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Deutsche Märchen und Sagen 24

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

24. Jack mit seinem Flötchen

Es sind nun schon mehr denn eins, zwei, drei Jahre verflossen, da lebte ein Bauersmann, der hieß Hänschen von Tichelen, der hatte mit seiner Frau einen Sohn, der hieß Jack. Als der Jack ungefähr sechs Jahre alt war, starb Hänschens Frau, seine Mutter. Hänschen gefiel der Witwerstand aber nicht gar sehr und er sah sich bald nach einer anderen Frau um.

Als er nun eines Tages in ein reiches Haus in der Stadt Holz brachte, sah er daselbst eine Magd. Die stand ihm an und er fragte sie: »Willst du meine Frau werden?«

Die Magd wusste, dass Hänschen fett darin saß, darum zögerte sie nicht lange mit der Antwort und sprach: »Ei warum nicht?«

Da heirateten die zwei. Bis dahin ging alles gut. Als aber die neue Frau einmal im Hause war, da fand sie an allem etwas auszusetzen: Mit der Buttermilch konnte sie keine Bekanntschaft machen, das Kuhmelken und Misttragen machte ihr nicht viel Freude und sie lag Hänschen so lang in den Ohren, bis er neben der Bäuerei noch ein Wirtshaus einrichtete.

Nun kamen die Puppen ans Tanzen. Die neue Frau sah gar nicht mehr nach dem Hof, sondern lag den ganzen Tag hinter den Wirtstischen und alle junge Gelbschnäbel und Milchbärte der Gegend liefen sich bald die Sohlen ab, um nur stets in der Schenke zu sein. Keiner hatte es schlimmer dabei als der arme Jack. Wie sehr Hänschen den Jungen liebte, so wenig konnte die böse Stiefmutter ihn leiden. Mit jedem Tag wurde sie ärger gegen ihn.

Endlich sprach sie zu Hänschen, der Junge faulenze immer im Haus herum und es sei Zeit, dass er einmal zu anderen Leuten käme. Hänschen aber sprach, das wäre nicht nötig, der Junge könnte gar wohl die Schafe hüten und der Schafhirt andere Arbeit tun. So geschah es denn auch.

Aber was kriegte der arme Jack da für schlechtes Essen mit! Kein Hund hätte es angerührt, er musste es aber essen, weil er nichts anderes bekam.

Als er einmal nun so dasaß und seine Brotkrusten nagte, kam ein greises, altes Männchen zu ihm, das sprach: »Ach, gib mir doch ein bisschen zu essen. Ich habe viel Hunger.«

Da gab ihm Jack das größte Stück und das Männchen sprach: »Dafür, dass du so gut bist, lasse ich dir drei Dinge zu wünschen. Nun sag mir, was du haben möchtest.«

Jack sprach: »Wenn ich mir was wünschen sollt, dann wär das erstens ein Bogen, womit ich alles schießen könnte, was ich wollte.«

»Den Bogen sollst du haben«, sprach das Männchen.

»Zweitens«, sagte Jack, »ein Flötchen, und wenn ich darauf blase, dann muss jeder tanzen, der es hört.«

»Das Flötchen sollst du haben«, sprach das Männchen.

»Und drittens«, fuhr Jack fort, »müsste meine Stiefmutter jedes Mal laut krähen, wenn sie über mich klagen wollte.«

»Das soll ihr geschehen«, sprach das Männchen, gab Jack den Bogen und das Flötchen. Und war weg, ehe Jack wusste, wohin.

Der Jack war froh! Er schoss sich alsbald ein Dutzend Vögel aus der Luft herunter. Als die da lagen, da spielte er zur Probe einmal auf seinem Flötchen. All seine Schafe begannen zu hüpfen und zu springen, dass es eine Lust war. Da verging ihm der Hunger und er sprang abends wie ein Häschen nach Hause, ging dann später zu seinem Vater und sagte ihm, dass die Stiefmutter ihm so schlechtes Essen gegeben hatte.

»Warte«, sprach Hänschen, »dafür sollst du ein Stück gebratenen Kapaun haben.« Er schnitt Jack einen Flügel und ein Beinchen herunter.

Als die Stiefmutter das sah, schrie sie: »Der Lümmel!« Aber zugleich krähte sie: »Kikeriki! Der Faulenzer! Kikeriki! Er lügt, was er betet, Kikeriki!«

Hänschen und die Leute, die in der Wirtsstube waren, meinten, sie wäre toll geworden, und lachten sie derb aus, dass sie fortlaufen musste.

Des anderen Tages kam ein Einsiedler in die Schenke. Dem schüttete sie einmal ihr Herz ganz aus und flehte und bat ihn, er möge den Jungen doch einmal durchprügeln. Es täte nichts, wenn er ihm auch Arm und Bein kaputtschlüge, sie wollte es ihm gern zehndoppelt lohnen.

