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Der Detektiv – Die Jagd auf einen Namen – 2. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die Jagd auf einen Namen
2. Kapitel

Man wird es begreifen, dass ich durch diese letzten Sätze jäh aus meiner bis dahin noch recht harmlos-gemütlichen Stimmung herausgerissen wurde. Ich hatte auch schon den Mund halb zu der naheliegenden Frage aufgetan, auf welche Weise Harst diese geradezu ungeheuerliche Tatsache, dass die Schmidt absichtlich ihr Ableben mit allem Drum und Dran vorgetäuscht hätte, festgestellt haben könnte, als er schon aufstand, sich neben mich setzte und halblaut fortfuhr:

»Lieber Schraut. Sie begehen bei Ihren Nachforschungen noch immer ganz elementare Fehler. Sie sind noch zu sehr Anfänger geblieben, obwohl Sie doch nun mit mir zusammen bereits drei Probleme gelöst haben, die immerhin einige Schwierigkeiten und daher genügend Gelegenheit zum Lernen boten. Sie wissen, ich hasse überflüssige Worte. Unsere Papierfabriken würden zur Hälfte pleitegehen, wenn alle die federführenden Leute sich daran gewöhnen wollten, Selbstverständliches fortzulassen und das Publikum zu zwingen, beim Lesen ein wenig zu denken. Ich könnte zum Beispiel beginnen: Als ich in der Huttenstraße aus dem Haus kam, in dem der Besitzer jenes Gebäudes wohnt, das einst das Lokal Zur Mutter Schmidt beherbergte, erblickte ich meinen treuen, fleißigen Mitarbeiter Max Schraut, der mit enttäuschtem Gesicht das Schild des Obstladens musterte – und so weiter. Die Hälfte dieser Sätze ist überflüssig. Also zunächst: Wenn man sich nach einem früheren Hausbewohner erkundigen will, so darf man es nie bei jemandem tun, der, wie der Obsthändler nur zugezogen ist und daher kaum über frühere Einwohner Bescheid wissen dürfte. Deshalb ging ich zum Hausbesitzer, der gerade gegenüber wohnt. Er erklärte, Frau Schmidt hätte ihre Kneipe sofort nach der damaligen Razzia auf die Kleine Harmonie geschlossen, das Lokal gekündigt, die Restmiete bezahlt und sich anderswo niedergelassen. Wo, wusste er nicht. Wenn ich mich aber für die Frau interessierte, sollte ich nur nach Nr. 6 gehen und dort bei der alten Gesangslehrerin Hermine Mallinger mein Glück versuchen. Nr. 6 ist bekanntlich das Haus, in dem Mutter Schmidt vier Jahre lang gewohnt hat. Übrigens, dort in dem Likörschrank steht noch eine angebrauchte Flasche Bordeaux. Bitte, stärken wir uns.«

