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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere 21

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
4. bis 6. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

V.

Die Gräfin von Winter

Den ganzen Weg entlang ließ sich der Herzog über alles von d’Artagnan Bericht erstatten, nicht über alles, was vorgefallen war, sondern über das, was d’Artagnan davon wusste. Indem er die Mitteilungen des jungen Mannes mit seinen Erinnerungen zusammenhielt, konnte er sich einen genauen Begriff von der Lage machen, von deren Misslichkeit ihm der Brief der Königin, so kurz er auch war, einen Maßstab gab. Er wunderte sich besonders darüber, dass es dem Kardinal, dem so viel daran liegen musste, dass der junge Mann England nicht erreichen konnte, nicht gelungen war, ihn auf dem Weg aufgreifen zu lassen. Als er sein Erstaunen hierüber kund gab, erzählte ihm d’Artagnan von den Vorsichtsmaßregeln, die er genommen, und wie er durch die aufopfernde Ergebenheit seiner drei Freunde, die er blutend und zerstreut auf der Straße zurückgelassen, mit einem Degenstich sich durchgeschlagen, der durch das Billett der Königin gedrungen war, und den er dem Grafen von Wardes mit so furchtbarer Münze zurückbezahlt hatte. Während der Herzog auf diese Erzählung hörte, die mit der größten Einfachheit vorgetragen wurde, schaute er d’Artagnan mit erstaunter Miene an, als könnte er nicht begreifen, wie er so viel Mut, so viel Klugheit, so viel Ergebenheit mit einem Gesicht zusammenreimen sollte, das kaum zwanzig Jahre andeutete.

Die Pferde gingen wie der Wind, und in wenigen Minuten befanden sie sich vor den Toren von London. D’Artagnan hatte geglaubt, der Herzog würde in der Stadt etwas langsamer reiten; aber dem war nicht so. Er setzte seinen Weg in größter Eile fort und kümmerte sich nicht darum, ob er die Leute auf der Straße niederwarf. Wirklich ereigneten sich mehrere Unfälle dieser Art während des Rittes durch die Stadt. Aber Buckingham drehte nicht einmal den Kopf, um zu sehen, was aus denjenigen, welche er niederritt, geworden war. D’Artagnan folgte ihm mitten unter Schreien, welche viel Ähnlichkeit mit Verfluchungen hatten.

Im Hof seiner Villa sprang Buckingham von seinem Pferd, warf ihm gleichgültig den Zügel auf den Hals und stürzte zur Treppe. D’Artagnan tat dasselbe, jedoch mit etwas mehr Unruhe für diese edlen Tiere, deren Verdienst er würdigen gelernt hatte. Aber zu seiner Befriedigung bemerkte er, dass drei bis vier Bedienten aus den Küchen und Ställen herbeiliefen und sich sogleich der Pferde bemächtigten.

Der Herzog ging so rasch, dass d’Artagnan Mühe hatte, ihm zu folgen. Er durchschritt nacheinander mehrere Salons von einer Eleganz, von der selbst die vornehmen Messieurs Frankreichs keinen Begriff hatten, und gelangte endlich in ein Schlafgemach, das zugleich ein Wunder von Geschmack und Reichtum war. Im Alkoven dieses Gemachs war eine in der Tapete angebrachte Tür, welche der Herzog mit einem kleinen goldenen Schlüssel öffnete, den er an einer Kette von demselben Metall am Hals trug. Aus Bescheidenheit war d’Artagnan zurückgeblieben.

Aber in dem Augenblick, wo Buckingham die Schwelle dieser Tür überschritt, drehte er sich um und sprach, als er das Zögern des jungen Mannes wahrnahm: »Kommt, und wenn Ihr die Ehre habt, vor Ihrer Majestät erscheinen zu dürfen, so sagt ihr, was Ihr hier seht.«

Ermutigt durch diese Aufforderung, folgte d’Artagnan dem Herzog, der die Tür hinter sich schloss.