»Gut«, sprach der Einsiedler. Sie gab ihm einen Dukaten und einen tüchtigen Knüttel, und er sprach: »Nun geh ich ihm die Nähte reiben, dass er in drei Monaten nicht vom Bett kommt.«

Damit ging er, den Knüttel unter der Kutte, zu Jack und fing schon gleich an, zu schimpfen, er wäre ein gottloser Bengel und was der Worte mehr waren.

Jack sah aber das Ende vom Knüttel unten aus der Kutte gucken, dachte: Liegt der Hase da im Pfeffer, dann warte! Und sprach: »Warum gebt Ihr Euch die Mühe, mich zu schimpfen, nehmt lieber die fette Schnepfe da in dem Dorn. Seht, ich schieß sie.«

Damit schoss er. Die Schnepfe lag da, und der Einsiedler sprang auf den Dorn zu. Ja, als er aber darin saß, da fing mein Jack an zu pfeifen. Der Einsiedler fing an zu tanzen, sprang und tanzte, dass die Fetzen von seiner Kutte in dem Dorn hängen blieben und der rote Saft ihm von allen Seiten am Leibe herunterlief. Ja, er behielt endlich kein Zipflein Hemd mehr an und dabei schrie er und lamentierte Auwitsch Auwei, dass es endlich den guten Jack erbarmte und er aufhörte. Der Einsiedler hatte ihm aber zuvor noch den Vogel und den Dukaten geben müssen. Da hätte einer den Mann laufen sehen sollen! Er legte die Fersen in den Nacken, dass es eine rechte Freude war, und blieb nicht eher stillstehen, bis er die Tür von Jacks Haus hinter dem Rücken hatte.

Die Stiefmutter machte Augen, als sie ihn sah, und fragte ihn: »Wer hat Euch denn so zugerichtet?«

Der Einsiedler jammerte: »Niemand anderes als Euer liebes Söhnchen. Der ich weiß nicht wer soll ihn holen!«

Da stand Hänschen da und wusste nicht, was zu sagen, dagegen schrie die Stiefmutter drauf los: »Ich habe es immer gesagt, Kikeriki! An dem Jungen erleben wir noch, Kikeriki! Ärger und Verdruss, Kikeriki! zum Totbleiben, Kikeriki!«

Indessen kam Jack mit seinen Schäfchen von der Weide zurück. Nachdem er sie in den Stall gebracht hatte, trat er in die Kammer, wo das Weib krähte, der Einsiedler jammerte und Hänschen vor lauter Verwunderung kein Wörtlein sprach.

Nun tat Hänschen aber doch den Mund auf und sagte: »Jack, warum hast du den frommen Mann so zugerichtet?«

»Ei«, sprach Jack, »ich spielte auf meinem Flötchen und da fing er an zu tanzen, das ist alles.«

»Das Flötchen möchte ich auch einmal gern hören«, sprach Hänschen.

Doch da fiel der Einsiedler vor ihm auf die Knie, zitterte, bebte und bat: »Ach, goldener Herzensfreund, lasst ihn das doch nicht tun, ach, lasst ihn das nicht tun!«

Jack kehrte sich aber nicht dran, zog sein Flötchen heraus und setzte es an den Mund. Da jammerte der Einsiedler noch mehr und bat endlich: »Ach, dann bindet mich doch an den Bettpfosten fest!«

Da lachten die Leute erst recht herzlich, die in der Wirtsstube saßen. Sie banden den Einsiedler so gut fest, dass er kein Glied rühren konnte. Als das geschehen war, begann Jack zu spielen. Zugleich sprangen all die Leute von den Bänken auf und tanzten. Hänschen tanzte mit und all die Leute auf dem Markt, die das Flötchen hörten, tanzten gleichfalls. Hänschen hatte seine Freude dran, aber das Weib schimpfte. Da musste sie natürlich auch krähen. Das war ein Spektakel. Hast du es nicht gesehen, dann siehst du es noch. Am schlimmsten stand sich der arme Einsiedler, der musste trotz Stricke und Fesseln tanzen. Die Seile rieben ihn so unbarmherzig, dass er kein heiles Fleckchen am ganzen Leibe behielt. Er stieß sich den Kopf fast an dem Bettpfosten entzwei.

Endlich hatte Hänschen doch Mitleid mit dem Einsiedler und befahl Jack, dass er aufhöre, zu spielen. Da hörte auch der Tanz auf. Der Einsiedler fiel aber in Ohnmacht, so schlecht war ihm das Tanzen bekommen. Als er wieder zu sich selbst kam, da lief er weg, was er konnte, und verklagte Jack beim geistlichen Gericht als einen Zauberer, zeigte auch seine Wunden und sagte, die hätte er alle davon.

