Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten – Teil 17
Geist-, Wunder-, Hexen- und Zaubergeschichten, vorzüglich neuester Zeit
Erzählt und erklärt von Gottfried Immanuel Wenzel
Prag und Leipzig 1793
Die Kaffeegießerin
Gewiss jede Stadt, jedes Städtchen, ich kann sagen, jedes Dorf, haben Personen aufzuweisen, die entweder durchs Kartenschlagen oder Blei – und Kaffeegießen die Heimlichkeiten anderer Menschen und die Zukunft gegen bare Bezahlung zu entdecken vorgeben. Zu ihnen läuft der prozessierende Bürger und holt sich Trost und Rat. Zu ihnen wallt das liebende Mädchen und horcht auf den Ausspruch des Orakels. Hier versammeln sich Witwer und Witwen und harren mit Ungeduld, bis die Priesterinnen den weissagenden Mund öffnen und das Glück der neuen Liebschaft verkünden.
Am besten Sind die Kaffeegießerinnen daran. Diese Nixen haben doppelten Vorteil; einmal bare klingende Münze, dann Kaffee in Überfluss, denn die Fragenden müssen diese materiam ex qua reichlich liefern, wenn Sie im Lager, wie der materia in qua, ihr Schicksal abgebildet haben wollen.
Ich kannte so eine Kaffeelagersybille. Schon in der Ferne witterte die Nase Kaffeegeruch, ewig stiegen dicke Wolken aus dem Schornstein, denn Arabiens, Martiniks und Bohnen aus der Levante rauchten stets auf rußigen Pfannen in der dämpfenden Küche.
Die Neugierde zog mich zu der Prophetin. Ich musste mich mit beiden Händen durcharbeiten: Schürzen, Röcke und Mäntel, Saloppen und Bänder, Korsetts und Reifröcke waren mir im Wege.
Ermüdet von dieser herkulischen Arbeit stand ich vor der Eingeweihten. Tassen an die Hunderte lagen vor ihrem forschenden Auge und wiesen ihr prophetisches Schwarz, das in die Höhlung derselben die bebende Hand der Schülerin goss.
Eine heilige Stille herrschte im Tempel. Alles horchte. So horchte einst Didos Hofstaat, da Vater Aeneas den Fall der Helenen zu erzählen begann.
Langsam streckte die Priesterin den aufgeschürzten Arm nach einer der Tassen, wand und drehte in exzentrischen Kreisen das wichtige Gefäß. Weissagung strömte von ihren Lippen. Sie sah grünende Bäume im finsteren Schwarz. Hoffen durfte die, deren Tasse es war, und sah nun selbst auch grünende Bäume im finsteren Schwärz. Blumen bedeuteten Freude der Liebe, blätterlos Äste waren der Untreue Verkünder. Rennende Pferde brachten Briefe aus der Ferne, und des Leides Herolde waren Hügel und Berge. Breite Seen nannte der geheiligte Mund Bothen des
Glücks, und Steine und Sand in Haufen hieß ihm Gold und Reichtum. Die Schürzen, die Röcke, die Korsetts, Saloppen, Hüte und Poschen sahen nun auch ins magische Dunkel und fanden, gleich der Priesterin, in des Kaffeelagers verschiedenen Streifen und Krümmungen, Blumen und Blätter, Äste und Pferde, und Hügel und Berge.
Wahr ist es, oft erriet die Sybille viel und auffallend erriet sie es, denn sie hatte teils ihre Kunden schon gekannt, teils ausgeforscht. Da sie tausend Lügen sagte, so konnte Sie wohl auch auf der Wahrheiten einige treffen.
Sowohl Einbildungskraft als auch Blödigkeit wirkten auch hier – Dasein fürs Unding.