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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Dreiunddreißigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Dreiunddreißigste Erzählung

Der feurige Waldgeist in Riesengestalt

Herr Major von Winning ging einst als Kornett im königlich preußischen Leib-Carabiniersregiment bei Neuhaldensleben auf die Hasenjagd. Da er gleich anfangs einen feisten Hasen schoss und auf mehrere rechnete, so wollte er bis zur vollendeten Jagd sich der schweren Bürde entledigen und hing sie in dem Gehölz, worin er war, ziemlich versteckt an einen Baum auf. Die Sonne war längst untergegangen, als er dahin zurückkehrte, um den Hasen abzuholen.

Ich hatte mir, erzählte der Herr Major, den Baum mit dem Hasen genau gemerkt und wusste überhaupt im ganzen Wald so gut Bescheid, dass ich auch im Finstern fast jeden Baum und jeden Strauch kannte. Es konnte mir daher nicht fehlen, ich ging geradewegs auf die versteckte Beute los. Aber darum wurde es mir noch nicht so gut, den Hasen ohne Mühe und Zeitverlust da wieder wegzunehmen, wo ich ihn aufgehangen hatte. Vielmehr machte mir ein furchtbar großer Waldgeist, der sich mit feurigen Augen mir in den Weg stellte, den Hasen in allem Ernst streitig.

Ich glaubte als Kornett so wenig wie jetzt an das Dasein wirklicher Gespenster, hielt vielmehr alle ihre sogenannten Erscheinungen für Menschentrug in dem einen oder dem anderen Sinne des Wortes. Und wenn ich gleich beim Anblick des mir den Weg verrennenden Ungeheuers mit Augen voll höllischer Glut nicht wenig zusammenschauderte, so erinnerte ich mich doch bald, dass auch hier wohl nur auszumitteln sein durfte, welche Art von Trug und Täuschung obwalte.

Die außerordentlich dicke und wenigstens zwölf Fuß hohe Schreckensgestalt schien sich gegen einen Baum gelehnt zu haben. Für ein menschliches Wesen war sie viel zu riesenartig. Auch konnte ich mir keinem der Sache angemessenen Zweck denken, warum menschlicher Mutwille hier mitten im Wald um diese Tageszeit spukend gaukeln sollte. Mein feister Hase wäre doch, wie auch die Folge lehrte, ein viel zu kleinlicher Gegenstand gewesen, als dass er irgendeinen lustigen Kopf hätte auf die Gedanken bringen sollen, in der Schnelle ein so großes und wunderbar scheinendes Blendwerk zu veranstalten. Woher nun die zwei Augen voll feuriger Glut im Kopf der Riesengestalt? Sollten sie dem Zufall ihr Dasein verdanken? Aber welch ein Zufall hier im einsamen Gehölz könnte das sein?

Diese und ähnliche Fragen beschäftigten mein Nachdenken, indem ich unverrückten Blickes das seltsame Gespenst ansah. Alles Hin- und Herdenken brachte mich indessen der Wahrheit um nichts näher. Ich gestehe gern, dass ich nicht Entschlossenheit genug hatte, dem Gespenst zu Leibe zu gehen. Man sagt, zu viel Dreistigkeit bringt oft Gefahr und allemal weniger Ehre, als Entschlossenheit mit Vorsicht verschwistert. Dass der Hahn meines Gewehrs gespannt war, versteht sich. Auch hatte ich, als das Gespenst auf keine meiner Anreden antworten wollte, gedroht, zu schießen, sobald es mir nur einen Schritt nähertreten oder etwa die Flucht ergreifen würde. Es war mir sehr lieb, dass ich nicht in die Versuchung kam, diese Drohung wahrmachen zu müssen. Indessen fing ich nun an, das Gespenst, hinter welchem mein Hase hing, zu umgehen. So lange ich ihm noch zur Seite war, sah ich die Feueraugen. Man denke sich mein Erstaunen, als ich allmählich in die Gegend angelangte, welcher das Gespenst den Rücken zukehrte. So verschwanden zwar die Augen, aber die höllische Glut zog sich vergrößert nach unten herab. Ein Gebüsch hinderte mich, deutlich wahrzunehmen, wie dies eigentlich geschah. Indessen stand ich nun vor meinem Hasen und suchte ihn mir aus dem Dickicht eines Dornstrauches neben dem Baum, an welchen ich ihn gehängt hatte, wieder hervor. Sobald mich das Gesträuch nicht mehr von jener spukhaften Erscheinung trennte, lag mir das ganze Goliathgeheimnis klar und aufgedeckt vor Augen.

Irgendjemand – wahrscheinlich Hirtenjungen – hatten innerhalb eines dicken, hohlen und oben gestutzten Baumstammes, Feuer angezündet, ohne dasselbe wieder auszulöschen. Dies war entweder erst nach der Zeit geschehen, in welcher ich den Hasen in dieses Baumes Nachbarschaft verbarg, oder ich hatte wenigstens den Rest des vielleicht nur noch glimmenden Feuers nicht bemerkt. Dieser war durch den Wind wieder neu angefacht worden und hatte sich in dem morschen Holz der inneren Seite des Stammes in die Höhe gezogen. Zwei nebeneinander befindliche Astlöcher zeigten mir die übrigens von vorn unsichtbare innere Glut, die meine Einbildungskraft für die Flammenaugen des Ungeheuers hielt. Als ich den inwendig glühenden Baum umging, verlor ich natürlich diese Astlöcher aus dem Blickfeld, aber ich sah die Glut unten im Stamm.

So kam also der Gespensterkampf, zu welchem ich mich anschickte, nicht zum Ausbruch.