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Mystische Schriften 7

Tobias Bachmann
Mystische Schriften 7
Innsmouth-Harlekin

Kurzgeschichten, Taschenbuch, Arcanum Verlag Bickenbach, Oktober 2018, 120 Seiten, 5,00 Euro, keine ISBN, Titelbild: David Ludlow

Mystische Schriften ist eine Reihe von einzelnen Kurzgeschichten und Novellen, die Geheimnisse, Mythen und Legenden zum Thema haben, sich aber keinem Genre verpflichtet fühlen müssen.

Synopsis:
1936 veröffentlichte Howard Phillips Lovecraft die Erzählung Schatten über Innsmouth. Sie gehört zu seinem bekannten und beliebten Cthulhu-Mythos. Seit der Veröffentlichung des Mythos haben sich immer wieder Autoren daran versucht.

Mal mit mehr, mit weniger Erfolg. Tobias Bachmann, der die Geschichte über die Stadt Innsmouth aufnahm, gelingt es, den Leser in die Welt Lovecrafts mitzunehmen. Er erzeugt eine Stimmung, die der Lovecrafts in nichts nachsteht.

Eine gelungene Novelle. Düster und geheimnisvoll.

Leseprobe:

Abenteuer eines Harlekins: erster Teil

Es tut gut, diese Geschichte niederzuschreiben. Auch wenn die erneute Auseinandersetzung mit meinen Erlebnissen zwangsläufig das Aufklaffen alter Wunden nach sich zieht.

Ich schreibe in einem stinkenden Hotelzimmer, das für mich nicht mehr ist, als eine Zwischenlö­sung. Eine notdürftige Unterkunft, in der ich nicht länger verweilen werde, als unbedingt nötig.

Seit ich den Clown getroffen habe, bin ich ein Getriebener. Gleichsam auf der Reise, wie auf der Flucht. Mein Ziel ist bekannt, doch scheue ich davor zurück, es zu erreichen.

Freiwillig würde ich hier keine Nacht verbrin­gen. Da lobe ich mir all die anderen Zimmer, in denen ich bereits nächtigte, gleich wie schmuddelig sie auch waren.

Heute war ein heißer Tag. Den ganzen Tag über prallte die Sonne gegen die Scheiben des Zimmers, sodass sich dieses saunagleich aufheizte. Ich ver­suchte, zu lüften, doch das Dröhnen der Motoren ist zu laut. Die Straße entpuppte sich als Hauptver­kehrsader. Dahinrauschende Autos und knatternde Motorräder, die unmittelbar unter meinem Fenster Gas geben. Fehlzündungen im Zylinder. Lastwägen sind besonders schlimm; ebenso Busse, die ich mir als Truppentransporte vorstelle, gefolgt von Panzern und schwerer Artillerie.

Also das Fenster schließen.

Sauna.

Da man es hier drinnen anders nicht erträgt, ziehe ich mich aus. Macht man in einer Sauna ja auch so.

Ein Blick in den Spiegel erinnert mich daran, warum ich hier bin. Ich betrachte mein verändertes Äußeres. Meine schuppige Haut. Mit den Händen streife ich darüber, einige der Schuppen fällen auf den ranzigen Teppichboden. Es sind keine Haut­schuppen. Nein. Fischschuppen sind es.

Haben Sie schon einmal einen Fisch entschuppt? Dann können Sie sich vorstellen, wie meine Haut aussieht.

Seit ich den Clown getroffen habe, geht das nun so. Es ist noch gar nicht so lange her. Ein paar Wochen, höchstens Monate. Ein Treffen, das sich als der schlimmste Fehler meines Lebens entpuppte.

Dabei habe ich lange nach dem Clown gesucht. Er war Teil meiner Recherche, die sich mit dem Verschwinden einiger Mädchen und Jungen beschäf­tigte. Die Geschichte mit dem Clown versprach eine heiße Spur zu sein, zumal eines der verschwundenen Kinder meine kleine Halbschwester war.

