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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sir Henry Morgan – Der Bukanier 20

Kapitän Marryat
Sir Henry Morgan – Der Bukanier
Aus dem Englischen von Dr. Carl Kolb
Adolf Krabbe Verlag, Stuttgart 1845

Zwanzigstes Kapitel

Das Glück befreundet sich wieder mit unserem Helden. Ein Raubbruder schließt sich ihm an. Er entwirft ein großes Unternehmen und führt es glücklich aus, verliert aber dabei seine Geliebte, während er einen Freund findet.

Obwohl sich das letzte Unternehmen so unbefriedigend erwiesen hatte, hatte es doch in unterschiedlicher Weise den Admiral sehr bereichert und wieder mit dem Gedanken vertraut gemacht, in Neu-Spanien eine bleibende Autorität zu gründen. Die öffentliche Laufbahn unseres Helden nimmt uns dermaßen in Anspruch, dass wir seinen häuslichen und romantischen Abenteuern nur wenig Raum schenken können.

Nach dem Abzug seiner französischen Verbündeten blieb er einige Tage untätig vor Anker liegen und benutzte diese Zeit größtenteils dazu, Zoabinda zu bereden, dass sie mit ihrem angehäuften Reichtum in einem kleinen Schiff nach Jamaika ziehe und daselbst ihn erwarte. Sie war jedoch nicht weniger Heldin, als er Held, und weigerte sich mit Entschiedenheit.

Wie die meisten oder wohl gar alle Menschen, die ihrer Religion ledig geworden sind, hatte Morgan statt ihrer unwillkürlich zu einem sehr seltsamen und abgeschmackten Aberglauben gegriffen. Obwohl er sich zu Puerto Principe mit der maßlosesten Wildheit benommen hatte, trug sich doch sein Geist mit der grässlichen Meinung, er habe sein Glück noch nicht mit genug Blut getauft, denn im Verhältnis des Letzteren glaubte er, müsse sich sein günstiger Stern heben. Die schreckliche Vorstellung bemächtigte sich nun seiner, da er noch nicht hinreichend verschwenderisch mit Menschenleben umgegangen sei, so werde dieser Mangel an ihm heimgesucht werden mit Gefahr für dasjenige Leben, welches er am meisten schätzte – für das seiner Zoabinda.

Indes wies er derartige Schwächen von sich ab und beschloss, bei nächster Gelegenheit diese Trugbilder in einem Blutmeer zu ersäufen, das sie selbst vergossen hätte, denn aus seine Bitte hatte sie bisher so viele Sorge für ihre persönliche Sicherheit getragen, dass ihr Ruf als Kapitän des Admirals und Kommandeur eines der schönsten Schiffe in der Flotte bedeutend notlitt.

Eine vernünftigere und zweckmäßigere Beschäftigung fand jedoch Morgan darin, dass er die Begeisterung seiner Matrosen aufrechterhielt. Dies wurde ihm leicht genug, denn sie glaubten, er brauche nur etwas zu unternehmen, um seines Erfolges gewiss zu sein. Er pflegte zu ihnen zu sagen: »Meine Brüder, habt nur noch eine kleine Geduld. Bringt eure Waffen besser in Ordnung, leistet treuen Gehorsam und ich werde euch bald reich machen.«

Seine Leute glaubten ihm unbedingt. Ein berüchtigter Pirat, welcher die Bay of Campeche zu beunruhigen pflegte, schien diese Überzeugung zu teilen, denn er schloss sich unserem Helden unerwartet und uneingeladen mit drei Schiffen an. Dieser plötzliche Zuwachs der Streitkräfte wurde fast als ein Wunder betrachtet, und Morgans Mannschaft heiterte sich in entsprechendem Grade auf.

Obwohl die Franzosen unseren Helden verlassen hatten, so befand er sich doch einige Tage nachher schon wieder im Kommando über eine Flotte von neun Segeln verschiedener Größe, von seinem eigenen Schiff an bis zu den Fahrzeugen, welche nichts weiter als große Boote waren. Die Gesamtbande bestand aus vierhundert entschlossenen, wohl eingeübten Männern. Nachdem er alles, was sowohl das Segeln als auch den Kampf betraf, in die bewunderungswürdigste Ordnung gebracht hatte, machte er sich, ohne jemand seine Pläne mitzuteilen, zur Küste von Neuspanien auf den Weg.

