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Deutsche Märchen und Sagen 30

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

30. Die schlimme Herberge

Unser Herr Jesus reiste einmal mit Petrus. Als sie schon lange und weit gereist waren, kamen sie abends in einen großen Wald und fanden darin ein Haus. Da wollten sie einkehren und klopften an der Tür.

Eine alte Frau machte ihnen auf, hatte sie aber kaum gesehen, als sie jämmerlich zu weinen anfing und sprach: »Ach, was seid ihr nicht für unglückliche Leute. Ihr seid verloren, da ist keine Hilfe mehr, denn das Haus hier gehört einem Menschenfresser.«

Darüber geriet Petrus in gewaltige Angst und zog Jesus beim Ärmel, um ihn weg zu haben.

Aber Jesus wollte nicht vom Haus weg und sprach: »Ich bin müde und bleibe hier, gehe es, wie es wolle.«

»Dann werden wir aber aufgefressen,« entgegnete Petrus. Doch Jesus beruhigte ihn, indem er sagte: »Dafür lass mich nur sorgen und mach dir keine Unruhe.«

So traten sie denn mit der alten Frau in das Haus. Sie gab ihnen zu essen und zu trinken und versteckte sie alsdann unter einer Fleischbütte. Nicht lange hatten sie noch da gesessen, als es an die Tür klopfte. Die Frau öffnete und der Menschenfresser trat in das Haus. Bei jedem Tritt meinte man, das ganze Nest wäre über den Haufen gefallen. Pluff ließ er sich auf einen Stuhl niederfallen, begann dann aber zu schnauben, sich zu schnäuzen und brummte dazwischen: »Hm, hm, ich rieche Menschenfleisch.«

Das alte Frauchen kriegte schon Angst, noch mehr Sankt Peter. Sie hätte es dem Menschenfresser gern ausgeredet und sprach: »Ach, du riechst mein Fleisch, du vertust dich.«

Doch der Menschenfresser fuhr immer fort: »Nichts da, nichts da; ich rieche Menschenfleisch.« Dabei ging er in der Kammer rund und schnüffelte überall herum, in allen Schränken, Kisten und Kästen. So kam er endlich auch an die Fleischbütte. Da fand er denn die zwei Gäste und zog sie heraus. Er hätte sie eigentlich gerne gleich an den Spieß gesteckt und aufgefressen.

Aber die alte Frau sprach: »Lass sie nur laufen, es wäre nur magere Kost.«

Da lachte er und sprach: »Ja, ja, du hast recht. Der eine (Peter) ist übrigens doch nicht so sehr mager, der wäre nicht zu verschmähen. Doch ich will ihnen das Leben schenken, jedenfalls kriegen sie dann aber heute Nacht einmal tüchtig Schläge.«

Darauf gingen sie all zu Bett. Petrus legte sich vorn und Jesus legte sich hinten. Gegen elf Uhr stand der Menschenfresser auf, ging auf den Söller, wo sie lagen, griff Petrus und bläute den so durch, dass er kein Glied mehr rühren konnte. Dann ging der arge Kerl wieder in sein Bett. Petrus lag wohl eine halbe Stunde, ehe er sich von den Schlägen erholen konnte. Dann sprach er zu Jesus: »Ach so, hättest du mir gefolgt, dann wären wir hier nicht eingekehrt. Lass mich doch hinten liegen, da kann ich mich gegen die Wand drücken.«

Jesus tat das und tröstete ihn, sprach, er solle sich ergeben, morgen ginge es besser.

Gegen ein Uhr kam der Menschenfresser wieder auf den Söller und sprach: »Der vorne liegt, der hat sein Teil, nun muss der hinten es auch bekommen.« Er fasste Petrus zum zweiten Mal und bläute ihn noch einmal durch.

Petrus schrie und jammerte: »Ich habe zuerst vorn gelegen, du hast mich schon geschlagen.«

Aber darüber wurde der Menschenfresser noch viel böser und grimmiger, schrie: »Du willst noch lügen? Wart, das sollst du mir entgelten!« Er schlug mit seinen dicken Fäusten noch mehr auf Petrus’ Rücken, bis der arme Petrus halb tot dalag. Da ging er weg.

Jesus stand aber auf und heilte des armen Petrus Rücken und legte den Unglücklichen ins Bett.

Der rief aber und schrie: »Nein, nein, ich bleibe hier nicht.«

Er sprang zum Fenster hinaus in ein Kohlfeld. Jesus folgte ihm nach und setzte sich zu ihm zwischen die Kohlköpfe.

Von all der Bewegung hatte der Menschenfresser aber Hunger bekommen. Er stand noch einmal auf und ging in den Garten, um sich einen Kohlkopf zu schneiden und diesen zu kochen. Statt eines Kohlkopfes packte er aber des Petrus Kopf und schnitt. Da schrie der arme Apostel Zeter und Mordio. Der Menschenfresser meinte aber, ein Kohlkopf hätte so geschrien und rief: »Da ist Zauberei im Spiel!«

Er lief was er konnte auf und davon. Jesus heilte aber des Petrus Hals wieder zu, sodass man nichts von der Wunde mehr sah. Dann machten sie sich auf und eilten auch weg aus dem verwünschten Wald.

Petrus sprach: »Ja, meinem Leben bleibe ich nicht mehr bei so einem Menschenfresser über Nacht.«