieck.«

»Wie Eure Lordschaft wünschen.« Melchior betrachtete die Porträts im schnellen Wechsel. Gegen eine Hexe wollte er nicht antreten. Vielleicht hatte sie einen Schutzzauber über sich und das angehende Mordopfer geworfen. Ganz so einfach würde es womöglich nicht werden. »Ein ungewöhnliches Gespann.«

»Bald nur noch ein Pferdchen. Und Sie sorgen dafür.« Rich erholte sich sichtlich von seiner Erregung über die Niederlage bei La Rochelle und über Lord Buckingham. »Halten Sie das für machbar?«

»Gewiss, Eure Lordschaft.« Melchior hatte seinen Sold berechnet. »Das macht zweihundert Gulden im Monat. Oder zweihundert englische Silbertaler. Was Eure Lordschaft schneller zur Hand haben. Den ersten Monat im Voraus.«

Rich atmete lange und laut ein, die sorgsam gelegten Barthaare unter seiner Nase vibrierten.

»Es sind zwei Aufträge, Eure Lordschaft«, erläuterte Melchior, »und ich gehe dabei ein großes Wagnis ein. Diese Mystikerin kann mir tödlichen Ärger machen. Zudem muss ich anderen Dames und Seigneures absagen, die -«

Rich hob die Hand, die Finger nach oben ausgestreckt, um den Vortrag abzukürzen. »Einverstanden, Pieck. Die Hälfte jetzt, die andere später. Zu meiner Sicherheit.«

»Eure Lordschaft, vergebt mir, aber ich weiß, dass die englische Krone Geldsorgen hat. Dank der Kriegsbereitschaft Eures Königs«, beharrte Melchior. »Sind nicht schon Krongut und Juwelen verkauft sowie wertvolles Besteck eingeschmolzen worden? Und Eintreibung von Zwangsanleihen nicht zu vergessen. Hatte das Parlament nicht weitere Mittel bewilligt?«

»Meine Hochachtung. Für einen deutschen Söldner kennen Sie sich sehr gut aus.«

»Ich achte auf die Liquidität meiner Geschäftspartner. Wenn es Seiner Majestät in den Sinn käme, das Vermögen seiner Lords anzutasten, dann …«

»Seien Sie unbesorgt. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass Charles erste Sondierungen mit den Franzosen und den Spaniern unterhält, um die kostspieligen Kriege zu beenden. Ich hörte, dass Rubens vielleicht nach London reisen wird, um für Madrid zu verhandeln.«

»Dennoch bleibt Charles ein König mit eiserner Krone, nicht mit goldener.« Melchior legte die Zeichnung der beiden Frauen zurück in die Mappe und schloss sie. »Eure Lordschaft können jemand Günstigeren als mich …«

»Nein, Pieck. Sie sollen Ihr Geld bekommen.« Rich nahm die Glocke und läutete nach den Bediensteten, die er den Sold holen schickte. »Unterzeichnen Sie den Vertrag. Die Münzen sind gleich bei uns.«

Melchior fand die Vereinbarung über einen Auftrag, dessen Details mündlich abgesprochen worden waren, trug den ausgemachten Lohn in die gelassene Lücke ein und signierte.

»Eines noch. Sollten Sie die Angelegenheit nicht zu Ende bringen«, sagte Rich derweil, »sollten Sie die Weiber warnen, sollten Sie nicht alles abliefern, was Kane in Hamburg an sich nimmt, Pieck, hetze ich Mörder auf Sie.«

»Ei der Daus!« Melchior überflog die Abmachung erneut, absichtlich übertrieben. »Wo steht das denn, Eure Lordschaft?«

»Das sind die mündlich vereinbarten Details.« Rich signierte und siegelte seine Ausfertigung, die er an Melchior gab. »Sie kennen die Klauseln nun. Sollten Sie länger als zwei Wochen zu tun haben, senden Sie mir Nachrichten. Verstanden, Pieck?«

»Sehr wohl, Eure Lordschaft.«

»Kennen Sie Hamburg?«

»Ich war ein- oder zweimal dort. Uneinnehmbar und voller Händler, Diplomaten und Agenten aller Nationen.« Melchior überlegte bei seiner Aufzählung, ob er seinen Sold zu niedrig angesetzt hatte. »Ich werde sie rasch finden, Eure Lordschaft, und verfahren, wie wir es besprochen haben.«