Zeugen haben beobachtet, dass die Kinder von einem Clown entführt wurden, doch niemand wusste, wohin und zu welchem Zweck. Als ich den Clown in dem kleinen, verschlafenen Fischerdorf namens Innsmouth aufspürte, schien ich am Ziel zu sein. Das Treffen mit dem Clown zu organisie­ren, war dabei das geringste Problem. Zumal der Kerl sehr redselig war, eine Eigenschaft, die zunahm, je mehr Alkohol er getrunken hatte. Zu Beginn seiner Erzählung war ich mir nicht sicher, ob es sich bei meinem Clown um den richtigen handelte, aber irgendwann kam der Punkt, wo sich die Sache klärte. Ich brauchte ihn gar nicht mit meinen Vorwürfen zu konfrontieren. Er erzählte mir von selbst alles, was ich wissen musste.

Erst, als ich explizite Details von ihm forderte, stellte er mich vor die Wahl. Ich musste mich entscheiden.

Oh, welch ein Narr ich war.

Seitdem bin ich ein Getriebener. Gestrandet in diesem fürchterlichen Hotelzimmer, irgendwo im Herzen des Kontinents. Bin auf der Suche. Und auf der Flucht.

Vor mir selbst.

 

***

 

Als die Meldung über die entführten Kinder die Runde machte, befand sich Martin Harlekin in einer Kneipe. Er saß am ansonsten verwaisten Tresen und blickte gedankenverloren in sein leeres Bierglas, in dem die Reste des Schaumes krude Formen gebildet hatten.

Als die Meldung über die entführten Kinder die Runde machte, befand sich Martin Harlekin in einer Kneipe. Er saß am ansonsten verwaisten Tresen und blickte gedankenverloren in sein leeres Bierglas, in dem die Reste des Schaumes krude Formen gebildet hatten.

Der Barkeeper war soeben losgegangen, um irgendeinem Typen am Tisch ein neues Getränk zu servieren.

Harlekin sah die Massen an Spirituosen, die vor der Spiegelglasfläche aufgereiht standen, wie die Mahnwache der Anonymen Alkoholiker, denen er seit genau einer Bierglasfüllung nicht mehr angehörte.

Grund war der Rauswurf aus der Zeitung, bei der er als Redakteur gearbeitet hatte. Seine letzten Artikel seien schlecht gewesen und der Chefredakteur hatte seine Recherchen als schlampig bezeichnet.

Vielleicht hatte er ihn nur einschüchtern wollen, dachte er. Harlekin ließ sich nicht provozieren. Stumm hatte er die Beschuldigungen über sich ergehen lassen, und als sein Chefredakteur fertig war, hatte Harlekin sich wortlos umgedreht und das Büro verlassen.

Direkt neben dem Redaktionsgebäude befand sich das Mouthsʹ Inn, ein schäbiger Name für einen noch schäbigeren Pub, wie er befand. Dort saß er nun zusammengesunken am Tresen, wartete auf seine neue Bestellung und beschloss, auf die Welt zu pfeifen.

Rechts vom Tresen berieselte ein Fernsehgerät die wenigen Gäste mit dem Sportkanal. Fußball, Tennis, Formel 1, ab und an unterbrochen von Wer­bung über Bier, Autos und Rasierschaum. Einmal die Stunde gab es Nachrichten. Martins einziges Metier auf diesem Sender.

Sein Talent war, um die Worte des Chefredak­teurs zu verwenden, ›unzureichend‹ und Harlekin darüber verärgert. Der Wirt kam und linderte seinen Trübsinn durch ein gelbes frisch-herbes Erfrischungsgetränk mit bitterer Krone. Harlekin setzte das Glas nur drei Mal an, bevor es der Wirt erneut an den Zapfhahn hielt.