Beide befanden sich nun in einer kleinen mit persischer Seide tapezierten und mit Gold gestickten Kapelle, welche mit einer großen Anzahl von Kerzen stark beleuchtet war. Über einer Art von Altar und unter einem Prachthimmel von blauem Samt, überragt von weißen und roten Federn, gewahrte man ein Porträt in natürlicher Größe, Anna von Österreich so vollkommen ähnlich darstellend, dass d’Artagnan unwillkürlich einen Schrei des Erstaunens ausstieß. Man hätte glauben sollen, Ihre Majestät wäre im Begriff zu sprechen.

Auf dem Altar und unter dem Porträt stand das Kistchen, welches die diamantenen Nestelstifte enthielt.

Der Herzog näherte sich dem Altar, kniete davor nieder wie ein Priester vor dem Christusbild und öffnete das Kistchen.

»Seht«, sprach er, indem er eine große ganz von Diamanten funkelnde blaue Bandschleife hervorzog, »seht, hier sind diese kostbaren Nestelstifte, mit denen ich mich begraben zu lassen geschworen hatte. Die Königin hat sie mir gegeben, die Königin nimmt sie mir wieder, ihr Wille geschehe, wie der Wille Gottes, in allen Dingen.«

Dann küsste er alle diese Stifte, von denen er sich trennen sollte, einen um den anderen. Plötzlich stieß er einen furchtbaren Schrei aus.

»Was gibt es?«, fragte d’Artagnan unruhig. »Was ist Euch, Mylord?«

»Alles ist verloren!«, rief Buckingham, indem er todesbleich wurde. »Zwei von diesen Nestelstiften fehlen; es sind nur noch zehn.«

»Hat Mylord sie verloren oder glaubt er, man könnte sie ihm gestohlen haben?«

»Man hat sie mir gestohlen«, erwiderte der Herzog, »und das ist ein Streich des Kardinals! Seht, die Bänder, an denen sie befestigt waren, sind mit der Schere durchschnitten.«

»Sollte Mylord vermuten, wer den Diebstahl begangen hat? … Vielleicht sind sie noch in den Händen der Person.«

»Geduld!«, rief der Herzog. »Ich trug diese Nestelstifte nur ein einziges Mal vor acht Tagen auf einem Ball des Königs in Windsor. Die Gräfin von Winter, mit der ich gespannt war, näherte sich nur auf diesem Ball. Diese Annäherung war eine Rache der eifersüchtigen Frau. Seitdem habe ich sie nicht wieder gesehen. Sie ist eine Agentin Richelieus.«

»Also gibt es auf der ganzen Welt Agenten von ihm?«, rief d’Artagnan.

»Oh! ja, ja«, sprach Buckingham vor Zorn mit den Zähnen knirschend, »ja, er ist ein furchtbarer Gegner. Doch wann soll der bewusste Ball stattfinden?«

»Nächsten Montag.«

»Nächsten Montag! Fünf Tage also? Das ist mehr Zeit, als wir brauchen. Patrice!«, rief der Herzog, die Tür der Kapelle öffnend. »Patrice!«

Der Kammerdiener erschien.

»Meinen Juwelier und meinen Sekretär!«

Der Kammerdiener entfernte sich mit einer Geschwindigkeit und Schweigsamkeit, woraus sich erkennen ließ, dass er an blinden und stummen Gehorsam gewöhnt war.

Aber obwohl man den Juwelier zuerst gerufen hatte, erschien doch der Sekretär vor diesem. Dies war ganz einfach, denn er wohnte in der Villa. Er fand Buckingham in seinem Schlafzimmer vor einem Tisch sitzend und eigenhändig einige Briefe schreibend.

»Monsieur Jakson«, sprach er, »Ihr begebt Euch stehenden Fußes zum Lordkanzler und sagt ihm, dass ich ihn mit Vollziehung dieser Befehle beauftrage. Ich verlange, dass sie sogleich bekannt gemacht werden sollen.«

»Aber, gnädigster Monsieur, wenn der Lordkanzler mich nach den Motiven fragt, die Eure Herrlichkeit zu so außerordentlichen Maßregeln veranlassen konnten, was soll ich antworten?«

»So habe es mir gefallen, und ich habe niemand über meinen Willen Rechenschaft zu geben.«

»Ist das die Antwort, die er Seiner Majestät zu überbringen hat«, versetzte der Sekretär lächelnd, »wenn Seine Majestät zufällig so neugierig sein sollte, wissen zu wollen, warum kein Schiff aus den Häfen Großbritanniens auslaufen darf?«

»Ihr habt recht, Monsieur«, antwortete Buckingham; »er mag in diesem Fall dem König sagen, ich habe den Krieg beschlossen, und diese Maßregel sei mein erster feindseliger Akt gegen Frankreich.«

Der Sekretär verbeugte sich und trat ab.

