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Aus dem Wigwam – Kaktugwasis

Karl Knortz
Aus dem Wigwam
Uralte und neue Märchen und Sagen der nordamerikanischen Indianer
Otto Spamer Verlag. Leipzig.1880

Kaktugwasis

ief im Urwald stand eine einsame Hütte, die von einem alten Ehepaar nebst dessen einzigem Sohn bewohnt war. Letzterer war aufgewachsen, ohne außer seinen Eltern irgendein menschliches Wesen gesehen zu haben. Ja, er wusste nicht einmal, dass sonst noch überhaupt Menschen existierten. Der Greis hieß Kaktugwak, Donner, und nach einem alten indianischen Brauch wurde sein Sohn Kaktugwasis, der kleine Donner, genannt.

Als derselbe eines Tages bemerkte, dass seine Mutter nicht mehr gut sehen konnte und sie deshalb fragte, antwortete sie, dass sie zu alt und zu schwach würde, um ihren häuslichen Pflichten genügen zu können, weshalb er sich auf die Beine machen müsse, ihr eine Gehilfin zu suchen. Danach gab sie ihm die nötige Anweisung, half ihm ein Hochzeitskleid machen und schickte ihn der untergehenden Sonne entgegen. Zu seiner rechten Hand trug er sein Bündel mit den neuen Kleidern, die er erst anziehen durfte, wenn er das Dorf erreichte, in dem das Mädchen wohnte, das er sich zur Frau nehmen sollte.

Als er in der Nähe des Platzes war, wo die Sonne unterging, hörte er plötzlich den Ton einer Flöte und fand sich bald danach im Wigwam eines mächtigen Häuptlings, in dem es recht lustig herging. Der Name dieses Häuptlings war Kikwaju, der Hamster. Er empfing den Fremdling außerordentlich freundlich. Kaktugwasis erzählte ihm den Zweck seiner Reise und blieb die Nacht über in seinem Wigwam.

Am anderen Morgen sagte der Häuptling nach dem Frühstück zu einigen Mitgliedern seines Stammes: »Freunde, wollen nicht zwei oder drei von euch unseren Bruder auf seiner Reise begleiten?«

Sie antworteten ihm, dass er selbst dazu die meiste Zeit habe, und rieten ihm, mitzugehen. Da er sich davon große Freude versprach, so machte er sich auch gleich reisefertig.

Sie begaben sich also auf den Weg und kamen nach kurzer Zeit zu einem Mann, der auf einem Bein stand und sich das andere auf den Rücken gebunden hatte. Als ihn Kaktugwasis deshalb befragte, gab er zur Antwort, dass er sich nur auf diese Art gegen das Fortlaufen schützen könne. Wenn er den anderen Fuß losschnalle, so könne er in einem Tag bis ans Ende der Welt laufen. Darauf sagte der Häuptling, dass er und sein Freund zu einer großen Festlichkeit reisten und dass er ebenfalls höflichst dazu eingeladen sei. Jener nahm die Einladung an und ging mit.

Am anderen Tag fanden sie einen Mann, der sich beide Nasenlöcher verstopft hatte, und zwar, wie er den dreien mitteilte, aus dem Grund, weil sein Atem so stark war, dass, wenn er ihn nicht im Zaum hielt, sich augenblicklich ein Sturm erheben und sie alle wegblasen würde.

Kikwaju wollte dies jedoch nicht glauben und wünschte eine Probe seiner Kunst zu sehen, die ihm auch sehr bald wurde; denn sobald er seine Nasenlöcher geöffnet hatte, wurde der Häuptling so hoch in die Luft gewirbelt, dass man ihn kaum noch sah. Zuletzt hielt er sich an einem weitragenden Felszacken fest und bat den merkwürdigen Mann, doch um alles in der Welt seine Nase wieder zu verstopfen.

Darauf fragten sie ihn, ob er nicht mitgehen wolle. Da jener augenblicklich nichts Besseres zu tun wusste, schloss er sich den drei an.

Kurz danach begegneten sie einem Holzhacker, der die höchsten und dicksten Bäume wie Grashalme fällte und sie zu einem Zaun um seinen Wigwam benutzte. Sie luden ihn ebenfalls ein, mitzugehen, aber Guowaget sagte, dass er eine zahlreiche Familie habe, die Not leiden würde, wenn er lange ausbliebe. Doch Kikwaju wusste zu helfen. Sie blieben die Nacht über in seiner Wohnung, überfielen am anderen Morgen in der Frühe ein benachbartes Dorf und raubten einen solchen Vorrat an Lebensmitteln, dass der Holzhauer getrost mitziehen konnte.

