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Der Arzt auf Java – Erster Band – Kapitel 11

Alexander Dumas d. Ä.
Der Arzt auf Java
Ein phantastischer Roman, Brünn 1861
Erster Band
Kapitel 11

Die Versuchung

Madame van der Beek blieb einige Zeit in Gedanken versunken über die Sonderbarkeit dieses Mannes. Um ungestörter vom merkwürdigen Greis träumen zu können, setzte sie zu Fuß den im Wagen begonnenen Spaziergang fort, indem sie ihren Leuten befahl, auf sie zu warten. Sie ließ ihren Schleier herab. Sie war schon einige hundert Schritte entfernt, als ein Mensch, der ihr seit einiger Zeit folgte, an ihr vorüberging und sie auffallend ansah. Esther war darüber so erschrocken, dass sie einen Schrei ausstieß und umkehrte, indem sie sich dem Ort zuwendete, wo sie ihre Dienerschaft gelassen hatte, ohne sich nur so viel Zeit zu lassen, den Lästigen oder den Unverschämten zu erkennen, der sie so betrachtete. Dieser aber folgte ihrer Bewegung. Ehe die junge Frau ihre Equipage wieder zu erreichen vermochte, begann er einige Worte etwas gemeiner Galanterie an sie zu richten. Madame van der Beek vernahm kaum den Klang dieser Stimme, wobei sie einen Blick auf den warf, der sie angeredet hatte, als ihr Schrecken sich in einen Anfall ausgelassener Lustigkeit verwandelte. Sie hatte den Notar Maes erkannt. Dieser hatte seinerseits, ungeachtet des Schleiers, bemerkt, dass die einsame Spaziergängerin keine andere sei, als seine hübsche Klientin und war ganz erstaunt stehen geblieben.

»Wie, sind Sie es, lieber Herr Maes?«, rief Esther.

»Madame«, stammelte der Notar, welcher immer verlegener zu werden schien, »ich bitte, entschuldigen Sie mich, aber ich glaubte den Gang der Madame Maes zu erkennen.«

Esther errötete unter ihrem Schleier.

»Darf man, ohne unbescheiden zu sein, Sie fragen, was für wichtige Geschäfte es sind, welche Sie veranlassen, zu dieser Stunde Madame Maes an den Ufern des Tjiliwong zu suchen?«

»Geschäfte zu dieser Stunde!«, entgegnete Herr Maes. »Ei, schöne Frau, was fällt Ihnen ein? Es ist halb sieben Uhr abends und da heißt es: Zum Teufel mit den Geschäften und es lebe die Freude! Ich rechnete auf einen Spaziergang mit Madame Maes. Ich hatte verabredet, mich mit ihr an diesem abgelegenen Ort zu treffen. Das verursachte mein Missverständnis, über welches ich mich jetzt glücklich fühle, da es mir gestattet, Ihnen meinen Arm anzubieten und Sie zu Ihrem Wagen zurückzuführen. Nehmen Sie meine Begleitung an?« Dabei verbeugte sich der galante Notar.

»Ohne Zweifel, Herr Maes«, erwiderte Esther. »Wenn es Ihnen angenehm ist, so biete ich Ihnen selbst meinen Wagen an, um Sie zu Ihrer Wohnung zurückzubringen.«

Der Notar zögerte. Er drehte sich mehrmals zum Kanal hin, wo man in der Abenddämmerung, die schnell einzubrechen begann, die braunen Körper der schönen Javanerinnen gewahrte, gehüllt in ihre langen Sacongs, dessen nasses Gewebe die reizendsten Umrisse verriet. Man hätte glauben können, er betrachte es als ein gewisses Verdienst, seinen Lieblingsspaziergang aufzugeben. Auf der anderen Seite war es für ihn eine Versuchung, sich öffentlich mit einer der reizendsten Europäerinnen der Stadt sehen zu lassen. Er widerstand dieser Versuchung nicht. Als der Neger den Wagentritt herabgelassen hatte und Madame van der Beek in der Ecke saß, kletterte der Notar ihr nach. Der Wagen senkte sich unter seiner ungeheueren Last nach einer Seite.

»Verzeihen Sie, Madame«, sagte Maes, als er neben Esther Platz genommen hatte, »aber in meiner Überraschung vergaß ich es, mich nach Herrn van der Beek zu erkundigen.«

»Ach«, entgegnete Esther, welcher der Notar alle ihre Schmerzen zurückgerufen hatte.