»Wir sind nun von dieser Seite her ungestört«, sprach Buckingham, sich gegen d’Artagnan umwendend. »Wenn die Nestelstifte noch nicht nach Frankreich abgegangen sind, so werden sie erst nach Euch ankommen.«

»Wie dies?«

»Ich habe ein Embargo auf alle Schiffe gelegt, welche sich zu dieser Stunde in den Häfen seiner Majestät befinden. Ohne besondere Erlaubnis wird es keines wagen, die Anker zu lichten.«

D’Artagnan betrachtete staunend diesen Mann, der die unbeschränkte Gewalt, womit ihn das Vertrauen des Königs bekleidet hatte, im Dienst seiner Liebschaften ausbeutete. Buckingham bemerkte am Gesichtsausdruck des jungen Mannes, was in seinem Inneren vorging, und lächelte.

»Ja«, sagte er, »ja, Anna von Österreich ist meine wahre Königin. Auf ein Wort von ihr verrate ich mein Vaterland, meinen König, meinen Gott. Sie hat mich gebeten, den Protestanten von La Rochelle die Hilfe nicht zu schicken, die ich ihnen zugesagt hatte, und ich habe es getan. Ich habe mein Wort gebrochen, aber gleich viel, ich gehorchte ihrem Wunsch. Sagt, wurde ich nicht großmütigfür meinen Gehorsam bezahlt? Denn diesem habe ich ihr Porträt zu verdanken.«

D’Artagnan staunte und bedachte, an welch schwachen und unbekannten Fäden oft die Geschicke der Völker und das Leben der Menschen hängen.

Er war ganz in Betrachtungen versunken, als der Goldschmied eintrat. Er war ein Irländer und einer der geschicktesten Künstler seines Fachs. Er gestand selbst, dass er jährlich hundert tausend Livres beim Herzog von Buckingham gewann.

»Monsieur O’Reilly«, sagte der Herzog, indem er ihn in die Kapelle führte, »betrachtet diese diamantenen Nestelstifte und sagt mir, was das Stück wert ist.«

Der Goldschmied warf einen Blick auf die zierliche Fassung, berechnete den Wert jedes einzelnen Diamants und antwortete ohne Zögern: »Fünfzehnhundert Pistolen das Stück.«

»Wie viel Tage braucht man, um zwei solche Nestelstifte zu machen, wie diese sind? Ihr seht, dass zwei fehlen.«

»Acht Tage, Mylord.«

»Ich bezahle Euch dreitausend Pistolen für das Stück; übermorgen muss ich sie haben.«

»Mylord wird sie haben.«

»Ihr seid ein kostbarer Mann, Monsieur O’Reilly, aber das ist noch nicht alles. Diese Stifte kann man niemand anvertrauen, sie müssen in meinem Palast gemacht werden.«

»Unmöglich, Mylord, nur ich bin imstande, die Arbeit so auszuführen, dass man den Unterschied zwischen den neuen und den alten nicht sieht.«

»Dann seid Ihr mein Gefangener, mein lieber Monsieur O’Reilly, und dürft den Palast von dieser Stunde an nicht mehr verlassen. Entschließt Euch also. Nennt mir diejenigen Eurer Gehilfen, deren Ihr bedürft, und bezeichnet mir die Werkzeuge, die sie mitbringen sollen.«

Der Goldschmied kannte den Herzog! Er wusste, dass jede Gegenbemerkung vergeblich gewesen wäre, und fasste also sogleich seinen Entschluss.

»Es wird mir erlaubt sein, meine Frau davon in Kenntnis zu setzen?«, fragte er.