Als sie das Land antaten, rief Morgan sämtliche Kapitäne zusammen und teilte ihnen in aller Ruhe mit, dass er auf die Stadt Puerto Velo einen nächtlichen Sturm beabsichtige. Ein so keckes Unternehmen beunruhigte sogar einige dieser tollkühnen Leute; aber er beseitigte ihre Besorgnisse, indem er ihnen bemerkte, da er die Sache für sich behalten habe, so müsse der Überfall gelingen. Wenn man die Streitkräfte nach ihrem Mut berechne, so seien sie nicht klein, und je weniger der Eroberer wären, desto größer würde der Beuteanteil sein.

Mit Ausnahme von Havanna und Caratgena war damals Puerto Velo die stärkste von allen Besitzungen des spanischen Königs in der neuen Welt. Der Eingang des Hafens war durch zwei für unüberwindlich gehaltene Kastelle verteidigt und so gelegen, dass man der Ansicht war, sein Boot oder Schiff könne daran vorbeikommen. Der Platz hatte eine Garnison von dreihundert Mann regelmäßiger Soldaten, und die Stadt selbst war stets von vierhundert Familien bewohnt. Die ungesunde Lokalität verhinderte, dass viele bedeutende Kaufleute sich dort aufhielten. Die Stadt diente daher mehr als Magazin für den Kolonialreichtum; aber zu gewissen Zeiten war der Platz überfüllt, wenn zum Beispiel die mit Silber beladenen Maultiere über Land herkamen und die Schiffe der afrikanischen Compagnie mit Negersklaven eintrafen.

Morgan kannte den Platz gut, da er ihn während seiner Gefangenschaft unter den Spaniern oft besucht hatte. Die Flotte gelangte in der Dunkelheit zehn Stunden westlich von der Stadt bei Puerto de Naos an. Auf dem Fluss, an welchem dieser Ort gelegen ist, fuhren sie so weit hinauf, bis sie einen anderen Hafen, Puerto Pentin genannt, erreichten, wo sie unbelästigt Anker warfen. Hier griffen sie zu ihren Booten und stiegen um Mitternacht an Land. Dann marschierten sie unmittelbar auf die Außenposten der Stadt los, nahmen den ersten durch Überraschung und fesselten die Schildwache, noch ehe sie Zeit hatte, ihre Muskete zu lösen. Unbemerkt erreichten das Kastell, das die Stadt beherrschte, und umringten dasselbe vollständig.

Nun zwang Morgan die Schildwache, die Truppen im Fort anzurufen und sie aufzufordern, dass sie sich in aller Stille ergeben sollten, da sie sonst bis auf den letzten Mann niedergemacht werden würden. Die einzige Antwort darauf war eine volle Salve, durch welche die Stadt alarmiert wurde. Aber die Piraten machten nun einen so verzweifelten Angriff, dass aller Widerstand vergeblich und das Kastell in kurzer Zeit genommen war.

Unter dem Einfluss seines blutigen Fatalismus ließ Morgan alle Leute, die in dem Fort aufgefunden wurden, in ein einziges Gemach sperren, zündete das Pulvermagazin an und jagte so mit einem Mal das Kastell und alle darin enthaltenen Spanier in die Luft. Dies war für die unglücklichen Einwohner der Stadt ein schrecklicher Vorbote der Gräuel, die ihrer harrten. Sie begannen ihre Juwelen und ihr Geld in Brunnen, Zisternen und an jeden heimlichen Ort zu werfen, der ihnen einfiel. Aber die Bukanier hatten ihr schreckliches Werk bereits begonnen. Eine starke Abteilung wurde zu den Klöstern geschickt, um sich aller Mönche und Nonnen zu bemächtigen.

Der Gouverneur war nicht nur ein Mann von Mut, sondern auch von Talent. Nachdem er vergeblich versucht hatte, die Bürger zur Verteidigung der Stadt zu sammeln, zog er sich mit den tapfersten Bewohnern und dem gesamten Militär in das stärkste der noch stehenden Kastelle zurück und eröffnete von da aus ein unablässiges, zerstörendes Feuer auf die Angreifer. Aber dieses Feuer schüchterte Letztere nicht im Geringsten ein, denn sie hielten sich so nahe wie möglich an die Schießscharten, und jede von den Spaniern abgeschossene Kanone kostete sie zwei oder drei Mann, da die Piraten vortreffliche Schützen waren.

