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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Zweiter Teil – Zweiunddreißigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Zweiunddreißigste Erzählung

Der geräderte Schlosskastellan Runk zu Berlin reißt spukend Herrn Köppen die Perücke vom Kopf.

Als unter Friedrich Wilhelm dem Ersten im Jahre 1718 das königliche Münz- und Medaillenkabinett und selbst die Schatzkammer durch den Schlosskastellan Runk und den Hofschlosser Stief stark bestohlen worden war und in eben dem Jahr die exemplarische Hinrichtung der Verbrecher zu Berlin vollzogen werden sollte, fand sich eine unglaubliche Menge einheimischer und auswärtiger Zuschauer ein, um vom schrecklichen Schauspiel der Vollziehung des Urteils Augenzeuge zu sein. Unter den Letzteren war auch Herr Köppen, aus Alt-Brandenburg, der nämliche, welcher die daselbst blühende Barchentfabrik des Handlungshauses Wagner und Jordan angelegt hat. Er war ganz in der Nähe der schaudererregenden Szene, welche die überaus qualvolle Bestrafung der Verbrecher gewährte. Allein das Kneifen mit glühenden Zangen und das Rädern von unten auf machte einen höchst widrigen Eindruck auf ihn. Er schämte sich vor sich selbst, und im Namen aller übrigen Zuschauer, dass er auch nur einen Schritt getan hatte, um zwei unglückliche Verirrte zu Tode martern zu sehen. Ja er geriet in Verwirrung beim Anblicke der Tausende, die mit ihm da zu sein schienen, um an den Äußerungen der Schmerzenswut und der hoffnungslosen Verzweiflung gleichsam ihre neugierigen Augen zu weiden. Die Haut grauste ihm, er lief vom Richtplatz, ohne das Ende des Trauerspiels abzuwarten. Zwar dachte er bei sich selbst: Nie will ich wieder durch dergleichen zweideutige Neugier die Menschheit entehren. Allein diese Beschlüsse sicherten ihn keineswegs vor den Folgen des üblen Eindrucks, den jene Mordszene, wovon er wenigstens einen Teil mit angesehen, auf seine Gefühle gemacht hatte. Den ganzen Tag schwebten ihm die Blutenden vor Augen. Die schaudervolle Erinnerung an sie verließ ihn noch weniger am Abend, als es finster zu werden begann.

Zur Zeit dieses Zwielichtes kehrte er aus dem Haus eines Berliner Kaufmanns zum Wirtshaus unter den Linden zurück, in welchem er übernachtete. Als er hierin den langen, auch am Tage nicht recht hellen Gang des oberen Stocks, welcher zu seinem Zimmer führte, eintrat, war es, als umschwebe ihn der Geist der Hingerichteten. Man kann leicht denken, wie ihm ungefähr dabei zumute war.

Nach seiner Versicherung ist nichts imstande, die Empfindung des Grausens und Entsetzens zu übertreffen, welche sich seiner bemächtigte. Er wollte in die Knie gehen. So stark er sich auch machte, so zweifelte er doch, dass er die Tür seines Zimmers erreichen werde. Indessen war seine Natur stärker als der Glaube an seinen Mut und an seine Körperkraft. Aber schauerlich rauschte der Geist neben und hinter ihm her. So sehr ihm auch im eigentlichsten Sinne die Haare zu Berge standen, so hielt er es doch nicht sowohl für eine Folge der sich sträubenden Haare als vielmehr für die Wirkung des Geistes selbst, wenn in dem langen Gang ihm gerade so gemütlich war, als lüftete ein unsichtbares spukhaftes Etwas die Perücke seines Kopfes.

Und sollte er sich in diesem Argwohn wohl getäuscht haben, da er vielmehr beim Eintritt in sein Zimmer in seiner Vermutung bestärkt wurde? Denn was geschah in eben dem Augenblick, im welchem er dem Spukgang entschlüpfte und die Stubentür hinter sich zuschmiss? Der Geist riss ihm die Perücke vom Kopf und schmiss sie nahe bei der Thür auf den Fußboden.

Herr Köppen sah sich angstvoll um, denn er fürchtete den neckenden Geist hinter sich zu erblicken. Allein dieser musste wohl vielleicht durch das Schlüsselloch schon wieder entwischt sein, denn die suchenden Blicke des Geängstigten spähten in der ganzen Stube vergebens nach ihm.

Nun wollte er seine Perücke aufnehmen. Und siehe! Er entdeckte das Gespenst im Zopfband dieser Schwanzperücke, dessen äußeres Ende von ungefähr sich losgewickelt hatte und zwischen der rasch zugeschmissenen Stubentür geklemmt war. Da das andere Emde des Bandes mit einer Nadel am Zopf befestigt war, so schleppte das lange Band auf dem Spukgang hinter Herrn Köppen her und verursachte so das zischende Geräusch, welches die empörte Einbildungskraft des Geisterhörers für eine Kraftäußerung des Geistes der geräderten Schlossdiebe hielt. Das nämliche zwischen die Tür geklemmte Band war auch die Ursache des Falles der Perücke gewesen.