Er trank mir dann mit den Worten Auf guten Erfolg bei der Jagd nach dem Namen! zu und fuhr fort: »Als Sie kaum in der Privatwohnung des Obsthändlers verschwunden waren, läutete ich drei Treppen höher trotz der späten Stunde bei der Mallinger. Eine Walkürengestalt mit schneeweißem Haar empfing mich. Ihre Dogge, der beste Schutz für alleinstehende Frauen, schloss schnell Freundschaft mit mir. Ich erzählte der Gesanglehrerin eine schnell ersonnene Geschichte von meiner ältesten Tochter, die durchaus zur Bühne gehen und Opernsängerin werden wollte. Die Mallinger möchte doch ihre Stimme prüfen, bat ich und legte als Anzahlung zwanzig Mark vor sie hin. Meine Tochter wäre zurzeit verreist, würde sich in etwa fünf Tagen hier melden. Wir kamen ins Plaudern. Nach zehn Minuten hatte ich sie glücklich auf das Thema gebracht. Doch sie war sehr vorsichtig, obwohl ich merkte, dass sie gern einmal jemandem ihr Herz ausgeschüttet hätte. Ich hatte mich ihr als Witwer und Inhaber eines gut gehenden Schreibwarengeschäfts aus Pankow vorgestellt, der nur abends freie Zeit und der Sehnsucht nach einer etwas künstlerisch veranlagten, reiferen Lebensgefährtin hätte. Meine Verkleidung entsprach ja äußerlich diesen Angaben. Ich tat, als besann ich mich dunkel auf den damaligen Prozess gegen den Einbrecherverein, zeigte nur geringes Interesse für Einzelheiten und erreichte gerade dadurch, dass die Mallinger mir einen Beweis ihrer schnell erwachten Zuneigung, die wohl dem gut situierten Witwer galt, geben wollte. Unter dem Siegel allertiefster Verschwiegenheit – keine Seele wüsste bisher etwas davon – erzählte sie mir, dass die Schmidt häufiger bei ihr gewesen wäre und dass sie den Eindruck gewonnen hätte, die Kneipwirtin wäre weit über das landläufige Maß einer Berliner Kaschemmenwirtin hinaus gebildet. Überhaupt, sie war eine merkwürdige Frau, sagte die Mallinger ungefähr. Sie hatte so allerlei Gewohnheiten, die sie zum Original besonderer Art stempelten! Nun, was die Mallinger dann an Eigentümlichkeiten aufzählte, kann ich mir schenken.  So – und jetzt zur Hauptsache. Der Hausbesitzer, erklärte Mallinger in geheimnisvollem Flüsterton, hat Ihnen nicht alles über den Fortzug der Schmidt berichtet, was er weiß. Sie ist nämlich hier im Haus noch gestorben, ganz plötzlich. Drewki, ihr Vertrauter, ein buckliger, sehr geriebener Mensch, kam eines Abends zu mir und meldete mir ihr unerwartetes Hinscheiden infolge eines Schlaganfalls. Sie läge bereits im Sarg, und morgen früh würde dieser schon zur Friedhofskapelle gebracht. Die Kunde erregte sofort bei mir allerlei Zweifel. Sie sollte mittags gestorben sein. Weshalb hatte Drewki mir dies nicht sofort mitgeteilt? Nun, mich ging die Sache nichts an. Aber bei einem Gespräch mit dem Hausbesitzer merkte ich, dass auch er diesen Todesfall nicht für ganz harmlos hielt. Er schwieg wohl nur, um keine Scherereien zu haben. Die Schmidt wurde begraben. Sehr anständig und mit viel Blumen. Ich folgte auch. Es waren einige dreißig Leute auf dem Kirchhof, meist frühere Gäste von ihr; Verwandte gar nicht. Anderthalb Jahre vergingen. Da, es war im Januar, begegnete ich auf dem Stadtbahnhof Schöneberg oben auf dem Bahnsteig einer mittelgroßen, rundlichen, einfach gekleideten Frau, bei deren Anblick ich wie vor einem Gespenst zurückfuhr. Mit Recht, denn diese Frau war Mutter Schmidt, nur jetzt mit brandrotem Haar und mit dicken, getuschten Augenbrauen. Früher war das Haar grau gewesen. Nachdem ich mich von meinem ersten Schreck erholt hatte, entschloss ich auch, der Sache auf den Grund zu gehen. Ich blieb also hinter ihr, stieg Wilmersdorf-Friedenau gleichfalls aus, benutzte dieselbe Elektrische, aber Anhänger, und gelangte so schließlich zur Berliner Straße in Wilmersdorf unweit des Rathauses, wo die Frau dann in einem Kellerlokal eines alten, schmalen Hauses verschwand. Und über dem Eingang dieser Kaschemme stand O. W. Schmidts Speisewirtschaft. Mutter Schmidt hatte nun Olga Wilhelmine mit Vornamen geheißen! Mein Verdacht, die Tote lebe noch, erhielt durch dieses O. W. neue Nahrung. Ich bin eine sehr resolute Person trotz meiner Künstlerschaft. Daher hatte ich nach drei weiteren Abenden, die ich dort in der Berliner Straße zum Patrouillieren vor dem betreffenden Haus benutzte, festgestellt, dass es sich ohne Zweifel um die frühere Mutter Schmidt handelte, die jetzt hier am Ende des bebauten Straßenzugs unweit des großen Gemeinkirchhofs sich abermals etabliert hatte. Zweimal sah ich sie damals. Ihr Gang ist unverkennbar. Auch ihre Kopfhaltung. Ich konnte mich nicht täuschen. Was sollte ich tun? Ich habe lange hin und her überlegt. Dann entschied ich mich fürs Schweigen. Wozu sollte ich der Schmidt Ungelegenheiten bereiten? Sie hatte mir manche Gefälligkeit erwiesen, mir viele Schülerinnen besorgt und mir noch mehr gute Bissen zugesteckt. Und vor der Polizei habe ich ein Grauen! Ich hätte sicher viele Vernehmungen gehabt und nur Zeit und meine behagliche Ruhe eingebüßt! So, Schraut, das sind die Erfolge meiner Erkundigungen nach Mutter Schmidt. Sie sind etwas reichhaltiger als die Ihren. Ja, man muss eben nur an der richtigen Tür anklopfen! Von der Huttenstraße fuhr ich zunächst zum Redaktionsgebäude des Berliner Kuriers. Weshalb, können Sie sich wohl denken.«

»Hm, vielleicht des Briefs wegen, in dem der Unbekannte sich für 10.000 Mark erbot …«

»Ganz recht!«, unterbrach Harst mich. »Der Brief war jedoch längst vernichtet und Neues über die Sache auch nicht zu erfahren. Dann besuchte ich die Speisewirtschaft von O. W. Schmidt, Berliner Straße 82«, erklärte Harald Harst weiter, nachdem er unsere Weingläser frisch gefüllt hatte. »Die Inhaberin saß hinter dem Schanktisch und strickte. Es waren nur zwei Leute außer mir in der Kneipe, die einen sehr sauberen Eindruck macht. Ein kleiner, magerer Buckliger bediente mich – natürlich Drewki. Ich hörte hinter einer Tür rechts vom Büfett das Rollen von Kegelkugeln. Es war also eine Kegelbahn da. Aber seltsam! Die Wirtin wies weder draußen am Eingang noch hier unten irgendwie durch eine Tafel darauf hin. Ich fragte den Buckligen. ›Sie haben eine Kegelbahn? Ist sie noch für einen Abend frei?‹

›Bedaure, alle Abende sind besetzt‹, erwiderte er maulfaul.