Da ließen die Richter Jack und seine Stiefmutter kommen und fragten diese: »Ist es wahr, dass Euer Sohn ein Zauberer ist?«

»Ja, ihr Herren, Kikeriki!«, sprach sie. »Er ist ein, Kikeriki! Zauberer, und mir hat er es auch angetan, Kikeriki!«

Als die Richter das hörten, fingen sie alle an zu lachen, meinten, die Frau hätte einen zu viel oder einen zu wenig, aber der Einsiedler sprach, das Krähen hätte sie auch dem Jack zu verdanken. Da befahlen die Richter ihr, alles zu sagen, was sie von Jack wüsste. Sie fing zu schimpfen und zu krähen an, dass kein Mensch sich ernsthalten konnte. Als sie nun auserzählt hatte, sprachen die Richter, man müsse sich erst überzeugen, ob das Flötchen auch die Kraft hätte. Aber da hätte einer den Einsiedler sehen müssen. Der nahm als geschwind seine Beine unter den Arm und gab sich durch die Kordel.

Jack lachte, setzte sein Flötchen an und pfiff. Die geistlichen Herren sprangen über Tische und Bänke. Es war gut, dass ihre Röcke schwarz waren, sonst wären dieselben von der Tinte schwarz geworden, die überall herumlief. Nachdem sie also schon eine gute Zeit getanzt hatten, sprachen die Richter zu Jack, er solle nun aufhören. Es wäre genug, sie wüssten es nun.

»Ja«, sprach Jack, »ich will aufhören, wenn Ihr mir versprechen wollt, mich in Frieden zu lassen.«

Das wollten sie erst nicht, doch sie mussten es endlich wohl. Da ging Jack ruhig nach Hause und der Einsiedler kroch auf Hand und Fuß zu seiner Einsiedelei.

Die Stiefmutter hatte aber keine Ruhe, ging nun zum weltlichen Gericht und klagte und krähte so lang, versprach den Richtern auch so manch Stück Geld, dass die Jack wollten greifen lassen. Der hatte inzwischen noch manch Stückchen mit seinem Flötchen ausgerichtet, ging gar in einer Nacht vor das Haus des obersten Richters und pfiff, sodass der Richter mit all seinen Nachbarn im Hemd aus dem Bett sprang und die Treppe heruntergetanzt kam bis auf den Markt. Die Nachbarn taten desgleichen, mussten bei allem Ärger doch lachen, denn es nahm sich allzu gut aus, wie sie da herumsprangen. Am anderen Morgen aber machte der oberste Richter aus dem Spaß Ernst und ließ Jack greifen und vor sich bringen, machte kurze Metten mit ihm und verwies ihn zum Galgen. Das war nun gut, aber als mein Jack oben auf der Leiter stand, da zog er sein Flötchen heraus und begann zu pfeifen. Der Henker tanzte die Leiter herab, dass er fast Arm und Beine brach, und all die Zuschauer tanzten mit und keiner konnte Jack greifen. Der ging im Gegenteil ganz ruhig aus der Stadt und nach Hause.

Indem er aber durch den Garten gehen wollte, sah er wie seine Stiefmutter ein Loch grub und darin einen großen Schatz verbarg, hörte auch, wie sie sprach: »Hänschen soll den Schatz nicht finden, der sucht ihn nicht hier.«

Nachdem sie dann fein säuberlich alles wieder in Ordnung gebracht hatte, ging sie nach Hause, und Jack ging ihr nach. Das war ein Schrecken, als sie Jack sah! Erst meinte sie, es wäre sein Geist gewesen, denn sie dachte nicht anders, als hinge er längst am Galgen.

Als sie aber merkte, dass es Jack doch wirklich und wesentlich war, da sang sie ein anderes Lied und tat ganz freundlich mit ihm, gab ihm gut Essen und alles, bis sie einmal sein Flötchen erwischte. Da verbrannte sie es zu Pulver. Jack war untröstlich, nahm einen Strick und wollte sich aufknüpfen, doch indem er durch den Garten ging, fiel sein Auge auf die Stelle, wo der Stiefmutter Schatz lag. Da sprang er dreimal herum auf einem Bein, warf den Strick hin und lief mit dem Schatz davon. Hänschen klagte und schrie: »Ach, wo ist mein Jack!«. Er fragte überall nach ihm und drohte seiner Frau, er wolle ihr den Rücken mit einem eichenen Tüchlein einreiben, wofern sie ihm Jack nicht schaffe.

Da lief sie in den Garten, dachte: Jetzt nehme ich meinen Schatz und gehe meiner Wege.«, Aber proficiat, der Vogel war ausgeflogen. Aus Ärger erhängte sie sich mit dem Strick, den Jack weggeworfen hatte. Als Jack hörte, dass sie tot war, kam er zu Hänschen zurück. Die beiden lebten recht zufrieden miteinander bis an ihr seliges Ende.