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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die drei Musketiere 20

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
4. bis 6. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

IV.

Die Reise

Um zwei Uhr morgens zogen die vier Abenteurer durch die Barriere St. Denis aus Paris. So lange es Nacht war, blieben sie stumm. Unter dem Einfluss der Dunkelheit erblickten sie unwillkürlich überall Hinterhalte. Erst bei den ersten Strahlen des Tages lösten sich ihre Zungen. Mit der Sonne kehrte ihre Heiterkeit wieder: Es war wie am Vorabend einer Schlacht. Das Herz klopfte in der Brust, die Augen lachten, man fühlte, dass das Leben, von dem man vielleicht scheiden sollte, am Ende doch ein schönes Ding war.

Der Anblick der Karawane hatte etwas Furchtbares: Die Rappen der Musketiere, ihre martialische Tournure, die Gewohnheit der Schwadron, welche die edlen Gefährten der Soldaten regelmäßig marschieren lässt, hätten das strengste Inkognito verraten.

Die Bedienten folgten, bis an die Zähne bewaffnet.

Alles ging gut bis Chantilly, wo man gegen acht Uhr morgens anlangte. Man musste frühstücken und stieg vor einer Herberge ab, die sich durch ein Schild, den heiligen Martin darstellend, wie er die Hälfte seines Mantels einem Armen gibt, empfahl. Man schärfte den Lakaien ein, die Pferde nicht abzusatteln und sich zu schleunigem Aufbruch bereit zu halten.

Die vier Freunde traten in das gemeinschaftliche Wirtszimmer und setzten sich zu Tisch.

Ein Monsieur, welcher auf der Straße von Dampmartin angelangt war, saß am selben Tisch und frühstückte. Er fing an, von Regen und schönem Wetter zu sprechen. Die Reisenden antworteten; er trank auf ihre Gesundheit. Die Reisenden erwiderten diese Höflichkeit.

Aber in dem Augenblick, wo Mousqueton ankündigte, die Pferde seien bereit, und man vom Tische aufstand, schlug der Fremde Porthos die Gesundheit des Kardinals vor. Porthos antwortete, er sei ganz damit einverstanden, wenn der Fremde ebenfalls auf die Gesundheit des Königs trinken wolle. Der Fremde antwortete, er kenne keinen anderen König, als Seine Eminenz. Porthos nannte ihn einen Trunkenbold; der Fremde zog seinen Degen.

»Ihr habt eine Albernheit begangen«, sprach Athos, »gleich viel, jetzt lässt sich nicht mehr zurückweichen. Tötet diesen Menschen und holt uns so schnell als möglich wieder ein.«

Alle drei bestiegen wieder ihre Pferde und jagten mit verhängten Zügeln davon, während Porthos seinem Gegner versprach, er werde ihn mit allen in der Fechtkunst bekannten Stößen durchbohren.

»Dies der erste«, sagte Athos nach fünfhundert Schritten.

»Aber warum hat dieser Mensch eher Porthos, als jeden anderen angegriffen?«, fragte Aramis.

»Weil Porthos viel lauter sprach als wir, weshalb er ihn für unseren Führer gehalten hat.«

»Ich habe immer gesagt, dieser gascognische Kadett sei ein wahrer Brunnen der Weisheit«, murmelte Athos.

Die Reisenden setzten ihren Marsch fort.

In Beauvais hielt man zwei Stunden an, sowohl um die Pferde ausschnaufen zu lassen, als auch um Porthos zu erwarten. Als dieser nach Verlauf von zwei Stunden nicht erschien und auch keine Nachricht von ihm eintraf, begab man sich wieder auf den Weg.

Eine Meile von Beauvais, an einer Stelle, wo die Straße zwischen zwei Böschungen eingezwängt war, stieß man auf acht bis zehn Menschen, welche, da man hier gerade das Pflaster aufgebrochen hatte, aussahen, als ob sie hier arbeiteten, um Löcher zu graben oder die Straße auszubessern.

Aramis, der seine Stiefel in diesem künstlichen Schlammloch zu beschmutzen fürchtete, redete sie mit harten Worten an. Athos wollte ihn zurückhalten, es war zu spät. Die Arbeiter fingen an, die Reisenden zu verspotten. Ihre Frechheit brachte den kalten Athos so sehr außer sich, dass er sein Pferd gegen einen von ihnen antrieb.