Nachdem ich mein Eisbein vertilgt hatte, schob ich ab, zufrieden mit dem Erreichten. So, und nun kommen Sie an die Reihe. Vorher: Prosit!«

Ich kam an die Reihe! Ich verstand. Nun sollte ich nämlich Harsts Ermittlungen in Beziehung zu unserem neuesten Fall bringen, zu dem Namen, dessen Inhaber niemand kannte. Inzwischen hatte ich mir bereits eine Theorie zurechtgelegt. Daher antwortete ich ohne Zögern und in der Überzeugung das Richtige getroffen zu haben: »Sie vermuten, dass die Schmidt keine Frau, sondern ein Mann ist – unser Mann! Andreas Nemo erschien ja auch zuweilen zu den Vereinssitzungen der Kleinen Harmonie als Frau verkleidet.«

»Nicht übel! Auch ich habe an diese Möglichkeit gedacht, lieber Schraut. Aber ich habe sie auch ebenso schnell wieder als unhaltbar verworfen. Die Kriminalpolizei wird doch fraglos Mutter Schmidt so scharf auf die Finger gesehen haben als der Gönnerin der bei ihr tagenden schweren Jungen, dass ein solches Auftreten als doppelte Persönlichkeit ausgeschlossen ist – besonders noch als Mann. Außerdem, die Mallinger hat mir gegenüber betont, welch weiches, zartes Organ und wie kleine Frauenhände die Mutter Schmidt gehabt hatte. Ich sagte zu ihr wie im Scherz: ›Vielleicht haben Sie mit einem verkleideten Kerl verkehrt, Fräulein Mallinger.‹ Da lachte sie und meinte: ›Ich als frühere Artistin am Rostocker Theater werde doch wohl Spreu vom Weizen zu scheiden wissen! Nein, eine Frau war es schon, nur eine mit einem Haufen Eigentümlichkeiten.‹«

Harst gähnte jetzt sehr zwanglos. Das war für mich das Signal zum Verschwinden. Wir sagten uns gute Nacht, und ich ging in meine Wohnung hinüber.

Als ich dann um 11 Uhr vormittags gerade beim Frühstück die Morgenzeitung durchsah, trat Harst sehr hastig ein.

»Tag, Schraut. Wir werden gleich Besuch bekommen. Ich bin nicht zu Hause. Sie empfangen für mich und lassen sich erzählen, was die Dame wünscht. Und den zweiten Besucher hören Sie dann in Gegenwart der Dame an.«

Er blieb in meiner Wohnung. Ich ging in den Flur und wartete auf das Anschlagen der Glocke, führte die Dame dann in Harsts Arbeitszimmer.

»Herr Harst ist verreist«, sagte ich zu der bis zur Unkenntlichkeit Verschleierten. »Ich bin sein Privatsekretär und Vertrauter und bitte mir ohne Scheu mitzuteilen, was Sie auf dem Herzen haben, falls es sich nicht gerade um eine rein persönliche Angelegenheit handelt.«

Die Dame war mit jener unaufdringlichen Eleganz gekleidet, die stets das Zeichen eines verfeinerten Geschmacks und zumeist auch das besserer Herkunft ist. Sie musste der Figur nach jung sein. Auch ihre Bewegungen verrieten dies und nicht minder ihre Stimme, obwohl alles, was sie sprach, sehr ängstlich und zögernd herauskam.  

Sie war offenbar sehr enttäuscht, Harst nicht selbst ihr Anliegen vortragen zu können, wurde dann aber in dieser Beziehung durch meine Versicherung beruhigt, ich würde ihn umgehend schriftlich benachrichtigen.

»Ich kenne die originelle Geschichte der Wette im Universum-Klub aus den Zeitungen«, hatte sie das Gespräch eröffnet.

»Mein Name tut nichts zur Sache. Ich habe verschiedene Gründe, ihn zu verschweigen. Nur wenn Herr Harst darauf bestehen sollte, dass ich ihn nenne, werde ich ihm allein anvertrauen, wer ich bin. Ich will mich kurzfassen. Ich habe einen Bekannten …« Sie unterbrach sich, fragte hastig: »Ist jemand dort im Nebenzimmer? Mir war, als hörte ich ein leises Geräusch.«

»Es ist niemand dort, meine Gnädige. Aber zu Ihrer Beruhigung kann ich ja nachsehen.« Ich betrat die Bibliothek. Links neben der Tür stand Harst, legte den Zeigefinger auf die Lippen und nickte mir mit einem so merkwürdigen Gesichtsausdruck zu, dass ich sofort ahnte, welche Bedeutung er diesem Besuch beimaß, denn er hatte gleichzeitig die linke Hand erhoben und sie ganz schmal gemacht, ganz klein. Und die Dame hatte auffallend kleine Hände.

