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Abenteuer des Captains Bonneville 01

Washington Irving
Abenteuer des Captains Bonneville
oder: Szenen jenseits der Felsengebirge des fernen Westens
Verlag von J. D. Sauerländer. Frankfurt am Main, 1837

Einleitung

Während ich damit beschäftigt war, die Geschichte der großen Unternehmung, der Gründung von Astoria, zu schreiben, suchte ich mir alle mögliche mit dem Gegenstand zusammenhängende mündliche Belehrungen zu verschaffen. Nirgends erhielt ich interessantere Nachrichten, als an der Tafel von John Jacob Astor, der als Patriarch des Pelzhandels in den Vereinigten Staaten gewöhnlich mehrere Personen abenteuerlichen Schlages an seinem Tisch bewirtete, von denen einige an seiner großen Unternehmung teilgenommen hatten. Andere hatten für ihre eigene Rechnung Streifzüge zu den Felsengebirgen und zum Columbia River unternommen.

Einer dieser Personen, die ich besonders lieb gewann, war Captain Bonneville von der Armee der Vereinigten Staaten, der auf einer Art von herumstreicherischer Unternehmung dem Soldaten den Biberfänger und Jäger ganz eigentümlich aufgeprägt hatte.

Da seine Streifzüge und Abenteuer das Hauptthema der folgenden Seiten bilden, so wird eine kurze biographische Skizze von ihm dem Leser wohl nicht unwillkommen sein.

Captain Bonneville ist von französischer Herkunft. Sein Vater war ein würdiger, alter Emigrant, der vor langen Jahren in dieses Land gekommen war und seinen Wohnsitz in New York aufgeschlagen hatte.

Er wird als ein Mann dargestellt, der für das schmutzige Ringen einer geldgierigen Welt nicht sehr gemacht war, ein glückliches Temperament, eine herrliche Einbildungskraft und eine Einfachheit des Herzens besaß, die ihn befähigten, ihren Prüfungen und Anfechtungen zu widerstehen.

Er war ein gut unterrichteter, mit den lateinischen und griechischen Autoren wohlbekannter Mann, der die neueren Klassiker vorzüglich liebte. Sein Buch war sein Elysium. War er einmal in seinen Voltaire, oder Corneille, Racine oder seinen englischen Lieblingsschriftsteller Shakespeare vertieft, dann vergaß er die Welt mit all ihren Freuden und Leiden. Man sah ihn oft bei heiterem Sommerwetter unter einem der Bäume der Batterie oder dem Portiko der St. Paulskirche in Broadway mit entblößtem Haupt und den Hut an seiner Seite liegend sitzen. Seine Augen waren auf sein Buch geheftet und er so ganz mit sich selbst beschäftigt, dass er weder auf die Zeit noch die Vorübergehenden Acht hatte. Captain Bonneville hatte, wie man finden wird, etwas von seines Vaters Gutmütigkeit und seiner reizbaren Einbildungskraft geerbt, obwohl Letztere in früheren Jahren durch mathematische Studien gezügelt worden war. Er wurde in unserer nationalen Militärakademie in West Point erzogen, wo er seine Studien rühmlich absolvierte und von wo aus er in die Armee trat, in welcher er seitdem verblieben ist. Die Natur unseres Militärdienstes führte ihn an die Grenze, wo er eine Reihe von Jahren hindurch seinen Standort auf verschiedenen Posten des fernen Westens hatte. Hier kam er in häufige Berührung mit den indianischen Pelzhändlern, Biberfängern der Felsengebirge und anderen Streifern der Wildnisse und wurde von ihren Schilderungen so wilder Naturszenen und Abenteuer, und ihren Erzählungen von sich weit erstreckenden, herrlichen und noch unerforschten Gebieten so hingerissen, dass ein Zug zu den Felsengebirgen sein sehnlichster Wunsch und die Unternehmung, jene noch unbetretenen Länderstriche zu erforschen, der Hauptgegenstand seines Ehrgeizes wurde.