Dieser blutige Kampf wütete bis Mittag. Die verschiedenen Kastelle ließen ihre Artillerie donnern, erschütterten die Häuser und rissen die Straßen mit ihrem schweren Ordonnanzgeschütze auf, welches unablässig vom Rasseln des Musketenfeuers und dem wilden Geschrei der Bukanier beantwortet wurde. Morgan deckte sich zwar stets, schien aber doch überall gegenwärtig zu sein und lenkte mit aller Ruhe die Operationen, auf die verschiedenen Details mit der Fassung eines geübten Schachspieles achtend, der ein schwieriges Spiel vor sich hat. Das gegenwärtige war in der Tat ein höchst schwieriges Spiel. Auf seinen Zügen war er stets von einer auserlesenen Leihwache begleitet, die von Zoabinda kommandiert wurde und als ein kleines Reservekorps betrachtet werden konnte.

Es war hoch am Mittag, ohne dass bis jetzt ein merklicher Eindruck auf die Kastelle ausgeübt worden wäre. Dasjenige, welches der Gouverneur in Person verteidigte, hauste furchtbar unter den Angreifern. Vergeblich versuchten die Piraten die Türen des Forts mit Brennmaterial in Brand zu stecken, denn die Spanier schlenderten auf ihre Köpfe Zerstörungswerkzeuge aller Art nieder.

Sogar Morgan begann zu wanken und seine Lage für nicht länger haltbar anzusehen, Die Fortsetzung des Gefechts schien das beste Mittel zu sein, seine Streitkräfte in Bälde ganz aufzureiben. Flucht war ebenso bedenklich. An dem Ort, wo sie waren, konnten sie nur als Leichen bleiben.

»Kapitän Smith«, rief Morgan mit lauter gebieterischer Stimme Zoabinda zu, »vorwärts und gehorcht Eurem Befehl. Komm hierher, meine Freundin«, fuhr er in verändertem und sehr wehmütigem Ton ihr ins Ohr flüsternd fort. »Diese Spanier haben fechten gelernt und ich fürchte, dass ich nicht länger das Geschick in meiner Macht habe. Eines von uns oder wir beide werden umkommen; und doch ist schon genug Blut geflossen.«

»Henry! Held! Und soll das versprochene Königreich hier und so enden? Inmitten dieses Getümmels zittere ich und weiß, dass ich ein Weib bin. Ich zittre, Henry, und doch brenne ich nach einer kühnen Tat.«

»Dein Wunsch soll dir willfahrt sein. Diese wackeren Burschen murren über ihre Untätigkeit. Man erwartet etwas von dir, meine Liebe. Du sollst deiner Stellung als mein begünstigter Kapitän Ehre machen. Siehst du jenes Fort an der Seite von Kapitän Staveleys Partie? Sein Feuer hat er in der letzten Zeit sehr nachgelassen. Es kam mir vor, als habe ich seinen Befehls haber durch den Rauch mehr als einmal mit verschränkten Armen und mit seltsamer Gleichgültigkeit auf das Schlachtgetümmel niederblicken sehen. Nimm diese ganze Reserve mit dir. Du gehst mit ihnen, Zoabinda, aber nicht vor ihnen her. In keinem Fall kreuze die Straße, sondern mache einen Umweg.«

»Nun bin ich wieder etwas mehr als ein Weib«, entgegnete die Amazone. »Du hältst mich für würdig, dir zu gehorchen, und ich gehe, um dir es zu beweisen. Vorwärts!«

Sie schwenkte ihren Degen und tat, gleich einem echten Weib, gerade das, was ihr verboten worden war. Sämtliche Piraten hatten gut gedeckt unter dem Portal einer Kapelle gestanden, und wenn man über die Straße hinüberwollte, musste es angesichts des Feuers von dem Hauptkastell aus geschehen. Dies tat sie. Sie hatte kaum die Mitte erreicht, als sie durch eine Kanonenkugel niedergestreckt wurde. Aber im Fallen noch rief sie: »Vorwärts!«

Der Trupp gehorchte ihrem sterbenden Befehl, ließ sie in Mitte der Straße liegen und befand sich bald an den Toren des Forts.

Morgan stürzte hinaus und trug sein Opfer in den Armen unter den Schirm des Kapellenportals. Sie waren allein, während die Schlacht schrecklich um sie tobte. Nie zuvor hatten die Augen der Negerin eine größere Begeisterung, eine innigere Liebe verraten.

»Mein armes Mädchen!«, war alles, was Morgan mit heiserer Stimme hervorzubringen vermochte. Er war ein Mann ohne Tränen.

»Als letzte Gabe ein wenig Wasser, mein Henry!«

Morgan goss ihr etwas Branntwein in den Mund.