Rich notierte etwas auf ein Blatt, wedelte die Tinte trocken und faltete es klein, um es danach mit Siegelwachs zu verschließen. »Das ist die Adresse, wohin Sie das Hab und Gut von Aenlin Kane bringen. Erst öffnen, nachdem sie tot ist.«

»So mache ich es.« Melchior steckte das Papier ein, stopfte seine Vertragsausfertigung unter das Wams und bekam von Rich den schweren Sack mit den Silbertalern gereicht. Vor den Augen des Earls öffnete er ihn und zählte nach. »Zweihundert.«

»Sie vertrauen mir nicht?«

»Eure Lordschaft wären erstaunt, wie viele Münzen auf kurzer Strecke Beine bekommen.« Er sah zu den Dienern, die an den Türen standen und geradeaus gegen die Vertäfelungen stierten. Sie ließen sich nichts anmerken. »Dieses Mal nicht. Eure Bediensteten sind ehrlich.«

»Dann gute Jagd, Pieck. Jetzt raus mit Ihnen.« Rich erhob sich nicht aus dem Sessel, sondern wedelte ihn mit der Hand davon. »Bis bald. Hoffe ich.«

Melchior stand auf und verbeugte sich. »Eure Lordschaft.«

Ohne ein weiteres Wort ging er zur Tür, richtete dabei sein Wehrgehänge und nahm seinen Schlapphut mit den zwei geknickten grauen Federn von einem Diener entgegen. Außerdem reichten sie ihm seine große Tasche, die er mit einem Schloss gegen unbefugtes Öffnen gesichert hatte.

Melchior verließ das Holland House, das ausgereicht hätte, Dutzende Familien unterzubringen, ganz zu schweigen von dem gewaltigen parkähnlichen Land, auf dem man Jagden veranstalten konnte.

Vor dem Eingangstor stand die Kutsche. Man ließ ihn die Schritte bis zum Tor laufen. Noch eine kleine Spitze gegen ihn.

Melchior ging los und stieg bald darauf ein.

Wie von ihm gehofft, saß darin die Frau, die ihn aus dem Hafenviertel abgeholt hatte. Angelique, knapp dreißig Jahre alt. Aufgefallen waren ihm sofort die französischen Accessoires, die sie zum englischen Schnitt ihres Kleides trug.

»Guten Abend. Sie sorgen für meine Sicherheit, Mylady?« Den Sack mit dem Silber packte er in seine Tasche.

Sie neigte leicht den Kopf, die blonden Locken rutschten nach vorne und wippten im Schein der kleinen Lampe. »Das tue ich.« Sie pochte gegen den Kutschenhimmel, und der Einspänner setzte sich in Bewegung. »Der Earl möchte sichergehen, dass Sie sogleich an Bord der Ivy gehen. Sie verlässt London mit der Flut und bringt Sie nach Calais.«

Melchior freute sich. Damit stand seiner Abreise nichts im Wege. »Mein Gepäck ist schon verladen?«

»Selbstverständlich.« Sie lächelte. »Sie haben von …«

Melchior zog seinen gehärteten Dreikantsilberdolch aus der Hülle neben dem Säbel und stach ihn der Frau mitten in die Brust. Die Waffe, die im Feld als Panzerbrecher gegen Harnisch und Kürassier diente, ging spielend leicht durch dünne Haut und Knochen. Der Stich jagte ins Herz, die Frau riss die Augen weit auf.

»Mit den besten Grüßen von Kardinal Richelieu, Comtesse Henriette«, sagte er. »Sie konnten mich nicht täuschen.«

An den Wundrändern kräuselte Rauch auf, zischend verbrannte die Haut, wo sie mit dem Silber in Berührung kam.

Die Adlige wollte etwas erwidern, doch die Schmerzen ließen sie lediglich keuchen. Die lähmende Wirkung des Argentums verhinderte, dass sie ihre Selbstheilungskräfte nutzte. Leise knurrend starrte sie auf den Dolchgriff, der aus ihrer Brust ragte. Ihre Finger verwandelten sich in Klauen, die Nägel wurden lang und scharf.