Nun wich jeder dieser Menschen bis zu dem Graben zurück und ergriff eine verborgene Muskete. Aramis wurde von einer Kugel getroffen, die durch seine Schulter drang, Mousqueton von einer anderen, welche im fleischigen Teil der Lende stecken blieb. Mousqueton fiel indessen allein vom Pferd, nicht als ob er schwerer verwundet gewesen wäre. Aber da er die Wunde nicht sehen konnte, so hielt er sich ohne Zweifel für viel gefährlicher verletzt, als er es in der Tat war.

»Das ist ein Hinterhalt!«, rief d’Artagnan, »lassen wir unser Zündkraut unverbrannt, und vorwärts!«

Aramis nahm trotz seiner Wunde sein Pferd bei der Mähne, und dieses trug ihn mit den anderen fort. Das von Mousqueton holte sie wieder ein und galoppierte ganz allein und in seiner Reihe.

»Das gibt uns ein Pferd zum Wechseln«, sagte Athos.

»Ein Hut wäre mir lieber«, sprach d’Artagnan, »der meine ist von einer Kugel fortgerissen worden. Es ist nur ein Glück, dass der Brief, den ich trage, nicht darin war.«

»Bei Gott! Sie werden den armen Porthos töten, wenn er vorüberkommt«, sprach Aramis.

»Wenn Porthos auf den Beinen wäre, so müsste er uns bereits eingeholt haben«, sagte Athos. »Meiner Meinung nach hat der Trunkenbold auf dem Kampfplatz den Rausch verloren.«

Man galoppierte noch zwei Stunden lang, obwohl die Pferde so ermüdet waren, dass man befürchten musste, dass sie bald den Dienst versagen würden.

Die Reisenden hatten einen Seitenweg eingeschlagen, in der Hoffnung, auf diese Art weniger beunruhigt zu werden. Aber in Crevecour erklärte Aramis, er könne nicht weiterreiten. In der Tat hatte er seines ganzen Mutes bedurft, den er unter seiner eleganten Form und unter seinen höflichen Manieren verbarg, um bis hierher zu gelangen. Jeden Augenblick erbleichte er und man war genötigt, ihn auf seinem Pferde zu unterstützen. Man hob ihn vor der Tür einer Schenke herab, ließ ihm Bazin, der übrigens bei einem Scharmützel mehr hinderlich als nützlich war, und zog weiter, in der Hoffnung, erst in Amiens Nachtlager zu halten.

»Beim Teufel!«, sagte Athos, als sie sich auf zwei Messieurs und auf Grimaud und Planchet zusammengeschmolzen, wieder auf der Straße befanden. »Beim Teufel! Ich lasse mich nicht drankriegen und stehe Euch dafür, dass mich von hier bis Calais niemand dazu bringen wird, den Mund zu öffnen oder den Degen zu ziehen. Ich schwöre …«

»Schwören wir nicht«, sagte d’Artagnan, »galoppieren wir lieber, wenn es unsere Pferde gestatten.«

Die Reisenden spornten ihre Rosse so, dass sie ihre Kräfte wiederfanden. Man kam in Amiens um Mitternacht an und stieg vor der Herberge Zur goldenen Lilie ab.

Der Wirt sah aus, wie der ehrlichste Mann von der Welt. Er empfing die Reisenden, seinen Leuchter in der einen, die baumwollene Mütze in der anderen Hand. Er wollte die zwei Reisenden jeden in einem vortrefflichen Zimmer einquartieren. Zum Unglück lag jedes von diesen Zimmern am äußersten Ende des Gasthauses. D’Artagnan und Athos weigerten sich. Der Wirt antwortete, er habe keine andere Ihrer Excellenzen würdige Zimmer, aber die Reisenden erklärten, sie würden in einer gemeinschaftlichen Stube jeder auf einer Matratze schlafen, die man auf den Boden werfen könne. Der Wirt bestand auf seiner Meinung, die Reisenden gaben nicht nach, und er musste tun, wie sie haben wollten.

Sie hatten ihr Bett geordnet und ihre Tür von innen verbarrikadiert, als man vom Hof aus an ihre Läden klopfte. Sie fragten, wer da sei, erkannten die Stimmen ihrer Bedienten und öffneten. Es waren wirklich Planchet und Grimaud.