Sie schien in seltsamer Weise wiederaufzuleben und sprach: »Dein Blutglaube hat sich falsch erwiesen – wenigstens an mir. Mich nützt es nichts. Ich wurde als eine Heidin geboren, habe als eine Ungläubige gelebt und sterbe hoffend. Ich würde glücklich sterben, Henry, wenn du mir ein christliches Grab versprechen wolltest.«

»Ich verspreche es dir!«

Sie wollte noch einige leidenschaftliche Worte beifügen, aber die Anstrengung war zu groß. Innerlich und äußerlich ergoss sich ihr Blut in Strömen, und sie starb an schneller Erstickung. Ihr Ende war rasch und das eines Kriegers. Morgan legte die Leiche mit anständiger Ehrfurcht auf die eine Seite, und im nächsten Augenblick schauete er wieder mit Ruhe auf den zweifelhaften Kampf.

Als er so in tiefem Nachdenken alleinstand, wurde er plötzlich durch einen dröhnenden Jubelruf und das Erscheinen des flatternden englischen Banners auf dem Kastell, zu welchem er seine Geliebte gesandt hatte, geweckt. Bald nachher kehrte der ganze Trupp unter Siegesrufen wieder zurück und brachte den Kommandanten des Forts mit sich.

»Am Ende hatte ich doch recht mit meinem Glauben«, sagte Morgan zu sich selbst, »obwohl Zoabindas Blut ein teurer Preis für diesen Erfolg war.«

Der Leutnant des Trupps machte nun seine Meldung. Er gab an, er habe das Fort zur Übergabe aufgefordert. Der Kommandant habe darauf nur gefragt, wer der Führer der Angreifer sei. Als er (der Leutnant) ihm den Namen des berühmten Kapitän Henry Morgan nannte, habe der Befehlshaber des Forts befohlen, augenblicklich die Tore zu öffnen, und das Verlangen ausgedrückt, zu ihrem Anführer gebracht zu werden. Nun standen sie sich Angesicht in Angesicht gegenüber, jeder den anderen scharf ins Auge fassend.

Endlich rief der Gefangene: »Henry Morgan, wenn du Joseph Bradley vergessen hast, so bin ich sehr unnützerweise ein Schurke und Verräter gewesen.«

Sie umarmten einander aufs Innigste. Es war kein Zeit für Worte. Die Leiche der Negerin wurde aufgenommen, zum übergebenen Schloss gebracht, in einem der Gewölbe beigesetzt und eine Schildwache davor aufgestellt, damit es nicht geplündert werde. Die Bukanier wurden dann von ihren verschiedenen Angriffspunkten herbeiberufen und nur eine hinreichende, gut gedeckte Anzahl zurückgelassen, um die drei Kastelle zu maskieren, welche sich noch nicht ergeben hatten.

Im Ferneren trat nun ein Stillstand ein und Morgan nutzte diese Zeit, um mit möglichster Geschwindigkeit zwölf Leitern anzufertigen, welche breit genug waren, dass vier Mann nebeneinander daran hinaufsteigen konnten. Sobald dies geschehen war, ließ er die Mönche, die Nonnen und die Weiber und Töchter der vornehmsten Einwohner antreten. Diese mussten, durch Schläge und Speerspitzen gezwungen, vor seinen Leuten hergehen und die Leitern zum stärksten Kastell tragen, welches der Gouverneur noch behauptete und so mannhaft verteidigt hatte. Wir könnten nun viele Seiten mit einer Schilderung dieser herzzerreißenden Szene füllen, haben aber so viele wichtige Tatsachen zu berichten, dass wir nur wenig Raum für ein derartiges Wortgepränge haben.

Ehe der Angriff begann, wurde der Gouverneur abermals zur Übergabe aufgefordert. Die Antwort lautete jedoch, »so lange er das Leben habe, sei daran nicht zu denken«. Die Priester und Weiber gingen auf die Mündungen der Kanonen zu, wurden aber schonungslos abgeschlachtet. Vergeblich beschworen die Mönche den Gouverneur bei allen Heerscharen des Himmels, vergeblich erhoben die Weiber und Töchter ihre Hände. Der größere Teil der Bittsteller wurde niedergemäht, ehe noch sechs der Leitern angelegt werden konnten. Auf diesen nun stürmten die Seeräuber mit großer Wut hinauf, Feuertöpfe und Handgranaten mit sich tragend, welche sie, sobald sie den Mauerrand erreicht hatten, anzündeten und auf die Spanier hinunterwarfen. Dann folgten sie augenblicklich in Mitte der Mordszene und Verwirrung, die sie veranlasst hatten.