»Wir brauchen keinen Lauscher zu fürchten, meine Gnädige«, erklärte ich und setzte mich wieder.

Sie fuhr trotzdem mit leiserer Stimme fort, indem sie ängstlich zum türkischen Vorhang blickte, der die Bibliothek vom Arbeitszimmer trennte.

»Dieser Bekannte ist ein junger Bildhauer. Er wohnt in Charlottenburg in der Heykingstraße am Bahnhof in einem Atelier. Er heißt Erwin Bruckner. Seit acht Tagen ist er spurlos verschwunden.«

Ich merkte, sie kämpfte mit den Tränen. Bruckner war ihr daher wohl mehr als nur ein Bekannter.

»Ja, spurlos verschwunden, Herr Schraut. Seine Aufwärterin hat mir nun sehr originelle Nebenumstände mitgeteilt, die dieses Verschwinden in ein besonderes Licht rücken. Ich möchte noch betonen, dass, falls Bruckner nur verreist wäre, er mir dies vorher unbedingt gesagt hätte. Seine Aufwärterin ist eine brave Frau namens Mitzel. Sie hat mir versprochen, meinen Namen zu verschweigen, falls Herr Harst sie persönlich noch ausfragen würde. Ich halte dies aber nicht für notwendig. Ich kann alles wortgetreu wiedergeben, was die Mitzel mir berichtet hat. Heute vor acht Tagen kam sie wie immer, sie hat einen eigenen Flurschlüssel, ins Atelier, fand im Wohnzimmer den Schlafdiwan nicht wie sonst mit Betten belegt und dann auf dem Schreibtisch im Atelier einen Zettel von Bruckners Hand: Nicht etwa die Polizei benachrichtigen, falls ich länger ausbleibe. Sie räumte wie immer auf und tat dies auch am nächsten Tag. Am dritten Morgen nach Bruckners Verschwinden wollte die Mitzel, die eine Treppe tiefer noch eine Aufwartestelle im Haus hat, wo sie von 8 bis 9 ist, gerade nach oben ins Atelier gehen, als sie das ihr bekannte Klirren der Scheiben beim Schließen der Flurtür Bruckners hörte, die etwas lose sind und beim Schließen der Tür sich stets melden. Gleich darauf kam sehr eilig eine einfach gekleidete rothaarige Frau die Treppe herunter, die beim Anblick der Mitzel stutzte und dann noch hastiger das Haus verließ. Die Aufwärterin war leider nicht geistesgegenwärtig genug, die Frau anzuhalten oder ihr nachzulaufen. Nachher entdeckte sie dann, sonst war im Atelier alles unverändert, auf dem Schreibtisch einen neuen Zettel mit folgendem Inhalt: Ich bleibe länger aus, etwa zehn, falls nicht Nachricht. Dies sollte wohl heißen: etwa zehn Tage, falls nicht andere Nachricht von mir eintrifft. Wenigstens deutete ich diesen Depeschenstil so. Ich habe beide Zettel mitgebracht. Der erste ist mit Tinte geschrieben, der zweite mit Bleistift, aber beide stammen von Erwin – von Bruckner. Sie entnahm die zusammengefalteten Zettel ihrem Handtäschchen und reichte sie mir. »Seitdem hat sich nichts mehr ereignet. Aber gerade dies ängstigt mich. Bruckner hatte mich niemals so lange ohne eine Mitteilung gelassen – niemals! Er weiß, dass ich mich um ihn sorgen würde. Und die fremde, rothaarige Frau, was hatte die in seiner Wohnung zu suchen? Woher hatte sie den Schlüssel? Ach, ich fürchte ja nur zu sehr, dass hier …« Jetzt konnte sie die Tränen nicht länger zurückhalten.

Ich trat an das Fenster und ließ ihr Zeit, sich wieder zu fassen. Da klingelte es draußen. Ich ging öffnen. Harst stand vor mir, Harst in derselben Maske, die er als Michael Schrammels Diener benutzt hatte. Er musste sich in seinem Schlafzimmer sehr schnell umgezogen und Bart und Perücke befestigt haben.

Nun begriff ich: Er selbst war der zweite Besucher, den er mir angekündigt hatte. 

Wir gingen ins Arbeitszimmer. Ich ahnte, was kommen würde.

Harst hatte sich als Rentier Friedrich Lehmann vorgestellt, saß nun so recht verschüchtert auf der Stuhlkante und stotterte: »Die Dame erlaubt wohl, dass ich erkläre, weshalb ich Herrn Harst sprechen wollte. Ich möchte ihm etwas über den Einbrecherkönig, den sogenannten Andreas Nemo, erzählen …«

Ich beobachtete unseren weiblichen Gast scharf. Aber der Name Nemo ging spurlos an ihr vorüber.