»Grimaud kann allein die Pferde bewachen«, sagte Planchet. »Wenn die Messieurs erlauben, so werde ich mich quer vor ihre Tür legen. Auf diese Art sind sie sicher, dass man nicht bis zu ihnen gelangt.«

»Und auf was willst du schlafen?«, fragte d’Artagnan.

»Hier ist mein Bett«, antwortete Planchet und zeigte ein Bund Stroh.

»Komm also«, sprach d’Artagnan, »du hast recht. Das Gesicht des Wirtes will mir nicht zusagen, es ist zu freundlich.«

Planchet stieg durch das Fenster und legte sich quer vor die Tür, während sich Grimaud in dem Stall einschloss, nachdem er zuvor die Versicherung gegeben hatte, dass er und die Pferde um fünf Uhr morgens bereit sein werden.

Die Nacht ging ziemlich ruhig vorüber. Man versuchte es wohl gegen zwei Uhr morgens die Tür zu öffnen. Da aber Planchet plötzlich erwachte und »Wer da!« rief, so antwortete man ihm, man habe sich getäuscht, und zog ab. Um vier Uhr morgens vernahm man einen gewaltigen Lärm im Stall. Grimaud hatte die Hausknechte wecken wollen und diese schlugen ihn. Als man das Fenster öffnete, sah man den armen Burschen bewusstlos auf der Erde ausgestreckt. Ein Hieb mit der Heugabel hatte ihm den Kopf verletzt.

Planchet ging in den Hof hinab und wollte die Pferde satteln. Die Pferde lahmten. Nur das von Grimaud, welches am Tage vorher fünf bis sechs Stunden ohne Monsieur gereist war, hätte den Marsch fortsetzen können. Aber infolge eines unbegreiflichen Irrtums hatte der Tierarzt, den man ohne Zweifel holen ließ, um dem Pferde des Wirtes zur Ader zu lassen, dem von Grimaud zur Ader gelassen.

Die Sache fing an beunruhigend zu werden. Alle diese rasch aufeinanderfolgenden Begebenheiten waren vielleicht das Resultat des Zufalls, aber sie konnten ebenso wohl die Frucht eines Komplottes sein. Athos und d’Artagnan gingen hinaus, während sich Planchet erkundigte, ob man nicht in der Gegend drei Pferde zu kaufen finden könne. Vor der Tür standen wirklich zwei Pferde gesattelt und gezäumt, frisch und kräftig. Das fügte sich gut. Er fragte, wo die Messieurs seien. Man antwortete ihm, sie haben die Nacht im Wirtshaus zugebracht und bezahlen in diese Augenblick ihre Zeche.

Athos ging hinab, um die Rechnung zu berichtigen, während d’Artagnan und Planchet an der Haustür stehen blieben. Der Wirt befand sich in einem unteren, nach hinten gelegenen Zimmer. Man bat Athos, dahin zu gehen.

Athos trat ohne Misstrauen ein und zog zwei Goldstücke hervor, um zu bezahlen. Der Wirt war allein und saß vor einem Sekretär, an dem eine der Schubladen halb offen war. Er nahm das Geld, das ihm Athos darbot, drehte es wiederholt in der Hand um und rief plötzlich, es sei falsch. Er werde ihn und seine Gefährten als Falschmünzer in Verhaft nehmen lassen.

»Schurke«, sprach Athos gegen ihn vorrückend, »ich werde dir die Ohren abschneiden!«

Aber der Wirt bückte sich, nahm zwei Pistolen aus einer der Schubladen und richtete sie, um Hilfe rufend, gegen Athos.

In demselben Augenblick traten vier bis an die Zähne bewaffnete Männer durch die Seitentür ein und warfen sich auf Athos.

»Ich bin verloren«, schrie Athos mit der vollen Gewalt seiner Lunge. »Mach dich fort, d’Artagnan, fort, fort!« Er drückte seine beiden Pistolen ab.

D’Artagnan und Planchet ließen sich diesen Zuruf nicht wiederholen. Sie machten die zwei Pferde, welche vor der Tür standen, los, sprangen in den Sattel, stießen ihnen die Sporen in den Leib und jagten im stärksten Galopp davon.

»Weißt du, was aus Athos geworden ist?«, fragte d’Artagnan.

