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Anthropophagie in Deutschland 1484 – 1500

Anthropophagie in Deutschland 1484 – 1500
Aus: Der Wahnsinn in den vier letzten Jahrhunderten. Nach dem Französischen des Calmeil. Bearbeitet von Dr. Rudolf Leubuscher. Halle. 1848

Die Bulle von Innozenz VIII., die im Jahre 1484 erschien, zeigt, wie tief der Teufelswahn in Deutschland wurzelte. Überall erzählte man sich, wie eine große Verbindung mit Teufeln existiere, welche Schandtaten sie in ihren Versammlungen verübten, wie sie die Verpflichtung hätten, die Neugeborenen vor der Taufe zu vernichten und zu verzehren. Die Inquisitoren, an ihrer Spitze Sprenger und Henricus Institoris, wussten sehr genau, was Nider über die Anthropophagie mitgeteilt hatte. Sie hatten den Hexenprozess in ein unsinniges System gebracht, das durch die teils von Todesfurcht erpressten, teils wahnsinnigen Geständnisse der Angeklagten immer neue Bestätigung und Haltbarkeit gewinnen musste.

Ein Jahr nach Veröffentlichung der Bulle wurden von einem Inquisitor 41 Frauen hingerichtet, weil sie in ihren nächtlichen Zusammenkünften jedes Mal ein Kind erwürgen, es kochen und sein Fleisch verzehren sollten. Eine Menge von Frauen, die dasselbe Schicksal fürchtete, suchte Schutz bei Siegmund von Österreich.

Sprenger erzählt später, aber ohne genauere Detaillierung des Prozesses, dass diese Frauen offen gestanden, sie hätten sich einem Incubus hingegeben. 48 andere, die im Zeitraum von fünf Jahren in Konstanz und in Regensburg verbrannt wurden, gestanden ebenfalls, dass sie sich mit einem Incubus eingelassen, manche darunter schon im Alter von zwölf Jahren. In der Diözese von Basel rühmte sich ein junges Bauermädchen, deren Großmutter als Hexe in Straßburg hingerichtet worden war, früher mit Zauberern zu tun gehabt zu haben, obwohl sie versicherte, dass sie nun seit langer Zeit von ihrer Gemeinschaft abgelassen habe. Auf die Frage, ob es wahr sei, dass die Anbeter des Teufels sich durch die Luft forttragen lassen könnten oder ob die Reisen bloß eingebildet seien, antwortete sie, sie hätte früher mit ihrer Großsmutter große Strecken zurückgelegt, von Straßburg bis nach Köln. Indes würde es auch manchen Zauberern, die ihre Wohnung nicht verlassen wollten, als eine besondere Gunst bewilligt, von ihrem Bett aus alles zusehen, was ihre Kumpane vornähmen. Sie müssten aber vor dem Einschlafen sich auf die linke Seite legen und des Teufels Beistand anrufen. Sie versicherte auch, dass sie bei ihrer Großmutter einen Kessel mit Kinderköpfen gesehen habe, weshalb sie von dieser sehr geschlagen worden sei. Dieses Mädchen stand, obwohl sie die Gemeinschaft der Teufel aufgegeben hatte, doch noch so sehr unter der Herrschaft ihrer früheren Sinnestäuschungen, dass sie nicht fähig war, sie zuberichtigen. Sie bleibt überzeugt, dass sie die Reisen mithilfe des Teufels wirklich gemacht habe.

Die Hebammen wurden am Rhein noch mehr gefürchtet als die gewöhnlichen Hexen. Weil ihr Beruf sie täglich mit Neugeborenen in Verbindung brachte, so war man überzeugt, dass dem Teufel besonders daran liegen müsse, sie sich dienstbar zu machen. Das eben erwähnte Mädchen bezeugte ebenfalls, dass die Hebammen auf Befehl des Teufels eine große Menge von kleinen Kindern töteten. Eine Hebamme, die in Dann bei Basel lebendig verbrannt wurde, klagte sich an, mehr als vierzig Kinder getötet zu haben. Bodin fügt noch hinzu, dass sie dann in der Nacht die Leichname ausscharrte und davon aß, nachdem sie das Fleisch in einem Ofen gebraten hatte. Eine andere gestand dasselbe Vergehen. Das Volk in Straßburg behauptete, sie hätte einmal unwissentlich den Arm eines Kindes auf der Straße verloren. Die Inquisitoren brachten heraus, dass der Arm einem Kind ohne Taufe gehört habe. Sie wurde verbrannt.