Nun wurde nur noch schwacher Wiederstand geleistet. Anfangs warfen die Spanier ihre Waffen zu zweien und dreien weg, dann aber ergaben sich alle mit Ausnahme des tapferen Gouverneurs. Er war entschlossen, an Ort und Stelle zu sterben. Einige der Piraten hieb er nieder, als sie eben im Begriff waren, ihm Pardon anzubieten, und mehrere seiner Soldaten teilten das gleiche Geschick, weil sie ihm zur Unterwerfung rieten. Auf alle Bitten und Vorstellungen antwortete er nur, er wolle lieber als Soldat mit den Waffen in der Hand sterben, denn als Verräter und Memme gehängt zu werden.

Während er so wütete und focht, ließ sich ein durchbohrender Schrei vernehmen. Seine Gattin und seine Tochter warfen sich mit aufgelöstem Haare und unter bitterem Schluchzen vor ihm auf die Knie nieder, um ihn zu bitten, dass er ihr Leben und das seine schone. Dies schien ihn jedoch nur um so mehr aufzubringen, und sie entgingen kaum dem Tod durch seine Hand. Endlich sahen sich seine Feinde genötigt, ihn zu erschlagen. Er empfing die Todeswunde über den Häuptern seiner eigenen Familie und starb in ihren Armen. Spaniens Ritterlichkeit war damals noch nicht ganz erloschen.

Von nun an wurde alle Gegenwehr aufgegeben, und die Bukanier sahen sich in unbestrittenem Besitz des Platzes samt allem, was er barg. Die Nacht hatte begonnen, und sie waren nun schon achtzehn Stunden fast ohne Unterlass im Gefecht gewesen. Alle männlichen Gefangenen wurden in das eine Kastell gebracht, die Weiber in ein anderes und vor beide einige Wachen gesetzt. Die Verwundeten warf man zusammen in einen großen Saal und überließ sie ihrem Schicksal, da man ihnen nicht nur keine ärztliche Pflege, sondern auch keine Nahrung reichte.

Nachdem sich die Piraten leidlich sichergestellt hatten, begannen die schrecklichsten Orgien der Nacht, und bis zum nächsten Tag hatte Morgans Befehl in Wirklichkeit aufgehört. Er wusste dies wohl, denn er kannte die zügellose Natur seiner Leute. Aber unter einem so großen Haufen gibt es stets einige, welche aus Beweggründen des Eigennutzes oder weil sie von Natur aus nüchterner sind, an ihrem Kommandeur festhalten und nicht die Achtung aus dem Auge lassen, die sie ihm und sich selbst schuldig sind.

Unser Held nahm nicht an dem Zechgelagr teil, sondern zog sich traurig zurück, die Nacht allein in Gesellschaft seines neu aufgefundenen Freundes Owen Lywarch, alias Joseph Bradley, zu verbringen. Als sie so wieder zusammentrafen, waren beide weit ernstere und weniger glückliche Männer, als sie zu einer Zeit gewesen, in welcher sie gewaltsam voneinander getrennt wurden. Sie waren viel, sehr viel schlimmer geworden; aber an Verbrechen hatte Henry Morgan seinen Freund weit überboten. Dennoch wagte er es, sein Benehmen zu rechtfertigen und die blutigen Erfolge als Beweise der Richtigkeit seiner Doktrin anzuführen.

Bradleys Abenteuer waren bald erzählt. Man hatte ihn anfangs sehr schimpflich als bloßen Feldsklaven behandelt; aber sein gutes Gemüt und sein wohlwollendes Herz halfen ihm bald weiter. Er gewann das Vertrauen seines Gebieters, um dessen Person er fortan Dienste leistete. Im letzten Überfall hatten ihm die Behörden der Stadt im Vertrauen auf seine Erfahrung und auf das Zeugnis, das ihm sein Gebieter beilegte, die Verteidigung des kleinen Forts übertragen, welches er ohne Weiteres an Morgan abgab, sobald er erfuhr, wen er zum Gegner hatte. Es geschah den Spaniern recht, wenn sie ihre Sicherheit einem Sklaven vertrauten.

Während seiner Gefangenschaft hatte sich Bradley über wenig weiter zu beklagen, als dass er eben ein Sklave war. Mit seinem steigenden Ansehen gab er sich auch den ausschweifenden Leben hin, welches in den Kolonien herrschte. Er war nun ganz darauf vorbereitet, jede verzweifelte Laufbahn einzuschlagen, wenn sie ihm nur die Mittel zur Befriedigung seiner Gelüste bot.