»Der … der Nemo ist nämlich mit einer Frau Schmidt befreundet …«, fuhr Lehmann fort.

Ich beobachtete weiter. Wieder nichts! Die Dame verriet sich nicht.

Da gab Harst diese Probe aufs Exempel auf und ging direkt auf sein Ziel los.

»Diese Frau Schmidt ist jetzt hier«, sagte er erhobenen Tones. »Sie sind es, meine Gnädige. Sie, und ich bin Harald Harst!«

Der Erfolg war ein sehr unerwarteter. Die Dame war erst aufgesprungen und halb erschrocken einen Schritt zurückgetreten. Nun aber erklang hinter dem vierfachen weißen Schleier ein harmloses kurzes Auflachen hervor. Dann der Satz: »Das ist sehr originell! Ich begreife nichts von alledem, Herr Harst …«

»Sie besitzen mehr Geistesgegenwart, als ich glaubte«, meinte er gelassen. »Sie sind jene Frau, die unter dem Namen Schmidt allerlei lichtscheue Dinge treibt. Sie haben auffallend kleine, schmale Hände, eine sehr angenehme weiche Stimme, tragen den Kopf etwas nach links geneigt, begleiten Ihre Worte mit der Linken mit kurzen Gesten, haben eine Vorliebe für den Ausdruck originell. All das sind Kennzeichen der Schmidt, die wahrscheinlich im Auftrag eines anderen hierhergekommen ist und eine schlau erfundene Geschichte erzählt hat, nur um …«

Da – abermals das harmlose Auflachen. Nun hob die Dame den Schleier. Darunter kam ein junges, liebreizendes Gesicht zum Vorschein, dessen Besitzerin kaum die Zwanzig erreicht haben konnte.

Ich schaute schnell nach Harst hin. Der stand geradezu sprachlos da.

Dann sagte er mit tiefer Verbeugung: »Verzeihen Sie. Auch ein Harald Harst kann sich irren.«

Eine Viertelstunde darauf verließ Zenta Brixen uns.

Sie hatte Harst sehr bald ihren Namen genannt.

Harst legte Bart und Perücke ab, wanderte langsam im Zimmer auf und ab. »Ein merkwürdiger Reinfall Schraut, nicht wahr?«, sagte er nach einer Weile. »Als ich Fräulein Brixen vom Fenster aus sah, wie sie so zögernd auf unser Haus zusteuerte und es von oben bis unten betrachtete, witterte ich sofort die Ratsuchende in ihr. Dann bemerkte ich die Kopfhaltung die kleinen Händchen. Nachher sah und hörte ich noch das andere. Da glaubte ich, meiner Sache sicher zu sein, glaubte, dass die mir geradezu unerklärliche Unvorsichtigkeit Kammlers oder eines anderen der Wettgegner diesen Besuch herbeigeführt hätte.«

Er nahm den Berliner Kurier vom Tisch. »Hier steht: Die Millionenwette. Wie wir zufällig in Erfahrung gebracht haben, soll Harald Harst als nächste Aufgabe die Person des geheimnisvollen Andreas Nemo ermitteln. Wir wünschen ihm viel Glück zu – und so weiter. Bedenken Sie, Schraut, dass Kammler mir fest versprochen hatte, die Aufgaben sollten fernerhin streng vertraulich behandelt werden. Sie werden einsehen, dass ich heute Morgen nach Durchsicht der Zeitung sofort zur Redaktion fuhr und vom betreffenden Redakteur Aufschluss darüber erbat, wie das Blatt von der neuen Aufgabe Kenntnis erlangt hätte. Er schützte Berufsgeheimnis vor. Ich hatte kaum etwas anderes erwartet. Dann war ich im Klub. In zehn Minuten hatte ich den Klubdiener herausgefunden, der Kammler und zwei andere Mitglieder bei einem Gespräch über Nemo und mich belauscht und der sich von der Redaktion fünfzig Mark für die grobe Indiskretion hatte bezahlen lassen. Der Mann ist in Not. Seine Frau krank. Ich habe Verständnis für seine traurige Lage. Er bleibt im Klub.«

»Wie viel Geld haben Sie ihm noch geschenkt?«, fragte ich schnell.

»Das geht Sie nichts an, Schraut. Ich verbitte mir solche Fragen …«

Aha – er wurde böse, weil er nicht wollte, dass ich sein gutes Herz von Neuem pries.  

