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Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern – 36. Blatt

Till Eulenspiegel in 55 radierten Blättern
von Johann Heinrich Ramberg, mit Text nach der Jahrmarkts-Ausgabe. Verlag C. B. Griesbach. Gera. 1871

Eulenspiegel kommt nach Prag und gibt sich für einen Gelehrten aus.

ulenspiegel hatte sich durch das Aprilschicken der Schnei­dermeister sehr bekannt und so verhasst gemacht, dass er sich in ganz Ober- und Niedersachsen nicht mehr sehen lassen durfte. Er musste sich deshalb nach einem anderen ent­fernten Land begeben, wo er noch nicht bekannt war. Es war Eulenspiegel einstmals gesagt worden, dass die Menschen in Böhmen sehr dumm wären. Dies fiel ihm jetzt wieder ein, und er dachte bei sich: In Deutschland will dir doch niemand mehr Gehör geben. Du willst also einmal sehen, ob es in Prag Leute gibt, die deinen Worten glauben. Er trat mit Hoffnungen die Reise dahin an. Nachdem Eulenspiegel in Prag angekommen war, schlug er an allen Straßenecken und an allen Kirchtüren Zettel an, wodurch er bekannt machte, dass er als ein Gelehrter, der wunderbare Dinge wisse, hier angekommen sei. Wer also Neigung habe, von ihm noch nie bekannte Wissenschaften zu erlernen, der sollte zu ihm kom­men. Da dies die Professoren der Universität hörten, hiel­ten sie eine große Versammlung und beratschlagten miteinander, was sie dem angekommenen neuen Gelehrten für gelehrte Fragen vorlegen wollten, die er ihnen nicht würde beantworten können und er alsdann mit Spott und Schande wieder davongehen müsse. Die Herren Professoren der Universität wurden also einig, durch ihren Pedell den frem­den Gelehrten zu einer wissenschaftlichen Unterhaltung auf den anderen Tag einladen zu lassen, und dass der Prorektor dann einige schwere Fragen an ihn richten wolle. Dies ge­schah und am anderen Tage erschien Eulenspiegel in einem langen Rock mit weiten Ärmeln und setzte sich im Hörsaale auf einen Lehnsessel nieder.

Nachdem nun die Professoren der Universität sich auch daselbst versammelt hatten, redete der Prorektor folgendermaßen Eulenspiegel an: »Ehrwür­diger Herr Magister! In meinem und meiner Herren Kollegen Namen frage ich Euch:
1) Wie viel Tropfen Wasser sind im Meer?
2) Wie viel Tage sind von Adams Zeiten bis auf diesen Tag verflossen?
3) Wo ist der Mittelpunkt der Erde?«

Eulenspiegel antwortete darauf: »Ehrwürdiger Herr Pro­rektor! Die Antworten auf die drei Fragen sind:
1) Hundert­tausend Millionen-Millionen Tropfen Wasser sind im Meere. Wollt Ihr dies nicht glauben, so haltet alle dahinströmenden Flüsse auf, so will ich sie Euch vorzählen. Könnt Ihr aber das nicht, so hat meine Antwort ihre Richtigkeit.
2) Von Adam bis auf unsere Zeit sind sieben Tage verflossen und nach den ersten sieben Tagen wieder sieben und so fort bis hierher.
3) Wo der Mittelpunkt der Erde sei? Der ist gerade hier, wo ich sitze. Wenn Euch dies nicht glaublich scheint, so lasst uns solches messen; denn ich versichere Euch, es wird nicht ein Strohhalm breit fehlen.«

Hierauf fragte der Prorektor noch zum Vierten: »Wie hoch ist der Himmel von der Erde?«

Eulenspiegel antwortete sehr rasch: »Eine Million Doppel­klafter; das kann nicht fehlen. Wollt Ihr das nicht glau­ben, so messt die Höhe und Ihr werdet finden, dass ich recht habe. Wollt Ihr auch prüfen, ob sich das Übrige so verhält, wie ich eben gesagt habe, so wird es mir lieb sein. Man soll mich für keinen Gelehrten halten, wenn mit meinen Worten nicht alles übereinstimmt.«

Die Gelehrten antworteten hierauf aber nichts, denn sie sahen, dass sie einen Narren vor sich hatten, schämten sich innerlich und entließen ihn aus ihrer Mitte. Eulenspiegel hatte sich aber hierdurch Vertrauen bei unerfahrenen Personen in Prag er­worben und benutzte es zu seinem Vorteil, betrog manchen um vieles Geld, zog den großen Rock aus und ging froh­lockend über seine Schelmerei wieder weg von Prag.