Die fünf Freunde reisten nun weiter. Als es Nacht wurde, erhielt Guowaget den Auftrag, Feuerholz zusammenzutragen, während die anderen auf die Jagd gingen. Nachdem sie mehrere Hasen getötet hatten und wieder zurückgekommen waren, fanden sie, dass ihr Kamerad einen ganzen Wald ausgerissen und damit ein riesiges Feuer gemacht hatte. Kikwaju sagte ihm, ein kleines Feuer sei genügend, worauf sie die Hasen verzehrten und sich niederlegten.

Am nächsten Morgen reisten sie weiter. Sobald es Abend war, musste der Holzhacker wieder Feuer anmachen und die anderen gingen auf die Jagd. Guowaget riss viele Bäume aus und baute damit eine Hütte, in deren Mitte er ein winzig kleines Feuer anzündete. Der Häuptling sagte ihm, dass er diesmal wieder zu weit gegangen sei. Er solle einfach ein kleines Feuer anmachen, sich sonst aber um nichts bekümmern.

Am nächsten Abend kamen sie in die Hütte des mächtigen Gluskap, wo sie sehr freundlich empfangen wurden. Da Kikwaju zu rauchen wünschte, so gab ihm Gluskap eine Pfeif, die jedoch so klein war, dass man sie kaum sehen konnte. Als jedoch der Häuptling zu rauchen anfing, stellte es sich heraus, dass sie ihrem Zweck vollständig entsprach.

Danach schickte der Wirt den kleinen Marder nach Wasser aus und ließ den Kessel über das Feuer hängen. Die alte Frau nahm dann einen Biberknochen, fing an, ihn abzuschaben und warf die Späne in den Kessel.

»Das wird ein armseliges Abendessen geben«, sagte der Häuptling zu sich.

Aber er wurde bald sehr angenehm überrascht, denn die Späne wurden mit jedem Augenblick dicker und schmeckten so angenehm, dass Kikwaju zu viel davon aß und infolge dessen krank wurde.

Am anderen Morgen schickte Gluskap den kleinen Marder aus, um nach den Fischreusen zu sehen. Derselbe kehrte bald mit der Meldung zurück, dass sich ein kleiner Walfisch darin befinde.

Danach führte Gluskap den Häuptling an den See und bat ihn, ein Bad zu nehmen. Als er dies getan hatte, brachte er ihm einen wunderschönen Anzug, der ihn mit der Gabe der Zauberei beschenkte und zum sogenannten Megumuwesu machte. Kikwaju zog diese geheimnisvollen Kleider an und ging mit dem kleinen Marder zu einer anderen Stelle des Seeufers, woselbst er das Kanu teeren und ausbessern sollte. Aber er konnte dort weiter nichts als einen eigentümlich geformten Felsen sehen. Doch als er denselben umdrehte, fand er heraus, dass derselbe das gesuchte Kanu war.

Als er es ausgebessert hatte und wieder zur Hütte Glukaps gegangen war, bat er den großen Magier, ihn gegen die mannigfachen Gefahren seiner Weiterreise zu feien und ihm auch sonst mit seinem weisen Rat an die Hand zu gehen. Gluskap willfahrte seinem Wunsch und erzählte, dass er sehr bald einer großen Anzahl Biber begegnen würde, von welchen hauptsächlich einer sehr wild und gefährlich sei. Derselbe sei eigentlich ein mächtiger Zauberer, der sich deshalb in einen Biber verwandelt habe, damit er leicht die Kanus umwerfen könne. Kikwaju sollte sich deshalb eine Tschigumakun oder Trommel mitnehmen und wenn er ihn sähe, dieselbe schlagen und dabei so gut singen, wie es ihm nur möglich sei. Wenn er den Biber durch seinen Gesang bezaubern könne, so würde derselbe ans dem Wasser kommen und vom Ufer aus zuhören. Er wäre alsdann in seinem Kanu vollständig sicher.

Nach diesen Instruktionen reisten die Abenteurer ab.

Als sie mehrere Hindernisse glücklich überwunden hatten, sahen sie auf einmal einen mächtigen Biberschwanz aus dem Wasser ragen. Gleich griff Kikwaju nach seiner Trommel und fing zu singen an. Seine Musik hatte den gewünschten Erfolg. Der Biber setzte sich ans Ufer und ließ sie ungestört passieren.