Die Titelmelodie des Nachrichtensenders riss Harlekin aus seinen Gedanken. Woher sein Interesse für das Weltgeschehen stammte, konnte er nicht sagen. Es war schon immer da gewesen. Er hatte Journalismus studiert und sich binnen weniger Jahre an die Spitze der vordersten Front emporge­arbeitet. Wortwörtlich. Nach vier Jahren als Kriegs­korrespondent hatte er alles gesehen – vor allem Dinge, die er nicht sehen wollte. Alles, was er von seinen Einsätzen im Irak, in Afghanistan und in Syrien mitnahm, waren Erinnerungen an von Kugeln und Bomben zerfetzte Körper, sowie seine Alkoholsucht.

Die Sache mit dem Alkohol schien er in den Griff zu bekommen, als seine Mutter ihm ihre neue Schwangerschaft mitteilte. Zu Beginn fand Harlekin es lächerlich. Als seine Halbschwester Clarissa das Licht der Welt erblickte, schöpfte er neue Hoffnung und Lebensmut.

Bis heute schrieb er lächerliche Reportagen für das schmierige Käseblatt mit dem Arschloch von Chefredakteur, der keine Ahnung von Journalismus hatte. Das war vorbei. Es galt, nach vorne zu schauen. Er musste für Clarissa ein Vorbild sein. Nur heute würde er trinken. Nur heute.

Harlekin setzte sein Bier an und schmeckte das herrlich bittere Gesöff. Mit dem Handrücken wischte er sich den Schaum vom Mund und blickte wieder in den Fernseher.

Das Gesicht von Clarissa blickte zurück.

»… ist es der Lehrerin ein Rätsel, wie es zu der Entführung kommen konnte«, sagte die Nachrich­tenkorrespondentin gerade. »Zeugen haben beob­achtet, wie ein als Clown verkleideter Mann die Kinder in das Zirkuszelt lockte. Die Identität des Clowns konnte bislang nicht geklärt werden. Der Verbleib der Kinder ist den Behörden ein Rätsel. Die Untersuchungen des Zirkuszeltes verliefen ergebnislos.«

Ein Mann in Polizeiuniform und mit Schnauzbart wurde eingeblendet. »Wir werden alles tun, um die Kinder zu finden und sie wieder der Obhut ihrer Eltern übergeben zu können.«

Schnitt auf ein Areal, auf dem sich mehrere Zirkuszelte befanden. Die Korrespondentin im Vor­dergrund: »So weit die neuesten Meldungen aus Innsmouth und dem dortigen Zirkusfestival. Zurück nach …«

Martins Herz raste. Er zahlte und machte sich sofort an die Arbeit. Man konnte ihm sicherlich vieles nachsagen, aber keinesfalls schlampige Recherche. Schon gar nicht, wenn es um das Leben seiner Halbschwester ging.

Erst vier Jahre später – die Untersuchungen des Vorfalls waren seitens der Behörden längst eingestellt – machte er in einem verrufenen Fischerort namens Innsmouth den besagten Clown aus, von dem es hieß, er habe die Kinder entführt. Nachweisen konnte man ihm natürlich nichts, aber Harlekin war sich sicher, dass es sich bei dem berüchtigten Clown um den Entführer und wahrscheinlichen Mörder seiner Halb­schwester handelte.

Unter dem Vorwand einer Reportage über das Zirkusfestival vereinbarte Harlekin einen Interview­termin.

 

***

 

So traf ich den Clown zu Innsmouth. Im Fol­genden stelle ich Ihnen meine Aufzeichnungen zur Verfügung. Mögen Sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Doch hüten Sie sich vor den Konsequenzen.

Die meinen sind kaum zu ertragen.

Wieder blicke ich in den Spiegel. Einmal mehr kratze ich mir die Schuppen vom Leib, nur um festzustellen, dass sich darunter Neue bilden.

Veröffentlichung der Leseprobe mit freundlicher Genehmigung des Verlages