»Ich nahm also an«, sprach er dann weiter, indem er am Fenster die beiden Zettel Bruckners betrachtete, »auch Nemo, den ich in wahrem Einverständnis mit der mysteriösen Mutter Schmidt vermutete und auch noch jetzt vermute, hätte diese jüngste Notiz über die Millionenwette gelesen und die Schmidt hergeschickt, um durch sie feststellen zu lassen, ob wir schon an der Arbeit wären und ob etwa die Erwähnung einer rothaarigen Frau durch diese Abgesandte bei mir ein besonderes Interesse für diese Frau hervorrufen würde. Fräulein Zenta Brixen bezeichnete ja die Frau auf der Treppe als rothaarig und einfach gekleidet. Dies genügte mir zu der verfehlten Schlussfolgerung, dass die Verschleierte uns nur ein Märchen aufband und lediglich herausbringen wollte, ob wir schon auf das Lokal in der Berliner Straße und seine Inhaberin aufmerksam geworden wären. Ich habe mich diesmal gründlich verhauen, so gründlich wie noch nie. Zenta Brixen hatte allen Grund zum Lachen, als ich die große Überführungsszene spielte, was ich ohne Schaden für uns tun zu können glaubte, da Nemo ja doch bereits durch die Zeitungsnotiz vor uns gewarnt ist.«

Er ließ sich in den Ledersessel am Fenster fallen und strich die beiden Zettel auf seinem Schenkel glatt. »Wenn wir diesmal den verlangten Erfolg erzielen«, sagte er nun mit jenem geistesabwesenden Gesichtsausdruck, der stets bewies, dass seine Gedanken schwierige Pfade wandelten, »dann lege ich Ihnen fünfzig Mark monatlich zu, lieber Schraut. Ich fürchte aber, Sie werden diese fünfzig Mark nie sehen und ich werde meine Million und meine Tagesberühmtheit durch einen Versager verlieren. Jetzt, wo dieser Mensch, der sich selbst als Niemand bezeichnet hat, mich als Gegner kennt, wird er sich noch unsichtbarer machen, als er es schon vordem gewesen ist.«

Er holte seine goldene Zigarettendose vom Schreibtisch und schob eine Mirakulum zwischen die Lippen. Als er das Streichholz anstrich und dem Knistern des sich entzündenden Köpfchen die kleine Flamme folgte, rief er ganz unvermittelt: »Schraut, das Streichholz blitzte eben auf und gleichzeitig in mir ein Gedanke, der wert ist, nachgeprüft zu werden.«

Ich wusste schon, dass ich über diesen Geistesblitz jetzt nichts zu hören bekommen würde. So machte Harst es ja immer mit mir: Mitarbeiter war ich, aber nie Mitwisser, sondern stets nur Späterwisser!«

Und so war es auch.

»Schraut, wir wollen mal jetzt schnell wiederholen, was wir über und von Zenta Brixen wissen«, sagte er, bereits wieder in seiner bedächtigen, grüblerischen Art. »Vater Rentner wohlhabend, Witwer, Fünfzimmerwohnung in der besten Gegend, Kalckreuthstraße 12. Zenta einziges Kind. Sie lernt bei Bekannten den Bildhauer, eine ganz unbekannte Größe in sehr bescheidenen Vermögensverhältnissen, kennen. Da der alte Herr sehr strenge Einsichten über Verkehr zwischen Jung und Jung hat, da er Zenta vor dem 25. Lebensjahr nicht heiraten lassen will und alle jungen Leute aus ihrer Nähe weggrault, folgen mit Bruckner heimliche Stelldicheins, folgen Liebesschwüre und so weiter. Dann verschwindet dieser Bruckner. Nun wird es interessant. Ich denke dabei sowohl an die rothaarige fremde Frau als auch an die Zettel – an diese ganz besonders. Nehmen wir sie daher zuerst unter die Lupe – im wahrsten Sinne des Wortes. Reichen Sie mir doch mal bitte mein Vergrößerungsglas. Nein, besser das kleine Mikroskop. Ich schneide jetzt aus den Wörtern des zweiten Zettels, den doch vermutlich die rothaarige Frau in das Atelier gebracht hat, einen einzelnen Buchstaben heraus und lege ihn unter das Mikroskop. Aha – kommen Sie her, Schraut. Was sehen Sie?«

»Dass in dieser fünfzigfachen Vergrößerung dieser Buchstabe N nicht aus glatten, in einem Schwung hingeworfenen Schleifen, sondern aus Wellenlinien sich zusammensetzt. Mithin handelt es sich um eine Fälschung der Schrift Bruckners, allerdings um eine Fälschung, die nur durch diese Vergrößerung erkennbar wird.«  

»So? Nur durch diese Vergrößerung?« Harst stand dicht neben mir mit der Zigarette im Mundwinkel, die beim Sprechen auf und ab wippte. Er, der auf äußere Formen so sehr viel gab, ließ sich nur mir gegenüber zuweilen etwas gehen und erlaubte sich, die Zigarette zwischen den Lippen zu behalten, doch nur dann, wenn seine Gedanken durch seine über alles geliebte Detektivarbeit mit all ihren tausend Feinheiten restlos in Anspruch genommen waren.

Ich schaute ihn fragend an, nahm dann die beiden Zettel und besichtigte sie nochmals mit größter Sorgfalt, konnte aber nichts entdecken, was mit bloßem Auge darauf hingedeutet hätte, dass der zweite gefälscht war.

»Ich vermag wirklich nichts zu bemerken, woraus …« Ich kam mit diesem zögernden Satz nicht zu Ende.