Bald danach kamen sie an ein großes Dorf und landeten daselbst. Sie gingen sofort in die Wohnung des Häuptlings, welcher bereits den Zweck ihrer Reise kannte, Kaktugwasis gleich als seinen Schwiegersohn anredete und ihm einen Platz im hinteren Teil des Wigwams anwies. Jener Häuptling hieß Keukw oder Erdbeben.

Die Hochzeit sollte am anderen Morgen gefeiert werden. Die Vorbereitungen dazu wurden augenblicklich getroffen.

Am nächsten Morgen erschienen die Hochzeitsgäste in solch großer Anzahl, dass sie in der Wohnung des Häuptlings kaum Platz finden konnten. Dicht vor dem Eingang hatten sie einen geräumigen Platz für die Tänzer geebnet; aber ehe die Lustbarkeiten begannen, trat ein Krieger hervor, der unter keiner Bedingung zugeben wollte, dass die schöne Häuptlingstochter von einem Fremden heimgeführt würde. Er hatte die Gestalt des mächtigen Zauberers Tschepichkalm angenommen und wollte das Mädchen ohne Weiteres aus dem Wigwam holen.

Der Hamsterhäuptling rief ihm zu: »Was willst du hier?« Da er keine Antwort erhielt, so schlug er ihm mit seinem Tomahawk den Kopf ab, zerhackte seinen Körper in kleine Stücke und warf sie aus dem Wigwam, wobei die Hochzeitsgäste ruhig zusahen.

Als sie sich am Hochzeitsschmaus recht gütlich getan hatten, befahl Keukw den jungen Leuten, die Spiele zu beginnen. Zuerst sollte ein Mann mit dem Gefährten des Hamsters um die Wette laufen. Jeder musste dabei einen Topf voll Wasser tragen, um zu sehen, wer am ruhigsten bliebe. Beide liefen nun in aller Eile um die Erde. Der Freund des kleinen Donners blieb Sieger, da er als Erster zurück war und keinen Tropfen verschüttet hatte, während der andere Läufer kaum einen halben Topf voll zurückbrachte. Danach begann das Wettringen. Ein starker Holzhacker wurde herbeigeführt, aber er wurde vom Baumfäller der Abenteurer mit solcher Gewalt gegen einen Felsen geschleudert, dass kein Knochen an ihm ganz blieb. Danach endeten die Spiele.

Der kleine Donner nahm seine Braut und begab sich auf den Heimweg. Aber die Gefahren waren noch nicht vorüber, denn die Krieger und Zauberer des fernen Westens hatten sich fest vorgenommen, den ihnen angetanen Schimpf durch Vernichtung der fremden Eindringlinge zu rächen. Kaum hatten sich dieselben in ihre Kanu gesetzt, als jene einen schrecklichen Sturm heraufbeschworen. Aber der Hamsterhäuptling befahl seinem Blaser, die Nasenlöcher zu öffnen und einen Gegensturm loszulassen. Dieser war so mächtig, dass sich ihre Feinde, so schnell wie sie konnten, vom Ufer entfernten. Die Gefahren, welche ihnen auf der Hinreise begegneten, hatten sie auch auf der Heimreise zu überwinden. Der große Biber erschien wieder an seinem alten Platz und ließ sich auch diesmal durch Kikwajus Musik friedlich stimmen. Glücklich kamen sie endlich wieder in der Hütte Gluskaps an. Derselbe freute sich sehr über den erfolgreichen Ausgang ihres Unternehmens und bat sie, noch einen Tag bei ihm zu bleiben und die Hochzeit noch einmal zu feiern. Da sie damit einverstanden waren, so musste sich der kleine Marder waschen und in seine besten Kleider stecken und seine zahlreichen Freunde, die Wiggnladummuchkik oder Elfen, einladen. Jene erschienen auch bald in festlichem Schmuck und labten sich an den köstlichen Speisen, die Gluskaps Haushälterin inzwischen hergerichtet hatte. Danach wurde bis zum anderen Morgen getanzt. Der alte Gluskap tanzte bis zu allerletzt mit. Mit dem ersten Sonnenstrahl verschwanden die Elfen und die Abenteurer reisten nach Hause.

Der Läufer, der Blaser und der Hamsterhäuptling verließen die Gesellschaft nach und nach. Kaktugwak, der alte Donner, rieb sich vor Freude die Hände, seinen kleinen Donner mit der hübschen Tochter Keukws wohlbehalten wieder bei sich zu sehen.