Nichts konnte den großen Wechsel, der in Morgan stattgefunden hatte, deutlicher bezeichnen, als dass er Bradley nicht länger seine Geheimnisse vertraute, obwohl er ihm alle brüderliche Freundschaft anbot und auch zu halten beabsichtigte. Während er Joseph eine kurze Skizze seines Lebens gab, färbte er alle Handlungen, die er ihm vertraute, sehr zu seinen Vorteil. Als er auf den schrecklichen Kapitän Vagardo zu sprechen kam, sagte er bloß ganz kalt, sie beide seien vollkommen an ihm gerächt, denn er habe einen elenden Tod erlitten.

»Und nun Joseph«, fuhr er fort, »habe ich eine kleine Angelegenheit ins Reine zu bringen. Ist diese abgetan, so wollen wir beide uns der so nötigen Ruhe hingeben, denn morgen müssen wir diese Schurken wieder unter Mannszucht bringen. Hörst du, wie die Bestien heulen und schreien? Auch die Weiber kreischen entsetzlich – aber es sind Spanierinnen, Joseph.«

»Ja, Morgan, aber diese Mädchen sind so nahe zu Engel, als man es an diesem heißen Platz nur zu finden erwarten kann. Ich wünschte, deine Leute freiten weniger viehisch.«

»Lass sie gewähren. Doch da habe ich einen Heidenhund von einem jungen Neger, der mir ordentlich diente und den ich liebte. Er wurde gestern niedergeschossen. Im Sterben wandelte ihn noch die Grille an, er möchte ein christliches Grab haben. Bei meiner blutigen Rechten, sein Wunsch soll ihm willfahrt werden, und zwar in einem christlichen und katholischen Begräbnis mit allen Förmlichkeiten der katholischen Kirche und am heiligsten Platz dieser Stadt. Welcher ist dies?«

Joseph Bradley war ein Ketzer, weshalb es nicht überraschen darf, dass er einen besondern Altar andeutete, welcher einem vergessenen Heiligen geweiht war, deren darunterliegende Gebeine als wundertätige Reliquien betrachtet wurden. Morgan war in seiner Wahl schnell schlüssig.

»He da, Roderich Russel«, rief Morgan einem seiner diensttuenden Sergeanten zu, »holt mir augenblicklich drei der am besten aussehenden Pfaffen hierher. Sie sollen ihre Messgewänder, ihre Rauchfässer und was dergleichen Mummerei mehr ist, mitbringen. Und trefft Ihr auf ein paar oder mehr unserer Schanzgräber, welche nüchtern genug sind, um eine Harke handzuhaben, so lasst sie mitkommen.«

Die zitternden Priester wurden herbeigebracht und Zoabindas Leiche, mit einem Tuche bedeckt, auf eine Bahre gelegt. Es bildete sich sofort eine kleine Prozession, welche Morgan anführte. Als sie durch die blutgetränkten Straßen unter den Toten und Sterbenden dahingingen, schielte ihnen mancher trunkene Pirat erstaunt nach. Sobald sie aber die Gestalt und die Stimme ihres Generals erkannten, schlichen sie sich scheu von dannen. Der Zug kam in der Kathedrale an und näherte sich dem Altar. Als aber die Schanzgräber das darunterliegende Grab zu entweihen begannen, blickten die Priester entsetzt zum gewölbten und mit Schnörkelwerk verzierten Dache auf, vergeblich dem rächenden Feuer entgegensehend. Sie waren fast ebenso sehr Leichen, wie die, welche vor ihnen lag.

Man bedeutete ihnen, sie sollten in der Beerdigungszeremonie fortfahren, aber die Dolchspitzen mussten ihr Fleisch empfindlich kitzeln, ehe sie gehorchen wollten. Die Hoffnung des Lebens siegte. Vielleicht wurden sie aufrechterhalten durch die Erwartung der kommenden Rache. So versahen sie denn, die weißen Stollen mit ihrem eigenen Blut getränkt, die heilige Zeremonie, während Bradley sich jedes Mal ins Mittel legte, so oft eine Abänderung oder Auslassung versucht wurde. Ohne Zweifel verrichteten die Priester ihre Funktion mit vielen unausgesprochenen Gelübden und Beteurungen – mit allen Arten geistigen Vorbehalts. Indessen taten sie doch, was man von ihnen verlangte, und die junge garstige Leiche der schwarzen Beischläferin ward unter die wenigen dürren Gebeine des Heiligen gelegt, um daselbst in feuchter Verwesung hinzumodern, bis das Ganze nur noch ein nicht unterscheidbarer Staubhaufen war.