»Lieber Schraut«, sagte Harst eifrig, »fällt Ihnen denn nicht auf, wie merkwürdig das Deutsch des zweiten, mit Bleistift geschriebenen Zettels ist? Hatte der Fälscher dieses Zettel wirklich die Absicht, nebenbei noch einen sogenannten Depeschenstil vorzutäuschen? Ich bleibe länger aus, etwa zehn, falls nicht Nachricht, steht hier. Nun, etwa zehn ist doch reichlich unklar. Weshalb fügte er nicht wenigstens noch Tage hinzu? Oder Wochen? Na, Schraut, haben Sie es nun herausgefunden?«

Leider musste ich verneinend den Kopf schütteln. Da rief Harst: »Aber, aber, wie kann man nur! Ich habe Sie doch schon mit der Nase darauf gestoßen! Doch als Lehrer soll man Geduld haben. Sie sollen ja von mir lernen. Ich lese Ihnen also den Inhalt der Zettel ganz langsam vor. Nummer eins, der echte:

Nicht etwa die Polizei benachrichtigen, falls ich länger ausbleibe. 

Nummer zwei, der gefälschte:

Ich bleibe länger aus, etwa zehn, falls nicht Nachricht.

Na, Schraut?«

»Sie haben einen recht unbegabten Schüler, Herr Harst«, sagte ich kläglich. 

»Sollte ich denn wirklich eine ausgesprochene Begabung für derartige fast selbstverständliche Beobachtungen besitzen? Woher habe ich sie geerbt? Mein Vater war Tischlermeister, dann Holzhändler und Millionär. Auch von Mutterseite her finden sich in meinem Stammbaum nur Bäcker, Fleischer und ein einziger Künstler – ein Haarkünstler, ein Frisör! Gut denn. Die Sache ist folgende: Der Fälscher des zweiten Zettels kann als Vorlage für seine Schriftversuche nur den Zettel Nr. 1 zur Verfügung gehabt haben, denn er hat fast sämtliche Wörter von Nr. 1 natürlich in anderer Reihenfolge zusammengestellt, da er sich eben nicht zutraute, andere Wörter ohne Vorlage genau genug nachahmen zu können. Zu diesem zehn fand er in Polizei das notwendige z. Diese Wiederholung derselben Wörter sagte mir schon vor der Benutzung des Mikroskops, dass die Bleistiftnachricht nicht von Bruckner stammte.«  

Ich hatte ja bereits von Harsts Scharfsinn genügend Beweise erhalten. Aber diese verblüffend einfache Erklärung entlockte mir trotzdem ein begeistertes »Glänzend!«  

»Na, na, lieber Schraut, machen Sie mich nicht eitel. Glänzend, das können Sie sagen, wenn wir den Herrn Andreas Nemo wirklich am Kragen haben, was vorläufig noch recht aussichtslos erscheint. Doch nun weiter. Zunächst der Bildhauer. Wir wissen so gut wie nichts von ihm. Nur dass er eines Tages einen Zettel auf seinen Schreibtisch legte und dann verschwand. Der Zettel war sowohl für seine Aufwärterin Mitzel als auch für Zenta Brixen bestimmt. Bruckner rechnete damit, dass seine heimliche Verlobte sich bei der Mitzel nach ihm erkundigen würde. Er hat Zenta inzwischen keinerlei Nachricht gegeben. Was geht aus alledem hervor? Folgendes: Er verließ damals sein Atelier mit dem Gedanken, dass er vielleicht gezwungen sein würde, längere Zeit die Mitzel und seine Verlobte ohne Nachricht zu lassen. Er verließ es aber auch zu einem offenbar etwas geheimnisvollen Zweck, über den er selbst Zenta Brixen nichts verraten konnte oder wollte. Über diesen Zweck nachzugrübeln, ist unnötig. Wir wären da nur auf bloße Vermutungen angewiesen. So, und nun die rothaarige Frau und die gefälschte Nachricht. Beide sind sehr bedeutungsvoll, erzählen uns einen kleinen Roman, der vielleicht tragisch endet oder geendet hat. Können Sie hier Ihre Fantasie etwas spielen lassen, Schraut? Sie haben doch nun begonnen, unsere kleinen Erlebnisse mit leidlichem Geschick aufzuzeichnen. Ein Schriftsteller ohne Fantasie ist wie ein Wagen ohne Pferde. Also, schießen Sie los.«

Dieses Mal war ich weniger begriffsstutzig. »Die Frau, die sich in das Atelier eingeschlichen hatte und den gefälschten Zettel hinlegte, kam in der Absicht, Bruckners Verschwinden noch eine Weile sozusagen zu bemänteln«, begann ich mit ziemlicher Bestimmtheit. »Sie wusste also, dass der Bildhauer nicht in der Lage war, der Mitzel oder seiner Braut eine Mitteilung zu senden. Bruckner ist also entweder irgendwo schwer erkrankt oder wird irgendwo gewaltsam zurückgehalten, falls er nicht gar bereits tot ist.«