»Oh! Es ist Euch auch erlaubt, sie zu sehen, mein lieber O’Reilly. Seid unbesorgt, Eure Gefangenschaft soll mild sein, und da jede Störung eine Schadloshaltung heischt, so nehmt außer dem Preis für die zwei Nestelstifte diese Anweisung auf tausend Pistolen, damit Ihr leichter die Beschwerde vergesst, die ich Euch verursache.«

D’Artagnan konnte sich von seinem Erstaunen über diesen Minister nicht erholen, der mit vollen Händen Menschen und Millionen in Bewegung setzte.

Der Goldschmied schrieb an seine Frau und schickte ihr die Anweisung auf tausend Pistolen, mit dem Auftrag, ihm dagegen seinen geschicktesten Gesellen, ein Sortiment von Diamanten, die er ihr dem Gewicht und Titel nach bezeichnete, und eine Anzahl von Instrumenten, deren er bedurfte, zuzusenden.

Buckingham führte den Goldschmied in das für ihn bestimmte Zimmer, welches nach Verlauf einer halben Stunde in eine Werkstätte verwandelt war. Dann stellte er eine Wache vor jede Tür mit dem strengen Verbot, irgendjemand außer seinem Kammerdiener Patrice einzulassen. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass es dem Goldschmied O’Reilly und seinem Gehilfen unter keinem Vorwand gestattet war, den Palast zu verlassen.

Nachdem der Herzog diesen Punkt geordnet hatte, kehrte er zu d’Artagnan zurück.

»Nun, mein junger Freund«, sprach er, »nun gehört England uns beiden. Was wollt Ihr, was wünscht Ihr?«

»Ein Bett«, antwortete d’Artagnan, »das ist in diesem Augenblick für mich das wesentlichste Bedürfnis.«

Buckingham gab d’Artagnan ein Zimmer, das an das seine stieß. Er wollte den jungen Mann bei der Hand behalten, nicht, als ob er ihm misstraut hätte, sondern um einen Menschen bei sich zu haben, mit dem er beständig von der Königin sprechen konnte.

Eine Stunde danach wurde in London der Befehl verkündigt, kein nach Frankreich bestimmtes Schiff aus den Häfen auslaufen zu lassen, nicht einmal das Briefpaketboot. Dies war in aller Augen eine Kriegserklärung zwischen den zwei Königreichen.

Am zweiten Tag um elf Uhr waren die diamantenen Nestelstifte vollendet und so genau nachgeahmt, so vollkommen ähnlich, dass Buckingham die neuen nicht von den alten unterscheiden konnte, und dass das geübteste Kennerauge sich getäuscht hätte.

Sogleich ließ der Herzog d’Artagnan rufen.

»Hier sind die diamantenen Nestelstifte, die Ihr holen wolltet. Seid mein Zeuge, dass ich alles getan habe, was in der Macht eines Menschen lag.«

»Seid unbesorgt, Mylord, ich werde erzählen, was ich gesehen habe, aber Ew. Herrlichkeit legen die Nestelstifte nicht wieder in das Kistchen.«

»Das Kistchen wäre unbequem für Euch. Überdies ist es für mich um so kostbarer, als es mir allein bleibt. Ihr werdet sagen, dass ich es behalte.«

»Euer Auftrag soll Wort für Wort vollzogen werden, Mylord.«

»Und nun«, sprach Buckingham und schaute dabei den jungen Mann fest an, »wie soll ich meine Schuld gegen Euch abtragen?«

D’Artagnan errötete bis unter das Weiß der Augen. Er sah, dass der Herzog ihn bewegen wollte, irgendetwas anzunehmen. Der Gedanke, dass das Blut seiner Gefährten und das seine mit englischem Golde bezahlt werden sollte, widerstrebte ganz und gar seiner Denkungsart.

»Verständigen wir uns, Mylord«, versetzte d’Artagnan, »wägen wir die Umstände vorher genau ab, damit nicht nachher ein Missverständnis daraus entstehe. Ich bin im Dienst des Königs und der Königin von Frankreich und gehöre zu der Gardekompanie des Monsieurs des Essarts, welcher, wie sein Schwager, Monsieur de Tréville, Ihren Majestäten ganz besonders ergeben ist. Ich habe also alles für die Königin und nichts für Ew. Herrlichkeit getan. Überdies hätte ich vielleicht von all dem gar nichts ausgeführt, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte, einer Person angenehm zu sein, welche meine Dame ist, wie die Königin die Eure.«

»Ja«, sprach der Herzog lächelnd, »und ich glaube sogar die andere Person zu kennen. Es ist … «

»Mylord, ich habe sie nicht genannt«, unterbrach ihn der junge Mann lebhaft.

