Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Deutsche Märchen und Sagen 18

Johann Wilhelm Wolf
Deutsche Märchen und Sagen
Leipzig, F. A. Brockhaus, 1845

18. Die Eisenkerle

Vor langer, langer Zeit war einmal ein Königssohn, der ging von zu Hause weg und wollte die Welt bereisen. Als er nun schon zwei Tage und zwei Nächte immer weiter gegangen war, da sah er am Morgen des dritten Tages in der Ferne ein großes schönes Schloss. Er ging darauf zu und kam an eine Mauer, auf der ein eisernes Gitter stand. Daran ging er herum und gelangte so endlich zur Tür. Daran klopfte er. Auf das Klopfen kam ein steinaltes Mütterchen und machte ihm auf. Sie führte ihn dann in das Schloss und zeigte ihm alle ihre Schätze, welche in vier großen Sälen aufgehäuft lagen.

Im ersten Saal sah man nichts als hohe Haufen von Kupfergeld. Dabei lag ein Kerl von Eisen, der war sieben Ellen lang. In einer Ecke aber war ein kleines eisernes Türchen.

Als der Königssohn das sah, fragte er das Mütterchen, was dahinter verborgen wäre. »Das ist ein Stahl, ein Stein und ein Stück Schwamm«, sprach das Mütterchen und öffnete das Schränkchen.

Da fand der Königssohn, dass sie die Wahrheit gesagt hatte. Es wunderte ihn sehr, dass das Mütterchen diese drei Dinge so gut verschlossen hielt, und er dachte, sie müssten wohl von besonderer Kraft sein.

Das Mütterchen zog ihn aber am Arm und führte ihn in den zweiten Saal. Da lag alles voll Silbergeld und dabei ein Eisenkerl, der war vierzehn Ellen lang. Danach kam er in den dritten Saal, der ganz voll Gold war, und bei dem Gold lag wieder ein Eisenkerl, der war noch sieben Ellen länger als der vorige und maß einundzwanzig Ellen. Als der Königssohn das alles nun recht lange bestaunt und sich ob des Reichtums sehr gewundert hatte, da führte das Mütterchen ihn in den vierten Saal. Da liefen ihm aber die Augen über von all dem Glanz, der daselbst leuchtete, denn der ganze Boden war mit Haufen von Diamanten und Karfunkeln bedeckt, einer größer als der andere und der größte war so groß wie ein Kinderkopf. Dabei lag wieder ein Eisenkerl und der hatte achtundzwanzig Ellen in der Länge.

Nachdem der Königssohn nun seine Augen herzlich an all den Schätzen geweidet hatte, fragte das Mütterchen ihn, ob er nicht bei ihr bleiben wolle. Er war dessen gar zufrieden und blieb sieben Wochen bei ihr. Im Verlaufe der Zeit erkannte er, dass das Mütterchen eine Hexe war. Darum wollte er doch nicht mehr bleiben und sagte, er müsse nun weiterziehen, aber das Mütterchen bat ihn, er möge denn nur noch drei Jahre, drei Monate und drei Wochen bei ihr bleiben. Darin willigte er ein und blieb auch die Zeit noch. Als diese aber auch zu Ende war, sprach er, er müsse nun durchaus fort.

Da sprach das Mütterchen: »So ohne alles kann ich dich nicht gehen lassen. Nimm dir aus meinen vier Sälen so viel dir beliebt und fülle dir davon diese vier Säckchen.« Der Königssohn nahm die Säckchen, ging in die Säle und füllte sie dort. Als er alle voll hatte, machte er das eiserne Türchen auf und nahm den Stahl, den Stein und den Schwamm und steckte dieses in die Tasche. Kaum hatte er das aber getan, als die Hexe heranstürmte und ihn ermorden wollte. Doch er fasste sie, drehte ihr den Hals um und warf sie in den Brunnen. Dann nahm er einen Wagen, spannte Pferde daran, lud so viel er konnte auf, fuhr damit aus dem Schloss weg und fort, bis er in eine Stadt kam, wo ein mächtiger König wohnte. Da kehrte er in einem Wirtshaus ein und begehrte Essen. Als er das hatte, begann der Wirt ihm zu erzählen, wie der König eine so überaus schöne Tochter habe, dass man auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen fände. Dazu wäre sie so geschickt, dass sie alles verstünde, was es nur sein möchte, Malen, Singen, Tanzen, kurz alles. Dies alles machte auf den Königssohn einen so tiefen Eindruck, dass er die schöne Prinzessin für sein Leben gern einmal gesehen hätte. Aber er wusste kein Mittel, um dazu zu gelangen. Doch gab er die Hoffnung nicht so bald auf und dachte bei sich, er wolle einmal auf sein Zimmer allein gehen und eine Pfeife guten Tabak rauchen, dann würde ihm wohl etwas einfallen. Das tat er denn auch, stopfte sich seine Pfeife, zog den Stein aus der Tasche, legte etwas Schwamm darauf und schlug mit dem Stahl, um also Feuer zu bekommen. Beim ersten Schlag brannte der Schwamm schon. Zugleich aber gab es ein großes Gepolter.

Ehe er sich es versah, stand einer von den Eisenkerlen vor ihm und fragte: »Was willst du, dass ich tun soll?«

Anfangs war der Königssohn heftig erschrocken, doch fasste er sich bald und sprach: »Ich will, dass du mir die schöne Königstochter bringst.«

Da verschwand der Eisenkerl, kam drei Minuten danach wieder und stellte die schöne Königstochter vor ihn hin.

Der Königssohn sank ihr alsbald zu Füßen und gestand ihr, dass er sie sehr liebhabe, und fragte sie alsdann, ob sie ihn heiraten wolle. Das wollte die stolze Prinzessin aber nicht, obwohl er sie bis zum hellen Morgen immer noch darum bat. Als die Sonne aber aufgehen wollte, da schlug er schnell wieder Feuer und der Eisenkerl kam und trug die Königstochter in ihr Bett zurück.

Am folgenden Abend machte der Königssohn es ebenso und auch am dritten und vierten und fünften Abend, aber sie wollte durchaus nichts von der Heirat wissen.

Im Gegenteil, sie ging zu ihrem Vater und klagte dem alles. Darüber erzürnte der alte König so sehr, dass er den Königssohn gefangen nehmen ließ und hinzurichten befahl. Als ihm nun eben der Kopf abgehauen werden sollte, da gedachte er des Steines. Er zog ihn schnell heraus, legte den Schwamm darauf und schlug viermal mit dem Stahl. Im selben Augenblicke standen die vier Eisenkerle neben ihm und schlugen den Henker tot, nahmen die Königstochter und führten sie mit ihm auf das Schloss. Da verheirateten sie sich und lebten sehr glücklich zusammen.