Das Grab wurde nun wieder in so gute Ordnung gebracht, dass am anderen Tag niemand etwas von der vorgegangenen Entweihung ahnte.

Nachdem alles geschehen war, sagte Morgan ruhig, aber streng: »Kapitän Bradley, Kraft meiner eigenen Vollmacht ernenne ich dich zum Amt und Kommando meines teuren verstorbenen Freundes John Smith. Sei so gut, mit diesen braven Burschen zu meinem Quartiere zurückzugehen. Sie werden schweigen über die Torheit, die wir heute Nacht hier gespielt haben. Ich wünsche übrigens, mich noch ein wenig mit diesen frommen Männern über das Heil meiner Seele zu unterhalten. Lasst mich mit ihnen allein.«

Alle, mit Ausnahme der Priester, entfernten sich unterwürfig. Rupert Russel aber brummte gewaltig, als er mit seinen Leuten weitertrabte, und meinte, mit ihrem edlen Kapitän sei alles vorüber, wenn er zum Beten, zu Pfaffen und zu den Messen greife. Falle es einem freien Küsterbruder einmal ein, an den Himmel zu denken, so sei es höchste Zeit, dass er den kürzesten Anlauf dazu nehme, indem er blindlings auf einer Planke über Bord spaziere.

Kapitän Bradley fühlte sich zu sehr als Neuling in seinem erst kürzlich erworbenen Amt, um dem missvergnügten Veteran einen Verweis zu erteilen. Sie alle zogen sich in ihre Quartiere zurück. Am anderen Morgen fand man die drei Priester an verschiedenen Plätzen in der Nähe der Kirche erschlagen. Es war also niemand von den Eingeborenen mehr übrig, um über den Vorgang der Nacht aus der Schule schwatzen zu können. Durch wessen Hand sie fielen, ist nie völlig ermittelt worden, obwohl viele der Seeräuber die Tat sich selbst zueigneten und sogar um die Ehre derselben Händel kriegten. Sie waren jedoch durchgängig zu betrunken gewesen, um ihre Berichte glaubwürdig machen zu können.

Nach dem Abzug der Seeräuber hatte der Altar der Heiligen nichts von seiner Heiligkeit verloren. Es wurden an demselben später ebenso viel Mirakel gewirkt, wie zuvor.

Kehren wir wieder zu den Piraten zurück. Nie zuvor hatten sie sich einer so viehischen Schlemmerei hingegeben. Das Übermaß machte sie so hilflos, dass in Mitte der Nacht oder gegen den frühen Morgen hin zwanzig entschlossene Männer die Stadt leicht hätten wiedergewinnen und die zügellose Bande dem Tod preisgeben können, den sie – wir können nicht umhin, es zuzugeben – wohl verdient hatte.

Doch am nächsten Morgen trat Morgan wieder unter ihnen auf. Aus seiner Tätigkeit gewann der Sergeant die Überzeugung, dass ihm die Pfaffen eigentlich doch nichts hatten anhaben können. Die Männer wurden im großen Viereck gemustert und die noch Betrunkenen getunkt, bis sie wieder nüchtern waren. Dann stellte Morgan Joseph Bradley als den Nachfolger des Kapitäns Smith vor und besiegte bald das bisschen Murren, welches sich hören ließ, durch seine Beredsamkeit, indem er seine Gefährten überzeugte, dass sie ohne den gegenwärtigen neuen Kapitän nicht nur die Stadt, sondern wohl samt und sonders auch das Leben verloren hätten. Dies versöhnte sie, und Bradley wurde mit Jubel bewillkommt.

Dann begann die methodische Plünderung der Stadt, welche die betriebsamen Gentlemen den ganzen Tag lang in Anspruch nahm. Die Nacht entschwand so ziemlich in derselben Weise, wie die vorige, nur eine starke Wachmannschaft blieb gezwungenermaßen nüchtern.

Am dritten Tag wurden die Gefangenen in der gewöhnlichen Weise gefoltert, damit sie ihre verborgenen Schätze entdeckten. Viele starben unter diesen Grausamkeiten. In dieser Weise wurde fünfzehn Tage lang fortgetollt, dass endlich Morgan und Bradley über die Verminderung ihrer Leute unruhig wurden, welche unter dem ungesunden Klima und noch mehr infolge ihrer maßlosen Ausschweifungen in Menge dahinstarben.