Nach und nach versuchte er jene schwankende Sehnsucht seiner Tagträume zu verwirklichen. Nachdem er sich mit den Erfordernissen einer Handelsunternehmung jenseits der Gebirge bekannt gemacht hatte, entschloss er sich, seinen Plan in Ausführung zu bringen. Auf sein Erbieten, den öffentlichen Nutzen mit seinen Privatabsichten zu verbinden und statistische Notizen über jene unbebauten Länder und wilden Völkerstämme, die er auf seinen Wanderungen antreffen könne, für das Kriegsdepartement zu sammeln, erhielt er einen Urlaub mit der Sanktion zu seiner Expedition vom befehligenden Generalmajor. Es fehlte jetzt nichts zur Ausführung des Lieblingsprojektes des Captains, als die Mittel und Wege. Die Ausrüstung für den Zug erforderte viele tausend Dollar, was ein abschreckendes Hindernis für einen Soldaten war, dessen Kapital selten in etwas mehr als einem Schwert besteht. Voll jedoch von jenen feurigen Hoffnungen, die einem sanguinischen Temperament eigen sind, begab er sich nach New York, dem großen Herd des amerikanischen Unternehmungsgeistes, wo immer Fonds zu Entwürfen vorhanden sind, so chimärisch oder romantisch sie auch sein mögen.

Hier hatte er das Glück, einen Gentleman von hohem Ansehen und großem Einfluss anzutreffen, der in Kinderjahren sein Spielkamerad gewesen war und noch die alte Schulfreundschaft für ihn hegte. Er nahm sich der Pläne des Captains an, führte ihn bei mehreren Handelsleuten von seiner Bekanntschaft ein. In kurzer Zeit wurde eine Gesellschaft zusammengebracht, die die nötigen Fonds herbeischaffte, um die vorgeschlagene Maßregel in Ausführung zu bringen.

Einer der tätigsten Männer dieser gesellschaftlichen Verbindung war Mr. Alfred Seton, der in seiner frühen Jugend eine der Expeditionen des Herrn Astor zu seinen Handelsniederlassungen am Columbia River begleitet und sich durch seine Tätigkeit und seinen Mut auf einem der inneren Posten ausgezeichnet hatte. Mr. Seton war einer jener amerikanischen Jünglinge, die sich zur Zeit der Übergabe Astorias an die Engländer daselbst befanden, und die einen so großen Schmerz und Unwillen darüber äußerten, die Flagge ihres Landes herabnehmen zu sehen.

Die Hoffnung, diese Flagge noch einmal an den Ufern des Columbia River aufgepflanzt zu sehen, mag wohl mit einer der Beweggründe gewesen sein, weshalb er sich in das gegenwärtige Unternehmen einließ.

So unterstützt und mit allem wohl versehen, unternahm Captain Bonneville seine Reise zum fernen Westen und hatte bald die Felsengebirge überstiegen. Ein Jahr nach dem anderen verstrich, ohne dass er zurückkehrte. Der Termin seines Urlaubs war abgelaufen, doch noch keine Nachricht von ihm im Hauptquartier zu Washington eingetroffen. Er wurde für wirklich tot oder verloren gehalten, und sein Name aus der Armeeliste gestrichen.

Es war im Herbst 1835, dass ich auf dem Landsitz des Mr. John Jacob Astor zu Hellgate zuerst mit dem Captain Bonneville zusammenkam. Er war damals nach einem mehr als dreijährigen Aufenthalt in den Gebirgen gerade zurückgekehrt und befand sich auf seinem Weg zum Hauptquartier, in der Hoffnung, wieder angestellt zu werden. Soviel ich von ihm vernahm, hatten seine Wanderungen in der Wildni, so sehr sie auch seine Neugierde und Neigung zu Abenteuern befriedigt hatten, seine Glücksumstände doch nicht sehr verbessert. Gleich Corporal Trim hatte er in seinen Feldzügen, seinen Gefühlen Genüge geleistet, und dies war alles. Er hatte in der Tat zu viel von einem aufrichtigen und offenherzigen Soldaten an sich und zu viel vom Temperamente seines Vaters geerbt, um einen listigen Biberfänger oder knauserigen Handelsmann aus ihm machen zu können. Im ganzen Wesen des Captains lag etwas, das mich für ihn einnahm. Er war gut gebaut, von mittlerer, untersetzter Statur. Ein militärischer Frackrock von fremdem Schnitt, der den Dienst gesehen hatte, gab ihm das Ansehen der Festigkeit. Sein Gesicht war frei, offen und einnehmend, sehr von der Sonne gebräunt, und hatte eine etwas französische Physiognomie. Er besaß ein freundliches schwarzes Auge, eine hohe Stirn, und wenn er seinen Hut aufsitzen hatte, den Blick eines Mannes in frohen Jugendtagen. Sowie er aber seinen Kopf entblößte, gab ihm sein kahler Scheitel einige Jahre mehr, als er wirklich hatte.

Da ich damals hinsichtlich eines jeden Umstandes, der mit dem fernen Westen zusammenhing, äußerst neugierig wa, so richtete ich zahlreiche Fragen an ihn und erhielt dadurch eine Menge so außerordentlich auffallende Umstände, mit einer, mit Bescheidenheit vermischten Offenheit, in einer so gefälligen Manier und in einem so sanften Ton mitgeteilt, dass solches sonderbar gegen die wilde und oft abschreckende Natur des Inhaltes seiner Mitteilungen abstach. Ihr konntet Euch nur schwer überzeugen, dass die sanftmütige, so ruhig aussehende Person vor Euch, der wirkliche Held der erzählten lebhaften Szenen war.

Nach Verlauf von drei, vier Monaten, als ich mich gerade in der Stadt Washington befand, traf ich wieder mit dem Captain zusammen, der den langsamen Gang der Betreibung seiner Angelegenheiten beim Kriegsgericht abwartete. Ich fand ihn bei einem Waffengefährten, einem Major der Armee, einquartiert. Hier schrieb er an einem mit Landkarten und Papieren bedeckten Tisch, der in der Mitte eines großen Barackenzimmers stand, das mit indianischen Waffen, Trophäen, Kriegsanzügen und mit den Häuten verschiedener wilder Tiere bunt ausgeschmückt und rings mit Abbildungenindianischer Spiele und Zeremonien, Kriegs- und Jagdszenen behangen war. Mit einem Wort, der Captain vertrieb sich die Langeweile während der Verhandlung seiner Angelegenheiten vor Gericht, dadurch, dass er sich in der Autorschaft versuchte, seine Reisenotizen noch einmal abschrieb, ordnete und vermehrte. Wenn er so in seinem merkwürdigen Gemach an seinem Tisch saß, erinnerte er mich mit seinem kahlen Kopf, von etwas fremdartigem Aussehen, an einige jener antiken Abbildungen von Autoren, die ich in alten spanischen Werken gesehen habe.

Der Erfolg seiner Arbeiten war ein Manuskript, das er nachher zu meiner Verfügung stellte, um dasselbe zur Herausgabe vorzubereiten. Ich fand solches voll interessanter Züge vom Leben im Gebirge und den sonderbaren Kasten und Rassen sowohl von weißen als auch von roten Menschen, unter denen er sich aufgehalten hatte. Sie trugen überdies durchaus den Stempel seines eigenen Charakters und seiner Gutmütigkeit sowie seines wohlwollenden Gemüts und seiner Empfänglichkeit für das Große und Schöne.

Das Manuskript bildete die Hauptmaterie zum folgenden Werk. Ich habe solches gelegentlich nur mit einzelnen Tatsachen und Umständen verwebt, die ich aus verschiedenen Quellen schöpfte, vorzugsweise aus Zeitschriften und mündlichen Besprechungen mit mehreren Zeitgenossen des Captains, die Augenzeugen der von ihm beschriebenen Szenen waren. Auch habe ich dem Ganzen ebenfalls einen Ton und Anstrich nach den eigenen Beobachtungen gegeben, die ich auf einem Ausflug in das Land der Indianer jenseits der Grenze der Zivilisation zu sammeln Gelegenheit hatte. Das Werk ist jedoch, wie ich zuvor bemerkte, im Wesentlichen die Erzählung des Captains. In vielen seiner malerischen Stellen bin ich nur wenig von seiner eigenen Sprache abgewichen.