»Ja, ja«, sagte er, »ich verstehe Sie. Mitten in Ihrem Glück ist das Ihr nagender Wurm. Die Gesundheit Ihres Gatten lässt viel zu wünschen übrig. Ach, ich habe das nur zu gut bemerkt. Die Arbeit tötet den armen jungen Menschen«, fügte Herr Maes hinzu, »und ich begreife wahrlich nicht, wie er bei seinem Reichtum für einige elende tausend Gulden eine Existenz opfert, die so schön und besonders so glücklich sein könnte, weil er sie ganz zu Ihren Füßen hinbrächte.«

»Wie, mein Herr?«, entgegnete Esther immer verwunderter über die Entdeckungen, die sie in diesen Teilen des Charakters ihres Notars machte. »Sind Sie es, der so zu mir spricht?«

»Ohne Zweifel«, erwiderte Herr Maes mit dem natürlichsten Wesen von der Welt. »Was gibt es dabei zu verwundern? Man ist Notar, aber bleibt doch immer Mensch und ich erkläre Ihnen, dass ich unbedingt die Gewinnsucht verdamme, welche die schönen und guten Gaben vergessen macht, die Gott unter der Aufschrift des Vergnügens hienieden für den Menschen geschaffen hat.«

»Aber ich dachte, mein Herr«, erwiderte Esther, »die Sorge für Ihr Kontor nähme all Ihre Augenblicke in Anspruch.«

»Ach, sprechen Sie nicht von meinem Kontor, teure Dame«, erwiderte Herr Maes mit melancholischem Ton, indem er sich einer Hand zu bemächtigen suchte, welche fortwährend der seinen entschlüpfte. »Sprechen Sie nicht von meinem Komtor. Pfui! Es scheint mir, als röche ich selbst jetzt den erstickenden Dunst, der aus den alten Kartons voller Würmer und Prozesse hervorbringt. Nein, meiner Treu, lassen Sie mir ungestört das Glück, in dieser durch die Gärten ringsumher durchwürzten Luft dahin zu rollen, und zwar an der Seite einer der reizendsten Frauen der Kolonie.«

»Wahrlich, Herr Maes«, sagte Esther, indem sie lächelte, halb über die Galanterie des Notars, halb über den Wechsel, der mit seiner Moral vorgegangen war, »beim letzten Besuch, den ich Ihnen zu machen die Ehre hatte, war ich nicht imstande, die ganze Ausdehnung Ihrer Artigkeit zu ermessen.«

»Ach Madame!«, entgegnete Herr Maes, indem er immer sentimentaler wurde, »haben Sie meine Gefühle für die schönere Hälfte des Menschengeschlechts erkennen können? Die Frauen, Madame, die Frauen! Das ist der einzige Reiz, der einzige Trost unserer Existenz.«

»Das würde Madame Maes entzücken, wenn sie uns hören könnte!«, sagte Esther neckend.

»Ach, aus Barmherzigkeit, Madame«, entgegnete der Notar, indem er seiner Physiognomie einen stehenden Ausdruck zu geben versuchte, »lassen Sie Madame Maes beim Kontorr, ich beschwöre Sie. Finden Sie nicht, dass dieser Abend entzückend ist und dass es gut tut, frei zu leben, jeder Beschäftigung und jeder Sorge entledigt?«

»Aber die Interessen Ihrer Klienten beschäftigen Sie Tag und Nacht, sagten Sie mir!«

»Zum Teufel mit den Klienten, wenn die Nacht angebrochen ist! Ach mein Gott, die schönen Tropennächte — weshalb hat Gott sie nicht 24 Stunden lang gemacht?«

»Wirklich, Herr Maes«, sagte Esther, »ich gerate bei Ihnen von Staunen zu Staunen und ich weiß nicht, wie ich Ihren Ton und Ihre Worte mit dem Ernst Ihres Standes in Einklang bringen soll.«

»Mein Stand, Madame, mein Stand«, rief Herr Maes mit dem Ausdruck der höchsten Herzensqual. »Glauben Sie denn, dass ich Lust hätte, mager, bleich und gelb zu werden wie Herr van der Beek und deshalb den Frondienst nicht zu unterbrechen, den mir mein Stand auferlegt? Ach, der Lastträger des Hafens hat seine Stunden der Siesta, während welcher er, an der Küste liegend, auf das Gemurmel der Wogen lauscht, die sich verliebt über den Sand hinwälzen. Er sieht die Sonne sich in den blauen Fluten baden und sie mit Purpur färben. Er gibt sich dem höchsten Glück hin, nichts zu tun, und ich, Herr Maes, königlicher Notar, Eigentümer einiger Hunderttausend Gulden, ich sollte nicht eine Stunde, nicht einen Augenblick haben, um frei zu atmen, um die schönen und guten Dinge zu genießen, die Gott auf meinen Weg streute, um den Gesang lieblich, den Wein berauschend, die Frauen hübsch zu finden? Madame, trinken Sie gern Wein? Ei«, fuhr der Notar nach dieser Parenthese fort, »das allzu volle Glas läuft über und es wäre schade darum, besonders wenn es Champagner ist. Noch einmal, es lebe die Freude, Madame van der Beek, und wenn Sie wollen, dass Ihr Mann gesund werden soll, so sagen Sie ihm, dass er meinem Beispiel nachahme.«