»Ach! Gnädiger Monsieur«, erwiderte Planchet, »ich habe zwei auf seine Schüsse fallen sehen, und bei einem Blick, den ich noch durch die Glastür warf, kam es mir vor, als fuchtelte er mit den anderen.«

»Braver Athos!«, murmelte d’Artagnan. »Wenn ich bedenke, dass man ihn so im Stich lassen muss! Übrigens erwartet uns vielleicht zehn Schritte von hier dasselbe Schicksal. Vorwärts! Planchet, vorwärts! Du bist ein wackerer Bursche.«

»Ich habe es Euch gesagt, gnädiger Monsieur«, antwortete Planchet, »die Picarden erkennt man erst beim Gebrauch. Übrigens bin ich hier in meiner Heimat und das feuert mich an.«

Beide spornten auf das Schönste und gelangten in einem Zug nach Saint-Omer. Hier ließen sie ihre Pferde ausschnaufen, wobei sie aus Furcht vor irgendeinem Unfall die Zügel um den Arm schlangen, und aßen, vor der Tür stehend, einen Bissen aus der Faust, wonach sie ihren Marsch wieder fortsetzten.

Hundert Schritte vor den Toren von Calais stürzte d’Artagnans Pferd. Es war unmöglich, dasselbe wieder auf die Beine zu bringen. Das Blut lief ihm aus der Nase und aus den Augen. Es war noch das Pferd Planchets übrig, aber dieses stand still, man konnte es keinen Schritt mehr weiter treiben.

Zum Glück waren sie, wie gesagt, nur noch hundert Schritte von der Stadt entfernt. Sie ließen die beiden Rosse auf der Landstraße und liefen zum Hafen. Planchet machte seinen Gebieter auf einen Monsieur aufmerksam, der eben mit seinem Bedienten ankam und nur fünfzig Schritte vor ihnen ging.

Sie näherten sich rasch diesem Monsieur, der große Eile zu haben schien. Seine Stiefel waren mit Staub bedeckt, und er fragte, ob er nicht sogleich nach England überfahren könnte.

»Nichts leichter als das«, antwortete der Patron eines segelfertigen Schiffes, »aber diesen Morgen ist ein Befehl eingetroffen, niemand ohne ausdrückliche Erlaubnis des Monsieur Kardinals passieren zu lassen.«

»Ich habe diese Erlaubnis«, sagte der Monsieur, ein Papier aus seiner Tasche ziehend. »Hier ist sie.«

»So lasst sie vom Hafen-Gouverneur unterzeichnen und gönnt mir den Vorzug vor den anderen Schiffen.«

»Wo kann ich den Gouverneur finden?«

»In seinem Landhaus.«

»Und wo liegt dieses?«

»Eine Viertelmeile von der Stadt! Ihr seht es dort, am Fuß jener Anhöhe, mit dem Schieferdach.«

»Gut!«, rief der Monsieur und schlug von seinem Bedienten gefolgt den Weg zum Landhaus des Gouverneurs ein.

D’Artagnan und Planchet folgten dem Monsieur in einer Entfernung von fünfhundert Schritten.

Sobald sie vor der Stadt waren, beschleunigte d’Artagnan seine Schritte und holte den Monsieur ein, als er eben in ein kleines Gehölze eintrat.

»Monsieur«, sprach d’Artagnan, »Ihr scheint mir große Eile zu haben.«

»Im höchsten Grade.«

»Bedaure sehr, denn da ich ebenfalls große Eile habe, so wollte ich Euch um einen Dienst bitten.«

»Um welchen?«

»Mich vorausgehen zu lassen. Ich habe sechzig Meilen in vierundvierzig Stunden zurückgelegt und muss morgen Mittag in London sein.«

»Ich habe denselben Weg in vierzig Stunden gemacht und muss morgen früh um zehn Uhr in London sein.«

»Bedaure, Monsieur, aber da ich zuerst angekommen bin, werde ich nicht als Zweiter gehen.«

»Es tut mir unendlich leid. Ich bin als Zweiter angekommen, aber ich werde zuerst gehen.«

»Im Dienste des Königs?«, sprach der Monsieur.

»In meinem Dienst!«, antwortete d’Artagnan.