»Ich habe mich im Vorfeld meines Besuchs von Holland House schlaugemacht, wen der Earl beherbergt und Schutz gewährt«, erklärte Melchior und zog seine Pistole. »Sie sind die hugenottische Freundin der begnadigten Duchesse de Chevreuse und fühlten sich in London sicher.« Er beugte sich vor. »Und Sie sind eine Wandlerin, Comtesse. Die Gerüchte stimmen also.«

Henriette grollte und versuchte, nach Melchior zu schnappen. Die Zähne waren zu Fängen geformt. »Sie Unmensch!« Sie umfasste den Griff des Dolches mit ihren Krallen, aber die Kraft reichte nicht aus. »Ich habe nichts getan!«

»Ihr geringer Titel schützt Sie nicht vor Richelieus Rache, im Gegensatz zur Duchesse mit ihren mächtigen Freunden am Hof«, erklärte ihr Melchior. »London kann mir dankbar sein. Je weniger Bestien wie Ihr durch die Gegend laufen, umso besser.«

»Sie werden …«, setzte Henriette an, und ihre Augen flammten rot auf. Einen halben Atemzug später starb sie und wandelte sich zurück in eine normale Frau. Nichts wies mehr daraufhin, was sie zu Lebzeiten gewesen war.

»Excusez-moi.« Melchior zog seinen Dolch aus der Toten und wischte ihn an dem Kleid ab. Danach legte er die Leiche so auf die gepolsterte Sitzbank, dass er Henriettes Kopf mit dem Säbel abschlagen konnte, was ihm wegen des Wackelns der Kutsche erst nach dem dritten Anlauf gelang. »Geschäft bleibt Geschäft.«

Zügig klappte er seine geräumige Tasche auf und nahm das große Glasgefäß mit dem flüssigen Honig heraus.

Die größten Locken schnitt er ab, danach versenkte er ihren Schädel im Honig, um ihn zu konservieren. In Calais würde er den Kopf bei einem Boten abgeben und sich bald über seine Belohnung freuen. Richelieu zahlte gut.

Die Kutsche rumpelte durch die menschenleere Gegend rund um das Holland House, während Melchior den Schmuck der Ermordeten an sich nahm.

Auf seiner Jagdliste stand außerdem Benjamin de Rohan, seines Zeichens Duc de Frontenay und Baron de Soubise, der militärische Anführer der Hugenotten, der nach dem Fall von La Rochelle nach London geflohen war. Und auf Rückkehr sann.

Soweit Melchior wusste, handelte es sich bei de Rohan ebenfalls um einen Wandler. Der Duc halte ein Haustier, raunte man sich zu, einen Jaguar aus der Neuen Welt. Allerdings sah man de Rohan und den Jaguar nie zur gleichen Zeit. Melchior bezweifelte nicht, dass der Adlige selbst die Bestie war.

Doch die zweihundert Silbertaler gaben dem Earl Vorrang. Um de Rohan konnte er sich kümmern, wenn er Aenlin Kanes Besitztümer in London ablieferte.

»Kutscher, anhalten!«, rief Melchior und zog seine schussbereite Pistole, als sie über eine kleine Brücke rollten. »Mylady ist schlecht geworden. Sie möchte vomuieren.«

Sobald der Mann das Gespann anhielt und sich besorgt zur Seite beugte, um nach Mylady zu sehen, schoss Melchior.

Knallend zündete die Treibladung, weißlicher Pulverdampf raste wie wütender Nebel heraus, gespickt mit Funken. Die Kugel traf ihn mitten zwischen die Augen. Die Hälfte des Schädels und der Hut des Mannes wurden weggerissen, er sackte auf dem Bock zusammen und blieb mit dem Rücken auf dem Dach liegen. Tröpfelnd rann das Blut herab.

Schnell stieg Melchior aus und warf die enthauptete Leiche der Comtesse ins Gewässer, das in die Themse und von da ins offene Meer floss.

Um den Anschein eines Überfalls perfekt zu machen, versetzte er der Kutsche einige Hiebe mit dem Säbel. Das Rapier des Fahrers tränkte er mit dessen Blut, bevor er es ihm in die Hand drückte. Einen Ring der Comtesse warf er zurück in das Gefährt, als hätten die Räuber ihn verloren, einen anderen ließ er neben der Kutsche fallen. Den Rest behielt er.

Auf dem ausgespannten Pferd ritt er zum Hafen.

Unterwegs überlegte Melchior, was ihn bei Aenlin Kane und Tahmina wohl erwartete. Eine Kämpferin und eine Mystikerin.

So leicht wie die Hugenottin machten sie es ihm bestimmt nicht.

Sein erster Gang würde ihn in Hamburg zum Henker führen oder jemanden, der sich auf die Passauer Kunst verstand, um sich einen magischen Schutzbrief zu verschaffen, der ihn vor allerlei Ungemach bewahren sollte. Sicher war sicher.


Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages