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Der Alte vom Berge – Kapitel 6

C. F. Fröhlich
Der Alte vom Berge
Oder: Taten und Schicksale des tapferen Templers Hogo von Maltitz und seiner geliebten Mirza
Ein Gemälde aus den Zeiten der Kreuzzüge
Nordhausen, bei Ernst Friedrich Fürst, 1828

VI.

Die Lage der Christen hatte sich seit Hugos Gefangenschaft noch sehr verschlimmert.

Westlich und südlich drangen oft kleine Heere der begeisterten Sarazenen bis an die Mauern Jerusalems, raubten und verwüsteten die Umgegend so sehr, dass bald ein allgemeiner Mangel an Lebensmitteln in der Stadt herrschte.

Die tapferen Johanniter und Templer waren kaum noch imstande, den häufigen Anfällen der Feinde mit Nachdruck zu begegnen. Der König bekümmerte sich wenig um die Angelegenheiten seines Reiches, aber desto mehr um Bankette, Ringelstechen und andere Lustbarkeiten.

Glücklich kam Hugo in der Stadt an, wo eben allgemeine Freude über einen kleinen erfochtenen Sieg herrschte. Mit sonderbaren Gefühlen betrat er wieder den Tempelhof, wo den Totgeglaubten seine Brüder freundlich bewillkommten.

Der Turkopolier versäumte nicht, den schriftlichen Bericht des Komturs wegen des Ringes an den Großmeister abzugeben. Nachdem er den Bericht flüchtig durchlesen hatte, erhielt Hugo sogleich Arrest in seiner Zelle. Ihn kümmerte dies wenig, doch dachte er lebhaft an die bösen Folgen, in welche er durch den Ring verwickelt werden könnte. Indem wurde hastig die Tür des Gemaches aufgerissen. Mit freundlichem Angesicht stürzte der Drapier herein.

»Wo habt Ihr den Dolch mit dem Blut des Alten!«, schrie er.

»Den Dolch hat mir der Alte abnehmen lassen«, entgegnete er ziemlich unwirsch.

»Nun ist unser Untergang im Morgenland gewiss«, meinte jener, setzte aber hastig hinzu: »Ohne den verhassten Alten erdolcht zu haben, wäre ich an Eurer Stelle wahrlich nicht wiedergekehrt.«

Hugo begann nun, um sich zu rechtfertigen, seine Erzählung, wodurch der Drapier wieder recht freundlich wurde und bei seiner Entfernung ihm die Hand reichte.

Noch war es nicht Mitternacht, als zwei Brüder in Hugos Zelle erschienen, um ihn in den Kapitelsaal zu geleiten.

»Leb wohl, du liebe Zelle«, sagte er wehmütig »ich werde dich nicht wiedersehen.« »Auf meine Stimme kannst du ganz rechnen«, sagte der eine Ritter zu ihm, in welchem Hugo beim schwachen Schein seiner Lampe seinen Freund Hunfred von Gassert erkannte.

»Ist denn heute große Sitzung, dass du auch dabei bist?«, fragte er recht freundlich, denn er wusste recht gut, dass ihn die meisten Brüder liebten.

»Jawohl«, entgegnete Hunfred, »wir haben schon verschiedene Sachen abgehandelt, die ich dir vielleicht noch heute mitteilen will. Doch jetzt folge uns schnell, man erwartet dich!«

Ermutigt durch seinen Freund und durch seine gerechte Sache trat er mit stolzen Schritten in den Kapitelsaal, wo wenigstens 300 Ritter versammelt waren, die einen Halbmond bildeten, in dessen Mitte der Großmeister, von den Häuptern des Ordens umgeben, auf einem nicht kostbaren Stuhl saß. Achtzig Kerzen erleuchteten den Saal und warfen einen hellen Schein auf die Rüstungen der Ritter.

Eine ehrerbietige Stille herrschte und auf manchem Gesicht las man Teilnahme für den Eintretenden. Sich tief vor den Großmeister verneigend trat er ziemlich nahe.

Die Stille herrschten och einige Minuten fort, bis der Großmeister mit erhabener Stimme begann: »Der Bruder Komtur auf der Veste Sarazin meldet mir, dass Ihr einen Ring von der Tochter des Alten vom Berge erhalten hättet, den Ihr an den Ordennicht abliefern wolltet.«

»Er hat mir den Ring aus der Hand gerissen!«, schrie Brömser.

»Schweigt, bis Ihr gefragt werdet«, donnerte ihn der Großmeister an.

»Hochwürdigster Großmeister erlaubt, dass ich Euch in aller Kürze Bericht von meiner Sendung abstatte, und dann urteilt«, entgegneteHugo.

»Gebt mir Euer Ehrenwort, dass Ihr keine Unwahrheit sagen wollt«, befahl der Großmeister.

Nachdem Hugo dies getan hatte, begann er seine Erzählung, die er mit den Worten schloss: »Jetzt urteilt selbst, Hochwürdigster, ob der Orden das geringste Recht zu dem Ring hat?«

Nachdenkend entgegnete jener: »Die Geschichte Eurer Befreiung klingt höchst abenteuerlich, denn welche Ursachen könnte wohl das Mädchen gehabt haben, um Euch zu befreien, wenn Ihr nicht in genauer Verbindung mit ihr gestanden hättet?«

»Die Heidendirne hat ihn und er sie geliebt«, fiel Brömser, der Turkopolier abermals ein.