»Ihr scheint mir Händel zu suchen?«

»Beim Teufel! Wie soll es anders sein?«

»Was verlangt Ihr von mir?«

»Wollt Ihr es wissen?«

»Allerdings.«

»Nun! Ich verlange den Befehl, den Ihr bei Euch tragt, insofern ich keinen habe und doch desselben notwendig bedarf.«

»Ihr scherzt hoffentlich?«

»Ich scherze nie.«

»Lasst mich ziehen.«

»Ihr kommt nicht von der Stelle.«

»Mein braver junger Mann, ich werde Euch den Schädel zerschmettern. Holla! Lubin, meine Pistolen.«

»Planchet«, sagte d’Artagnan, »übernimm Du den Bedienten, ich nehme den Monsieur.«

Durch die erste Tat ermutigt, sprang Planchet auf Lubin, warf ihn, stark und kräftig, wie er war, auf den Boden und setzte ihm das Knie auf die Brust.

»Macht Euer Geschäft ab, gnädiger Monsieur«, sagte Planchet, »ich bin mit dem meinen fertig.«

Dies gewahrend, zog der Unbekannte seinen Degen und fiel gegen d’Artagnan aus, aber er hatte es mit einem gewaltigen Gegner zu tun.

In drei Sekunden versetzte ihm d’Artagnan drei Degenstöße und bei jedem Stoß sagte er: »Einen für Athos, einen für Porthos, einen für Aramis!«

Beim dritten Stoß stürzte der Unbekannte wie eine träge Masse zur Erde.

D’Artagnan hielt ihn für tot oder wenigstens für ohnmächtig. Er näherte sich ihm, um den Befehl zu nehmen; aber in dem Augenblick, wo er die Hand ausstreckte, um ihn zu suchen, brachte ihm der Verwundete, der seinen Degen nicht losgelassen hatte, einen Stich in die Brust bei und rief: »Einen für Euch!«

»Und einen für dich! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!«, schrie d’Artagnan wütend und spießte ihn mit einem vierten Stoß durch den Bauch an den Boden.

Diesmal schloss der Fremde, ohnmächtig geworden, die Augen.

D’Artagnan durchsuchte die Tasche, in welche er ihn den Überfahrtbefehl hatte stecken sehen, und nahm ihn. Er war auf den Namen des Grafen von Wardes ausgestellt.

Einen letzten Blick auf den schönen jungen Mann werfend, der kaum fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, und den er hier auf der Erde ausgestreckt hatte, das Bewusstsein beraubt, vielleicht gar tot zurücklassen musste, seufzte er über das seltsame Geschick, welches die Menschen dahinbringt, dass sie einander umbringen im Interesse von Leuten, die ihnen fremd sind, und denen ihr Dasein häufig ganz unbekannt ist.

Bald aber wurde er seinen Betrachtungen durch Lubin entzogen, der ein furchtbares Jammergeschrei ausstieß und mit aller Gewalt um Hilfe rief.

Planchet fasste ihn bei der Gurgel und schnürte sie ihm aus Leibeskräften zusammen.

»Gnädiger Monsieur«, sagte er, »so lange ich ihn so halte, wird er sicherlich nicht schreien, das weiß ich gewiss, aber sobald ich ihn loslasse, wird er wieder zu kreischen anfangen. Es ist ein Normann und die Normannen sind hartnäckige Burschen.«

Lubin versuchte wirklich, so gepresst er auch war, einige Töne von sich zu geben.

»Warte!«, sprach d’Artagnan, nahm sein Taschentuch und knebelte ihn.

»Nun wollen wir ihn an einen Baum binden!«, sagte Planchet.

Dies wurde gewissenhaft ausgeführt. Dann schleppte man den Grafen von Wardes in die Nähe seines Bedienten. Da die Nacht bereits einbrach und beide, der Verwundete und der Geknebelte, sich mehrere Schritte in einem Gehölz befanden, so mussten sie offenbar bis am anderen Tag dort bleiben.

»Und nun zum Gouverneur«, rief d’Artagnan.

»Es scheint mir, Ihr seid verwundet?«, sagte Planchet.

»Das ist jetzt von keiner Bedeutung, wir wollen uns mit dem Dringenderen beschäftigen und dann nach der Wunde fragen, die mir übrigens durchaus nicht gefährlich zu sein scheint.«

Beide eilten mit großen Schritten zum Landhaus des würdigen Beamten.