So alltäglich auch die Worte des Notars waren, machten sie dennoch Eindruck auf die junge Frau. Sie war dahin gekommen, für Ihren Mann den sinnlichen und rohen Ausdruck der Physiognomie des Herrn Maes zu beneiden, denn alles wohl erwogen, lag in diesem Ausdruck Leben, während dagegen die Traurigkeit und die Niedergeschlagenheit, deren Beute ihr Mann war, an den Tod mahnten. Sie fühlte dies und fürchtete sich davor.

»Ja«, sagte sie, »Sie haben recht, Herr Maes, und ich sollte Ihnen zürnen, dass Sie mir rieten, meinen Mann auf den Weg zubringen, den er jetzt verfolgt, auf den Weg des Handels, der ihn töten wird.«

»Ich hätte das geraten?«, fragte Herr Maes mit geschickt gespieltem Erstaunen, indem er seine großen runden Augen weit aufriss.

»Allerdings, Herr Maes«, erwiderte Esther.»Erinnern Sie sich dessen nicht mehr?«

»Zu welcher Stunde haben Sie denn einen Rat dieser Art von mir verlangt?«

»Im Laufe des Nachmittags, glaube ich, zwischen drei und vier Uhr.«

»Zum Teufel, teure Dame, dann erklärt sich alles. Es war der Notar, den Sie gesehen haben und Sie hätten mit Herrn Maes von derlei Dingen sprechen sollen. Sie mussten ihn aufsuchen, wenn er den Staub des hässlichen Arbeitszimmers abgeschüttelt hatte, wenn die Raupe zum Schmetterling geworden war. Dann hätte er Ihnen gesagt, wie er es diesen Abend tut. Seien wir nur ernsthaft in unseren Arbeitsstunden, wenn wir nicht wollen, dass die Langeweile uns in Mumien verwandelt. Aber seien Sie ganz ruhig. Das Übel, das ich hervorgerufen habe, werde ich auch beseitigen.«

»Wie das?«

»Nun, ich werde ihn aufsuchen, den teuren Herrn van der Beek, und ich will zu zwei Stunden längerer Arbeit verurteilt sein, wenn ich es nicht dahin bringe, ihn so zu zerstreuen, wie mich.«

»Wie Sie!«, rief Esther, die die Leichtfertigkeit der Worte des Herrn Maes misstrauisch gegen ihn zu machen begann.

»Wie mich, gewiss, doch beruhigen Sie sich, schöne Frau. Die Raketen des Feuerwerkes meiner Heiterkeit dürfen Sie nicht erschrecken. Wenn ich aus meiner Expedition komme, gleiche ich einem Verhungerten, der sich zu einem Hochzeitsmahle niedersetzt. Aber honny soit qui mal y pense, schöne Dame, und meine liebsten Zerstreuungen bestehen in dem Geplauder und in der Vereinigung mit einigen vertrauten Freunden, die ebenso heiter sind wie ich und denen ich gleich morgen Herrn van der Beek vorstellen will.«

»Mein Herr«, entgegnete die junge Frau, indem sie ihre Besorgnis unter einem Lächeln verbarg, »Eusebius hat mich daran gewöhnt, an seine Zärtlichkeit zu glauben und nie würde ich eifersüchtig auf die Zerstreuungen sein, an denen ich nicht teilnehmen könnte.«

Der Wagen hielt vor dem Hotel und unterbrach den Notar, der seine Hand Esther bot und ihr folgte, als er erfuhr, dass Eusebius nach Hause gekommen sei.

Die Ausbrüche der Heiterkeit des Herrn Maes verletzten sogleich die finstere Laune des Herrn Eusebius und der Notar sah auf der Stelle ein, dass es ihm schwer sein würde, den Widerwillen zu besiegen, den Herr van der Beek gegen alles äußerte, was ihn von seiner Wohnung entfernen oder von seinem Geschäft abhalten konnte. Der würdige Notar bediente sich daher auch einer List, indem er einen Augenblick benutzte, während dessen Esther sich entfernte, um selbst den Tee zu bereiten.