»Bravo, bravo, lieber Schraut! Ich hätte dies nicht besser machen können – tatsächlich! An uns wird es nun sein, diese drei Möglichkeiten – krank, gefangen oder tot – nachzuprüfen, genauso, wie wir feststellen müssen, ob hier etwa ein merkwürdiger Zufall mitspielt und die Rothaarige vielleicht gar unsere Mutter Schmidt ist. Schließlich noch, wie Zettel Nummer eins dieser Rothaarigen oder deren Mitwisser zur Vornahme der Fälschung von Nr. 2 zugänglich geworden ist. Letzteres ist außerordentlich wichtig. Zenta Brixen hat uns erklärt, sie hätte Zettel Nr. 1 am dritten Tag nach Bruckners Verschwinden an sich genommen. Mithin hätte die Mitzel, die Aufwärterin, reichlich Zeit gehabt, anderen Leuten, von denen sie vielleicht bestochen war, den Zettel Nr. 1 zum Zweck der Herstellung von Nr. 2 zu überlassen.«

»Aha – die Mitzel! Der müssen wir …«

Harst schlug mir leicht auf die Schulter. »Aber bester Schraut, schon wieder ein Fehler! Die letzten Sätze waren eine Falle für Sie! Ich bitte Sie: Der Mitzel als Aufwartefrau mit eigenem Schlüssel standen doch fraglos genug Schriftproben Bruckners – Briefe, Notizen und so weiter – zur Verfügung, die sie den Fälschern hätte aushändigen können, sodass diese nicht nötig gehabt hätten, in Nr. 2 dieselben Wörter aus Nr. 1 nachzumalen! Nein, die Mitzel scheidet als mit im Komplott befindlich aus. Wir müssen sie nur über die Rothaarige näher ausfragen, was Zenta Brixen versäumt hat.«

Er begann wieder im Zimmer mit gesenktem Kopf auf und ab zu gehen. »Ein sehr unangenehmer Zwischenfall, dieser Verrat unserer jetzigen Aufgabe und deren Preisgabe an die Öffentlichkeit«, murmelte er. »Nun hätte ich mir das Angebot an den Menschen, der für 10.000 Mark Nemo-Geheimnisse ausplaudern wollte, schenken können.« Er nahm den Berliner Kurier vom Schreibtisch. »Hier steht das, was ich soeben andeutete: 20.000 Mark verspricht ein Privatmann dem zu zahlen, der über den sogenannten Einbrecherkönig Andreas Nemo ihm nähere Angaben machen kann. Ja, Schraut, Sie sehen, ich habe versucht, auf diese Weise mich mit dem Absender jenes an die Redaktion gerichteten Schreibmaschinenbriefes in Verbindung zu setzen. Was hilft das jetzt alles, wo Nemo vor uns gewarnt sein dürfte? Wir werden all unsere Erfindungsgabe nun mehr aufzubieten haben, um unsere Nachforschungen in ein tiefes Dunkel zu hüllen, sonst werden wir … Ah, ein Depeschenbote! Gehen Sie, nehmen Sie ihm die Depesche ab, Schraut.«

Es war nur ein Rohrpostbrief. In dem Umschlag, dessen Anschrift mit Maschine geschrieben war, steckte ein Zettel, auch mit Maschine geschrieben:

Herr Harst!
Ich rate Ihnen, sofort Ihre jetzige Aufgabe und Ihre Ermittlungen nach mir fallen zu lassen. Sollte ich merken, dass Sie Ihre Versuche, mich zu finden, fortsetzen, so haben Sie selbst an den Folgen Schuld.
Andreas Nemo.

Harst hatte mir dies vorgelesen. »Eine Kampfansage, Schraut!«, bemerkte er. Seine grauen Augen flammten auf.

»Herr Andreas Nemo, wenn Sie wüssten, dass ich Sie eigentlich schon entdeckt habe, würden Sie mir nicht so plump drohen!«

Ich war starr. Eigentlich schon entdeckt habe, hatte Harald Harst gesagt! Und Redensarten machte er nie.

Ich wollte etwas fragen, wollte bitten, dieses eigentlich … mir zu erklären.

Doch Harst rief schon: »Schraut, telefonieren Sie an Sanitätsrat Müller, unseren Hausarzt. Ich habe eine Lungenentzündung, bin schwer krank. Ich lege mich sofort ins Bett …«

Frau Harst, ebenso die alte, zuverlässige Köchin und Karl Malke wurden sogleich in die besondere Art dieser Erkrankung eingeweiht. Dann hielten wir Kriegsrat: Harst, der Junge und ich. Es war mehr ein Verteilen der Rollen, der dem nun folgenden ernsten Kampf gegen einen Namen. Harst wies Karl und mir unsere besonderen Aufträge zu. Es war ein Genuss, zuzuhören, wie er seine Hilfstruppen ins Gefecht beorderte.

Ich hatte gehofft, aus diesen seinen Befehlen entnehmen zu können, wer nun eigentlich unser Gegner wäre. Umsonst! Harsts Dispositionen ließen keine weitergehenden Schlüsse zu.