Der Präsident von Panama vernahm mit Erstaunen die Kunde dieser Vorfälle und begann die ganze Macht des Landes aufzubieten, eine Maßregel, um welche sich jedoch Morgan durchaus nicht kümmerte. Hatte er doch die Wahl, entweder die Stadt zu verteidigen oder sie in Brand aufgehen zu lassen und sich dann wohlbehalten nach seinen Schiffen zurückzuziehen. Er fürchtete nur das Klima und die selbstmörderische Schlemmerei seiner Mannschaft, welche die einzigen Beweggründe zu seinem schleunigen Aufbruch abgaben.

Unter Bradleys Beistand schiffte Morgan wohlbehalten alle Beute ein, viktualisierte seine Flotte und befahl sodann den noch übrigen Gefangenen, ihre Stadt mit fünfundzwanzigtausend Pfund auszulösen – eine sehr große Summe in jenen Tagen. Zwei Spanier wurden an den Präsidenten von Panama abgeschickt, um dieses Geld eizutreiben, aber Letzterer antwortete nur dadurch, dass er seine Truppen vorrücken ließ. Bradley nahm bloß hundert Mann mit sich, besetzte damit einen Pass und schlug die ganze Armee des Präsidenten zurück.

Während dieser seine Truppen neu verstärkte und sich von seiner erlittenen Niederlage erholte, ließ er Morgan sagen, wenn er sich nicht von Puerto Velo zurückziehe, so werde er, der Gouverneur, ihn und alle seine Begleiter aufknüpfen lassen, sobald er dort anlange. Morgan antwortete darauf, er wolle bleiben, bis das Lösegeld eingelaufen sei. Wenn übrigens dies nicht schleunigst bezahlt werde, so werde er alle Gefangenen erschlagen, die ganze Stadt niederbrennen und die Kastelle zerstören lassen.

Da der Bombast des Präsidenten so wenig als dessen militärische Operationen Erfolg gehabt hatten, so geriet dieser Ehrenmann in ein gewaltiges Erstaunen, wie Morgan mit nur vierhundert Mann eine große Stadt habe nehmen können, die durch so viele starke Kastelle verteidigt und mit tapferen regulären Truppen bemannt war – um so mehr, da die Piraten keine Artillerie oder sonstige Maschinen hatten, um eine Bresche zu erwirken.

Zunächst schickte er unserem Helden einen Boten und ließ ihn fragen, was er doch für Waffen besitze, die ihn augenscheinlich so unüberwindlich machten. Morgan behandelte den Gesandten höflich und sandte ihn mit einer kleinen Pistole nebst einigen Kugeln zurück und beauftragte ihn, seinem Gebieter zu sagen: »Der Präsident solle dieses kleine Muster von den Waffen, womit er Puerto Velo erobert habe, annehmen und es zwölf Monate behalten. Nach dieser Zeit wolle Morgan nach Panama kommen und es wieder abholen.«

Der Präsident erwiderte die Höflichkeit damit, dass er Morgan einen goldenen Ring überbringen und die Pistole mit der Bemerkung zurückgeben ließ: »Letztere brauche er nicht, da es ihm an Waffen durchaus nicht fehle. Auch bitte er Morgan, sich nicht mit einem Besuch in Panama zu bemühen, da er dort sicherlich nicht so gut fahren werde wie zu Puerto Velo.«

Während die beiden Kommandeure so Liebenswürdigkeiten austauschten, wurden die armen Bewohner Puerto Velos aufs Schlimmste bedrückt und gefoltert, bis sie die volle Summe von 25.000 Pfund zusammengebracht hatten. Nachdem diese Beute nebst den Kanonen der Forts, welche von Nutzen sein konnten, an Bord gebracht, die übrigen aber unbrauchbar gemacht worden waren, segelte die Flotte zum alten Sammelplatz, einer Insel unter dem Keys, südlich von Kuba, wo sie ruhig ihren Raub teilten. Sie fanden, dass sie allein in barem Geld siebzigtausend Pfund zusammengebracht hatten, während die erbeuteten Kaufmannsgüter jedenfalls eben so viel wert waren.

Sobald die Teilung vollzogen war, begaben sie sich nach Port Royal in Jamaika, wo sie im Laufe eines Monats diesen ganzen Reichtum auf die unsinnigste Weise verschwendeten. Jamaika hatte allen Grund, die Freibeuter zu lieben. Von diesen Toren müssen wir jedoch Morgan und Bradley ausnehmen, denn obwohl sie sich gleichfalls gütlich taten, hatten sie doch beide Verwendung ihrer Schätze höhere Zwecke im Auge.