»Nun, Herr van der Beek, sind Sie zufrieden mit den Geschäften? Der Kaffee sinkt im Preis und das muss Sie betreffen.«

»O nein; ich hatte meine Ernte verkauft und es ist mir daher gleichgültig«, sagte Eusebius mit einem Ton, welcher seinen Worten widersprach und verriet, welche Anstrengungen er machte, um beide in Einklang zu bringen.

»Das ist schade«, erwiderte der Notar, »wirklich schade, denn ich hätte den Absatz für einen Teil Ihrer Ware gewusst.«

»Ich glaube, es sind in meinem Magazin noch einige Kilogramme«, erwiderte Eusebius lebhaft. »Schicken Sie Ihren Käufer zu mir, und wenn wir den Handel schließen, erhalten Sie Ihre Kommissionsgebühren.«

»Bah, lieber Herr van der Beek, ich kümmere mich um die Kommissionsgebühren, wie ein Pfau sich um eine Rabenfeder kümmert. Zu dieser Stunde des Tages leiste ich Dienste, aber ich verkaufe sie nicht; nur kann ich nicht tun, was Sie wünschen.«

»Und weshalb nicht?«

»Weil mein Mann ein Original ist, das seine Geschäfte weder auf der Börse noch in den Kontoren, noch auf dem Kai abmacht, sondern mit dem Glas oder der Pfeife in der Hand.«

»Dann«, sagte Eusebius, »bin ich ebenso wenig sein Mann, wie er der meine. Sprechen wir nicht weiter davon.«

»Bah, bah!«, sagte Herr Maes, »einige fünfzigtausend Gulden sind selbst gut vom Boden einer Flasche zu holen und ich rate Ihnen nicht, lieber Herr van der Beck, diesen Wein einen anderen genießen zu lassen.«

»Fünfzigtausend Gulden!«, wiederholte Eusebius, indem er an die runde Summe dachte. »Glauben Sie, dass er eine Kaffeelieferung übernehmen wird, welche einen solchen Gewinn abwerfen kann?«

»Er wird alles nehmen, was Sie ihm liefern können.«

»Sehen Sie sich vor. Vielleicht verpflichten Sie sich zu stark.«

»Ich stehe für ihn ein.«

Eusebius hatte sich schon halb ergeben.

Es war nicht, wie Herr Maes vermutete, der Geiz, der ihn so handeln ließ, aber bei seinen Rechnungen und beim Stand, den er an eben diesem Morgen abgeschlossen hatte, fiel ihm wieder das eigentümliche Resultat auf, das er nun schon zum siebenten Mal fand, nämlich, dass er ungeachtet aller Anstrengungen, die er gemacht, ungeachtet aller Vorteile oder Nachtheile, nicht dahin gekommen war, dass Kapital, welches er bei den Geschäften angelegt hatte, im Geringsten weder zu erhöhen noch zu vermindern. Er erblickte darin einen neuen Beweis der geheimen Einmischung, welche seine Abreise nach Europa verhinderte. Er wollte daher noch einmal versuchen, gegen sie zu kämpfen, um sie zu lähmen.

»Nun wohl«, sagte er, »ich nehme Ihren Vorschlag an. Wo können wir Ihren Mann finden?«

Herr Maes dämpfte die Stimme, als fürchte er, gehört zu werden und fragte mit halbem Lächeln: »Kennen Sie Mynheer Cornelius?«

»Nein, wahrlich nicht«, erwiderte Eusebius, »und ich gestehe Ihnen sogar, dass ich diesen Namen zum ersten Mal nennen höre.«

»Nun wohl, so werde ich Sie morgen mit der Person bekannt machen und Sie werden mir dafür sehr dankbar sein«, fuhr der Notar mit geheimnisvollem Wesen fort. »Es ist ein herrlicher Aufenthaltsort.«

»Aber der Kaffeemann! Bedenken Sie, dass ich es mit dem zu tun habe und nicht mit Herrn Cornelis.«

»Der Kaffeemann wird dort sein.«

»Bedenken Sie, dass ich nur seinetwegen hingehe.«

»Abgemacht. Um halb acht Uhr komme ich, um Sie abzuholen.«

»Am Abend?«

»Ja. Er macht seine Geschäfte nur bei Licht. Das ist auch eine seiner Eigentümlichkeiten.«

Esther kehrte zurück; man trank den Tee, plauderte von gleichgültigen Dingen. Indem Eusebius Herrn Maes bis zur Tür begleitete, versprach er, ihn am nächsten Abend zu erwarten.