Man kündigte den Grafen von Wardes an.

D’Artagnan wurde eingeführt.

»Ihr habt einen vom Kardinal unterzeichneten Pass?«, sagte der Gouverneur.

»Ja, Monsieur, hier ist er.«

»Ah, ah! Er ist in Ordnung und mit guten Empfehlungen versehen«, sprach der Gouverneur.

»Das ist ganz einfach«, erwiderte d’Artagnan, »ich gehöre zu seinen getreuesten Anhängern.«

»Es scheint, Seine Eminenz will irgendjemand daran hindern, nach England zu kommen?«

»Ja, einen gewissen d’Artagnan, einen Bearner Edelmann, der mit drei von seinen Freunden von Paris abgereist ist, in der Absicht, sich nach London zu begeben.«

»Kennt Ihr ihn persönlich«, fragte der Gouverneur.

»Wen?«

»Diesen d’Artagnan.«

»Sehr gut!«

»Gebt mir sein Signalement.«

»Nichts leichter!«

D’Artagnan gab Zug für Zug das Signalement des Grafen von Wardes.

»Hat er einen Begleiter?«, fragte der Gouverneur.

»Ja, einen Bedienten, Namens Lubin.«

»Man wird auf sie Acht haben, und wenn man ihrer habhaft wird, mag Seine Eminenz ruhig sein, sie sollen unter sicherem Geleit nach Paris zurückgeführt werden.«

»Wenn Ihr dies tut, Monsieur Gouverneur«, sprach d’Artagnan, »werdet Ihr Euch ein großes Verdienst um den Kardinal erwerben.«

»Ihr seht ihn wohl bei Eurer Rückkehr, Monsieur Graf?«

»Das versteht sich.«

»Sagt ihm gefälligst, ich sei sein getreuer Diener.«

»Ich werde nicht ermangeln.«

Erfreut über diese Versicherung, visierte der Gouverneur den Pass und stellte ihn d’Artagnan zu.

D’Artagnan verlor keine Zeit mit unnützen Komplimenten, verbeugte sich vor dem Gouverneur, dankte ihm und ging weg.

Sobald er mit Planchet aus dem Haus war, setzten sie sich in raschen Lauf, machten einen langen Umweg, um das Gehölze zu vermeiden, und gelangten durch ein anderes Tor zur Stadt zurück.

Das Schiff war immer noch zur Abfahrt bereit. Der Patron wartete am Hafen.

»Nun, wie steht es?«, sagte er, sobald er d’Artagnan gewahr wurde.

»Hier ist der visierte Pass«, erwiderte dieser.

»Und der andere Monsieur?«

»Er wird heute nicht mehr abreisen«, sprach d’Artagnan, »aber seid ruhig, ich bezahle die Überfahrt für uns beide.«

»In diesem Fall, zu Schiff«, sagte der Patron.

»Zu Schiff«, wiederholte d’Artagnan.

Er sprang mit Planchet in den Nachen. Fünf Minuten nachher waren sie an Bord.

Es war höchste Zeit. Sie befanden sich kaum eine halbe Meile in See, als d’Artagnan eine Flamme bemerkte und einen Knall hörte.

Es war der Kanonenschuss, der das Schließen des Hafens ankündigte.

Nun musste man sich endlich mit d’Artagnans Wunde beschäftigen. Zum Glück war sie, wie er selbst gedacht hatte, nicht gefährlich. Die Degenspitze hatte eine Rippe getroffen und war von dem Bein abgeglitten. Überdies hatte sich das Hemd an die Wunde festgeklebt und so waren nur einige Tropfen Blutes hervorgedrungen.

D’Artagnan war im höchsten Grad ermattet. Man breitete ihm eine Matratze auf dem Verdeck aus. Er warf sich darauf und entschlummerte.

Am anderen Morgen bei Tagesanbruch befand er sich noch drei bis vier Meilen von der Küste Frankreichs entfernt. Der Wind war in der ganzen Nacht sehr schwach gewesen und man hatte eine kleine Strecke zurückgelegt.

Um zwei Uhr ging das Schiff in dem Hafen von Dover vor Anker.

