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Die Gespenster – Zweiter Teil -Sechsundzwanzigste Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Zweiter Teil

Sechsundzwanzigste Erzählung

Das Gespenst unter der Larve eines Visitators

Nicht aus Furcht vor Gespenstern, sondern aus anderen bekannten Ursachen bin ich gewohnt, auf Reisen und in jedem fremden Haus die Tür meines Schlafzimmers des Nachts zu verschließen und zu verriegeln. Indessen hat die Erfahrung mich gelehrt, dass man auch bei dieser angewandten Vorsicht noch nicht vor jedem unerbetenen Besuch gesichert ist. Ja, es fehlte nicht viel, ich wäre einst überzeugt worden, dass es Menschen gäbe, deren Zauberkräften kein Schloss zu stark, kein Riegel zu fest sei.

Im Jahre 1792 reiste ich durch Köln am Rhein. Ich hatte einen Koffer bei mir, worin sich nichts befand, was in dieser weiland freien Reichsstadt akzisebar gewesen wäre. Indessen hatte ich doch nicht Lust, den Visitator nach Willkür darin hausen zu lassen, zumal da die Durchsuchung vor dem Zollhaus auf freiem Platz geschah und man durch das müßige Gesindel, welches die Fremden zu Köln sogleich bettelnd umringt, leicht bestohlen werden kann. Aus Unwissenheit über den Lauf der Geschäfte in dieser Stadt hatte ich mir weder einen Stadtsoldaten zur Begleitung meines Koffers zum Gasthof erbeten noch auch dem Visitator die Hand versilbert. Dieser schikanierte mich daher, und ich geriet mit dem Ehrenmann in einen Wortwechsel. Die Gerechtigkeitsliebe eines dazukommenden Offizianten legte indessen unsere Händel zu meiner Zufriedenheit bei. Ich verschloss nun meinen Koffer und ließ ihn zum Gasthof bringen, in welchem ich einkehren wollte.

Dem Wirt, einer von jenen geschwätzigen und neugierigen Menschen, die den Reisenden oft so sehr zur Last sind, war die finstere Miene, womit ich bei ihm eintrat, nicht entgangen. Er hörte nicht eher auf, zudringlich zu sein, bis ich ihm, um seiner nur loszuwerden, den Vorfall erzählte. Kaum hatte ich ihm die Person des Visitators genau beschrieben, so erwiderte er mit bedeutungsvoller Miene, ich hätte es mit einem sehr bösen Mann zu tun gehabt, mit einem Mann, der auch noch in manch anderen Hinsicht zweideutig und furchtbar sei. Die nähere Erklärung musste er mir für dieses Mal schuldig bleiben, weil ich hungrig und müde war. Bald nach dem Abendessen verschloss ich mein Schlafzimmer und legte mich, noch etwas verdrießlich über die Ungeschliffenheit des Zollbedienten, zu Bett.

Kaum hatte ich mich niedergelegt, so öffnete man von außen die Tür meines Zimmers. Mit dem Licht in der Hand trat mein grober Gegner herein, ging mit einer unbeschreiblichen Verwogenheit gerade auf mein Bett zu und nahm aus den Beinkleidern, die vor demselben auf einem Stuhle lagen, den Schlüssel zum Koffer heraus. Ich fragte nichts weniger als auf eine sanfte Art, was er hier zu suchen habe. Ein drohender Blick war indessen die ganze Antwort, deren er mich würdigte. Er schloss hierauf den Koffer auf, rückte den in der Mitte der Stube stehenden Tisch näher an den Koffer und stellte mehrere Stühle dicht neben einander. Zwei auf dem Tisch liegende geladene Taschenpistolen legte er behutsam neben den Koffer auf die Erde und die Taschenuhr aufs Fenster.

Bis hierher hatte ich ihm, im Bett sitzend, zugesehen, ohne zu wissen, wozu ich mich entschließen sollte. Da er aber im Ernst anfing, auszupacken, und ich fürchten musste, dass ein Funken vom Licht in den Koffer fallen könne, warf ich mich in meinen Überrock, um ihm zu leuchten. Ich erinnerte ihn, dass der Koffer ja schon durchsucht worden sei, aber er ließ sich dadurch nicht abhalten, Stück für Stück genau zu untersuchen. Sogar einige Papiere rollte er auf, jedoch ohne sie zu lesen. Was er besehen hatte, legte er bald hier, bald dorthin, sodass am Ende Tisch und Stühle voll waren. Nach Vollendung seines mir unnütz scheinenden Dienstgeschäftes zog er einen gedruckten Zettel aus der Tasche, füllte ihn mit der auf dem Spiegeltisch stehenden Tinte und Feder aus und übergab ihn mir. Hierauf ging er, während ich den Zettel las, schweigend zur Tür hinaus. Die zurückgelassene Bescheinigung besagte weiter nichts, als was man mir schon einmal bezeugt hatte, dass der Koffer nichts enthalte, was nicht ungehindert in die Stadt eingebracht werden dürfe.

Da es Torheit ist, sich über Dinge zu ärgern, die nicht zu ändern sind, so warf ich mich geschwind wieder ins Bett, um den abermaligen Verdruss zu verschlafen. Zum Wegpacken der Sachen, dachte ich, ist ja am nächsten Morgen noch Zeit genug. Als ich erwachte, war es bereits heller Tag. Ich sprang daher rasch aus dem Bett, um aufzuräumen. Zu meiner nicht geringen Verwunderung lag von den sämtlichen Sachen nichts mehr auf Tisch und Stühlen. Ich erschrak heftig, denn es fiel mir schwer aufs Herz, dass ich, als der Visitator weggegangen war, vergessen hatte, die Tür wieder zu verschließen. Nichts schien mir daher gewisser, als dass mir die Sachen in der Nacht gestohlen wären. Ich lief in dieser Verlegenheit zur Tür, wollte im Haus schon Lärm machen und den Wirt rufen. Sonderbar! Die Tür war noch in dem nämlichen Zustand, worin ich sie den Abend vorher gesetzt hatte, das heißt von innen fest verschlossen und verriegelt.

So überrascht wusste ich nicht, was ich davon denken sollte. Nun erst besah ich den Koffer und fand auch den verschlossen. Ich öffnete ihn, und alles lag gerade so, wie ich es hineingelegt hatte. Auch der Tisch, die Stühle im Zimmer standen genau so, wie sie am Abend zuvor gestanden hatten. Nirgends im ganzen Zimmer fand sich jene in der Nacht mir überreichte Bescheinigung. Endlich versicherte auch der Wirt, dass sein Hauptschlüssel, der jedoch auch nur mein unverriegeltes Zimmer zu öffnen imstande sei, seitdem er mir eine gute Nacht gewünscht habe, nicht aus seinen Händen gekommen wäre.

So sehr kann ein lebhafter Traum gaukeln und täuschen, besonders wenn die Seele beim Einschlafen mit einem sehr freudigen Gegenstand oder, welches bei meiner Anwesenheit zu Köln der Fall war, mit einem unangenehmen Ereignis noch stark beschäftigt ist.