»Das ist wahr«, sprach der Herzog. »Also muss ich dieser Person für Eure Aufopferung dankbar sein?«

»Ihr habt es gesagt, Mylord, denn gerade zu dieser Stunde, wo von einem Krieg die Rede ist, gestehe ich, dass ich in Ew. Herrlichkeit nur einen Engländer und folglich einen Feind sehe, dem ich noch viel lieber auf dem Schlachtfeld als im Park von Windsor oder in den Gängen des Louvre begegnen würde, was mich indessen nicht abhalten soll, meine Sendung zu vollziehen und mich nötigenfalls in Erfüllung derselben töten zu lassen. Aber ich wiederhole Ew. Herrlichkeit, dass Ihr mir persönlich ebenso wenig für das zu danken habt, was ich bei diesem zweiten Zusammentreffen für mich tue, als für das, was ich bei dem ersten für Euch getan habe.«

»Wir sagen: Stolz wie ein Schottländer«, murmelte Buckingham.

»Und wir sagen: Stolz wie ein Gascogner«, antwortete d’Artagnan. »Die Gascogner sind die Schottländer Frankreichs.«

D’Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und schickte sich an, zu gehen.

»Nun? Ihr geht, wie Ihr da seid! Auf welchem Wege, wie?«

»Das ist wahr!«

»Gott verdamm mich! Die Franzosen bedenken gar nichts.«

»Ich hatte vergessen, dass England eine Insel ist, und dass Ihr der König derselben seid.«

»Geht in den Hafen, fragt nach der Brigg Sund, stellt dem Capitaine diesen Brief zu. Er wird Euch zu einer Bucht führen, wo man Euch gewiss nicht erwartet, und wo gewöhnlich nur Fischerboote landen.«

»Wie heißt diese Bucht?«

»Saint Valery. Doch wartet: Hier angelangt, geht Ihr in eine schlechte Herberge ohne Namen und Schild, in eine wahre Matrosenschenke. Ihr könnt Euch nicht täuschen; es gibt nur eine daselbst.«

»Danach?«

»Ihr fragt nach dem Wirt und sagt ihm: Forward

»Was soll das heißen?«

»Vorwärts: Das ist das Losungswort. Er wird Euch ein gesatteltes Pferd geben und den Weg nennen, den Ihr einzuschlagen habt. Auf dieselbe Art findet Ihr vier Relais auf Eurer Route. Wenn Ihr wollt, so gebt Ihr jedem derselben Eure Adresse in Paris, und die vier Pferde werden Euch dahin folgen. Zwei davon kennt Ihr bereits und es schien mir, Ihr wusstet sie als Liebhaber zu schätzen. Es sind die beiden, welche wir ritten. Glaubt mir, die zwei anderen stehen nicht hinter ihnen zurück. Diese vier Pferde sind für das Feld ausgerüstet. So stolz Ihr auch sein mögt, werdet Ihr Euch doch nicht weigern, eines für Euch und die drei anderen für Eure Gefährten anzunehmen. Ihr nehmt sie ja, um damit Krieg gegen uns zu führen. Der Zweck heiligt das Mittel, wie ihr Franzosen sagt, nicht wahr?«

»Ja, Mylord, ich nehme Euer Anerbieten an«, sprach d’Artagnan, »und wir werden, wenn es Gott gefällt, einen guten Gebrauch von Euren Geschenken machen.«

»Nun, Eure Hand, junger Mann, vielleicht treffen wir uns bald auf dem Schlachtfeld, mittlerweile scheiden wir gewiss als gute Freunde.«

»Ja, Mylord, aber in der Hoffnung, bald Feinde zu werden.«

»Seid ruhig, ich verspreche es Euch.«

»Ich baue auf Euer Wort, Mylord.«

D’Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und lief rasch zum Hafen.

Dem Tower von London gegenüber fand er das bezeichnete Schiff, stellte den Brief dem Capitaine zu, der ihn von dem Hafengouverneur visieren ließ und sogleich unter Segel ging.

