Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Elbsagen 04

Elbsagen
Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten
Für die Jugend ausgewählt von Prof. Dr. Oskar Ebermann
Verlag Hegel & Schade, Leipzig

4. Der Zaubergarten im Marienberg

In der schroffen Felswand des Marienberges befindet sich eine Höhle, die vor Zeiten so tief in den Berg hineingegangen ist, dass man bei Ziebernick einen zweiten Ausgang sehen konnte. Diese Höhle wurde einst von zwölf Zwergen bewohnt, die ein dreizehnter, bei weitem kleinerer Gnom beherrschte. Schon zur Zeit des Heidentums übten die kleinen Wichte ihren Spuk. Als aber das Christentum die heidnischen Götter vertrieben hatte, vermieden sie das Zusammensein mit den Menschen und zogen sich in das Innere des Berges zurück, weil sie fürchteten, von den Geisterbannern verfolgt zu werden. Auch befahl dem Zwergenkönig ein Gesetz des Geisterreiches, dem er gehorchte, dass er nur so lange in dieser Gegend wohnen dürfe, wie die gute Zeit währen würde. Um nun seine Herrschaft nicht zu verlieren, wandte der Kobold jedes Mittel an. Er passte der guten Zeit auf, fing sie und sperrte sie in sein verborgenstes Gemach.

In der Zeit lebte am Ufer der Elbe ein alter Fischer. Er war ein fleißiger Mann, hatte aber doch nicht viel in die Suppe zu brocken. Neben dem Fischfang hatte er noch einen kleinen Nebenverdienst dadurch, dass er mit seinem Boot die Leute über die Elbe fuhr. Einst, als er von der Fischerei ermüdet den Kahn anband und sich zur Ruhe begeben wollte, kam atemlos ein altes Mütterchen herbeigeeilt und bat ihm, sie schnell über den Fluss zu setzen. Sie verhieß ihm großen Lohn, wenn er sich beeilte. Brummend löste der Alte seinen Kahn vom Pfahl und fuhr sie über.

Am anderen Ufer schwang sich das Mütterchen aus dem Boot und sagte: »Fährmann, deinen Lohn bekommst du von den dreizehn Knaben, die am anderen Ufer auf dich warten!«

»Ei, du Hexe!«, fluchte der Mann der Alten nach, »die da drüben zahlen wahrscheinlich auch so wie du.«

Aber als er wieder zurückgekehrt war, gaben ihm die grauen Männchen viele uralte Münzen, damit er sie nur schnell auf das andere Ufer bringe. Sie sagten, sie müssten ihrer entflohenen Gefangenen nacheilen, um sie wiederzubekommen. Zwölf Zwerge stiegen ein, und einer blieb zurück. Dieser versprach den Fischer zum glücklichsten Mann zu machen, wenn er seine Leute so schnell wie möglich übersetzen würde. Der rüstige Alte gebrauchte kräftig das Ruder. In kurzer Zeit hatte er die zwölf übergesetzt, und ebenso schnell war er wieder mit seinem Boot zurück.

Nun befahl der Graue dem Fischer, ihm zu folgen. Sie traten in die Vorhöhle ein, und der Zwerg berührte mit einem silbernen Stäbchen die Felswand. Die sprang mit lautem Krachen auf, und nun bot sich ein hell erleuchteter Saal den Augen des staunenden Fährmannes dar. Das blendende Licht ging von einem in der Mitte der Decke angebrachten Karfunkel aus und beleuchtete die mit Gold, Silber und Edelsteinen aller Art bedeckten Wände. Die beiden eilten durch den weiten Saal und traten durch eine Glastür in einen Wundergarten.

Hier verließ der Berggeist den Alten, indem er ihm zurief. »Betrachte die Herrlichkeiten unseres Reiches und fülle deine Taschen mit dem, was dir gefällt. Dann aber kehre zu den deinen zurück!«

Staunend sah der Alte Wunder über Wunder um sich her. Auf den Gängen waren kleine geschliffene Granaten, Bergkristalle und andere Edelsteine von geringerem Wert in kleinen Teilchen als Sand gestreut. An kupfernen Bäumen mit silbernen Blättern prangten Früchte von reinem Gold, aus zierlichen Springbrunnen vom feinsten Alabaster sprudelten verschieden­farbige Wasser hervor. In den Blumenbeeten wiegten sich an silbernen Stängeln Veilchen aus Amethysten, Maiglöckchen von Chalzedon, Primeln von Goldtopas und Granaten. Viele andere Blumen aus Diamanten, Smaragden und Rubinen waren zierlich in den Beeten nebeneinandergestellt. Hier und dort standen Götterbilder aus kostbarem Erz, im Hintergrund aber war ein in hellem Licht strahlender Gartentempel, der ihn derart blendete, dass er es nicht wagte, näher hinzutreten. Zuerst sammelte er nur die hier und da hingestreuten bunten Steinchen, dann wagte er es, ein Blümchen zu pflücken. Endlich erlaubte er sich, nach den goldenen Früchten zu langen. Seine Taschen waren voll von den Herrlichkeiten. Fröhlich kehrte er nun um. Als er an dem purpurfarbenen Springquell vorbeiging, fiel ihm ein Tropfen der roten Flüssigkeit auf den Daumennagel der rechten Hand. Vergebens bemühte er sich, das Nass hinwegzuwischen. Es war rasch getrocknet, und der Nagel des Daumens wurde golden und blieb es zeit seines Lebens.

Als er wieder in den Saal trat, empfing ihn der Berggeist und sprach: »Nun bist du geborgen für die schlechten Zeiten, die nun kommen werden. Wende deinen Reichtum gut an und sorge wohltätig für deine Freunde!«

Hierauf führte ihn der Zwerg auf demselben Wege aus dem Felsen, worauf sich der Berg hinter ihnen schloss. Nichts war mehr von einem Eingang zu bemerken als die noch bestehende enge Vorhöhle.