Es ist fast unmöglich, anzunehmen, dass die Unglücklichen wirklich ähnliche Greueltaten verübt haben. Man müsste sonst glauben, dass sie viele Jahre an einer Mordwut gelitten haben, dass aber bei dem natürlichen Misstrauen, was man von vornherein gegen sie hegte, es ihnen gewiss unmöglich geworden wäre, ihren grausen Hang zu verbergen. Und welchen Grund sollten sie gehabt haben, um zu morden?

Unter den Frauen, die damals verbrannt wurden, befanden sich auch solche, die man Wetterhexen (tempestières) nannte. In Waldshut, einer Stadt in der Nähe von Konstanz, gestand eine Frau, dass sie darüber beleidigt war, nicht zu einem Fest eingeladen worden zu sein, mithilfe des Teufels ein heftiges Hagelwetter erregt habe. Der Teufel führte sie auf die Spitze eines Berges. Weil sie kein Wasser zur Hand hatte, was man braucht, um Hagel zu erregen, ließ sie ihren Urin in eine Grube. Eine andere gestand: »Ich habe mich seit langer Zeit und zwar aus eigenem Antrieb in den Banden des Teufels befunden. Seit 18 Jahren vollziehe ich den Beischlaf mit einem Incubus. An dem Tag, wo der Hagel alles verwüstet hat, ist mir Satan in meinem Haus gerade um die Mittagszeit erschienen und hat mir seine Absicht kundgetan, in der Ebene von Ruppel alles zu verwüsten, mit der Aufforderung, ihn zu unterstützen. Mit etwas Wasser in einem Gefäß bin ich sogleich aus der Stadt gegangen. Außerhalb der Stadt erwartete mich der Teufel unter einem Baum. Ich goss meinen Vorrat in eine Grube, sprach unter Bewegung des Zeigefingers die nötigen Worte, während der Satan immer an meiner Seite blieb. Das Wasser erhob sich in Dampfform und der Hagel fiel nieder.«

Auf dem Scheiterhaufen hielt dieses Weib ein Kruzifix in der Hand und wiederholte bis zu ihrem Tod ihre Reue.

In Buchel bei Gewyll hatte eine Frau sechs Jahre lang mit einem Incubus selbst an der Seite ihres Mannes im Ehebette gelebt. Sie versicherte, dass sie den Tod gern erleide, um nur aus der Gewalt des Teufels herauszukommen.

Unter den Personen, die in Straßburg verbrannt wurden, zeichnet sich eine Frau durch ihre Unempfindlichkeit bei den stärksten Martern aus. Sie hieß Waltpurgis.

Bei längerer Dauer der Folter musste natürlich die Sensibilität so erschöpft werden, dass das Gehirn die peripherisch empfangenen Eindrücke nicht mehr wahrnehmen konnte. Waltpurgis aber hatte erklärt, dass die Einreibung mit dem Fett eines neugeborenen Knaben diese Empfindungslosigkeit verursachen könne.

Oft erschienen die Angeklagten mit bleichen, blutrünstigen Zügen; oft fand man sie im Kerker erhängt. Nach Meinung der Richter waren es die Teufel, die sie züchtigten, weil sie gestanden hatten. Es war die Verzweiflung, die sie zur Selbstfolterung und zum Selbstmord hintrieb.

Dies sind die Hauptzüge des Deliriums unter Innozenz VIII. Die Neigung zum Teufelskultus erscheint schon in manchen Familien erblich, an manchen Orten endemisch. Besonders sollen sich die Frauen und die jungen Mädchen mit schwarzem, dichtem Haarwuchs vorwaltend den Inkuben hingeben, die ohnedies zu geschlechtlichen Aufregungen besonders geneigt sind. Ihre Träume spiegeln ihnen den coitus vor. Die Mitteilungen der Angeklagten beziehen sich vorwaltend auf religiöse Gegenstände. Die Gesichts- und Gefühlstäuschungen sind noch einförmig. Später treten mannigfache Tiergestalten als Inkuben auf. Die Kranken schildern damals noch nicht die Sensationen, die später der Einführung der Geschlechtsorgane der Teufel in die weiblichen Geschlechtsteile zugeschrieben werden. Der Hexensabbat ist noch nicht normiert. Der Gedanke, dass der Teufel der Menschheit schade und besonders die kleinen Kinder vernichte, besteht noch mehr in seiner Allgemeinheit.

Häufig genug haben gewiss schwache und furchtsame Gemüter, von unsäglichen Martern erschöpft, gegen ihre Überzeugung Geständnisse abgelegt. Es wäre falsch, alle als Wahnsinnige zu betrachten, aber ein pathologischer Grundzug geht durch das ganze Gemälde.