Der Großmeister warf einen vernichtenden Blick nach ihm, schwieg aber doch und wendete sich wieder zu Hugo. »Der Ring ist allerdings ein Eigentum des Ordens, denn in dessen Sendung erhieltet Ihr ihn; ob nun zum Geschenk oder als Beute, so ist er doch des Ordens Eigentum.«

Hugo wollte antworten, allein der Großmeister befahl einigen Rittern, die Wachen um den Kapitelsaal verdoppeln zu lassen, damit sich kein Lauscher nähern könnte.

Nachdem dies geschehen war, fuhr der Großmeister fort: »Durch diesen Ring kann es einen der gegenwärtigen Brüder leicht werden, in einer gewöhnlichen Kleidung, sich dem Alten zu nähern und ihn niederzustoßen. Gebt mir den Ring!«

»Unmöglich kann dies Euer Ernst sein, Hochwürdigster«, entgegnete Hugo, »die Tochter hat mir den Ring aus Gutmütigkeit gegeben, und nicht darum, dass ihr Vater dadurch ermordet wird. Ich würde also schlecht handeln, wenn ich den Ring an den Orden ausliefern wollte. Doch verspreche ich dem Orden eine zehnmal schwerere goldene Kette als dieser Ring.«

»Ihr sprecht sonderbar«, meinte der Richter. Zu der Versammlung gewendet fragte er: »Und was ist Eure Meinung, meine Brüder?«

»Der Ring muss abgeliefert werden!«, schrien die meisten Stimmen, unter denen man vorzüglich die des Brömser erkannte.

»Ihr habt Euch schon widerspenstig gegen den Komtur zu Sarazin betragen«, donnerte der Großmeister ihn nun an, »und wagt es auch hier sogar Eure Keckheit zu treiben. Augenblicklich übergebt Ihr mir den Ring!«

»Lieber sterben«, entgegnete Hugo, sprang mit wenigen Sätzen zurück und öffnete ein Fenster: »Darf ich den Ring behalten oder nicht?«, fragte er mit starker Stimme.

Mit Erstaunen sahen die Ritter nach ihm. Der Großmeister schien sich zu besinnen. Da stürzte Brömser auf ihn zu, um ihm den Ring zu entreißen, aber Hugo gewahrte dies kaum, so warf er ihn in den mit Wasser angefüllten Graben.

Mit stolzen Schritten näherte er sich wieder dem Großmeister, indem er sprach: »Der Ring liegt im tiefen Graben und standhaft erwarte ich das Urteil dieser Versammlung.«

Der Großmeister blickte recht freundlich auf den kecken Jüngling, während der Unterturkopolier Brömser mit einigen seiner Gefährtenschrie: »Er muss eingemauert werden!«

Hunfred von Gassert und Hugos Freunde schrien hingegen um Gnade. Der Tumult wurde hierdurch bald so groß, dass man kein Wort deutlich verstehen konnte. Der Großmeister gebot mit einem weißen Stäbchen Ruhe, aber die Gemüter waren so gegeneinander aufgebracht, dass eine geraume Zeit verstrich, ehe diese eintrat.

»Er muss eingemauert werden!«, schrie plötzlich Brömser wieder.

Jetzt war die Geduld des Gebieters gerissen. »Augenblicklich verlasst Ihr den Saal«, herrschte er ihn an, »und wartet vor der Tür unseres Beschlusses!«

Er versuchte, dagegen zu protestieren, aber der Gebieter winkte mit der Hand. Mit zornrotem Gesicht entfernte er sich.

Eine tiefe Stille war an die Stelle des Tumults getreten.

»Brüder«, begann nun der Großmeister, »der Orden hat die gerechtesten Ansprüche an den Ring , besonders da er von großem Nutzen für uns sein konnte. Allein Hugo von Maltiz hat rechtlich gehandelt, dass er den Ring nicht an uns ablieferte, denn die Heidendirne hatte ihn diesen zu seiner Sicherheit gegeben und ahnte gewiss nicht, dass das Leben ihres Vaters dadurch in Gefahr kam. Mir und dem Komtur hat Hugo den Gehorsam verweigert. Beides sei ihm verziehen, aber dass er den Gesetzen des Ordens nicht Folge leistete, verdient Strafe, die darin bestehen soll, dass er als Anführer mit einer Schar nach dem Libanon eilen soll, um die Assassinen und den Alten zu vernichten!«

Ein fast einstimmiges Es ist recht gerichtet! Lange noch lebe unser edler Großmeister! ertönte von den Lippen der Versammlung.

Hugo aber war überrascht durch dieses günstige Urteil. Er stürzte vor dem Gebieter auf die Knie und küsste ihm die Hand.

»Ein Held wie Ihr«, sagte jener, »muss vor einem Menschen nicht knien. Diese Ehrfurcht gebührt nur Gott. Steht auf!«

Die Sitzung war beendet. Froh eilte Hugo zu seiner Zelle, die er nicht wieder zu erblicken geglaubt hatte.

Die Wut Brömsers über seinen verfehlten Wunsch war fast ohne Grenzen. Er tobte wie ein Unsinniger und hatte sogar große Lust, eine Verschwörung gegen den Gebieter anzuzetteln, welches ihm aber nicht gelang.