Um halb drei Uhr setzte d’Artagnan den Fuß auf den Boden Englands und rief: »Endlich bin ich hier!«

Aber damit war es noch nicht genug. Man musste London erreichen. In England war die Post ziemlich gut bedient. D’Artagnan und Planchet nahmen jeder einen Klepper. Ein Postillon ritt voraus, in vier Stunden kamen sie vor den Toren der Hauptstadt an.

Der Herzog befand sich mit dem König auf der Jagd.

D’Artagnan kannte London nicht. D’Artagnan verstand kein Wort Englisch; aber er schrieb den Namen Buckingham auf ein Papier und jedermann zeigte ihm die Villa des Herzogs.

D’Artagnan fragte nach dem ersten Kammerdiener Buckinghams, der ihn auf allen seinen Reisen begleitet hatte und vollkommen Französisch sprach. Er sagte ihm, er komme von Paris in einer Angelegenheit, bei der es sich um Leben und Tod handle, und müsse seinen Monsieur sogleich sprechen.

Die Sicherheit, mit der d’Artagnan sein Verlangen ausdrückte, überzeugte Patrice, so hieß dieser Minister des Ministers. Er ließ zwei Pferde satteln und übernahm es, den jungen Gardisten zu begleiten. Planchet hatte man steif wie ein Rohr von seinem Ross herabgehoben. Die Kräfte des armen Burschen waren völlig erschöpft. D’Artagnan schien von Eisen.

Man kam im Schloss an und zog hier Erkundigung ein. Der König und Buckingham waren auf der Beize in einem zwei bis drei Meilen von da entfernten Moor.

In zwanzig Minuten befand man sich an der bezeichneten Stelle. Bald hörte Patrice die Stimme seines Monsieur, der seinen Falken zurückrief.

»Wen soll ich Mylord Herzog ankündigen?«, fragte Patrice.

»Den jungen Mann, der eines Abends auf dem Pont Neuf bei der Samaritaine Händel mit ihm gesucht hat.«

»Eine sonderbare Empfehlung!«

»Ihr werdet sehen, dass sie so viel wert ist, als irgendeine andere.«

Patrice setzte sein Pferd in Galopp, erreichte den Herzog und meldete ihm in den so eben erwähnten Worten einen Boten an, der seiner harrte.

Buckingham erkannte d’Artagnan sogleich. Da er vermutete, dass in Frankreich etwas vorging, wovon man ihn in Kenntnis setzen wollte, so nahm er sich nicht die Zeit, zu fragen, wo der Bote sei, sondern galoppierte, als er von Ferne die Uniform der Garden erkannt hatte, gerade auf d’Artagnan zu. Patrice hielt sich aus Diskretion entfernt.

»Es ist der Königin doch kein Unglück widerfahren?«, rief Buckingham, alle seine Gedanken, seine ganze Liebe in diese Frage legend.

»Ich glaube nicht, aber ich bin der Überzeugung, dass sie eine große Gefahr läuft, der Eure Herrlichkeit allein sie entziehen kann.«

»Ich?«, rief Buckingham. »Sollte ich so glücklich sein, ihr irgendwie nützen zu können? Sprecht? Sprecht!«

»Nehmt diesen Brief«, sagte d’Artagnan

»Diesen Brief? Von wem kommt er?«

»Von Ihrer Majestät, wie ich glaube.«

»Von Ihrer Majestät«, sprach Buckingham und erbleichte dergestalt, dass d’Artagnan meinte, er würde in Ohnmacht fallen.

Er brach das Siegel.

»Woher dieser Riss?«, sagte er und zeigte d’Artagnan eine Stelle, wo er durchbohrt war.

»Ah, ab!«, rief d’Artagnan, »ich hatte das nicht gesehen. Der Degen des Grafen von Wardes wird dieses schöne Loch gemacht haben, als er ihn mir in die Brust stieß.«

»Ihr seid verwundet?«, fragte Buckingham.

»O! Nichts«, erwiderte d’Artagnan; »eine Schramme.«

»Gerechter Himmel! Was habe ich gelesen?«, rief der Herzog. »Patrice, bleib hier, oder vielmehr suche den König auf, wo er auch sein mag, und sage Seiner Majestät, dass ich mich zu entschuldigen bitte; aber eine Angelegenheit von höchstem Belang rufe mich nach London zurück. Kommt, Monsieur, kommt!«

Und beide schlugen im Galopp den Weg zur Hauptstadt ein.