Fünfzig Schiffe warteten zum Auslaufen bereits. Als d’Artagnan Bord an Bord an einem derselben vorüberfuhr, glaubte er die Frau von Meung zu erkennen, dieselbe, welche der unbekannte Edelmann Mylady genannt, und die er selbst so schön gefunden hatte.

Aber mithilfe der raschen Strömung und eines guten Windes ging das Schiff so geschwind, dass er in einem Augenblick den übrigen Fahrzeugen aus dem Auge war.

Am anderen Tage gegen neun Uhr morgens ankerte man vor Saint Valery.

D’Artagnan wandte sich sogleich zu der bezeichneten Herberge und erkannte dieselbe an dem Geschrei, welches daraus hervordrang. Man sprach von dem Krieg zwischen England und Frankreich als von einer nahen bevorstehenden und unzweifelhaften Sache, und die Matrosen feierten zum Voraus ein lustiges Gelage.

D’Artagnan durchschritt die Menge, ging auf den Wirt zu und sprach das Wort Forward aus. Sogleich deutete ihm der Wirt durch ein Zeichen an, er möge ihm folgen, entfernte sich mit ihm durch eine Tür, welche zum Hof ging, führte ihn in den Stall, wo ein völlig gesatteltes und aufgezäumtes Pferd seiner harrte und fragte ihn, ob er sonst noch etwas bedürfe.

»Ich brauche nur den Weg kennenzulernen, den ich einzuschlagen habe«, sagte d’Artagnan.

»Geht von hier nach Blangy, und von Blangy nach Neufchatel. In Neufchatel steigt an der Herberge Zur goldenen Egge ab, sagt dem Wirt das Losungswort, und Ihr werdet wie hier ein Pferd mit Sattel und Zeug finden.«

»Habe ich Euch etwas zu entrichten?«, fragte d’Artagnan.

»Es ist alles bezahlt«, antwortete der Wirt, »und zwar reichlich. Geht also, und Gott geleite Euch.«

»Amen!«, erwiderte der junge Mann und ritt im Galopp von dannen.

Vier Stunden später war er in Neufchatel.

Er befolgte streng die Instruktion, welche er erhalten hatte. In Neufchatel, wie zuvor in Saint Valery, fand er ein Pferd mit Sattel und Zeug, das seiner harrte. Er wollte die Pistolen aus dem Sattel nehmen, den er verließ, und in den anderen übertragen. Die Halfter waren bereits mit ähnlichen Pistolen ausgerüstet.

»Eure Adresse in Paris?«

»Villa der Garden, Kompanie des Essarts.«

»Gut«, antwortete der Wirt.

»Welche Route soll ich nehmen?«, fragte d’Artagnan.

»Die von Rouen. Ihr lasst aber die Stadt zu Eurer Rechten. In dem kleinen Dorf Ecouis haltet Ihr an. Es gibt dort nur eine Herberge, die Zum französischen Taler. Beurteilt sie nicht nach ihrem Aussehen. In ihrem Stall findet Ihr ein Pferd, das so viel wert ist, wie dieses.«

»Dasselbe Losungswort?«

»Ganz dasselbe.«

»Gott befohlen, Meister!«

»Glückliche Reise, edler Monsieur. Bedürft Ihr sonst noch etwas?«

D’Artagnan machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen und gab seinem Pferd die Sporen. In Ecouis wiederholte sich dieselbe Szene. Er fand einen ebenso zuvorkommenden Wirt, ein frisches, ausgeruhtes Pferd, ließ seine Adresse zurück, wie er es vorher getan hatte, und ritt mit derselben Eile nach Pontoise. In Pontoise wechselte er zum letzten Mal, und um neun Uhr abends sprengte er in vollem Galopp in den Hof des Monsieurs de Tréville. Er hatte beinahe sechzig Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.

Monsieur de Tréville empfing ihn, als ob er ihn an demselben Morgen gesehen hätte, nur drückte er ihm die Hand etwas lebhafter, als gewöhnlich. Er teilte ihm mit, dass die Kompanie des Monsieurs des Essarts im Louvre die Wache habe, und dass er sich sogleich auf seinen Posten begeben könne.